„Feinstaub macht krank“ - Helmholtz Zentrum München

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12 PANORAMA
ABENDZEITUNG
MITTWOCH, 15. 4. 2015
WWW.AZ-MUENCHEN.DE
Ein Laster fährt auf der Landshuter Allee – und über 100 000 andere Autos auch. Das bedeutet: Feinstaub-Alarm! Auch das Tempolimit von 50 Stundenkilometern ändert daran nur wenig.
„Feinstaub macht krank“
Die Belastung durch
die kleinen Partikel
erhöht das Risiko
für Herzinfarkte
und fördert Krebs.
Eine Forscherin aus
München will aufrütteln
F
einstaub ist unsichtbar.
Kein Röntgenapparat und
auch kein Computertomograph können die Partikel
im menschlichen Körper aufspüren. Sie sind 25 Mal kleiner
als ein Millimeter: „Erst, wenn
es zu spät ist, bei einer Obduktion, können Mediziner die
Spuren in unseren Lungen entdecken“, erklärt die Münchner
Feinstaub-Expertin
Annette
Peters.
Die 48-jährige Wissenschaftlerin lehrt in Harvard und an
der Ludwig-Maximilians-Universität. Zudem arbeitet sie am
Münchner Helmholtz-Zentrum
als Instituts-Direktorin. Die
Mission der Professorin: Denkanstöße geben. Münchner Bürger klärt sie über die alarmierenden Erkenntnisse der jüngsten Feinstaub-Forschung auf.
Die AZ sprach mit der Expertin.
AZ: Frau Peters, richtig gute
Luft gibt es in Skandinavien.
Südeuropa ist dagegen am
stärksten belastet. Wie gut ist
es eigentlich um die Münchner
Luftqualität bestellt?
ANNETTE PETERS: Sie liegt genau in der Mitte zwischen europäischen Städten wie Stockholm oder Kopenhagen und
Athen oder Barcelona, sagt
meine Statistik.
Müssen sich Münchner davor
fürchten, dass Lärm und Feinstaub sie krank machen?
Ja. Denn wir alle im städtischen
Umfeld kommen der Belastung
nicht aus. Lärm und Feinstaub
an viel befahrenen Straßen wie
am Mittleren Ring haben nachgewiesen negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Lärm
erhöht den Blutdruck und verändert die Herzfrequenz. Feinstaub in der Lunge fördert
Herzinfarkte und Krebs.
Aber die Schadstoffbelastung
in der Stadt liegt doch innerhalb der EU-Grenzwerte…
Aus meiner Sicht liegt genau
hier das Problem: Die aktuell
gültigen Grenzwerte in der Europäischen Union sind ungenügend. Sie sollten deutlich strenger sein und gehören dringend
aktualisiert. Das wäre für alle
Menschen in München und Europa gut.
Sogar die USA haben strengere
Grenzwerte für Feinstaub als
„Ziehen Sie an
den Stadtrand“
Wie ein Umzug von der
Innenstadt ins Würmtal
einem Buben mit
Bronchitis geholfen hat
MÜNCHEN Er hustet ständig, atmet schwer – der zwei Jahre
alte Karl aus dem Glockenbachviertel leidet an chronischer
Bronchitis. Bis ins Frühjahr hinein inhaliert er mehrmals täglich mit dem „Pari Boy“, einem
Inhaliergerät: Kochsalzlösung
und Medizin, das weitet seine
verengten Bronchien.
Karl wohnt in der Müllerstraße. Im Viertel ist er viel unterwegs: Seine Spielgruppe ist
die
„Glockenbachwerkstatt“
am vielbefahrenen Altstadtring. Über die Fraunhoferstraße spaziert er mit seiner Mutter oft zur Isar.
Wenn das Fieber steigt, ist der
kleine Bub Dauergast beim Kinderarzt. Einmal hilft eine junge
Kinderärztin in der Praxis am
Isartor. Sie hört Karls brummende Lunge ab – und rät der
Mutter: „Wenn Sie die Mög-
Der kleine Karl – damals noch
beim Radeln an der Reichenbachbrücke.
Foto: privat
lichkeit haben, ziehen Sie mit
dem Jungen an den Stadtrand.
Bei der hohen Feinstaubkonzentration im Viertel ist das die
beste Lösung.“
Wegziehen für die Gesundheit?
Was für ein verrückter Vor-
das Öko-Musterland Deutschland. Wie kommt das?
Die USA haben ihre SchadstoffGesetzgebung 2012 überarbeitet – und sich dabei an den
jüngsten
wissenschaftlichen
Erkenntnissen orientiert. Die
europäischen Gesetze sind älter. Damals kannte man aber
die negativen Effekte von Feinstaub noch nicht so.
AZ-INTERVIEW
mit
Prof. Annette Peters
Die 48-Jährige arbeitet
am Münchner
Helmholtz-Zentrum
als Instituts-Direktorin.
Welchen Grenzwert fordern
Sie?
Ich befürworte den Grenzwert
der Weltgesundheitsorganisa-
tion WHO. Der liegt bei zehn
Mikrogramm pro Kubikmeter.
Die Schweiz folgt exakt der
WHO-Empfehlung. Unser EUGrenzwert liegt leider bei 25
Mikrogramm – und damit
zweieinhalb Mal so hoch wie
der von der WHO.
Sind Kinder in München besonders gefährdet?
Ich rate Müttern, die einen Kinderwagen oder Buggy schieben, Wege entlang von viel befahrenen Straßen zu meiden,
besonders bei Inversionswetterlage, wenn eine Dunstglocke
über der Stadt hängt. Die Kinder sitzen unten, atmen mehr
Verkehrsdreck ein.
Außerdem wird in einer kleinen Kinderlunge pro Quadratzentimeter mehr Feinstaub deponiert als bei Erwachsenen.
Studien zeigen, dass die Lungenfunktion von Großstadtkindern weniger entwickelt ist als
die von Landkindern.
Sie sagen: Menschen mit Vorerkrankungen sollten in der
Großstadt besonders aufpassen.
Ja, ich meine Patienten mit
chronischer Bronchitis und anderen
Lungenerkrankungen.
Bei Diabetikern, Menschen, die
an Bluthochdruck, Vorhofflimmern, Herzinsuffizienz und Arteriosklerose leiden, erhöht die
FEINSTAUB-STUDIE
Sieben Mal höheres Risiko
S
ie vergleichen Krankenakten und Totenscheine,
Risikofaktoren und Wohnorte: Für die einzigartige
europäische „ESCAPE“Studie analysieren Forscher
die Daten von 300 000
Menschen aus elf
europäischen Ländern.
2013 wurden die ersten
Ergebnisse veröffentlicht:
Basierend auf 30 000
Todesfällen ist Feinstaub
nachweislich für eine gefährliche Verschlechterung
der Gesundheit verantwortlich. Das konkrete Fazit:
Die Inhalation von Feinstaub erhöht das Risiko,
an Lungenschäden zu sterben, um sieben Prozent.
Da Feinstaub über die Luft
transportiert wird, beeinschlag. Aber die klare Info, dass
die tägliche Luftqualität eine
chronische Bronchitis spürbar
beeinflussen kann, ist eine Art
Offenbarung.
„Wieso sind die fiesen Effekte von
Feinstaub so wenig bekannt?“,
fragt sich die Mutter. Drei Jahre
flussen sich die europäischen Ballungsgebiete.
Die Finnen in Helsinki atmen zum Beispiel einen Teil
der deutschen Luftschadstoffe ein – erzeugt von
Verkehr, Industrieanlagen,
Öl- und Holzheizungen.
Bekommt München im
Gegenzug etwa FeinstaubWolken aus Tschechien ab,
wie früher Bayern den sauren Regen? Ostwind sei bei
uns zum Glück selten, beruhigt Feinstaub-Expertin Annette Peters vom Münchner
Helmholtz-Zentrum. Außerdem spielt hier die Europäische Union eine positive
Rolle. So hat es in Tschechien viele Maßnahmen
gegeben, um Feinstaub
wirksam zu reduzieren. est
ist das jetzt her. Dann zieht
Karl mit seiner Familie ins
Würmtal.
Heute ist er fünf Jahre alt. Die
Kombination aus sauberer Luft,
Kur an der Ostsee und dem
ganz normalen Lungenwachstum hat seine Bronchitis gestoppt.
est
Inhalation von Feinstaub ganz
klar das Herzinfarkt-Risiko.
Forscher haben jetzt herausgefunden, dass fettes Essen die
Wirkung von Umweltschadstoffen im Körper erhöht. Wieso ist das so?
Schadstoffe setzten Sauerstoffradikale frei. Diese wiederum
oxidieren das Fett, das wir essen. Sie wandeln es um in eine
schädliche Form, etwa in oxidiertes Cholesterin.
Das fördert die Arterienverkalkung und schwächt das Immunsystem. Wer einen chronisch ungesunden Lebensstil
pflegt und hoher Luftverschmutzung ausgesetzt ist, ist
besonders belastet.
Das Münchner Gesundheitsreferat hat Sie als Referentin engagiert. Wieso?
München spielt eine Vorreiterrolle, die Stadt ist in Umweltfragen sehr aktiv. Die Erkenntnisse der jüngsten FeinstaubForschung sind brandneu. Referent Joachim Lorenz wehrt
diese Ergebnisse nicht ab wie
andere. Er handelt sehr couragiert, finde ich (siehe Text unten,
die Redaktion).
Gibt es beim Thema Luftverschmutzung in München auch
einen Hoffnungsschimmer?
Der Vergleich ist interessant:
Denn die Münchner Luft ist
Foto: Jörg Koch/dpa
heute deutlich besser als noch
in den 80er-Jahren. Seitdem
hat sich die Feinstaubbelastung
nämlich halbiert. Außerdem
hat unsere Lunge eine große
Kapazität sich zu regenerieren.
Das kennt man von Ex-Rauchern.
Über die Jahre wirke Feinstaub auf die Gesundheit, als
würden immer wieder kleine
Nadelstiche gesetzt, erklären
Sie. Was ist Ihre Vision?
Ich wünsche mir, dass in München auch die Schweizer
Grenzwerte eingeführt werden. Das würde eine große Anstrengung für uns alle bedeuten, aber es ist machbar. Dafür
bräuchten wir deutlich sauberere Autos, wie bräuchten Elektroautos – und noch strengere
Vorschriften für Kamine.
Was kann der Bürger tun?
Jeder in der Stadt kann darauf
achten, möglichst wenig Auto
zu fahren oder auch Holzöfen
nach den neuesten Standards
zu verwenden. Die Stadt hat
dazu gerade fortschrittliche
Gesetze erlassen. Mein SpezialTipp: Mit gut getrocknetem
Holz heizen. Im Idealfall sollte
es drei Jahre gelagert worden
sein. Dann sind weniger Feinstaubpartikel im Rauch.
Interview: Eva von Steinburg
„Die Politik ist
nicht mutig genug“
Umweltreferent
Joachim Lorenz findet,
man müsse die
Autokonzerne in
die Pflicht nehmen
S
eit 20 Jahren verfolgt Gesundheitsreferent Joachim
Lorenz die Forschungsprojekte
der Annette Peters über die
Auswirkungen von Luftschadstoffen auf die Gesundheit. Er
sagt: „Für mich ist es wichtig,
das Thema Luftverschmutzung
und Lärm einmal unter dem
Gesundheitsaspekt zu sehen.
Ich habe nicht die Absicht,
Ängste zu schüren. Es geht mir
um die medizinisch nachgewiesene Tatsache, dass eine
Luft voller Autoabgase zu vorgezogenen Todesfällen führt.“
Politisch sei das Thema
schwierig: „Die Politik ist nicht
mutig genug, die richtigen
Maßnahmen zu ergreifen und
die Autolobby zu packen“.
Die Autos sind das größte
Problem, meint Lorenz. Insbesondere die großen deutschen
Joachim Lorenz.
Foto: AZ-Archiv
Autos, die mit Diesel fahren.
Die Menschen leiden darunter,
dass die Autoindustrie keine
besseren Abgasreinigungssysteme einbaut. Auch bei der
jüngsten Auto-Generation sei
der Ausstoß von Stickstoffoxid
immer noch sechs bis acht Mal
höher als versprochen.
Joachim Lorenz: „Es gibt nur
einige wenige Modelle, die den
Grenzwert einhalten. Das muss
sich ändern. Die Kommunen
und die Menschen baden das
Problem aus. Sie sind das letzte
Glied in der Kette.“
est