Presse - iCONSMr

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13−2015 / 26. März 2015
SPEKTRUM
HORIZONT
iCONSMR
Vom Kunden aus
denken
bildunterschrift Tag mit
Dummy-Text
Defacto X stellt auf seiner Veranstaltung „iConsmr“
den Konsumenten ins Zentrum des Interesses
Foto: Christine Blei
D
ie Begeisterung hat noch nicht
nachgelassen: Jan Möllendorf
und Claus Schuster berichten
von ihrer Reise zur Consumer
Electronics Show (CES) in Las Vegas
und ins Silicon Valley Anfang des Jahres, als habe sie gestern erst stattgefunden. Was die beiden Geschäftsführenden Gesellschafter von Defacto X, Erlangen, am meisten fasziniert hat, ist
die Unbekümmertheit, Ungezwungenheit und Offenheit ihrer Gesprächspartner jenseits des Atlantiks. Vornehmlich in Kalifornien. Denn dort,
wo haufenweise Kapital auf pfiffige
Gründer wartet, zwei renommierte
Universitäten auf die größten
Hightech-Firmen der Welt treffen, und
alle zusammen dem Easy Living von
San Francisco frönen, gelten ihrer
Schilderung zufolge drei Prinzipien:
Networking ist Kernkompetenz, Fehler machen gehört zur Pflicht, und wer
endgültige Lösungen präsentiert, ist
von gestern.
„Im Valley dreht sich alles um die Frage, wie die Mitarbeiter am besten zusammenfinden können, um von den
Fähigkeiten jedes anderen zu profitieren“, ergänzt Möllendorf. Dabei gehe
es keineswegs nur um Technologien,
sondern beispielsweise auch um die
Gestaltung der Arbeitsstätten – wenn
etwa Besprechungsräume zu Wohnlandschaften werden und die Spielekonsole darin ebenso wenig fehlt wie
der Wickeltisch für die Kleinsten. Natürlich sei nicht alles auf hiesige Verhältnisse übertragbar, sekundiert
Schuster, aber: „Lernen können wir
vor allem vom Pragmatismus, der drüben dominiert.“
Zum 18. März hatte Defacto X in die
Langen Foundation in Neuss eingeladen, um wie seit 13 Jahren in jedem
Frühling Trends im Customer-Relationship-Management und DigitalMarketing zu diskutieren. Diesmal
heißt das Event nicht mehr CRM Kompetenztag, sondern „iConsmr“ – damit
will die Agentur unterstreichen, dass
der Fokus nicht länger auf Technologie
und Software liegen könne, vielmehr
der Konsument im Zentrum des Interesses stehe. Knapp 200 Gäste sind in
die ehemalige Nato-Raketenbasis, die
heute Kunstmuseum und Veranstaltungsort ist, gekommen.
Nicht jedes Start-up gründet sich im
digitalen Bereich, aber jedes muss sich
den Folgen der digitalen Revolution
stellen. Dies macht Folkert Schultz
deutlich, Geschäftsführer von Fressnapf in Krefeld. Die 1990 aus der Taufe
gehobene Supermarkt-Kette für Tiere
verfügt heute über fast 1400 Geschäfte
in 12 Ländern Europas und erzielt einen Jahresumsatz von 1,7 Milliarden
Euro. Lediglich ein Zwanzigstel davon
wird online erwirtschaftet. Diesen Anteil zu steigern, sieht Schultz als Hauptaufgabe der nächsten Jahre an. CrossChannel-Marketing und -Vertrieb seien dabei die Mittel der Wahl. „Das
aber heißt, vom Kunden her denken“,
sagt er. Nur so lasse sich die errungene
Position halten und ausbauen.
G
anz andere Voraussetzungen
bringt Moovel, LeinfeldenEchterdingen bei Stuttgart, mit.
Die Daimler-Tochter hat unter anderem den Carsharing-Anbieter Car2go
entwickelt, der in 29 Städten Europas
und Nordamerikas vertreten ist und
rund eine Million Kunden hat. „Die
Share-Economy basiert darauf, dass
der Umgang mit einem Produkt wichtiger ist als sein Besitz“, weiß Sprecher
Andreas Leo. Kernstück des Angebots
ist die Moovel-App, die auch konkurrierende Arten der Mobilität wie den
Öffentlichen
Personennahverkehr
und Fahrradwege einbezieht. Die Wagen – es stehen ausschließlich Smarts
zur Verfügung – werden direkt in der
App angemietet und bezahlt. Mehr
und mehr sollen Tickets von Partnern
wie der Deutschen Bahn ebenfalls mithilfe der Applikation gekauft werden
können.
Das Geschäftsprinzip „Alles aus einer
Hand“ resultiere daher, dass die Kunden nur eine einzige App für Mobilitätsfragen wünschten, erklärt Leo. Eine Einschätzung, die Jens Cornelsen
für ein anderes Gebiet bestätigt: Jeder
zweite Konsument möchte ausschließlich die App seiner Lieblingsmarke auf dem Smartphone haben,
um so zu vermeiden, dass das Display
zugemüllt wird. Dies hat der Geschäftsführer von Defacto Research
& Consulting in einer Umfrage ermittelt (Seite 30).
Um die Differenzierung von den Wettbewerbern geht es immer auch bei den
Telefongesellschaften. Allerdings tun
sie sich besonders schwer: Sie bieten
nahezu austauschbare Produkte zu fast
gleichen Preisen. Telefónica Deutschland, München, hat vergangenes Jahr
offenbar einen Ausweg gefunden. Es
offeriert Kunden, die unter der Drosselung ihres Datenvolumens leiden, per
SMS einen „Datensnack“, mit dem sie
wieder Zugang zum Internet bekommen. Die Kurzmitteilung erscheint bin-
nen fünf Minuten nach der Drosselung
und enthält auf den einzelnen Kunden
abgestimmte Angebote, wie Maximilian Witt und Matthias Sifft betonen.
Grundlage dafür sind die Kundendatenbank und Hochrechnungen.
W
ährend Maddalena Locati
und Jonathan Moss über
den Werdegang von Sky
Deutschland berichten, der schließlich
doch noch zur Erfolgsgeschichte geworden ist, skizziert der Brite Simon
Ball die Perspektiven des Nahrungsmittelkonzerns Mondelez (unter anderem Milka, Jacobs, Philadelphia) in
der Online-Welt. Kurz gesagt ist die
Ausgangslage schwierig, und die Aussichten sind auch nicht gerade rosig.
Doch der Key-Account-Manager ECommerce von Mondelez Deutschland, Bremen, nimmt es humorvoll:
„In der Regel fehlt uns der direkte
Kontakt zum Kunden“, sagt er. „Aber
das ist online nicht anders als offline.“
Für Ball steht das E in E-Commerce für
„Exciting“ und „Engaging“. Damit ist
dann doch die Richtung bestimmt und
der Kreis geschlossen: Technologie
baut nur die Brücke zu dem, was eigentlich zählt – der Fokus auf den
JOACHIM THOMMES
Kunden.
HORIZONT 13-2015 / 26. März 2015
30 SPEKTRUM
iCONSMR
„Barrieren abbauen“
Unternehmen und Agenturen müssen so flexibel wie die Konsumenten werden, sagen
Jan Möllendorf und Claus Schuster, die Geschäftsführer von Defacto X
13 Jahre lang hat Defacto X den
„CRM-Kompetenztag“ ausgerichtet. Dieses Jahr heißt Ihre Veranstaltung „Iconsmr“. Warum die Umbenennung?
Jan Möllendorf: Der Begriff Customer-Relationship-Management hat
sich im Lauf der Jahre immer mehr
auf die technische Dimension des
CRM verengt. Da wir weit mehr als
ein Technologie-Dienstleister sind,
war es an der Zeit, davon abzurücken. Mit „Iconsmr“ wollen wir verdeutlichen, dass bei uns der Konsument im Zentrum des Geschehens
steht. Unsere Richtschnur ist die
Consumer-Centricity.
Und
das „I“ steht für Innovation.
Was bedeutet das konkret,
sich auf den Konsumenten
zu fokussieren?
Claus Schuster: Den Kunden ins Zentrum der Strategie zu stellen. Die Kommunikations- und Vertriebsstrategie wird nicht um ein
Produkt gruppiert, sondern
um den Konsumenten. Die
aus den Kundendaten gewonnenen Insights betreffen aber auch andere Unternehmensbereiche. So beeinflussen sie beispielsweise das
Produktdesign und das Sortiment, die Wahl der Werbemittel und den Preis.
Hilft die digitale Transformation dabei oder hemmt sie eher?
Schuster: Viele Konsumenten haben
mit der Digitalisierung des Alltags
überhaupt keine Probleme. Sie verwenden die Geräte und Medien, die
ihnen gerade am nützlichsten erscheinen. Das ist mal der Fernseher, mal
der Computer, dann wieder – und
das vor allem – das Smartphone. So
flexibel, wie die Konsumenten sind,
müssen auch die Unternehmen und
ihre Dienstleister werden. Für sie erhöht sich aber zunächst die Komplexität, denn die Konsumenten bekommen immer mehr Wahlmöglichkeiten. Also stehen die Agenturen vor
zwei großen Herausforderungen: Sie
müssen jedes einzelne Instrument
kennen und beherrschen, und sie
müssen das Zusammenspiel der Instrumente verstehen.
Handelt es sich dabei um „Informationen und Produktangebote“, steigt die
Zustimmung auf 37 Prozent, kommen
die von der Lieblingsmarke, klettert
der Wert auf 41 Prozent.
„Auf dem Smartphone ist Werbung
out, personalisierte Angebote dagegen
nicht“, kommentiert der Leiter der
Studie Jens Cornelsen. Und hat gleich
noch eine Einschränkung parat: Persönlich zugeschnittene Informationen
und Produktangebote der Lieblingsmarke, die den Kunden just dann erreichen, wenn er vor dem Laden steht,
empfinden die Befragten als unheimlich und damit weniger gut. Das ist ein
Dämpfer für diejenigen, die zuerst von
der Technik her denken.
Davon hat Cornelsen noch mehr. Die
vielen in der Marketing-Szene gehypten Möglichkeiten für Kommunikation und Vertrieb per Smartphone sind
bei den Konsumenten kaum angekommen. Das fängt beim Mobile Payment
an, das nur von einem Drittel der Befragten gekannt wird und erklärt werden könnte, und endet bei den Ibeacons, von denen noch so gut wie niemand etwas gehört hat.
Dagegen wissen die Konsumenten genau, welche App-Features sie möchten: in erster Linie solche mit handfesten Vorteilen wie Gutscheinen und
Rabatten. Das hat sich über die Jahre
hinweg nicht verändert. Winkt solcherlei Nutzen, sind die Smartphone-
Foto: Defacto X
Jan Möllendorf (l.)
und Claus Schuster,
beide Defacto X:
„Es geht um einen
kulturellen Wandel“
Z
Bitte
keine
Werbung
Auf Handy und Co
sind personalisierte
Informationen gefragt
wischen dem, was Konsumenten
wünschen, und dem, was Unternehmen anbieten, klafft gelegentlich eine Lücke. Doch nur, wenn beides
zusammenpasst, wird aus dem Konsumenten ein Kunde. Diese Einsicht ist
alles andere als neu, bleibt aber bedeutsam. Es schadet nicht, immer mal wieder darauf zurückzukommen. Auch in
puncto Werbung. Defacto Research &
Consulting, Erlangen, hat untersucht,
wie Smartphone-Nutzer auf Werbung
an ihr Mobiltelefon reagieren. Das Ergebnis: Lediglich 14 Prozent der 1100
Befragten mögen sie undifferenziert.
Werbung, die auf ihre persönlichen Bedürfnisse und Vorlieben zugeschnitten
ist, finden dagegen 30 Prozent gut.
Kunden wollen handfeste Vorteile
Angaben in Prozent
Gutscheine, die im Laden eingelöst werden können
Sie haben Anfang Februar D3 Media
übernommen, einen Spezialisten für
Online-Targeting und Realtime-Advertising. Macht denn Internet-Werbung angesichts der Banner-Blindheit
der Onliner und der massenweise installierten Ad-Blocker überhaupt
noch Sinn?
Schuster: Wir runden unser Portfolio
ab, indem wir unser Wissen über die
Konsumenten unseren Kunden auch
im Internet zur Verfügung stellen.
Wenn wir das richtig zusammenführen, wird die Online-Werbung kaum
als Störfaktor empfunden werden,
sondern als nützlich, weil das Angebot
die Wünsche trifft.
INTERVIEW: JOACHIM THOMMES
DIE MANAGER
Claus Schuster und Jan Möllendorf, beide 47
Jahre alt, sind Geschäftsführende Gesellschafter
von Defacto X. Die Agentur für CRM und Dialog
hat ihren Stammsitz in Erlangen sowie Niederlassungen in Hamburg, Köln und München. Rund
300 Beschäftigte arbeiten für Kunden wie Esprit,
Nestlé und Vorwerk. Defacto X erwirtschaftete
2013 einen Umsatz von 37 Millionen Euro. Neuere Zahlen liegen noch nicht vor.
Nutzer bereit, persönliche Daten zu
offenbaren – jedenfalls ihrer Lieblingsmarke.
In puncto Zahl der Marken-Apps auf
dem Telefon-Computer sind sich die
Befragten uneins: Die Hälfte bevorzugt
eine einzige Anwendung, die andere
Hälfte favorisiert mehrere. Folglich ist
in jedem Fall das Unternehmen im Vorteil, das den Platz auf dem Display am
frühesten besetzen kann. Dass dies ohne Kenntnis des Kunden nicht klappt,
versteht sich von selbst. Cornelsen
warnt allerdings davor, sich allein auf
Daten und Algorithmen zu verlassen:
„Ohne Gespür für die Menschen funktioniert es nicht.“
JOACHIM THOMMES
Bekanntheit von mobilen Angeboten
51
Verfügbarkeit von Produkten im Laden überprüfen
47
Produktbewertungen lesen
34
Nachricht, wenn Artikel wieder verfügbar sind
30
Übersicht über frühere Einkäufe (Kundenkonto)
29
Kauf- und Service-Bewertung
25
Bezahlfunktion der Lieblingsmarke
22
Kurzumfragen
21
Mobile Payment
25
Wearables, Smart Watches
23
25
42
26
35
31
Nie gehört
41
31
Google Glasses
40
46
Connected Car
13
28
59
Sharing / Share-Economy
12
28
60
Location Based Services
11
Internet der Dinge
9
Ibeacon
Mehrfachnennungen möglich; n = 1100 Befragte
Kenne ich eher
vom Hörensagen
34
Mobile Kundenkarte (App)
Second Screen
13
Angaben in Prozent
Kenne ich, könnte ich
wohl auch erklären
56
Rabatte erhalten / Guthaben sammeln beim Geschäftsbesuch
Quelle: Defacto Research & Consulting
Möllendorf: Dieser Transformationsprozess vollzieht sich in jungen Unternehmen viel schneller als in etablierten,
für die der bisherige Erfolg ein Hindernis für den Wandel darstellt.
Konsumenten ratlos
Welche App-Features mögen Konsumenten besonders?
Empfehlungen von Community-Mitgliedern
Möllendorf:
Consumer-Centricity
wirkt sich unmittelbar auf die Organisation der Agentur und der Unternehmen aus. Die traditionellen Abteilungen beginnen sich aufzulösen, es wird
zunehmend in übergreifenden Teams
anhand des Kundenlebenszyklus gedacht und gearbeitet. Dabei geht es
aber weniger um technisch-organisatorische Fragen – sie sind relativ schnell
zu lösen – als vielmehr um einen kulturellen Wandel: Die Denkbarrieren in
den Köpfen der Mitarbeiter müssen
abgebaut werden.
6
3
22
67
19
72
20
74
15
82
n = 1100 Befragte
HORIZONT 13/2015
Quelle: Defacto Research & Consulting
HORIZONT 13/2015
HORIZONT 13-2015 / 26. März 2015
iCONSMR
SPEKTRUM 31
Die Veranstaltung in Bildern
Fotos: Christine Blei
iConsmr in der Langen Foundation
in Neuss (oben)
Die Referenten des Kongresstages am 18. März
Von links oben nach rechts unten:
Folkert Schultz, Fressnapf
Andreas Leo, Moovel
Simon Ball, Mondelez
Michael Resch und Maddalena Locati,
Sky Deutschland
Matthias Sifft (l.) und Maximilian Witt,
Telefónica Deutschland
Abendveranstaltung
am 17. März im „Ufer 8“ in Düsseldorf
Obere Reihe linkes Bild:
Felix Withöft (l.) und Nuschin
Shafizadeh, beide Vorwerk Stiftung,
mit Stefan Bielefeld, Karstadt
Obere Reihe mittleres Bild:
Katharina Ivanenko (l.), Philip Morris,
Florian Bleher, Daimler, und
Ellen Shrestha, ebenfalls Philip Morris
Obere Reihe rechtes Bild:
Andrea Bernal Velasquez, Orsay,
mit Thomas Plennert, Defacto X, und
Holger Kersten (r.), Weight Watchers
Mittlere Reihe:
Patrick Schiele (l.), L’Oréal Deutschland, und Harald Krug, ANWR Group
Blick ins Foyer des „Ufer 8“
Untere Reihe linkes Bild:
Sabrina Gruber, Tchibo, Fabian
Stanzick, Tchibo Mobilfunk, Matthias
Freese, Tchibo, und Marcus Steiner,
Tchibo Mobilfunk (v.l.)
Untere Reihe rechtes Bild:
Niko Rees, David Azria und
Claudia Krass, alle Travian Games (v.l.)
HORIZONTSPEKTRUM
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Redaktion: Joachim Thommes
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