Promotion für Praktiker - Fachhochschule des Mittelstands

S A M S TAG , 11. A P R I L 2 015
D I E W E LT
SONDERSEITE
S E I T E 15
POSTGRADUALE STUDIENGÄNGE
PRIVAT / FLORIAN HAMMERICH (2)
Cornelius Uhl erforscht im
Rahmen seiner Doktorarbeit,
wie man aus Pferdemist
Pellets zum Verheizen macht.
Hierfür hat er eine Versuchsanlage im kleinindustriellen
Maßstab aufgebaut
Promotion für
Praktiker
PRIVAT
FH-Absolventen benötigen einen
Doktorvater an der Universität. Die Betreuer
aber legen ihnen gerne Steine in den Weg
PRIVAT
m seinen Mist muss sich
Cornelius Uhl selbst kümmern. Anhängerweise karren der Doktorand und
sein Team die Pferdeäpfel
vom nahe gelegenen Reiterhof zur Versuchsanlage. An ihr hat Uhl ein Jahr lang
getüftelt. Sie soll den Dung trocknen
und daraus Mistpellets machen. Etwa
zehn Tonnen schaufeln die Forscher pro
Jahr in die Maschine. Für seine Dissertation an der Technischen Universität
München (TUM) erforscht der 31-jährige
FH-Absolvent, ob Pferdeäpfel als ökologischer Brennstoff in Biomassekraftwerken eingesetzt werden können.
Pferdemist und Doktorwürde? Auf
den ersten Blick ist klar, was hier nicht
zusammenpasst. Wer sich in der Hochschullandschaft etwas auskennt, wird an
einer anderen Stelle stolpern: FH-Absolvent und Dissertation? Um promovieren
zu können, brauchen Fachhochschüler
einen Doktorvater an der Universität.
Denn bislang haben in Deutschland ausschließlich Unis das Recht, einen Doktortitel zu verleihen. Doch nicht selten
hegen sie Vorbehalte gegen den anwendungsorientiert ausgebildeten Akademikernachwuchs von der Fachhochschule.
Eine echte Herausforderung für dissertationswillige FH-Absolventen.
Cornelius Uhl hatte sich darüber lange
Zeit keine Gedanken gemacht. „Ich bin
praktisch veranlagt, tüfteln und schrauben macht mir Spaß“, sagt Uhl, der auf
einem Bauernhof im Schwarzwald aufgewachsen ist. Ein Doktortitel war kein
Thema für ihn gewesen, wichtiger als
akademische Weihen war ihm stets der
Praxisbezug seiner Ausbildung. Nach der
Realschule absolvierte er zunächst eine
Lehre im Sägewerk. Erst nach zwei Jahren im Job holte er sein Fachabitur nach
und qualifizierte sich so für ein FH-Studium im technischen Bereich. 2007
schrieb sich Uhl an der Hochschule Rosenheim im Studiengang Holztechnik
ein. „Ursprünglich hatte ich vor, später
Maschinen für Sägewerke zu bauen“, sagt
er. Doch letztlich wollte er mit dem Studium auch seine beruflichen Möglichkeiten erweitern. Um sich auch für Jobs außerhalb der konjunkturanfälligen Holzbranche zu qualifizieren, stieg er nach
vier Semestern auf Produktionstechnik
um und schloss 2012 mit „Gut“ ab.
An dieser Stelle hätte der junge Diplom-Ingenieur sich einen Job suchen
können – so wie die meisten deutschen
FH-Absolventen. Von bundesweit rund
27.000 Promotionen pro Jahr entfallen
gerade einmal ein Prozent auf ehemalige
Fachhochschüler. Und das, obwohl mittlerweile rund jeder dritte deutsche
Nachwuchsakademiker an einer FH studiert. Uhl aber hat den Sprung von dort
in Richtung Promotion gewagt.
Rein formal stehen die Unis promotionswilligen FH-Absolventen mit einem
guten Masterabschluss offen. So schreiben es die Landeshochschulgesetze vor.
„Praktisch bauen viele Professoren jedoch hohe Hürden auf“, sagt Anna
Tschaut vom Doktoranden-Netzwerk
Thesis. Denn bei der konkreten Ausgestaltung ihrer Promotionsordnungen
hätten die Fakultäten weitestgehend
freie Hand. Die nutzen leider viele, um
von FH-Bewerbern besondere Leistungsnachweise oder zeitaufwendige zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen zu
fordern.
Wer sich bewusst für ein anwendungsbezogenes FH-Studium entscheidet,
braucht für den Doktortitel nicht nur
sehr gute Noten, sondern Durchhaltevermögen und Glück. So wie Manuel
Ortmann: „Dass ich mal promovieren
würde, erschien mir nach dem Bachelor
eher unrealistisch“, sagt der Wirtschafts-
Angelsächsischer Titel: Denise Schönfeld
hat berufsbegleitend ihren DBA gemacht
Formale Hürde genommen: Manuel Ortmann promoviert an der Uni Göttingen
VOM MANAGER ZUM DOKTOR
Als berufsbegleitende Promotion für
Manager liegt der Doktor of Business
Administration DBA im Trend. Weltweit
gibt es derzeit rund 50 Programme.
Der Titel DBA ist dem deutschen Doktorgrad gleichgestellt und darf ohne
weitere Zusätze als Dr. vor dem Namen
geführt werden. Auch in Deutschland
bieten verschiedene Hochschulen die
ersten DBA-Programme in Kooperation
mit britischen Partner-Universitäten an, darunter die Fachhochschule des Mittelstandes FHM in Bielefeld, die ESB Reutlingen und die Munich
Business School.
jurist. Für seinen Master of Laws
(LL.M.) blieb er an der Hochschule Osnabrück, denn Stadt und Studium gefielen ihm gut. Im Masterstudium fiel der
begabte Student einem Professor auf,
der ihn gezielt zur Promotion ermutigte.
Schon während des Studiums hatte
Ortmann in einem interdisziplinären
Forschungszentrum zum Thema Energierecht geforscht – ein innovatives Thema, das viel Stoff für eine Doktorarbeit
bot. Doch beim Versuch, als FH-Absolvent an einer juristischen Fakultät angenommen zu werden, wurde Ortmanns
Frustrationstoleranz kräftig auf die Probe gestellt. In Göttingen signalisierte
man seinem Zulassungsantrag Ende 2013
zwar Aussicht auf Erfolg, allerdings
musste er zunächst eine sehr anspruchsvolle Prüfung ablegen. Obwohl er seine
erste Uniprüfung auf Anhieb als Fünftbester von mehr als 150 Studenten bestand, wäre seine Zulassung trotzdem
beinahe an formalen Kriterien gescheitert. Monatelang hing Ortmann in der
Luft, bevor diese Hürden beseitigt waren
und er zu einer weiteren vom Fakultätsrat geforderten Prüfung antreten konnte.
Im November 2014 wurde er schließlich
als erster Fachhochschulabsolvent an
der juristischen Fakultät der Universität
Göttingen angenommen. Sein Fazit: „Ich
hatte das große Glück, dass die Hochschule Osnabrück mein Promotionsstipendium die gesamte Wartezeit über bereits ausgezahlt hat. Ohne Finanzierung
hätte ich keine elf Monate überbrücken
können.“
Die Thesis-Vorsitzende Anna Tschaut
hält die prinzipielle Diskriminierung von
FH-Absolventen für nicht gerechtfertigt:
„Mit dem Masterabschluss ist ein Aus-
Neben einem abgeschlossenen Erststudium (FH oder Universität) müssen
Bewerber in der Regel über mehrjährige, wirtschaftsnahe Berufserfahrung und gute Englischkenntnisse verfügen. Unterrichtssprache ist Englisch, die Dissertation und die mündliche Verteidigung erfolgen auf Englisch.
Typischerweise dauern die Programme
mindestens drei Jahre. Für diesen Zeitraum werden Studiengebühren von
rund 32.000 bis 42.000 Euro fällig. Die
Gebühren für das betreuungsintensive
erste und zweite Studienjahr sind dabei
höher als die Folgejahre.
bildungsniveau erreicht, das grundsätzlich für anspruchsvolles wissenschaftliches Arbeiten qualifiziert“, sagt sie. Auch
der Hochschullehrerbund hlb, in dem
rund 6.000 FH-Profs organisiert sind,
verwahrt sich dagegen, dass FH-Absol-
venten per se weniger zum Forschen befähigt sein sollen als ihre Kommilitonen
von der Universität. Der Berufsverband
wünscht sich deshalb schon länger ein
eigenständiges Promotionsrecht an den
Hochschulen für angewandte Wissenschaften, wie sich die Fachhochschulen
heute selbstbewusst nennen. Doch bisher haben nur die Landesregierungen
von Baden-Württemberg, Hessen und
Schleswig-Holstein ein gewisses Entgegenkommen signalisiert und könnten
sich vorstellen, künftig beispielsweise
auch Hochschul-Verbünden oder Professorenteams aus forschungsstarken FHs
zu erlauben, eigenständig Doktoranden
zu betreuen.
Ob und wann tatsächlich die ersten
reinen FH-Doktoranden an den Start gehen, ist jedoch noch ungewiss. Bis dahin
sind FH-Studenten mit Interesse an einem Doktortitel gut beraten, sich frühzeitig mit den Promotionsordnungen ihrer Wunschfakultäten auseinanderzusetzen und ihre Chancen auszuloten. Dabei
helfen Internetplattformen wie promotion-fh.de. Unter dieser Adresse hat die
Hochschule Neu-Ulm rund 1.000 Promotionsordnungen in einer Datenbank zusammengetragen. Thesis-Vorstand Anna
Tschaut rät Promotionswilligen zudem,
frühzeitig Kontakte zu Universitätsprofessoren aufzubauen, beispielsweise auf
Konferenzen und Hochschulveranstaltungen oder im Rahmen hochschulübergreifender Forschungsprojekte. So steigen ihre Chancen, später an der Universität einen Erstgutachter für eine sogenannte kooperative Promotion zu finden.
Dieses Modell hat auch Cornelius Uhl
gewählt. Seine Dissertation wird von einem Professorentandem betreut. In der
täglichen Forschungsarbeit unterstützt
ihn sein FH-Prof. Der Kollege von der
Universität überprüft in regelmäßigen
Abständen den Fortschritt der Arbeit
und fungiert als Erstgutachter. Den Doktortitel verleiht am Ende die TU München. Hier kann Uhl alle Angebote für
Doktoranden nutzen, beispielsweise spezielle Weiterbildungs- und Netzwerkveranstaltungen oder die Bibliothek.
Bei der Suche nach einem Doktorvater
hatte Uhl Glück – mit seinem hochaktuellen und technisch aufwendigen Forschungsprojekt stieß er bei der Universität schnell auf Interesse. Die Idee zu den
Mistpellets kam ihm ursprünglich während eines Wahlpflichtkurses zum Thema Unternehmensgründung: „Viele Reiterhöfe haben ein echtes Entsorgungsproblem“, sagt der Sohn eines Pferdezüchters. Denn Pferdemist ist oft mit
Medikamenten belastet und außerdem
durchsetzt mit staubiger oder schwer
verrottender Einstreu. Als Dünger für
Äcker oder Koppeln ist er deshalb ungeeignet. Der Plan, daraus Biomassepellets
für Stromkraftwerke herzustellen, überzeugte die anwesenden Risikokapitalgeber, die die Gründungsvorhaben der Studenten bewerten sollten. Sie ermunterten Uhl, eine Testanlage zu bauen. Der
widmete dem Thema zunächst seine Abschussarbeit. Unterstützt von seinem
Professor warb er anschließend Fördermittel ein und gewann zwei private Unternehmen als Sponsoren zum Bau der
Trocknungsanlage. Dort erforscht Cornelius Uhl jetzt, wie sich die Qualität der
Pellets verbessern lässt und ob damit eine wirtschaftliche Stromproduktion
möglich ist.
Ehe er sich versah, war der DiplomIngenieur nun doch zum Forscher geworden: „Nicht im Elfenbeinturm sondern sehr konkret und anwendungsorientiert, so wie ich es mag“, sagt er. Es lag
deshalb auf der Hand, seine beruflichen
Möglichkeiten einmal mehr zu erweitern
und das bereits begonnene Forschungsprojekt zur Doktorarbeit auszubauen. An
der Munich School of Engineering
(MSE), die seine Dissertation betreut,
weiß man seine praktischen Fertigkeiten
zu schätzen. Die ingenieurwissenschaftliche Forschung sei zunehmend auf
Teams angewiesen, die das gesamte
Spektrum von handwerklich-experimentellen bis theoretisch-methodischen
Kompetenzen abbilden, heißt es dort.
Seit 2013 schreibt die MSE deshalb jährlich zehn Promotionsstipendien für junge Forschungstalente von den regionalen
Fachhochschulen aus, eines der ersten
hat sich Cornelius Uhl gesichert.
Ähnliche Programme gibt es auch an
anderen Universitäten, in der Regel zielen sie auf junge Ingenieure oder Informatiker, die unmittelbar nach dem Studium promovieren möchten. Wer dagegen als Führungskraft schon viele Jahre
erfolgreich im Berufsleben steht, findet
nur selten an die Universität zurück.
„Für eine Promotion den Job aufzugeben, kam für mich überhaupt nicht infrage“, sagt Denise Schönfeld. Die 34-jährige Betriebswirtin arbeitet bei Metro Properties, dem Immobilienunternehmen
der Metro Group, seit Oktober 2014 verantwortet sie dort die Abteilung Strategie und Marktbeobachtung. Beruflich
hatte sie zwar schon einiges erreicht,
doch: „Als junge Frau in einer recht konservativen Branche wollte ich gerne
noch ein Sahnehäubchen draufsetzen“,
sagt sie. Seit knapp einem Jahr schmückt
nun ein Doktortitel ihre Visitenkarte. Erworben hat die Managerin ihren Doctor
of Business Administration DBA in einem berufsbegleitenden Promotionsprogramm der Fachhochschule des Mittelstandes FHM. Seit 2010 bietet die private
Hochschule den DBA an, die ersten Doktoranden, darunter Denise Schönfeld,
sind im Frühjahr 2014 fertig geworden.
In Großbritannien oder den USA ist
der DBA als praxisorientierte Alternative
zum klassischen PhD fest etabliert, in
Deutschland bieten jedoch erst wenige
Hochschulen den DBA in Kooperation
mit britischen Partner-Universitäten an.
„Wir haben das Programm entwickelt,
um exzellenten Nachwuchskräften von
den FHs und speziell natürlich unseren
eigenen Top-Absolventen eine Promotion zu ermöglichen“, sagt Studienleiter
Professor Volker Wittberg. Bewerben
können sich berufserfahrene Manager
mit einer interessanten Promotionsidee.
Im Rahmen von berufsbegleitenden Seminaren werden sie zunächst rund eineinhalb Jahre auf das wissenschaftliche
Arbeiten vorbereitet und entwickeln gemeinsam mit ihren Betreuern die konkrete Themenstellung für ihre Dissertation. An dieser arbeiten sie dann ein bis
zwei Jahre. Denise Schönfeld hat über
die Risikokultur in Immobilienunternehmen promoviert und dazu eine aufwendige Mitarbeiterbefragung durchgeführt.
Während der Promotion führte ihr Vollzeitjob sie ein halbes Jahr lang nach Singapur. Insgesamt eine enorme Belastung
wie sie einräumt. Dafür ist sie heute stolz
auf ihren Titel, den Kunden und Geschäftspartner respektieren. „Es war eine
echte Herausforderung sich jahrelang so
intensiv mit ein und demselben Thema
zu befassen“, sagt sie, doch: „Man profitiert viel länger, als man leidet.“
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