Kaufen oder mieten?

Kaufen oder mieten?
Privatleute, die mit einer Immobilie liebäugeln, rechnen viel.
Und entscheiden dann doch aus dem Bauch heraus.
Profis bleiben ganz kühl – liegen damit aber nicht unbedingt besser.
Einblicke in ein schwer zu kalkulierendes Geschäft.
Text: Thomas Ramge Foto: Heji Shin
SCHWERPUNKT: MEINS!
77
SCHWERPUNKT: MEINS! _IMMOBILIEN
•
Max Herbst hat gekauft. Vor zehn Jahren. Rund 100 Quadratmeter in sehr guter Lage in Frankfurt am Main. Von seinem
Balkon schaut er auf den Zoo. In die Innenstadt sind es zehn
Minuten zu Fuß. Die Entscheidung damals fiel leicht. „Die Wohnung unter uns hat der oberste Stadtplaner der Stadt gekauft“,
sagt Herbst. „Da wussten wir, dass sich hier in absehbarer Zeit
nichts zum Negativen verändern wird.“ Beim Kauf waren Herbst
und seine Frau Mitte 40. Auch heute, mit Mitte 50, haben sie nicht
den Eindruck, etwas falsch gemacht zu haben.
Aber auch nicht das Gegenteil. Die Wohnung hat damals rund
6000 Mark pro Quadratmeter gekostet. Der Quadratmeter mit
Zooblick dürfte heute um die 3500 Euro bringen. Das macht
eine Wertsteigerung von rund 14 Prozent, was auf den ersten
Blick gar nicht schlecht aussehen mag. „Wenn ich eine Inflation
von durchschnittlich 2,5 Prozent pro Jahr annehme, ist das bei
zehn Jahren freilich kein gutes Geschäft“, rechnet sich Herbst
selbst vor. „Wenn Sie dann noch bedenken, dass wir rund zehn
Prozent Erwerbsnebenkosten hatten, die für immer weg sind, fällt
die Rechnung noch ungünstiger aus.“ Mit solchen Kalkulationen
beschäftigt sich der Frankfurter auch beruflich. Seine BeratungsAgentur FHM rechnet im Auftrag von privaten Bauherren, Investoren oder wem auch immer, der die Frage stellt: Lohnt es sich
eher, zu mieten oder zu kaufen?
Die Antwort ist komplexer, als sie zunächst scheint. Denn es
gibt noch mehr Variablen zu beachten, als der durchschnittliche
Käufer einer durchschnittlichen Immobilie denkt, wenn er sich –
meist irgendwann jenseits des 30. Lebensjahres – dem Thema
„eigene vier Wände“ nähert. Der Musterfall macht es deutlich.
Max Herbst berechnet ihn wie folgt:
Ein Ehepaar, beide 35, mit zwei Kindern, kauft sich in Stuttgarter Vorstadt-Lage ein Haus für 400 000 Euro. Dafür bekommen die beiden nichts Besonderes: eine Doppelhaushälfte, 150
Quadratmeter, mit kleinem Garten. Beim Kauf fallen zwölf Prozent Nebenkosten für Makler, Grunderwerbsteuer, Notar und ein
paar weitere Kleinigkeiten an. Das sind 48 000 Euro. Macht also
448 000 Euro. Die Familie bringt 88 000 Euro Eigenkapital mit,
muss deshalb einen Kredit über 360 000 Euro aufnehmen. Dafür
ist zurzeit (auf 20 Jahre festgelegt) ein Nominalzins von 5,5 Prozent zu zahlen. Die Tilgung soll 1,32 Prozent betragen. Damit ist
das Haus nach 30 Jahren bezahlt. Jedes Jahr muss das Ehepaar
ein halbes Prozent des aktuellen Hauswertes in die Instandhaltung
investieren. Im ersten Jahr bedeutet das eine monatliche Belastung
von 2212 Euro für die Familie.
Die Kaltmiete eines vergleichbaren Objektes beträgt zurzeit
1600 Euro. Hier beginnt die Gegenrechnung. Mietete die Familie, könnte sie die 88 000 Euro Eigenkapital anlegen. Gleiches gilt
für den monatlichen Differenzbetrag, den Mieter im Vergleich zu
Käufern sparen. In der Beispielrechnung sind das 612 Euro. In eine
Excel-Tabelle gepackt, lassen sich mit diesen Variablen nun wunderbare Zahlenspiele betreiben.
78
Fall eins:
Wertzuwachs Immobilie (jährlich):
1,0 %
Mieterhöhung (jährlich):
1,0 %
Kapitalrendite (jährlich):
3,0 %
Nach 30 Jahren bedeutet das (gerundet):
Immobilienwert (in Euro):
534 000 (Besitzer wohnt dann mietfrei)
Kapital Mieter (in Euro):
455 000
Das Ganze kann sich sehr schnell zugunsten des Mieters drehen, wenn nur
eine Variable leicht verändert wird.
Fall zwei:
Wertzuwachs Immobilie (jährlich):
1,0 %
Mieterhöhung (jährlich):
1,0 %
Kapitalrendite (jährlich):
4,5 %
Nach 30 Jahren bedeutet das:
Immobilienwert (in Euro):
534 000
Kapital Mieter (in Euro):
654 000 (Mieter bleibt räumlich flexibel.
Zinserträge höher als Miete)
Die Zahlenspielerei geht weiter. Erzielt der Mieter 5,5 Prozent
Rendite nach Steuern für sein Kapital, hat der Immobilienbesitzer
im Vergleich nicht den Hauch einer Chance. Steigen Miete und
Immobilienwert um zwei Prozent, und der Mieter ist mit drei
Prozent leider kein Anlagefuchs, hat der Hausherr nach 50 Jahren ein Haus im Wert von mehr als einer Million Euro, während
der Mieter sich das Objekt schon lange nicht mehr leisten kann
– es sei denn, er buttert monatlich aus einer hohen Rente zu.
„Sie sagen mir, wer gewinnen soll, und ich drehe es mühelos
mit realistischen Zahlenvariablen so hin“, sagt Max Herbst.
Seine Zahlenkolonnen mit den immer realistischen Variablen
lassen im Grunde nur einen Schluss zu: Eine rationale Entscheidung zwischen Kauf und Miete lässt sich nicht treffen. Denn
niemand kann in die Zukunft schauen. Wo führt die demografische Entwicklung zu sinkenden Immobilienpreisen und in der
Folge zu stabilen oder gar sinkenden Mieten? Raubt der Staat
Kapitalanlegern in 20 Jahren einen noch höheren Anteil ihrer
Rendite, sodass 4,5 Prozent oder mehr auch für geschickte
BRAND EINS 07/08
SCHWERPUNKT: MEINS!
Der Rechenfuchs: Max Herbst weiß, wann sich der Immobilienkauf lohnt – wenn sich die Variablen nicht ändern
Privatanleger kaum zu schaffen sind? Mit der Abgeltungsteuer
von 25 Prozent unter einer konservativen Kanzlerin hätte vor 20
Jahren schließlich auch niemand gerechnet. Und wie entwickelt
sich die Inflation? Je höher, desto besser für den verschuldeten
Hausbesitzer. Sein Einkommen steigt normalerweise mit der Inflation, aber die Schuldenlast bleibt absolut gleich, gewissermaßen eingefroren auf dem Stand von 2008. Aber alles Rechnen hilft
nichts: „Der Kauf einer privaten Immobilie ist fast immer eine
emotionale Entscheidung“, resümiert der Finanzberater Herbst.
Rainer Bormann weiß das auch. Der Vorstandsvorsitzende
des börsennotierten Immobilienunternehmens Orco Germany
hat als Privatmann gerade eines der wenigen freien Baugrundstücke im vornehmen Berlin-Schlachtensee gekauft. „Eigentlich
viel zu teuer“, sagt er selbst. Aber es geht nicht um Ökonomie,
sondern um „eine stabile Basis für die Familie“, eine Privatsache
also. Die Orco-Aktionäre erwarten bei Bormanns professionellen
Transaktionen und Investitionen etwas anderes.
In der Tat: Die Kalkulation des gewerblichen Immobilienmarktes ist ein wenig klarer als die von Familien. Bormann kann
sie auf eine einfache Zahl bringen: „Fünf Prozent Rendite als
absolutes Minimum“, sagt er. „Sonst stehen Risiken und Aufwand, die mit Immobilienerwerb oder -entwicklung verbunden
sind, in keinem akzeptablen Verhältnis zu den Chancen.“ Auch
der Orco-Vorstandsvorsitzende versteht sich gut auf BeispielBRAND EINS 07/08
rechnungen. Sie sind dankenswerterweise nicht ganz so komplex
wie bei Privatleuten.
In Berlin lässt sich ein Mehrfamilienhaus-Neubau in anständiger Lage und mit anständiger Ausstattung für 2500 Euro pro
Quadratmeter Wohnraum bauen. Für eine Minimalrendite von
fünf Prozent heißt das: Der Immobilieninvestor muss pro Quadratmeter monatlich 10,42 Euro Nettokaltmiete einnehmen. Die
Durchschnittskaltmiete liegt in Berlin derzeit bei rund sechs Euro.
Das ist allerdings ein Mittelwert mit begrenzter Aussagekraft.
„Der Berliner Markt wird oft völlig falsch eingeschätzt“, sagt Bormann, gebürtiger Ostberliner mit internationaler Erfahrung. „In
den guten Lagen gibt es bei guter Wohnungsqualität ein hohes
Potenzial für langfristige Mietsteigerung.“
Erzielt in seiner Beispielrechnung ein Immobilienentwickler
im ersten Jahr 10,50 Euro Miete pro Quadratmeter Wohnraum
und kann er dann im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und
durch Neuvermietung die Mieteinnahmen kontinuierlich steigern,
hat er sehr bald sehr viel Freude an seiner Investition. Denn wie
für die Familie mit der Doppelhaushälfte gilt auch für ihn: Die
Kapitalkosten bleiben konstant. Höhere Einnahmen heben die
prozentuale Rendite dann Jahr für Jahr.
Ganz so einfach ist die Sache allerdings nicht. Denn die
Lagen mit echtem Mietsteigerungspotenzial sind auch im eher
luftig bebauten Berlin keineswegs im Überfluss vorhanden. 3
79
SCHWERPUNKT: MEINS! _IMMOBILIEN
Und weil dem so ist, sind die Grundstückspreise für aussichtsreiche Immobilienprojekte in den vergangenen beiden Jahren
stark gestiegen, was in der Folge Kosten und wirtschaftliches
Risiko deutlich erhöht.
Orco Germany entwickelt dennoch. Zu den maßgeblichen
Gründen für die Investitionsentscheidungen gehören nicht nur
Analysen der Mietenspiegel von 1a-Lagen aus den vergangenen
fünf oder zehn Jahren. Der Wohnimmobilien-Investor wertet mitunter Hinweise aus, die exotisch erscheinen. Zum Beispiel eine
Mitteilung des Bundesverbands Deutscher Galeristen, die besagt,
dass 50 Prozent der auf der Biennale ausgestellten Künstler zumindest zeitweise in Berlin leben.
Profis verdienen mit neu entwickelten Projekten.
Oder alten Schätzchen zum Schnäppchenpreis
Bormann schließt aus solchen Informationen: „Wohnraum für
die kreative Klasse bietet enorme Investitionschancen.“ Für zahlungskräftige Wissensarbeiter baut Orco zum Beispiel eine gigantische Design-Hinterhof-Wohnanlage namens Fehrbelliner an der
Grenze zwischen Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg. Wer den
Markt beobachtet, kann sich ausrechnen, dass für den glasigen
Makler mit Hintergrundwissen: Jürgen Michael Schick
Komplex mit Apartments, Lofts und Stadthäusern Mieten jenseits
der 15-Euro-Marke oder Verkaufspreise von deutlich mehr als
4000 Euro je Quadratmeter realistisch sein könnten.
Die Entwicklung solcher Projekte ist der eine Weg, mit Immobilien Geld zu verdienen. Der ist in Deutschland schon deshalb
steinig, weil Baugenehmigungsverfahren besonders mühsam sind.
Im mittleren und unteren Segment ist es zudem sehr schwierig,
mit neuen Projekten Renditen von mehr als fünf Prozent zu erzielen. Denn mit Ausnahme weniger Ballungszentren gibt es genug
einfachen Wohnraum für Mieter. Die Neugenehmigungen sind im
vergangenen Jahr mit rund 182 000 Wohnungseinheiten deshalb
auf einen historischen Tiefststand gesunken. Bei mittlerer Ausstattung in mittlerer Lage können laut einer aktuellen Studie des
Immobilienverbandes Deutschland (IVD) Vermieter im Bundesdurchschnitt bei der Erstvermietung gerade einmal mit 6,05 Euro
pro Quadratmeter kalkulieren.
Doch das heißt nicht, dass sich mit günstigem Wohnraum in
Deutschland kein Geld verdienen ließe. Das haben in den vergangenen Jahren Großinvestoren erkannt, die viele Wohnungen für
wenig Geld kauften. Und zwar von Eigentümern, die diese im
Paket loswerden wollten. Das waren vor allem die kommunalen
Wohnungsunternehmen. Ökonomisch betrachtet, hatten diese
Betriebe ein Riesenproblem. Denn ihr politischer Auftrag war es,
günstigen Wohnraum bereitzustellen, was in vielen Fällen dazu
geführt hat, dass der kommunale Haushalt, respektive der Steuerzahler, diese Wohnungen subventionieren musste.
2004 erkannten vor allem internationale Finanzinvestoren –
zum Teil ohne besondere Immobilienexpertise –, dass solche
Wohnungsunternehmen ihren Bestand zu Preisen veräußerten,
die auch bei einer Kaltmiete von 3,50 oder vier Euro eine Rendite von acht bis zehn Prozent möglich machten. Ein Investmentbanker konnte seine Excel-Tabelle mit folgenden Variablen
aufmachen:
Quadratmeterpreis: 600 Euro
Jahresmiete: 42 Euro pro Quadratmeter (3,50 Euro pro Monat)
Rendite: 7 Prozent
Nun bringt der Investor aber nur zehn Prozent Eigenkapital auf.
Den Rest leiht er sich zu einem Zinssatz von vier Prozent bei
einer Hypothekenbank. Bei einem angenommenen Preis für das
Wohnungspaket von 100 Millionen Euro ergibt das einen schönen Profit. Für die zehn Millionen Eigenkapital holt der Investor
700 000 Euro Rendite raus. Dank der Zinsdifferenz von drei
Prozent auf die restlichen 90 Millionen macht er noch einmal
2 700 000 Euro gut. Das macht zusammen eine Rendite von
3 400 000 Euro oder 34 Prozent auf das eingesetzte Eigenkapital.
Solche exorbitanten Gewinne waren für die ersten Großinvestoren durchaus realistisch. Unter deutschen Immobilienprofis hat
sich für das Verfahren ein etwas kruder Anglizismus eingebürgert:
80
BRAND EINS 07/08
SCHWERPUNKT: MEINS!
Glaubt an Berlin und die kreative Klasse: der Immobilien-Entwickler Rainer Bormann
„das Eigenkapital leveragen“. Was so viel heißt wie: die Eigenkapitalrendite über den Kredit zu hebeln.
„Leveragen“ ist eine prima Idee. Mit ein paar kleinen Einschränkungen. Die hohen Renditen gab es nur in schlechten
Lagen – in denen das Leerstandsrisiko besonders hoch ist. Zum
Teil gab und gibt es bei den Paketangeboten zudem erheblichen
Sanierungsbedarf. Wer nicht saniert, verliert die Mieter, und wenn
die Rendite des Objektes unter den Fremdkapitalzins rutscht, wird
aus dem Hebelgeschäft ein gigantisches Zuschussgeschäft.
„Das ist seit Beginn der Investitionswelle in Deutschland
aber nur in absoluten Ausnahmefällen passiert“, schätzt Jürgen
Michael Schick. „98 Prozent der Investitionen sind in der Gewinnzone.“ Nun hat Schick ein genuines Interesse daran, Immobiliengeschäfte als lukrative Sache anzupreisen: Er ist Vizepräsident und Sprecher des IVD, der wichtigsten Interessenvertretung
der Maklerbranche. Doch wirkt er ganz und gar nicht wie der
windige Klischee-Makler. Schick hat viele bunte Grafiken zur
Hand, die dabei helfen, den Markt, seine Veränderung und das
ökonomische Kalkül dahinter zu verstehen. Zum Beispiel einen
Chart mit der Überschrift „Anbieterstruktur auf dem deutschen
Wohnungsmarkt“.
In Deutschland gibt es 38,7 Millionen Wohneinheiten. In
15,1 Millionen davon leben die Besitzer selbst. Die berühmte
Eigenheimquote beträgt nach IVD-Zahlen in Deutschland also
BRAND EINS 07/08
etwas weniger als 40 Prozent. Im EU-Durchschnitt sind es
60 Prozent, in Großbritannien 75 Prozent.
Größter Vermieter in Deutschland sind keineswegs die gewerblich agierenden Wohnungsunternehmen, von denen so viel
zu lesen ist: 13,8 Millionen Wohnungen sind in der Hand von
Privatleuten, die irgendwann ein Mehrfamilienhaus oder einzelne
Wohnungen geerbt oder gekauft haben. Die gewerblichen Vermieter besitzen zurzeit nur rund ein Viertel der deutschen Wohnungen, mit abnehmender Tendenz. Denn sie verkaufen ihre
Bestände sukzessive an Privatleute, womit der Makler-Vizepräsident Schick bei den Strukturveränderungen angelangt wäre: „Verkauf an Eigennutzer und private Vermieter ist eine klar erkennbare Exit-Strategie der Finanzinvestoren.“
Etwas gerafft dargestellt, ist aus der Sicht Schicks in den vergangenen vier Jahren auf dem deutschen Immobilienmarkt Folgendes passiert: Irgendwann zwischen 2000 und 2004 erkannten
internationale Kapitalanleger, dass in ganz Europa die Immobilienpreise kontinuierlich nach oben gingen – außer im depressiven
Deutschland der zweiten rot-grünen Legislaturperiode. Billiges
Geld war am internationalen Kapitalmarkt im Überfluss vorhanden. Eine erste Welle von Investoren kaufte riesige Wohnungspakete von bis zu 60 000 Einheiten sehr günstig ein. Finanzinvestoren nutzten in der Regel die „Leverage-Option“, legten ihr
Geschäftsmodell zunächst einmal auf drei bis fünf Jahre an 3
81
SCHWERPUNKT: MEINS!
und kalkulierten für diesen Zeitraum immer mit – Achtung, der
nächste schöne Anglizismus der Branche – „double digits“, also
zweistelligen Renditen, von denen die erste Ziffer, wenn möglich,
eine Zwei oder Drei sein sollte.
„Buy and sell“ nennt Schick die Strategie der ersten Kaufwelle, die gemäß der kurzfristigen Anlagestrategie alsbald zu einer
Verkaufswelle wurde. Zum Teil sind die Investoren mit ihren
Beständen bereits an die Börse gegangen – wie die Immobiliengruppe Gagfah 2006. Zum Teil verkaufen sie Bestände peu à peu
an Mieter. Oder sie geben Pakete an Investoren der zweiten
Welle ab, die seit rund zwei Jahren rollt und deren Strategie Schick
auf die Formel „buy and do“ bringt.
Gemeint sind Investoren, oft aus Irland, Großbritannien oder
Skandinavien, die mittlere Wohnungspakete oder größere Mehrfamilienhäuser zu einem nicht ganz so billigen Quadratmeterpreis
kaufen und ihre Kalkulation auf 10 bis 15 Jahre anlegen. Spätestens in der zweiten Welle war die Zeit der – Mode-Anglizismus
Nummer drei – „Drive-by-Besichtigungen“ vorbei.
Die mittelfristigen Investoren schauen nicht mehr nur auf das
Verhältnis von Ist-Miete und Kaufpreis. Für sie ist die entscheidende Frage: Lässt sich die Immobilie weiterentwickeln? Lassen
sich zum Beispiel durch Modernisierungsmaßnahmen mittelfristig
deutlich höhere Renditen erwirtschaften, womit auch der Preis
bei einem Verkauf erheblich steigen würde? Diese Klientel geht
nach Einschätzung von Jürgen Michael Schick mit sehr viel Sachverstand zu Werke, und auch hier dürften insgesamt solide Renditen erzielt werden – es sei denn, die Investoren haben just im
Sommer vergangenen Jahres ihre Objekte zum Höchstpreis
gekauft. Denn seitdem sind nach IVD-Schätzungen die Preise
für Wohnungspakete und Mehrfamilienhäuser wieder um 10 bis
15 Prozent gefallen, was unter anderem daran liegt, dass die
Banken seit der Subprime-Krise ihr Geld zurückhaltender – und
damit teurer – hergeben und Investoren wieder deutlich mehr
Eigenkapital riskieren müssen.
Bei Investitionen in Steine wie in Aktien gilt:
Wer zu spät kommt, den bestraft der Markt
Zu Höchstpreiszeiten ist auch eine Gattung von Investoren auf
den Zug aufgesprungen, die in der Regel eher spät kommt: die
Kleinanleger. Schick nennt sie „dritte Welle“, und zu der zählen
neben Münchner Steuerberatern auch irische Schweinezüchter, die
in ihrer Lokalzeitung gelesen haben, dass in Berlin Wohnungen
saubillig seien.
Von denen dürften einige bei dem landen, was Cesar Flores
als „negative Nettorendite“ bezeichnet. Flores ist Gründer und
Finanzchef der Münchener Conject AG, die sich auf „Immobilien
Lebenszyklus Management“ spezialisiert hat. Soll heißen: die
mithilfe einer umfassenden Software genau hinschaut, unter welchen Bedingungen sich eine Immobilieninvestition für mittlere
BRAND EINS 07/08
und große Investoren rechnen kann – und unter welchen nicht.
Privat ist für Flores – Mieter einer 88-Quadratmeter-Wohnung in
einem Münchener Vorort mit einer Kaltmiete von 1100 Euro, die
zu kaufen rund 360 000 Euro zuzüglich zwölf Prozent kosten
würde – der Fall klar. „Der Break-even für einen Kauf liegt bei
25 Jahren. Für einen privaten Anleger ist ein solcher Zeitraum mit
viel zu vielen Risiken behaftet“, sagt der Deutsch-Spanier.
Ein bislang noch ungeklärtes Rätsel: Wann
platzen die Kredite des ersten Großinvestors?
Verlottert die Nachbarschaft? Muss ich umziehen? Wie entwickelt
sich die Demografie in der Region? Flores’ Schlussfolgerung ist:
„Ich muss nicht aus emotionalen Gründen Steine und Mörtel
besitzen.“ Was wiederum im Umkehrschluss heißt: Im eigenen
Stein und Mörtel zu wohnen ist eine Entscheidung für einen
Lebensstil – und keine ökonomisch rationale.
Doch auch was die erste große Investitionswelle angeht, ist
sich Flores nicht sicher, ob immer der ökonomische Sachverstand
obsiegt hat. Die günstigen Kredite hatten in aller Regel sehr
kurze Laufzeiten von einem Jahr bis maximal fünf Jahre. Flores
spricht aus, was viele in der Branche nicht so gern hören: „Wenn
es den Investoren nicht gelingt, günstige Anschlussfinanzierungen
hinzubekommen, wird es bald richtig spannend.“ Präzise Zahlen
hat niemand, weil die Verträge alle vertraulich sind. Aber es ist
kein Geheimnis, dass die ersten großen Kredite zur Rückzahlung
anstehen und die Immobilienbanken – siehe oben – eine akute
Risiko-Aversion entwickelt haben und ihr Geld lieber heute als
morgen wiederhaben möchten.
Nun gehen die meisten Marktbeobachter nicht davon aus,
dass dem deutschen Immobilienmarkt nach eher moderaten
Preisanstiegen in den vergangenen Jahren – in denen oft erst
wieder das Niveau von Ende der neunziger Jahre erreicht wurde
– ein echter Zusammenbruch droht. IVD-Vizepräsident Jürgen
Michael Schick ist zudem davon überzeugt, dass private Eigentümer selbst dann nicht betroffen wären, wenn bei den Großinvestoren etwas ins Rutschen geriete: „Wir haben hier zwei
vollkommen entkoppelte Märkte“, sagt er.
Dem Mieter, der über einen Kauf nachdenkt, nützt das als
Information allerdings nicht viel, denn die vielen Unsicherheitsvariablen auf dem Markt der Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen bleiben bestehen.
Der Frankfurter Rechenkünstler Max Herbst sieht die Sache
mit der schlechten Rendite seiner Wohnung übrigens ganz
entspannt. Da wird gar nicht groß gerechnet. Sollte er einmal
in eine Senioren-Wohnanlage ziehen, kann er das 100-Quadratmeter-Apartment mit Zooblick einfach vermieten. Und da fällt
dann die Kalkulation eher Pi mal Daumen aus: „Für 30 oder
40 Quadratmeter in einem Seniorenheim müsste das locker
reichen.“
-
83