Mindestens Mindestlohn

frau geht vor
Mindestens Mindestlohn
Frauen haben „Recht auf Mehr“
DGB-Bundesvorstand | Abteilung Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik | März 2015
01
2015
Inhalt
Editorial ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 3
Aufruf zum Internationalen Frauentag ------------------------------------------------------------------------- 4
Mindestlohn – Schritt zur eigenständigen Existenzsicherung
Warum besonders Frauen vom Mindestlohn profitieren (können) ----------------------------------------------- 5
Mindestlohn verringert Entgeltlücke
Besonders Minijobber/innen brauchen Schutz durch staatliche Kontrollen ------------------------------------- 8
Meldungen
Bundesweite DGB-Mindestlohn-Pendleraktion und mehr ------------------------------------------------------- 10
Dran bleiben!
Informieren, beraten, begleiten – DGB-Hotline unterstützt Beschäftigte ------------------------------------ 11
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
DGB fordert die Einrichtung einer zentralen Melde- und Beschwerdestelle --------------------------------- 13
Ungleiche Chancen auf gut bezahlte Jobs
Gender Pay Gap: Neue Analysen gehen den Ursachen auf den Grund ---------------------------------------- 14
Das Mindeste für alle
NGG: Es darf keine weiteren Verwässerungen des Gesetzes geben ------------------------------------------- 17
Überwiegend Frauensache
Prekäre Arbeitsbedingungen im Bildungswesen ------------------------------------------------------------------ 18
Sauberkeit hat ihren Preis
Branchenmindestlohn in der Gebäudereinigung – wichtig, aber oft umgangen----------------------------- 20
Richtig gut!
ver.di kämpft für die Aufwertung von Sozial, Erziehungs- und Pflegeberufen -------------------------------- 21
Partnerschaftliche Vereinbarkeitslösungen fördern
DGB-Projekt startet in die nächste Phase -------------------------------------------------------------------------- 22
Was darf’s denn sein ... ?
Eine schwere Entscheidung bei der Berufswahl ------------------------------------------------------------------- 23
2
DGB Frau geht vor
Editorial
Nachhaltige Verbesserungen
Die Einführung des Mindestlohns ist auch ein gleichstellungspolitischer Erfolg
Von Anja Weusthoff
Anja Weusthoff leitet die
Abteilung Frauen, Gleichstellungs- und Familien­politik
beim DGB-Bundesvorstand.
www.frauen.dgb.de
Liebe Kolleginnen, liebe Frauen,
mit dem neuen Jahr hat der Mindestlohn
endlich den deutschen Arbeitsmarkt
erreicht – und wird dort vor allem auch
für Frauen nachhaltige Verbesserungen
bewirken, denn sie arbeiten besonders
häufig für Dumpinglöhne. Die gesetzliche Verankerung einer einheitlichen
Lohnuntergrenze in Deutschland ist auch
ein gleichstellungspolitischer Erfolg der
Gewerkschaften!
Obwohl mit der Einführung des Mindestlohnes
mehr Frauen als Männer einen Anspruch auf eine
Lohnerhöhung haben, kommt uns diese Perspektive in der aktuellen Debatte noch zu kurz.
Darum betonen wir in unserem Aufruf zum Internationalen Frauentag 2015: Mit dem Mindestlohn wird sich die Entgeltlücke zwischen Frauen
und Männern verringern! Mit dem Mindestlohn
verbessern sich die Chancen auf eine eigenständige Existenzsicherung für Frauen!
Und darum haben wir den Mindestlohn, seine
Umsetzung und seine Auswirkungen in den
unterschiedlichen Branchen zum Schwerpunkt
unserer aktuellen Ausgabe gemacht: Claudia
Weinkopf erklärt in ihrem Beitrag, warum
Frauen vom Mindestlohn besonders profitieren
und wie damit auch positive Effekte für die
darüber liegenden Lohngruppen erreicht werden
können (Seite 5). Sie geht auch davon aus, dass
der Mindestlohn dazu beitragen kann, den
Missbrauch der Minijobs einzudämmen. Diese
Erwartung teilt auch Annette Kramme, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium
für Arbeit und Soziales, im Interview mit „frau
geht vor“ – und betont gleichzeitig, wie wichtig
die gezielte und effiziente Kontrolle für die
Umsetzung des Mindestlohnes ist (Seite 8).
Gut gemeint ist längst (noch) nicht gut gemacht
– das gilt auch für den Mindestlohn. Und deshalb
bleiben die Gewerkschaften dran: Über die DGBHotline zum Mindestlohn berichtet Claudia Falk in
einem Gespräch (Seite 11), die gewerkschaftliche
Forderung nach Beseitigung von Ausnahmen und
Schlupflöchern erläutert Johannes Jakob (Seite
13). Und schließlich erfahren wir von der NGG,
der GEW und der IG BAU, wo bei ihnen in Sachen
Mindestlohn der Schuh besonders drückt.
Doch die Einführung des Mindestlohnes kann
nur der Anfang sein: Um Frauen die gleiche
wirtschaftliche Unabhängigkeit wie Männern
zu ermöglichen, brauchen sie bessere Rahmenbedingungen. Mit ihrer eindrucksvollen Ursachenanalyse zum Gender Pay Gap belegt Christina
Boll, dass sich Geschlechterrollen verändern und
staatliche Anreize wandeln müssen, dass Tarifverträge und Arbeitsbewertungen einer Überprüfung
bedürfen und dass die Vereinbarkeit nicht nur auf
betrieblicher, sondern auch auf p​ artnerschaftlicher Ebene eine Großbaustelle ist, wollen wir
der Entgeltlücke grundsätzlich und nachhaltig
begegnen (Seite 14). Besser lassen sich die
vielen Aspekte der Entgeltungleichheit anlässlich
des Equal Pay Day 2015 kaum miteinander ins
Verhältnis setzen!
Wie gut, dass wir auch gleich einige Lösungsansätze mitliefern können, wenn wir über die
ver.di-Kampagne „RICHTIG GUT!“ zur Aufwertung von Sozial-, Erziehungs- und Pflegeberufen
berichten, über den Girls‘ Day 2015 und das neue
DGB-Projekt zur Förderung partnerschaftlicher
Vereinbarkeitslösungen.
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
3
Schwerpunkt
2015
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen,
Deutschland hat den Mindestlohn!
Was in vielen europäischen Staaten schon lange Praxis ist, ist nun auch bei uns Gesetz: Seit dem 1. Januar 2015 gilt der
gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Damit steigen insbesondere die Einkommen von Arbeitnehmenden in den
ostdeutschen Bundesländern, von geringfügig Beschäftigten – und vor allem von Frauen. Denn zwei Drittel der
Erwerbstätigen im Niedriglohnsektor sind weiblich.
Mit dem Mindestlohn die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern verringern!
Der Mindestlohn muss gesetzeskonform umgesetzt und wirksam kontrolliert werden. Denn dank der Einführung des
Mindestlohns hat jede vierte erwerbstätige Frau Anspruch auf eine Lohnerhöhung.
Mit dem Mindestlohn die Chancen auf eine eigenständige Existenzsicherung für Frauen verbessern!
Ein wichtiger Schritt ist getan! Weitere müssen folgen, denn: Häufig fallen bei erwerbstätigen Frauen niedrige Stundenlöhne
und ein geringes Arbeitsvolumen zusammen. Immer mehr Frauen sind berufstätig – aber viel zu oft in unfreiwilliger und
geringer Teilzeit. Sollen sich die Einkommen von Frauen und ihre Aufstiegschancen verbessern, müssen sie ihre Arbeitszeiten
den jeweiligen Lebensphasen anpassen können!
Der Mindestlohn kann nur der Anfang sein!
Wir brauchen faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben! Am
internationalen Frauentag 2015 setzen die Gewerkschaften dafür ein Zeichen und fordern:
-
ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz, das Unternehmen dazu verpflichtet, ihre Entgeltpraxis zu überprüfen und
geschlechtergerecht zu gestalten;
einen Rechtsanspruch auf die Rückkehr aus Teilzeit in Vollzeitbeschäftigung und einen Rechtsanspruch auf befristete
Teilzeit;
faire Aufstiegschancen für Frauen durch eine Pflicht zur Aushandlung verbindlicher Ziel- und Zeitvorgaben in den
Betrieben und Verwaltungen;
den flächendeckenden Ausbau qualitativ hochwertiger Betreuung für Kinder und Pflegebedürftige;
die Aufwertung frauendominierter Berufe mit dem Ziel einer höheren gesellschaftlichen und finanziellen Wertschätzung;
eine nachhaltige Reform der Minijobs, um die soziale Sicherung ab der ersten Arbeitsstunde zu gewährleisten.
Wir wollen bessere Rahmenbedingungen für eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen über alle Lebensphasen
hinweg. Deswegen: Heute für morgen Zeichen setzen!
Elke Hannack, Stellvertretende DGB-Vorsitzende
4
DGB Frau geht vor
WWW.FRAUEN.DGB.DE
Schwerpunkt
Mindestlohn – Schritt zur
eigenständigen Existenzsicherung
Warum besonders Frauen vom Mindestlohn profitieren (können)
Von Claudia Weinkopf
erhalten, für eine maximal zweijährige Übergangsphase auf der Branchenebene niedrigere tarifliche
Mindestlöhne zu vereinbaren, um den Anpassungsprozess zu strecken. Dies wird zum Beispiel in der
Fleischwirtschaft und im Friseurhandwerk genutzt.
Positive Auswirkungen
auf Lohnverteilung und Einkommen
Der Mindestlohneinführung vorausgegangen sind
heftige Kontroversen und Befürchtungen, dass
dieser die Tarifautonomie schwächen und der
Beschäftigung schaden könnte. Neuere theoretische Überlegungen und empirische Forschungsarbeiten vor allem aus den USA und Großbritannien
belegen jedoch, dass ein gut gemachter Mindestlohn keine negativen Auswirkungen auf die
Beschäftigung haben muss, sondern sich positiv
auf die Lohnverteilung und Einkommen auswirken
kann (Bosch/Weinkopf 2014).
Anteil der Beschäftigten mit Stundenlöhnen unterhalb von
8,50 Euro nach Branchen (2009 – 2012) in Prozent
60 %
54,0 %
50 %
42,3 %
40 %
30 %
23,5 %
20 %
10 %
28,9 %
27,8 %
24,7 %
21,2 %
18,5 %
16,0 %
8,8 %
20,2 %
11,5 %
7,2 %
6,0 %
4,7 %
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www.iaq.uni-due.de
Der gesetzliche Mindestlohn gilt seit dem 1. Januar
2015 für fast alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ausgenommen sind nur einige wenige
Gruppen wie zum Beispiel Auszubildende, unter
18-Jährige ohne Berufsabschluss, manche Praktikant/innen sowie Langzeitarbeitslose in den ersten
sechs Monaten der Beschäftigung. Darüber hinaus
haben die Tarifvertragsparteien die Möglichkeit
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Dr. Claudia Weinkopf ist
stellvertretende Geschäftsführende
Direktorin des Instituts Arbeit
und Qualifikation der Universität
Duisburg-Essen (IAQ) und leitet die
Forschungsabteilung “Flexibilität
und Sicherheit” (FLEX).
Es hat lange gedauert bis Deutschland –
wie die meisten anderen EU-Länder – einen
gesetzlichen Mindestlohn eingeführt hat.
Seit Anfang 2015 haben nun aber fast alle
Beschäftigten Anspruch auf einen Stundenlohn von mindestens 8,50 Euro pro
Stunde. Dies wirkt sich nicht nur positiv auf
die Lohnverteilung und Einkommen aus,
sondern reduziert auch die strukturelle
Benachteiligung von Frauen und führt zu
Verbesserungen im Bereich der Minijobs.
Quelle: IAQ-Berechnungen auf Basis des SOEP
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
5
Frauen profitieren besonders
Von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns
in Deutschland können Frauen in besonderer Weise
profitieren, da sie deutlich häufiger als Männer
von Niedrig- und Niedrigstlöhnen betroffen sind.
Im Jahr 2012 verdienten nach IAQ-Berechnungen
insgesamt fast 20 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland weniger als 8,50 Euro. Bei
den Männern waren es gut 14 Prozent und bei
den Frauen sogar fast jede Vierte (vgl. Abbildung).
Frauen sind auch von Niedrigstlöhnen deutlich
stärker betroffen als Männer: Fast jede zehnte
erwerbstätige Frau verdiente im Jahr 2012 weniger
als 6 Euro pro Stunde.
ihrer Beschäftigten besser zu nutzen bzw. stärker
in Weiterbildung und Personalentwicklung zu
investieren (Grimshaw/Rubery 2007; Rubery/
Grimshaw 2009).
Literatur
Deutliche Verbesserungen
im Bereich der Minijobs
Auch im Bereich der Minijobs kann der Mindestlohn zu deutlichen Verbesserungen für die meist
weiblichen Beschäftigten führen. Im Jahr 2012
verdienten mehr als zwei Drittel der geringfügig
Beschäftigten weniger als 8,50 Euro pro Stunde
(Kalina/Weinkopf 2014). Hinzu kommt, dass
Minijobber/innen bislang offenbar nicht selten
Bosch, Gerhard/Weinkopf, Claudia
(2014): Zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 € in
Deutschland. HBS-Arbeitspapier 304.
Düsseldorf
Anteile von Beschäftigten nach
Stundenlohnstufen und Geschlecht, 2012
Frauen
Männer
24,2 %
21,0 %
20 %
14,6 %
15 %
14,3 %
12,6 %
9,6 %
10 %
6,4 %
5 %
8,8 %
5,2 %
3,7 %
0 %
< 5,00 Euro
< 6,00 Euro
< 7,00 Euro
< 8,00 Euro
< 8,50 Euro
Quelle: Kalina/Weinkopf 2014
Strukturelle Benachteiligungen
werden beseitigt
Der Mindestlohn kann einen wichtigen Beitrag
leisten, um strukturelle Benachteiligungen von
Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu reduzieren und
mehr Dynamik in Richtung einer Verringerung des
Gender Pay Gaps, der in Deutschland mit rund 22
Prozent besonders groß ist, auszulösen. Sektorale
Lohnunterschiede müssen ebenso reduziert werden
wie Lohndifferenzen zwischen weiblich und
männlich dominierten Tätigkeiten. Die Unterbindung von Niedrigstlöhnen wird auch traditionell
ertragsschwache Branchen und Unternehmen
dazu zwingen, in stärkerem Maße auf einen
Wettbewerb über Qualität, Innovation und eine
Erhöhung der Produktivität zu setzen. Darüber
hinaus können höhere Löhne mehr Anreize für
Unternehmen bieten, vorhandene Qualifikationen
6
DGB Frau geht vor
Grimshaw, Damian/Rubery, Jill (2007):
Undervaluing Women’s Work. Equal
Opportunities Commission Working
Paper Series No. 53. Manchester:
EWERC.
Hayter, Susan/Weinberg, Bradley
(2011): Mind the gap: collective
bargaining and wage inequality,
in: Hayter, Susan (ed.): The role of
collective bargaining in the global
economy. Negotiating for social
justice. Cheltenham:136-186
Kalina, Thorsten/Weinkopf, Claudia
(2014): Niedriglohnbeschäftigung
2012 und was ein gesetzlicher
Mindestlohn von 8,50 € verändern
könnte. IAQ-Report 2014-02. Duisburg: Institut Arbeit und Qualifikation
30 %
25 %
Bosch, Gerhard/Weinkopf, Claudia
(2013): Wechselwirkungen zwischen
Mindest- und Tariflöhnen. In: WSIMitteilungen 66 (6): 393-404
Rubery, Jill/Grimshaw, Damian (2009):
Gender and the minimum wage.
Paper prepared for the ILO Conference
“Regulating for Decent Work”. Geneva
RWI (2012): Studie zur Analyse der
Geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. Forschungsvorhaben im
Auftrag des Ministeriums für Arbeit,
Integration und Soziales des Landes
Nordrhein-Westfalen. Essen
Voss, Dorothea/Weinkopf, Claudia
(2012): Niedriglohnfalle Minijobs. In:
WSI-Mitteilungen 65 (1): 3-10
nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden
bezahlt werden. Viele erhalten (rechtswidrig)
keine bezahlten Urlaubstage, keinen Lohn für
Feiertage und auch keine Lohnfortzahlung für
Krankheitstage (Voss/Weinkopf 2012; RWI 2012).
Arbeitgeber kompensieren dadurch offenbar häufig
ihre im Vergleich zu sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigung höheren Abgaben für Minijobs und
die Beschäftigten kennen ihre Rechte nicht oder
trauen sich nicht, diese einzufordern. Der Mindestlohn kann dazu beitragen, solche Praktiken endlich
wirksam zu unterbinden und die (vermeintliche)
Attraktivität der Minijobs aus Arbeitgebersicht zu
verringern.
Wanger, Susanne (2011): Viele Frauen
würden gerne länger arbeiten. Ungenutzte Potenziale der Teilzeitarbeit.
IAB-Kurzbericht 9. Nürnberg
Wippermann, Carsten (2012): Frauen
in Minijobs. Motive und (Fehl-)Anreize
für die Aufnahme geringfügiger
Beschäftigung im Lebensverlauf. Eine
Untersuchung des DELTA-Instituts für
das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. Berlin
Befragungsergebnisse zur Einhaltung
von Arbeitnehmerrechten bei Minijobs
Bezahlter Urlaub
Befragung
Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall
Bezahlung
für Feiertage
Nicht
möglich
Weiß nicht
Nicht
oder keine
möglich
Angabe
Weiß nicht
Nicht
oder keine
möglich
Angabe
Weiß nicht
oder keine
Angabe
Beschäftigte
41,5%
26,1%
38,7%
34,6%
43,3%
36,3%
Betriebe
31,2%
11,1%
25,6%
10,7%
40,3%
13,3%
Quelle: Eigene Darstellung nach RWI 2012
ist. Betriebe und Beschäftigte müssen die Höhe
des Mindestlohns kennen und auch wissen, was
auf den Mindestlohnanspruch angerechnet werden
darf und was nicht. Da der Mindestlohn pro
Arbeitsstunde bezahlt werden muss, ist darüber
hinaus die korrekte Erfassung der Arbeitszeit eine
zentrale Voraussetzung für dessen Einhaltung
und Kontrollierbarkeit. Unternehmen schließen
nach vorliegenden Erfahrungen ihren Frieden mit
Mindestlöhnen, wenn sie sich darauf verlassen
können, dass sich auch die Konkurrenz daran
halten muss.
Stärkste Wirkung im Zusammenhang
mit hoher Tarifbindung
Raus aus der Sackkasse
Die internationale Forschung belegt außerdem,
der geringfügigen Beschäftigung
dass Mindestlöhne die stärksten positiven
Auf Seiten der Beschäftigten in Minijobs können
Wirkungen auf die Lohnverteilung haben, wenn
erhöhte Stundenlöhne dazu führen, die Geringsie mit einer hohen Tarifbindung einhergehen,
fügigkeitsgrenze zu überwinden und damit in
weil Erhöhungen des Mindestlohns dann auch
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu
Einfluss auf die Bezahlung der darüber liegenden
wechseln. Dabei muss zwar in Kauf genommen
Lohngruppen entfalten können (Hayter/Weinberg
werden, dass auf den Verdienst Steuern und
2011; Bosch/Weinkopf 2013). Insofern ist es richtig
Sozialabgaben zu zahlen sind. Dies lässt sich aber
und wichtig, dass die Einführung des gesetzlichen
durch eine Ausweitung der Wochenarbeitszeit,
Mindestlohns in Deutschland in ein Maßnahmendie Befragungen zufolge von vielen geringfügig
bündel zur Stärkung des Tarifsystems eingeBeschäftigten gewünscht wird (Wanger 2011),
bettet ist. Eine zentrale Herausforderung aus der
ausgleichen, wodurch letztlich auch netto mehr
Genderperspektive besteht dabei darin, dies auch
verdient werden kann. Alternativ haben geringin denjenigen Branchen zu erreichen, die derzeit
fügig Beschäftigte auch die Möglichkeit, ihre
eine besonders geringe Tarifbindung aufweisen
Arbeitszeit so weit zu reduzieren, dass sie trotz
einer Erhöhung ihres Stundenlohns weiter unter der und in denen oftmals viele Frauen tätig sind. Eine
Steigerung des gewerkschaftlichen OrganisationsVerdienstgrenze von 450 Euro pro Monat bleiben.
grades und die Gründung von mehr betrieblichen
Anzuraten ist das allerdings nicht, weil sich
Interessenvertretungen wären wichtige AnsatzMinijobs in der Praxis oft als Sackgasse erwiesen
haben. Eine Studie im Auftrag des Bundesfamilien- punkte, um die Tarifbindung zu erhöhen und zu
ministeriums hat gezeigt, dass es äußerst schwierig verhindern, dass der gesetzliche Mindestlohn
in solchen Branchen für viele Beschäftigte zum
ist, aus einer geringfügigen Beschäftigung heraus
„Normallohn“ wird.
eine sozialversicherungspflichtige Teilzeit- oder
Vollzeitstelle aufzunehmen (Wippermann 2012).
Ein Schritt auf dem Weg zur
eigenständigen Existenzsicherung
Transparenz und Kontrolle notwendig
Damit der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland Um den Ziel einer eigenständigen Existenzsicherung von Frauen näher zu kommen, ist die Einfühdie hier beschriebenen positiven Effekte auf die
rung des gesetzlichen Mindestlohns ein wichtiger
Löhne und Einkommen von Frauen (und auch von
Schritt, dem allerdings weitere folgen müssen. Die
Männern) entfalten kann, muss er in der Praxis
Aufwertung und bessere Bezahlung von typisch
allerdings effektiv um- und durchgesetzt werden.
weiblichen Tätigkeiten zum Beispiel im Bereich
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass
der sozialen Dienstleistungen sind hierfür ebenso
hierfür nicht nur effektive Kontrollen und Sanktionen bei Verstößen erforderlich sind, sondern auch zentral wie wirksame Maßnahmen zur Eindämdie Transparenz der Mindestlohnregelungen zentral mung von Minijobs und unfreiwilliger Teilzeitarbeit.
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
7
Interview
Mindestlohn verringert Entgeltlücke
Besonders Minijobber/innen brauchen Schutz durch staatliche Kontrollen
Fünf Fragen an Annette Kramme
Zukünftig müssen Arbeitgeber damit rechnen, dass
der Zoll die aufzuzeichnende Arbeitszeit der Minijobber/innen überprüft. Damit werden diejenigen
Geschäftsmodelle, die auf einer Beschäftigung
von Minijobber/innen zu unangemessen niedrigen
Löhnen beruhen, nicht mehr fortgeführt werden
können. Und das ist gut so!
Nach der Einführung des Mindestlohns muss
er wirksam umgesetzt und effektiv kontrolliert
werden. Doch schon jetzt zeichnen sich SchlupfSeit 1. Januar 2015 gilt der gesetzliche Mindestlohn löcher ab, um den Mindestlohn zu umgehen, zum
von 8,50 Euro – ein Schritt zu mehr sozialer Gerech- Beispiel in der Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten, die nur ungenau erfasst werden müssen,
tigkeit. Insbesondere Frauen sind im Niedriglohnbei Minijobs sowie durch die von Gewerkschaften
sektor beschäftigt, ihr Anteil liegt bei 70 Prozent.
kritisierten Ausnahmen zum Beispiel für freiwilWerden sie alle vom Mindestlohn profitieren?
lige Praktika. Darüber hinaus fehlt ausgebildetes
Wir gehen davon aus, dass sich die Löhne von rund Personal, um die Einhaltung des Mindestlohns zu
kontrollieren. Was planen Sie, um diese Schlupflö3,7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitcher zu stopfen?
nehmern durch die Einführung des Mindestlohns
erhöhen werden. Da Frauen im Niedriglohnsektor
Wir wollen die Einhaltung des Mindestlohns
überrepräsentiert sind, werden Frauen auch überproportional von dieser sozialpolitischen Weichen- gezielt und effizient kontrollieren. Deshalb schreibt
das Mindestlohngesetz eine Arbeitszeitaufzeichstellung profitieren.
nungspflicht für die Bereiche vor, in denen es ein
erhöhtes Risiko für Verstöße gegen den MindestNoch immer klafft der Lohnunterschied zwischen
Frauen und Männern weit auseinander und beträgt lohn gibt; aufzuzeichnen sind Beginn, Ende und
Dauer der täglichen Arbeitszeit. Zu den Risikolaut Statistischem Bundesamt zurzeit 22 Prozent.
gruppen, die eines solchen besonderen Schutzes
Kann der Mindestlohn das ändern?
durch staatliche Kontrollen bedürfen, zählen aus
Der Mindestlohn leistet einen wichtigen Beitrag zur gutem Grund zunächst branchenübergreifend die
Minijobber/innen; hier liegt es leider ganz allgeVerringerung der Entgeltlücke zwischen Männern
mein mit der Einhaltung des Arbeitsrechts schon
und Frauen und zu mehr sozialer Gerechtigkeit.
jetzt oft im Argen. Aufgezeichnet werden muss
Aufgrund des erwähnten hohen Anteils an Frauen
zudem für die Arbeitnehmer/innen in Unternehmen
im Niedriglohnsektor wird es hier zu einem deutlider Branchen nach § 2a Schwarzarbeitsbekämpchen Rückgang des Lohnunterschiedes kommen.
fungsgesetz; dazu gehören insbesondere Bau,
Gebäudereinigung sowie Hotel- und Gaststätten.
Der Mindestlohn gilt auch für Minijobs, welche
Auswirkungen erhoffen Sie sich im Bereich der
Erstmalig erhalten auch Praktikantinnen und Prakgeringfügigen Beschäftigungen?
tikanten den Mindestlohn. Damit beenden wir den
als „Generation Praktikum“ bekannten Missstand,
Für Minijobs gilt durch den Mindestlohn von
dass junge Leute unter dem Deckmantel des Prak8,50 Euro pro Stunde nunmehr eine monatliche
tikums und in der Hoffnung auf eine Festanstellung
Arbeitszeit von maximal 52,9 Stunden im Monat.
8
DGB Frau geht vor
Foto: BMAS / Deischl
Zum ersten Mal seit ihrem Bestehen hat die
Bundesrepublik Deutschland einen allgemeingültigen, gesetzlichen Mindestlohn,
der insbesondere Beschäftigte im Niedriglohnsektor vor Dumpinglöhnen schützen
soll. Annette Kramme, Parlamentarische
Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, spricht über
Auswirkungen, Ausnahmen und stärkere
Kontrollen.
Annette Kramme ist seit Dezember
2013 Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin
für Arbeit und Soziales (BMAS). Seit
1988 ist sie Mitglied der SPD und seit
1998 Mitglied des Bundestages. Von
2009 bis 2013 war sie Sprecherin der
SPD-Bundestagsfraktion für Arbeit
und Soziales. Die Rechtsanwältin ist
Mitglied bei ver.di und der IG-Metall.
www.bmas.de
Weitere Informationen:
www.der-mindestlohn-gilt.de
dauerhaft gering bzw. unbezahlte Arbeit leisten.
Zukünftig sind nur noch dann Praktika ohne
Mindestlohn möglich, wenn sie als Pflichtpraktika
vorgeschrieben sind oder für maximal drei Monate
als so genannte Schnupperpraktika absolviert
werden.
Das gilt zum Beispiel für die Rentenversicherung
und für die Jobcenter.
Für die Kontrolle des Mindestlohns brauchen wir
beim Zoll gut ausgebildetes Personal, das kann
man nicht so einfach auf dem Arbeitsmarkt finden
und einstellen. Deshalb wird jetzt fortlaufend
bis 2019 neues Personal für die Zollbehörden
ausgebildet und übernommen. Das Haushaltsgesetz 2015 hat hierfür insgesamt 1600 neue Kräfte
festgeschrieben. Und als Sofortmaßnahme werden
von den jetzt fertig werdenden Ausbildungsjahrgängen verstärkt Mitarbeiter im Bereich der
Mindestlohnkontrollen eingesetzt. Viele andere
Behörden sind gesetzlich verpflichtet, dem Zoll
Mitteilung zu machen, wenn sie Kenntnis über
Verstöße gegen den Mindestlohn erlangen.
Im Koalitionsvertrag haben wir feste Verabredungen dazu getroffen. Um das Prinzip „Gleicher
Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“
besser zur Geltung zu bringen, wollen wir mehr
Transparenz herstellen, unter anderem durch
eine Verpflichtung für Unternehmen ab 500
Beschäftigte, in ihrem Lagebericht nach dem
Handelsgesetzbuch auch zur Frauenförderung und
zur Entgeltgleichheit nach Maßgabe gesetzlicher
Kriterien Stellung zu nehmen. Darauf aufbauend
wird für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein
individueller Auskunftsanspruch festgelegt.
Was steht zukünftig auf Ihrer arbeitsmarktpolitischen Agenda, um Entgeltgleichheit zu erreichen
und Frauenberufe aufzuwerten?
Die Fragen stellte Britta Jagusch.
DER MINDESTLOHN
Der Mindestlohn
Für fünf Gruppen gelten besondere Regeln
Der Mindestlohn gilt künftig für alle in Deutschland
beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Fünf Gruppen können nicht oder nur unter bestimmten
Bedingungen vom Mindestlohn profitieren.
Der Mindestlohn
Für fünf Gruppen gelten besondere Regeln
gilt künftig für alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Fünf Gruppen können nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen vom Mindestlohn profitieren.
JUGENDLICHE <18
Personen im Sinne von §2
Absatz 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes ohne
abgeschlossene Berufsausbildung gelten nicht als
Arbeitnehmer im Sinne des
Gesetzes.
Jugendliche sollen eine
qualifizierte Berufsausbildung anstreben
AUSZUBILDENDE
Das Gesetz regelt nicht
die Vergütung von
Personen, die zu ihrer
Berufsausbildung
beschäftigt werden.
Ausbildungsplätze
sollen nicht wegfallen
PRAKTIKANTEN
LANGZEITARBEITSLOSE
EHRENAMTLICHE
Für ein (Pflicht)-Praktikum im
Rahmen von Schule, Ausbildung
oder Studium, wird kein Mindestlohn gezahlt. Auch freiwillige
Praktika mit einer Dauer von bis
zu drei Monaten, die zur Orientierung bei der Berufsoder Studienwahl dienen
oder studienbegleitend
absolviert werden, sind
vom Mindestlohn ausgenommen.
Bei Personen, die zuvor langzeitarbeitslos nach § 18 Abs. 1 des Dritten
Sozialgesetzbuches waren, kann in
den ersten sechs Monaten vom
Mindestlohn abgewichen werden.
Beschäftigte, für die ein Tarifvertrag gilt, werden
nach Tariflohn
bezahlt.
Eine echte ehrenamtliche
Tätigkeit stellt keine Arbeit
im Sinne dieses Gesetzes
dar.
Bei einem Praktikum soll die
Ausbildung im Vordergrund
stehen
Für Langzeitarbeitslose wird so
der Wiedereinstieg leichter
Beim Ehrenamt stehen
materielle Interessen
nicht im Vordergrund
© Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2014
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
9
Meldungen
Deutschlandweite DGB-Mindestlohn-Pendleraktion 2015
Foto: DGB/Simone M. Neumann
Bundesweit informierten der DGB und
seine Gewerkschaften am 12. Januar
Pendlerinnen und Pendler an über 270
Orten, Bahnhöfen und Park&RideParkplätzen, über den gesetzlichen
Mindestlohn und verteilten mehr
als 260.000 Broschüren zum Thema
„Was bedeutet das MindestlohnGesetz für mich?“ Viele Passanten
ließen sich gleich vor Ort konkrete
Fragen beantworten.
Endlich Schluss mit Sexismus in der Werbung!
Die Kampagne Pinkstinks setzt mit ihren Aktionen deutliche Zeichen gegen Produkte, Werbeinhalte und Marketingstrategien, die Mädchen
eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen. Die
„Pinkifizierung“ trifft Mädchen und Jungen gleichermaßen. Es gilt, diesem Trend entgegenwirken.
Die Kampagne wirbt für ein kritisches Medienbewusstsein, Selbstachtung, ein positives Körperbild
und alternative weibliche Rollenbilder für Kinder.
Die DGB-Frauen unterstützen die im Stil einer
Petition verfasste Unterschriftenliste, die sich an
Bundesminister Heiko Maas wendet. „Als Frauen
im Deutschen Gewerkschaftsbund engagieren wir
uns seit vielen Jahren gegen Diskriminierung und
Geschlechterstereotype, die Männer wie Frauen
in ihrem Denken und Handeln begrenzen. Darum
sagen wir: Schluss mit diskriminierender Werbung,
die Frauen zu Objekten abwertet“, so Anja
Weusthoff. Das Ziel der Kampagne ist das Verbot
sexistischer Werbung durch eine Erweiterung
des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
(UWG) um eine entsprechende Norm. Damit soll
der Verfestigung von Geschlechtsrollenstereotypen
durch Werbung entgegengewirkt werden.
Die Broschüre „Was bedeutet das
Mindestlohn-Gesetz für mich?“
bietet eine erste Orientierung rund
um die Fragen von Ausnahmen und
Sonderregeln, Übergangsfristen,
Auszahlungsmodalitäten,
Arbeitszeitkonten etc.
www.dgb-bestellservice.de
WAS BEDEUTET
DAS MINDESTLOHNGESETZ FÜR MICH?
Die wichtigsten Fragen und Antworten
rund um das neue Mindestlohngesetz
vom 2.1.
2015
bis 31.3
. 2015
www.mindestlohn.de
1
www.pinkstinks.de
Deutscher Betriebsräte-Preis 2015
Noch bis zum 30. April können sich einzelne
Betriebsratsmitglieder, komplette Gremien oder
auch betriebsübergreifende BR-Kooperationen mit
ihren Projekten um den „Deutschen BetriebsrätePreis 2015“ bewerben. Ausgezeichnet werden
Engagement und die erfolgreiche Arbeit von
Betriebsräten, die sich nachhaltig für den Erhalt
oder die Schaffung von Arbeitsplätzen oder für
die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den
Unternehmen einsetzen. Der Preis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“
des Bund-Verlags. Eine Jury aus Gewerkschaftern
und Gewerkschafterinnen, Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler und ausgewiesenen
Praktiker/innen trifft jedes Jahr eine Auswahl aus
den eingereichten Projekten.
E-Mail: [email protected]
www.bund-verlag.de
Schwerpunkt Arbeitszeitgestaltung
Knapp 60 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten länger als in ihrem Arbeitsvertrag
vereinbart. Jede/r vierte Beschäftigte leistet pro
Woche mehr als fünf Überstunden. Der aktuelle
DGB-Index Gute Arbeit mit dem Themenschwerpunkt Arbeitszeitgestaltung bestätigt: Viele
Männer mit langen Arbeitszeiten würden gerne
10
DGB Frau geht vor
kürzertreten. Die meisten Frauen, die in Teilzeit
arbeiten, hätten gerne eine höhere Stundenzahl
im Vertrag stehen. Weniger erzwungene Teilzeit
und dafür kürzere Arbeitszeiten in VollzeitArbeitsverhältnissen, kurz: eine gerechtere Verteilung des Arbeitszeitvolumens, ist das Anliegen
vieler Beschäftigter.
www.index-gute-arbeit.dgb.de
Interview
Dran bleiben!
Foto: Ralf Steinle
Informieren, beraten, begleiten – DGB-Hotline unterstützt Beschäftigte
Claudia Falk im Gespräch mit „frau geht vor“
Claudia Falk ist politische Referentin
in der Abteilung Wirtschafts-,
Finanz- und Steuerpolitik beim
DGB-Bundesvorstand und
seit 2012 vor allem für die
Mindestlohnkampagne zuständig.
www.mindestlohn.de
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns ist ein großer Erfolg für die Gewerkschaften. 2007 ging die bundesweite
DGB-Mindestlohnkampagne an den Start.
Mit Veranstaltungen und Aktionen, einem
Mindestlohn-Truck und vielem mehr
wurde in Deutschland für den Mindestlohn geworben. Warum es jetzt heißt
„weiter dran bleiben“, erläutert Claudia
Falk, seit 2012 verantwortlich für die
DGB-Mindestlohnkampagne.
Nach zehn Jahren Kampf um den Mindestlohn ist
er endlich verbindlich eingeführt. Profitieren alle
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon?
Vor allem profitieren die oft schlecht bezahlten
Minijobber/innen quer durch alle Branchen vom
gesetzlichen Mindestlohn und Beschäftigte in
Dienstleistungsbranchen wie im Hotel- und Gaststättengewerbe, in Kosmetikstudios, im Taxigewerbe, in Bäckereien etc. Aber auch diejenigen,
die bisher schon 8,50
Euro bekamen, können
profitieren. Denn
um den Abstand zu
den geringer qualifizierten und schlechter
entlohnten Kollegen
und Kolleginnen zu
erhalten, werden viele
Arbeitgeber die Löhne
insgesamt anheben.
www.mindestlohn.de
Und auch tarifgebundene Beschäftigte
haben etwas vom Mindestlohngesetz: Prellt der
Chef sie um ihren Lohn, können sie jetzt drei
Jahre rückwirkend den Lohnanteil bis 8,50 Euro
pro Stunde einklagen. Bislang galten viel kürzere
tarifliche Ausschlussfristen. Und letztlich ist der
Mindestlohn gut für die gesamte Gesellschaft,
weil mehr Geld in die Sozial- und Steuerkassen
fließt. Geld, das unter anderem für Investitionen in
Infrastruktur und Bildung benötigt wird.
FRAGEN ZUM
MIN DESTLOHN?
Rufen Sie uns an!
02.01.2015
–
31.03.2015
Sehr ärgerlich sind die Ausnahmen für Minderjährige sowie für Langzeitarbeitslose in den ersten
sechs Monaten nach Wiederaufnahme einer
Arbeit und für bestimmte Praktikant/innen, die
nun leer ausgehen beim Mindestlohn. Auch die
Sonderregelungen für Zeitungszusteller/innen mit
25 prozentigen Abschlägen sind eine Zumutung
für die Kolleg/innen, die bei Nacht und Nebel die
Zeitungen austragen. All das hat der DGB heftig
kritisiert.
Bei der Anwendung des Mindestlohns treten viele
Fragen auf. Seit dem 2. Januar hat der DGB eine
Mindestlohn-Hotline eingeführt, die Drähte laufen
seitdem heiß. Was beschäftigt die Anruferinnen
und Anrufer?
Es rufen vor allem Minijobber/innen an, die wissen
wollen, ob der Mindestlohn auch für sie gilt. Ja!
Leider versuchen manche Arbeitgeber den geringfügig Beschäftigten neue Verträge mit geringerer
Stundenzahl unterzujubeln, um nicht mehr zahlen
zu müssen. Dem müssen sie aber nicht zustimmen.
Es werden uns auch zahlreiche Umgehungsstrategien geschildert. Eine Kosmetikerin berichtete,
dass sie einen festen Arbeitsvertrag hat, der eine
Arbeitszeit von 8 bis 18 Uhr mit Anwesenheit im
Nagelstudio vorsieht. Aber bezahlt würde sie nur
pro Kunde. Wenn keiner kommt – Pech gehabt!
Beliebt ist auch die Bezahlung in „Naturalien“:
Da bekommt die Mitarbeiterin eines Wellnesscenters zwar nicht die vollen 8,50 Euro pro Stunde,
ergänzend aber einen Gutschein für die Sauna, den
sie beim Arbeitgeber einlösen kann.
Auch Fragen zu Praktika, welche vom Mindestlohn ausgenommen sind und welche nicht sowie
Fragen nach der Anrechnung von Zuschlägen auf
den Mindestlohn werden gestellt. Wir haben auch
zahlreiche Anrufe von Arbeitgebern und Steuerberatungsbüros, die wir an die Hotline des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verweisen, denn
unsere Hotline ist für Beschäftigte da.
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
11
Arbeitgeber versuchen den Mindestlohn auszutricksen, im Internet veröffentlichen Rechtsanwälte
legale Strategien, wie der Mindestlohn umgangen
werden kann. Wo muss nachgebessert werden,
damit es solche Schlupflöcher nicht mehr gibt?
Das A und O ist es, die Beschäftigten über ihre
Rechte aufzuklären. Daher haben wir auch die
Hotline eingerichtet. Nur wer weiß, dass und wie
er betrogen wird, kann sich wehren. Hier helfen
Gewerkschaften ihren Mitgliedern mit individuellem Rat und unterstützen sie gegebenenfalls bei
einem Gerichtsverfahren. Leider muss jeder sein
Recht individuell durchklagen, was mühsam ist
und lange dauern kann. Deshalb wünschen wir
uns ein Verbandsklagerecht. Auch die zahlreichen
Ausnahmen und eingeschränkten Dokumentationspflichten sind leider Einfallstore zur Umgehung
des Mindestlohns. Die Vorschriften müssten
eindeutiger sein, auch was die Nichtanrechenbarkeit von Zuschlägen etc. angeht. Das Gesetz muss
rasch evaluiert werden. Aber das Regelwerk ist
jetzt erst ein paar Wochen in Kraft und die ersten
Lohnabrechnungen stehen noch aus. Deshalb ist
es für eine Auswertung noch zu früh.
Wie können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Missbrauch schützen?
Die Kolleg/innen sollten mutig sein und ihr Recht
bei den Arbeitgebern einfordern – auch mit Hilfe
des Betriebsrats. Es zeichnet sich gerade bei
Minijobber/innen ab, dass sie tatsächlich deutlich
länger arbeiten als in ihren Verträgen steht. Wir
raten den Beschäftigten deshalb, ihre Arbeitszeiten selbst zu dokumentieren, also: Wann habe
ich angefangen zu arbeiten, was habe ich genau
gemacht? Wann war Feierabend? Dazu haben
wir einen Musterbogen auf unserer Mindestlohnseite eingestellt. Das könnte ein wichtiges
Beweismittel sein, wenn man seine Ansprüche
– auch rückwirkend – noch geltend machen will.
Hilfreich ist es, Gewerkschaftsmitglied zu sein
– gemeinsam Rechte durchzusetzen ist erfolgversprechender als allein zu kämpfen.
Man kann aber auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll anrufen und Verstöße melden.
Dort werden die Fälle gesammelt, und wenn
sich die Meldungen für eine Branche oder einen
Betrieb häufen, werden Kontrollen durchgeführt.
Verstöße können für den Arbeitgeber teuer
werden! Es drohen nicht nur bis zu 500.000 Euro
Bußgeld und ein möglicher Ausschluss von der
öffentlichen Auftragsvergabe. Die Arbeitgeber
müssen auch rückwirkend den Lohn und den
Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zu den
Sozialversicherungen nachzahlen.
Schon jetzt werden auf politischer Ebene Änderungen diskutiert, zum Beispiel die Aufweichung
der Dokumentationspflicht. Der Slogan der DGB
Mindestlohn Kampagne lautet: Dran bleiben!
Wie geht es weiter?
Auf keinen Fall dürfen die Aufzeichnungspflichten
der Arbeitszeit als Kernstück der Kontrollmöglichkeit weiter verwässert werden! Wir werden genau
hinschauen, ob das Mindestlohngesetz eingehalten wird. Für die zweite Jahreshälfte planen wir
eine Tagung mit Gewerkschaften und Wissenschaftler/innen, um eine erste Zwischenbilanz zu
ziehen. Auch die Mindestlohnkommission, der zur
Hälfte Arbeitnehmervertreter/innen angehören,
soll die Einführung mit Hilfe wissenschaftlicher
Expertise begleiten und wenn nötig Nachbesserungen anregen. Dort steht bald die Debatte um
die Erhöhung des Mindestlohns an, sie soll zum
Januar 2017 wirksam werden. Und die Gewerkschaften werden auch künftig informieren, ihre
Mitglieder beraten und wenn nötig vor Gericht
begleiten.
Die Fragen stellte Britta Jagusch.
Mindestlohn umsetzen – Kontrollen stärken
Um den Mindestlohn durchzusetzen, sind wirksame Kontrollen notwendig und Schlupflöcher müssen geschlossen werden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat die Schwachstellen im Mindestlohngesetz analysiert und stellt in der im Januar 2015 erschienenen
Broschüre seine Vorschläge für Verbesserungen und gesetzliche Änderungen vor.
Online-Broschüre zum Download: www.dgb.de/-/eEy
Druckversion zu bestellen unter www.dgb-bestellservice.de
12
DGB Frau geht vor
Mindestlohn umsetzen
Kontrollen stärken
DGB Bundesvorstand | Abteilung Arbeitsmarktpolitik | Januar 2015
Schwerpunkt
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
DGB fordert die Einrichtung einer zentralen Melde- und Beschwerdestelle
Von Johannes Jakob
Der gesetzliche Mindestlohn als unterster
Lohnstandard wird sich nur dann durchsetzen, wenn sich alle Arbeitgeber daran
halten, Schlupflöcher geschlossen und
Umgehungsstrategien verhindert werden.
Dazu sind umfassende Kontrollen der
Arbeits- und Lohnbedingungen erforderlich.
Johannes Jakob ist beim
DGB-Bundesvorstand in der Abteilung
Arbeitsmarktpolitik für den Bereich
„Ordnung am Arbeitsmarkt“
zuständig.
www.dgb.de
Der Mindestlohn ist da – jetzt muss er auch durchgesetzt werden. Das aktuelle Gezeter der Arbeitgeber wegen der Aufzeichnungspflichten zeigt, dass
sie hier „ertappt“ wurden. Sie wollen so weiter
machen wie bisher, vor allem im Minijobsektor wäre
dies ein schwerer Rückschlag.
Der Mindestlohn hat eine wichtige ordnungspolitische Funktion und die Kontrolle ist eine staatliche
Aufgabe. Die vielen Ausnahmen, die der Gesetzgeber vorgesehen hat, erleichtern diese Aufgabe
nicht gerade. Deswegen bleibt es unser Ziel, die
Ausnahmen beim Mindestlohn zu beseitigen.
Mindestlohn muss für alle gelten. Auch die Beschäftigten haben eine starke Waffe in der Hand. Nicht
gezahlte Mindestlöhne können bis zu drei Jahre
rückwirkend eingefordert werden und der Arbeitgeber haftet für die Sozialversicherungsbeiträge
vollständig. Dies erhöht das Risiko für Arbeitgeber
enorm. Außerdem drohen Arbeitgebern bis zu
500.000 Euro Bußgeld.
Rund fünf Millionen Arbeitsplätze liegen im kritischen Bereich des Niedriglohnsektors. Diese müssen
überwacht werden. Hierfür benötigt der Zoll zusätzliches Personal. Der DGB geht derzeit von mindestens 2000 zusätzlichen Stellen aus. Solange diese
noch nicht zur Verfügung stehen, müssen vor allem
die Bereiche kontrolliert werden, die anfällig sind für
Missbrauch. Zusätzlich prüft die Rentenversicherung
alle vier Jahre, ob die Unternehmen ihre Sozialbeiträge abgeführt haben. Wenn hier Auffälligkeiten
vorliegen, muss diesen konsequent nachgegangen
werden. Für die Branchen, die nach dem Schwarzarbeitsgesetz als kritisch gelten, sind die Arbeitgeber
verpflichtet, die Arbeitszeit spätestens sieben Tage
nach Erledigung aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen zwei Jahre vorzuhalten. Diese Vorschrift
gilt auch für alle Minijobs. Der DGB fordert, diese
Überwachung manipulationssicher, maschinell
zu unterstützen. Auf schwedischen Baustellen
wird dieses Modell derzeit erprobt. Die heutige
Datentechnik liefert hier einfache Hilfen, die zudem
preiswert sind. Die Arbeitszeit ist der Schlüssel für
die Durchsetzung der Mindestlöhne.
Das Ausweichen in (Schein)Selbständigkeit ist ein
riesiges Schlupfloch für die Umgehung von Mindestlöhnen. Wir brauchen wieder – wie bis 2004 – eine
gesetzliche Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit. Der DGB hat
hierfür konkrete Kriterien vorgeschlagen, die sich
im Wesentlichen an der vorherigen Gesetzgebung
orientieren. Hierzu gibt es also eine erprobte
Gesetzgebung.
Beschäftigte aus dem Ausland werden oft von
Arbeitgebern genötigt, sich als Selbstständige
anzumelden. Wenn sie aus den osteuropäischen
Beitrittsländern kommen, sind sie aufgrund ihrer
sozialen Situation erpressbar und über ihre Rechte
in der Regel nicht informiert. Die unklare Rechtslage
wird von den Arbeitgebern ausgenutzt, dieser Weg
muss verschlossen werden. Selbstständige müssen
bei den Gewerbeämtern einen Gewerbeschein
beantragen. Wegen der geschützten Gewerbefreiheit wird die Anmeldung nicht fachlich und
inhaltlich geprüft. Es sollte zumindest eine vertiefte
Prüfung erfolgen, ob das Gewerbe auch tatsächlich ausgeübt werden kann. Gleichzeitig sollte
geprüft werden, ob im Gewerberecht nicht gewisse
Mindestanforderungen aufgenommen werden
können. Verbunden wäre dies mit dem Recht, den
Antrag auch abzulehnen.
Der DGB fordert, eine zentrale Melde- und
Beschwerdestelle zu schaffen, an die sich Beschäftigte wenden können, wenn sie Verstöße melden
wollen. Derzeit sind Meldungen an den Zoll
möglich.
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
13
Schwerpunkt
Ungleiche Chancen auf gut bezahlte Jobs
Gender Pay Gap: Neue Analysen gehen den Ursachen auf den Grund
Von Christina Boll
Vieles ist erklärt, aber längst nicht alles
ist gesagt – dass Frauen immer noch
22 Prozent weniger verdienen als Männer
lässt sich bisher nur zu einem Teil erklären.
Aktuelle ergänzende Analysen des
Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts
(HWWI) auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zeigen, dass Unterschiede in den Erwerbsbiografien von
Arbeitnehmer/innen eine wesentliche Rolle
spielen. Ferner kommen Arbeitsstundenumfang, der Beteiligung an Führungsaufgaben sowie Branche und Mitarbeiterzahl
des Betriebs eine Bedeutung zu.
Frauen verdienen in Deutschland nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes 22 Prozent
weniger als Männer. 15 Prozentpunkte der so
genannten unbereinigten Lücke sind dabei auf
unterschiedliche Merkmalsausstattungen von
Frauen und Männern zurückzuführen (erklärter
Teil), sieben Prozentpunkte stellen den unerklärten
Teil der Lücke dar (bereinigte Lücke).1
Woran liegt das? Wenn man sich die Verhaltensprozesse, die hinter dem Phänomen der
geschlechtsspezifischen Lohnlücke wirken, einmal
vor Augen führt, lassen sich vier Grundtypen unterscheiden (siehe Abbildung).
Ursachen der Lohnlücke:
Verhaltensprozesse und
Schlüsselgrößen
Quelle: Hamburgisches
WeltWirtschaftsInstitut (HWWI)
14
DGB Frau geht vor
Frauen sind seltener als Männer in attraktiven,
prestige- und einkommensträchtigen Jobs
vertreten. Sie scheitern schon an der Einstellung
auf eine ausgeschriebene Ausbildungsstelle, oder
aber sie erklimmen nur mühsam die nächste
Stufe auf der innerbetrieblichen Karriereleiter. In
diesen Fällen sprechen wir von arbeitgeberseitigen
Auswahlprozessen („Sorting“). Diese können mit
Vorbehalten gegenüber Frauen, aber auch mit
statistischer Diskriminierung zu tun haben.
Statistische Diskriminierung bedeutet, sich am
Verhalten einer Personengruppe, die diese in der
Vergangenheit überwiegend gezeigt hat, zu orientieren, um die einzelne Person, die dieser Gruppe
angehört, aktuell beurteilen zu können. Haben
Frauen jahrzehntelang den „Job“ übernommen,
bei Krankheit ihrer Kinder zuhause zu bleiben, wird
ihnen seitens der Arbeitgeber auch für die Zukunft
ein gewisses Ausfallrisiko zugeschrieben – man
erwartet einfach, dass sich die Frauen weiter so
verhalten wie in der Vergangenheit. Aufgrund
dieses zugeschriebenen Verhaltens („Assignment“)
werden Frauen dann beispielsweise nicht in
Leitungspositionen befördert.
Viele Frauen entscheiden sich, insbesondere wenn
sie Kinder haben, für Teilzeit-Jobs (Selbsteinwahlprozesse, „Self-Selection“). Diese Entscheidungen
Zuschreibungsprozesse
seitens Dritter
(Assignment)
Selbsteinwahlprozesse
der Beschäftigten in
Jobs (Self-Selection)
Geschlechterrollen
Monetäre
Anreize
Vereinbarkeit
(Infrastruktur,
Partner)
Tarifverträge
und Arbeitsbewertung
Verhandlungsprozesse
zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer sowie
innerpartnerschaftlich
(Bargaining)
Arbeitgeberseitige
Auswahlprozesse
(Sorting)
Dr. Christina Boll ist Forschungsdirektorin am Hamburgischen
WeltWirtschaftsInstitut.
www.hwwi.org
1 Vgl. Statistisches Bundesamt:
Gender Pay Gap 2013 bei Vollzeitbeschäftigten besonders hoch, Pressemitteilung Nr. 104 vom 18.03.2014,
Wiesbaden.
Die unbereinigte Lohnlücke misst
den prozentualen Abstand zwischen
dem durchschnittlichen Bruttostundenlohn der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, bezogen auf den
durchschnittlichen Bruttostundenlohn
der Arbeitnehmer. Die Bereinigung
der Lücke wird vorgenommen, indem
lohnrelevante Merkmalsunterschiede
(Ausstattungen) von Frauen und
Männern aus der unbereinigten Lücke
herausgerechnet werden. Die resultierende bereinigte Lohnlücke stellt den
Lohnunterschied zwischen Frauen und
Männern dar, der selbst dann noch
besteht, wenn Frauen und Männer mit
gleichen (gemessenen) Merkmalen
verglichen werden.
Blinder, A. S. (1973): Wage Discrimination: Reduced Form and Structural
Estimates, The Journal of Human
Resources 8 (4): 436-455; Oaxaca,
R. L. (1973): Male-Female Wage
Differentials in Urban Labour Markets,
International Economic Review 14 (3):
693-709.
werden auch mit Rücksicht auf den Partner, die
Familie sowie die gegebenen Rahmenbedingungen
getroffen. Der Rahmen wird beispielsweise hinsichtlich der verfügbaren Kinderbetreuung gesetzt, aber
auch hinsichtlich monetärer Anreize des Steuer- und
Sozialsystems. Die hohe Besteuerung von Zuverdiensten mit Steuerklasse 5 kann genauso als
Negativanreiz für die Übernahme einer Vollzeitstelle
oder gar Führungsposition gewertet werden wie
eine nicht vorhandene Ganztagsbetreuung.
Schließlich wird die Lohnlücke auch durch das
Verhandlungsverhalten („Bargaining“) von Frauen
und Männern bestimmt, und zwar sowohl in
Gehaltsverhandlungen mit der/dem Vorgesetzten als
auch mit dem Partner. Die mit dem Partner gefundene Arbeitsteilung auf Beruf und Familie steckt für
die Frau den Rahmen an Zeit und Energie ab, die sie
für ihre Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt aufwenden
kann. Die Gehaltsdifferenzen zwischen Männern
und Frauen sind zudem auf ein unterschiedliches
Verhalten der Geschlechter in Gehaltsverhandlungen zurückzuführen. Das Modell des männlichen
Alleinernährers ist zwar inzwischen weitgehend
durch das 1 ½-Verdiener-Modell mit (meist männlichem) Hauptverdiener und einer (meist weiblichen)
Zuverdienerin abgelöst worden; die genannte
Zuverdienerinnen-Position, in der sich viele Frauen
sehen, lässt sie jedoch im Gehaltspoker genügsamer
auftreten.
ihren Instrumenten durchaus auch Signale setzen
und Rollenvorstellungen (mittelfristig) beeinflussen
kann. Auch monetäre Anreize etwa in Form einer
geringeren Besteuerung von ZuverdienerinnenEinkommen (durch den Übergang vom Ehegattensplitting zur Individualbesteuerung) können Impulse
für ein umfangreicheres Engagement von Frauen am
Arbeitsmarkt setzen.
Und nicht zuletzt kommt auch den Verfahren der
Arbeitsbewertung, die tarifvertraglichen Eingruppierungen zugrunde liegen, sowie der Umsetzung
von Tarifverträgen auf betrieblicher Ebene eine
große Bedeutung bei der Schließung der Lohnlücke
zu. Hier bedarf die Arbeit am Menschen, die in
Gesundheits- und Sozialberufen verrichtet wird,
einer höheren gesellschaftlichen Wertschätzung, die
sich auch in der Entlohnung entsprechend widerspiegelt. Wie schlagen sich die genannten Faktoren
nun in dem gemessenen Gender Pay Gap nieder?
Grundsätzlich gilt, dass die Möglichkeiten für die
Ursachenanalyse auf die Informationen im Datensatz begrenzt sind. Das Statistische Bundesamt
analysiert die geschlechtsspezifische Lohnlücke auf
Basis der Verdienststrukturerhebung und kommt
zu der oben erwähnten Höhe von 22 Prozent. Wir
haben uns gefragt, ob sich der unerklärte Teil der
Lücke von sieben Prozent weiter dezimieren ließ,
wenn man einen anderen Datensatz verwendet,
der insbesondere feinere Informationen zu den
unterschiedlichen Erwerbsbiografien von Männern
und Frauen bereithält. Das HWWI hat daher
Berechnungen der Lohnlücke auf Basis des Soziooekonomischen Panels (SOEP) durchgeführt (siehe
folgende Abbildung).
Geschlechterrollen wandeln sich nur langsam.
Dennoch kann auch die Politik, wie beispielsweise über eine väterfreundliche Elternzeit- und
Elterngeldpolitik, Impulse für mehr familienaktive
Väter setzen und somit zu
eher egalitären GeschlechterGender Pay Gap 2011 (22,82 %*) auf Basis des Sozio-oekonorollen beitragen. Durch mehr
mischen Panels (SOEP) und Zerlegung nach Einflusskategorien
Engagement von Vätern im
25 %
Haushalt sind Familie und Beruf
n Erwerbsumfang
2,30 %
für Frauen eher vereinbar, sie
0,87 %
n Erwerbserfahrung
20 %
2,71 %
n Bildung
0,10 %
können auch anspruchsvollere
n Beruf (ISCO 1-Steller)
3,38 %
15 %
Jobs eher wagen und dadurch
n berufliche Stellung
3,37 %
n Branche (NACE 2-Steller)
0,24 %
tradierte Erwartungshaltungen
10 %
0,48 %
n Haushaltskontext
von Arbeitgebern durchbren Migrationshintergrund
5,64 %
5 %
n Betriebsgröße
chen. Die Pfeile in der ersten
n Sonstiges
3,82 %
Abbildung verdeutlichen, dass
0 %
n Unerklärter Teil
* Die Höhe des unbereinigten Gaps ist in Log-Punkten, also als näherungsweise Lücke, dargestellt.
die Schlüsselgrößen im Kreis,
Der entsprechende prozentuale Unterschied zwischen Frauen- und Männerlöhnen (mit Referenz: Männer) beträgt 22,86 Prozent.
zu denen die Geschlechterrollen
Quelle: SOEP v.29, 2011; Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI)
zählen, auf unterschiedliche
Verhaltensprozesse zugleich
einwirken und zudem auch mit anderen SchlüsInsgesamt ergibt sich in unseren Analysen eine
selgrößen in Wechselwirkung stehen. Ein Beispiel
unbereinigte Lohnlücke in Höhe von 22,82 Prozent
dafür ist die schon zitierte Familienpolitik, die mit
– ein Wert also, der sehr dicht an jenem von
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
15
Destatis berechneten liegt. Wie der Name „unbereinigte Lücke“ schon vermuten lässt, ist diese Größe
noch nicht um Unterschiede zwischen Männern und
Frauen in lohnbedeutsamen Merkmalen bereinigt.
Nimmt man diese Bereinigung vor, beläuft sich
die bereinigte Lücke in unseren Analysen auf 2,30
Prozent – ein deutlich niedrigerer Wert als jener von
Destatis. Die übrigen 20,52 Prozentpunkte an der
Lücke lassen sich durch unterschiedliche Merkmalsausstattungen zwischen Frauen und Männern
erklären.
Im Einzelnen entfallen 3,8 Prozentpunkte der Lücke
auf den unterschiedlichen Beschäftigungsumfang
von Frauen und Männern. Frauen arbeiten häufiger
in Jobs mit reduzierten Arbeitszeiten als Männer.
Ferner wird offenbar, dass 5,6 Prozentpunkte der
Lücke durch Unterschiede in der Einflusskategorie
„Erwerbserfahrung“ begründet sind. Im Unterschied zum Statistischen Bundesamt messen wir
hier die tatsächlich gearbeiteten Jahre anstatt der
potenziellen Erfahrung, die sich aus Lebensalter und
Bildungsjahren ableiten lässt. Dies können wir tun,
da der von uns verwendete Datensatz diese Informationen bereithält. Da Frauen familienbedingt ihre
Erwerbskarriere häufiger unterbrechen als Männer,
ist ihre tatsächliche Erfahrung im Berufsleben meist
niedriger als ihre potenzielle Erfahrung.2
Der Einfluss des Berufes fällt mit 0,2 Prozentpunkten bei unseren SOEP-Analysen klein aus, da
wir aufgrund begrenzter Fallzahlen nur eine relativ
grobe Berufssystematik (ISCO 1-Steller) verwenden
konnten. Allerdings steht der Beruf in hohem
inhaltlichem Zusammenhang zum Wirtschaftszweig,
da bestimmte Berufe nur in bestimmten Branchen
vorkommen. Hier zeigt sich, dass in der Tat 3,4
Prozentpunkte der Lücke dadurch erklärt werden,
dass Frauen in anderen Branchen als Männer
arbeiten. So weist etwa der frauendominierte
Einzelhandel weniger attraktive Vergütungen auf als
viele andere Branchen. Ferner erklärt der Umstand,
dass Frauen häufiger in kleineren und insbesondere
in Kleinstbetrieben mit fünf bis zehn Mitarbeitern
arbeiten, weitere 2,7 Prozentpunkte der Lohnlücke.
Es steht zu vermuten, dass tarifvertragliche Regelungen und deren betriebliche Umsetzungspraxis
insbesondere mit der Branche und der Betriebsgröße
variieren, was einen Teil der Bedeutung dieser
beiden Faktoren für die Lohnlücke erklären dürfte.
Schließlich finden wir – neben der horizontalen
(beruflichen) Segregation der Geschlechter – auch
Evidenz für die Auswirkungen der unterschiedlichen
Positionierung von Frauen und Männern in der
betrieblichen Hierarchie: Die berufliche Stellung
erklärt in unseren Analysen 3,37 Prozentpunkte der
Lücke. So nehmen Frauen seltener hochqualifizierte
Tätigkeiten oder Jobs in leitender Stellung wahr.
Unterschiede zwischen Frauen und Männern in den
Bildungsabschlüssen, im Migrationshintergrund oder
im Haushaltskontext tragen hingegen kaum zur
Lücke bei.
Fazit
Unsere Berechnungen zeigen, dass sich ein Großteil
der Lohnlücke durch Merkmalsunterschiede von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erklären
lässt. Dieser Befund liefert jedoch keinesfalls Entwarnung. Denn auch in den Merkmalsunterschieden
kann sich potenziell Diskriminierung verbergen,
wenn Männer und Frauen zu den lohnrelevanten
Merkmalen unterschiedliche Zugangschancen
haben. Unsere Analysen machen daher einmal
mehr deutlich: Chancengleichheit der Geschlechter
zum Zugang zu lohnrelevanten Merkmalen ist
wesentliche Voraussetzung für die Schließung der
Lohnlücke! Wenn die in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung formulierte Zielvorgabe, die Lücke bis 2020 auf unter zehn Prozent
zu senken, erreicht werden soll, bleibt noch viel zu
tun. Alle Akteure sind dabei gefragt: Die Betriebe,
der Staat, die Tarifvertragsparteien, der Partner, aber
– nicht zuletzt – auch die Frauen selbst.
Die 23. Konferenz der Gleichstellungsund Frauenministerinnen, -minister,
-senatorinnen und -senatoren der
Länder (GFMK) hat 2013 eine zeitlich
befristete länderoffene Arbeitsgruppe „Entgeltgleichheit“ unter der
Federführung der Länder Hessen und
Sachsen-Anhalt eingerichtet, die bis
spätestens zur 25. GFMK 2015 eine
Bestandsaufnahme und konkrete
Vorschläge gesetzlicher und untergesetzlicher Art zur Herstellung der
Entgeltgleichheit vorlegen soll. Das
Archiv Entgeltgleichheit ist Bestandteil der Bestandsaufnahme. Das
Archiv wird als dynamisches Archiv
eingerichtet.
www.gleichstellungsministerkonferenz.de
2 Während der Erwerbsunterbrechungen entwertet ein Teil des
Wissens und der Fähigkeiten, zudem
entgehen Frauen die Erträge aus
unterlassenen Weiterbildungen und
nicht realisierten Beförderungen in
dieser Zeit. Zu den resultierenden
Einkommensverlusten vgl. bspw. Boll,
C. (2010): Lohneinbußen von Frauen
durch geburtsbedingte Erwerbsunterbrechungen, Wirtschaftsdienst
90 (10), 700-702.
Archiv Entgeltgleichheit
Das HWWI hat im Projektzeitraum 1. August bis 5. Dezember 2014 im Auftrag des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des
Landes Sachsen-Anhalt das Archiv Entgeltgleichheit erstellt. Das Archiv umfasst mind. 2763 Quellen (Stand: 05.12.2014) vorrangig
aus dem Zeitraum 1991 – 2014 zur geschlechtsspezifischen Lohnlücke aus Deutschland, Europa und der Welt. Die Quellen
beinhalten wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Literatur. Sie bieten Nutzer/innen ein breites Spektrum an Informationen
zu unterschiedlichen Themenbereichen der Lohnlücke sowie zu Grundlagen, Messung, Rechtsprechung und beinhalten Handlungsempfehlungen zum Thema. Politischen Akteur/innen ermöglicht das Archiv eine fundierte Entscheidungsgrundlage für die
Entwicklung von Maßnahmen zur Schließung der Lücke. www.gender.sachsen-anhalt.de > Datenz & Infopool
16
DGB Frau geht vor
Aus den Gewerkschaften
Das Mindeste für alle
NGG: Es darf keine weiteren Verwässerungen des Gesetzes geben
Von Birgit Pitsch und Guido Zeitler
Birgit Pitsch leitet das Referat
Frauen- und Gleichstellungspolitik
bei der NGG Hauptverwaltung.
www.ngg.net
Guido Zeitler leitet das Referat
Gastgewerbe bei der NGG
Hauptverwaltung.
www.ngg.net
*Quelle: Süddeutsche Zeitung
27.01.2015
Der gesetzliche Mindestlohn ist da – endlich.
Dafür hat auch die Gewerkschaft NahrungGenuss-Gaststätten (NGG) lange gekämpft.
Erstmalig auf unserem Gewerkschaftstag
2003 beschlossen, mit unserer Schwestergewerkschaft ver.di in der „Initiative Mindestlohn“ vorangetrieben und schließlich mit
dem DGB erfolgreich beendet: Die Einführung des Mindestlohns ist ein beispielloser
Erfolg der Gewerkschaften.
Beispiellos ist allerdings auch, wie schnell nach
dem Inkrafttreten vermeintliche Nachbesserungen
gefordert werden, die das Gesetz – ohnehin durch
eine Fülle von Ausnahmeregelungen verwässert
– endgültig ad absurdum führen. Wer dachte,
die Debatte um den Mindestlohn wäre mit seiner
Einführung beendet wird nun eines Besseren belehrt
– sie ist in vollem Gang und hat an Tempo zugelegt.
Der Mindestlohn ist notwendig geworden, weil
sich einzelne Arbeitgeber und sogar ganze Branchen der Tarifbindung entziehen. Im Gastgewerbe
beispielsweise haben viele Landesverbände des
Hotel- und Gaststättenverbands (DEHOGA) eine
Mitgliedschaft ohne Tarifbindung eingeführt. So
können sich Arbeitgeber ganz legal der Tarifbindung
entziehen. Aber auch die Gültigkeit eines Tarifvertrages bedeutet leider unserer Erfahrung nach
nicht, dass Arbeitgeber den Beschäftigten auch
den Lohn zahlen, der ihnen zusteht. „Ich bekomme
zwar meinen tariflichen Stundenlohn“, berichtete
eine Kollegin aus dem Bäckerhandwerk, „aber dafür
muss ich unbezahlte Überstunden machen und
bekomme für Feiertags- und Sonntagsarbeit keine
Zuschläge bezahlt“.
Die Beschäftigten in den Niedriglohnsektoren und
insbesondere die Gruppe der geringfügig Beschäftigten profitieren vom Mindestlohn. Im Gastgewerbe, hier stellen Frauen mit einem Anteil von 60
Prozent die Mehrheit der Beschäftigten, wird schon
lange sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung in Teilzeit- und 450-Euro-Arbeitsverhältnisse
umgewandelt. Hier stehen heute 921.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte rund 870.000
geringfügig Beschäftigten – einer nahezu gleichgroßen Gruppe – gegenüber.
Beinahe jede dritte Frau arbeitet unfreiwillig in
Teilzeit, ein Großteil in Minijobs. Für Arbeitgeber
hat die hohe Teilzeitquote einen finanziellen
Vorteil: die eingesparten Sozialabgaben sind bei
einer hohen Personalkostenquote ein wesentlicher
Faktor. Weitere Einsparungen ergeben sich aus
nicht gewährten Leistungen, die bei einer Vollzeitbeschäftigung selbstverständlich sind wie zum
Beispiel Urlaub, Krankenlohnfortzahlung, Zuschläge
oder Überstundenvergütung. Auch deshalb lag der
tatsächliche Stundenlohn bei 450-Euro-Kräften
häufig unter 8,50 Euro. Durch die Einführung des
Mindestlohns verringert sich nun die Anzahl der
monatlichen Arbeitsstunden – eigentlich.
Ob mit oder ohne Mindestlohn: In der Realität
bleibt häufig die Arbeitsmenge konstant, lediglich
die Stunden werden reduziert. In einem Hamburger
Hotel* muss eine Reinigungsfrau jetzt eben neun
Zimmer in einer Stunde schaffen, das heißt Müll
wegbringen, Aufräumen, Bettwäsche wechseln, Bad
reinigen und und und. Das ist nicht zu schaffen. Also
wird länger gearbeitet, damit am Ende der Schicht
alle Zimmer fertig sind – natürlich unentgeltlich. Ein
Schelm, der Böses dabei denkt, wenn jetzt die CDU/
CSU fordert, die Dokumentationspflicht der Arbeitszeiten für 450-Euro Jobs aufzuheben!
Die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger ist als
Mitglied in die Mindestlohnkommission berufen
worden. Diese Kommission berät ab 2017 über eine
eigentlich schon jetzt notwendige Erhöhung des
Mindestlohns und wird dem Bundeskabinett einen
Vorschlag unterbreiten. Das Thema Mindestlohn
wird weiter ganz oben auf unserer Agenda stehen.
Wir werden uns dafür einsetzen, dass der Mindestlohn auch 2017 noch das ist, wofür sich so viele
Menschen eingesetzt haben: das Mindeste und zwar
für alle!
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
17
Aus den Gewerkschaften
Überwiegend Frauensache
Prekäre Arbeitsbedingungen im Bildungswesen
Von Frauke Gützkow und Ansgar Klinger
Dass man mit (einer Vollzeit-) Arbeit arm
wird, hätte man vor 25 Jahren in Deutschland kaum behaupten können; dass man
mit pädagogischer Arbeit arm wird, wäre
vor 20 Jahren ebenfalls schwer vorstellbar
gewesen. Mittlerweile ist beides Realität
in Deutschland, letzteres vor allem in der
Weiterbildung, jenem Bereich des Bildungswesens, der wie kein anderer nach den
Prinzipien von Markt und Wettbewerb
„dereguliert“ wurde.
Foto: GEW
Von den deutschlandweit 410.000 freiberuflichen
Honorarkräften bestreiten 150.000 Personen
hauptberuflich ihren Lebensunterhalt, vier von fünf
hauptberuflichen Honorarlehrkräften sind Frauen
(Schwarzbuch Beschäftigung in der Weiterbildung
2012). Dabei ist die Lage der Honorarlehrkräfte in
der betrieblich finanzierten Weiterbildung erheblich besser einzuschätzen als in der öffentlich
finanzierten Weiterbildung – hier herrscht prekäre
Beschäftigung vor!
Handlungsbedarf besteht bei
Honorarkräften
Die Einführung des Mindestlohns in Industrie und
Dienstleistung ist ein gewerkschaftlicher Erfolg,
von dem Frauen profitieren. Handlungsbedarf
besteht aber auch in solchen Branchen, in denen
18
DGB Frau geht vor
Honorarkräfte beschäftigt werden. In der Weiterbildung werden Honorarkräfte nur für die Zeit
bezahlt, in der sie Kurse geben. Vorbereitung,
Nachbereitung, Beratung von Kursteilnehmerinnen
und -teilnehmern, Verwaltungstätigkeiten bleiben
außen vor. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt
es nicht, die Arbeitgeber beteiligen sich nicht an
den Sozialversicherungsbeiträgen, die Honorarkräfte sind quasi Selbständige und müssen für
Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil aufkommen.
Der Urlaub ist unbezahlt und liegt in den Schließzeiten/Teilnehmerferien außerhalb der Arbeitswochen. Zeiten für Vorbereitung, Konferenzen,
Teamsitzungen und Fortbildungen werden in der
Regel nicht vergütet. Von den Honoraren für
Unterrichtsstunden bleibt häufig weniger als
8,50 Euro pro Stunde übrig, wenn man die
gesamte Arbeitszeit und die Belastungen durch
den Status der Soloselbständigen berücksichtigt.
Aufstockende Leistungen sind keine Seltenheit
Exemplarisch beschreiben wir die Situation der
21.800 Lehrkräfte,
die vom zuständigen Bundesamt
für Migration und
Flüchtlinge die Zulassung als Lehrkraft
für Integrationskurse
erhalten haben
(Stand: Sommer
2014). Die entsprechende Integrationskursverordnung setzt
eine akademische
Qualifikation sowie
einen weiteren
Nachweis im Bereich
Deutsch als Fremdsprache für die Lehrkräfte
voraus, um das bislang hohe Qualitätsniveau
des Unterrichts in den Kursen zu gewährleisten.
Das Durchschnittshonorar von 20 Euro gilt als
Untergrenze für die Bewilligung einer mehrjährigen Trägerzulassung. Das so erzielte verfügbare
Frauke Gützkow ist Mitglied des
Geschäftsführenden Vorstands
der GEW und verantwortlich für
Frauenpolitik.
www.gew.de
Einkommen liegt auf Hartz IV Niveau. Tatsächlich
müssen viele Honorarkräfte in der Weiterbildung
aufstockende Leistungen nach dem SGB II beantragen. Besteht hier ein Zusammenhang mit der
Tatsache, dass 85 Prozent der Integrationskurslehrkräfte Frauen sind?
Ansgar Klinger ist Mitglied des
Geschäftsführenden Vorstands
der GEW und verantwortlich
für Berufliche Bildung und
Weiterbildung.
Öffentliche Auftraggeber produzieren
Einkommens- und Altersarmut
Ganz unabhängig von dieser Fragestellung produziert hier der öffentliche Auftraggeber der Kurse
– die Bundesrepublik Deutschland – Einkommensund Altersarmut! Die GEW tritt für eine Erhöhung
des Honorars auf mindestens 30 Euro ein. Das
würde eine Erhöhung des monatlichen Nettoentgeltes von circa 430 Euro und damit eine deutliche
Verbesserung des Lebensunterhalts bedeuten. Mit
Erstattung der Arbeitgeberbeiträge für die Sozialversicherung wären weitere circa 478 Euro verfügbar.
Die folgende Tabelle veranschaulicht die Situation:
GEW fordert Festanstellung und
Gleichstellung der Integrationslehrkräfte
Auch bei einer Erhöhung des Honorars auf 30 Euro
wäre das Einkommen der Lehrkräfte auch nach
Erfüllung dieser Forderungen der akademischen
Ausbildung und der Verantwortung dieser Tätigkeit
nicht angemessen. Die GEW fordert daher grundsätzlich die Festanstellung und Gleichstellung der
Integrationskurslehrkräfte mit Lehrern an öffentlichen Schulen.
Anfang Februar 2015 hat der DGB-Bundesvorstand
das Positionspapier „System der Integrationskurse
verbessern“ beschlossen. Darin setzt sich der
Deutsche Gewerkschaftsbund unter anderem für
eine Verbesserung der Lage der Integrationskurslehrkräfte ein. Weitergehende Informationen unter:
www.gew.de/download.html > Publikationen
Weiterbildung > Integrationskurse
Vergleichsberechnung
Wo / Tage
UE / Wo
Honorar
in Euro
Jahresrechnung
45
25
30,00
abzüglich Krankheitstage
13,2
5
30,00
www.gew.de
Ergebnis bei
30 Euro/UE
Ergebnis bei
20 Euro/UE
33.750,00
22.500,00
1.980,00
1.320,00
31.770,00
21.180,00
Rentenversicherung 18,9 Prozent
6.004,53
4.003,02
Krankenversicherung 14,9 Prozent, mindestens 301,17 Euro
4.733,73
3.614,04
730,71
487,14
21.500,67
14.036,52
3.255,73
1.185,60
17.045,30
11.890,20
1.420,44
990,85
Brutto
Pflegeversicherung 2,3 Prozent
zu versteuerndes Einkommen
Steuern 1 inkl. Solidaritätszuschlag (Steuerklasse 1)
Jahresnettoeinkommen
Monats-Netto
Monatliches Plus bei 30 Euro Honorar
gegenüber 20 Euro Honorar
429,59
Forderung nach Erstattung der AG-SV im Jahr
5.437,48
4.052,10
Monats-Netto nach Erstattung der AG-SV Anteile
1.898,32
1.328,53
Monatliches Plus bei 30 Euro nach Erstattung der AG-SV
477,88
Quelle: Infoblatt Weiterbildung der GEW, Ausgabe Dezember 2013
Schwarzbuch Weiterbildung
Der Hauptvorstand der GEW hat Ende September 2012 ein zweites Schwarzbuch Weiterbildung
zum Thema „Arbeit in Integrationskursen“ herausgegeben. Die Broschüre ist erhältlich im
GEW-Shop: www.gew-shop.de oder per E-Mail: [email protected]
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
19
Aus den Gewerkschaften
Sauberkeit hat ihren Preis
Branchenmindestlohn in der Gebäudereinigung – wichtig, aber oft umgangen
Von Zeynep Bicici
Die IG BAU hat bereits seit Jahren Erfahrungen mit Mindestlöhnen. So gibt es in der
Gebäudereinigung seit März 2007 einen als
allgemeinverbindlich erklärten Mindestlohn für gewerblich Beschäftigte. Doch die
zunehmende Leistungsverdichtung und
befristete Verträge setzen Beschäftigte
unter Druck, ihre Arbeitszeit unbezahlt
auszuweiten aus Angst vor Kündigungen.
Die IG BAU und auch der Arbeitgeberverband
wollten den Mindestlohn in der Branche, um die
Abwärtsspirale zu stoppen, die durch die Gründung
von Leiharbeitsfirmen mit untertariflicher Bezahlung den Wettbewerb verzerrte. Zwar regulierte
die Einführung des Mindestlohns die Branche
vorerst, jedoch entwickelten immer mehr Unternehmen Wege und Taktiken um den Mindestlohn
zu umgehen. Derzeit liegt der Mindestlohn bei 9,55
Euro im Westen und bei 8,50 Euro in Ostdeutschland. Bis 2019 soll endlich die Angleichung an das
Westniveau erfolgen.
Unterbezahlte Frauenberufe
Rund 600.000 Beschäftigte arbeiten in der Gebäudereinigung. Viele von ihnen sind als Migrant/innen
nach Deutschland gekommen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist niedrig – aber tendenziell steigend. Überwiegend findet man in der
Innenreinigung Frauen, die meisten in Teilzeit oder
nur mit einem Minijob. Es ist einer jener typischen,
unterbezahlten Frauenberufe, deren Wert für die
Gesellschaft unterschätzt wird. Eine wesentliche
Aufgabe der Gewerkschaftssekretär/innen besteht
darin, die Beschäftigten über die gesetzlichen und
tariflichen Regelungen zu informieren sowie sie zu
ermutigen, ihre Rechte geltend zu machen.
Leistungsverdichtung nimmt zu
Mit jeder erkämpften Tariferhöhung steigt der Druck
auf die Beschäftigten. Ihre Zeiten werden gekürzt,
d. h. sie müssen immer mehr Quadratmeter in der
gleichen Zeit reinigen. Das geht auf Kosten der
Sauberkeit. Um Ärger mit dem Arbeitgeber und dem
20
DGB Frau geht vor
Kunden zu vermeiden und auch aufgrund eigener
Ansprüche an die Qualität ihrer Arbeit, arbeiten
viele Kolleginnen und Kollegen über die vertraglich
vereinbarte Zeit hinaus, ohne diese bezahlt zu
bekommen. Die IG BAU strebt tarifliche Reglungen
an, die ständige Leistungsverdichtung zu stoppen.
Mindestlohn wird umgangen
Ein besonders “beliebtes“ Mittel, den Mindestlohn zu umgehen, besteht darin, die Wegezeiten
zwischen den zu reinigenden Objekten nicht zu
bezahlen. Entgegen der tariflichen Regelung
werden die Wegezeiten von vielen Unternehmen
nur auf Anfrage der Reinigungskräfte bezahlt,
nicht selten nur nach einer Klage bei Gericht. Aber
häufig kennen Beschäftigte ihre Rechte nicht oder
haben Angst sie einzufordern. Nicht selten haben
die Frauen und Männer mehr als zwei Objekte
am Tag zu reinigen. Es kann vorkommen, dass
sie bis zu zehn Stunden unterwegs sind, aber nur
sechs Stunden entlohnt werden. In der Hotelreinigung stellt sich die Situation noch drastischer dar.
Überwiegend erfolgt entgegen den tarifvertraglichen Regelungen die Bezahlung nach Zimmern im
Akkord. Je nach Abreise und Bleibe variiert der Lohn
für die Zimmer. Teilweise liegt dann der reale Stundenlohn unter fünf Euro, da die Arbeit in der vorgegebenen Zeit nicht zu schaffen ist. Die Einhaltung
der Mindestlöhne wird durch den Zoll kontrolliert.
Die IG BAU fordert mehr Personal in diesem Bereich
für eine wirksamere Kontrolle.
Befristungen als Druckmittel
Ein massives Problem sind die häufigen sachgrundlosen Befristungen. Befristet Beschäftigte haben nur
geringe Chancen, sich gegen Unrecht zu wehren und
stehen unter besonderem Druck. Nicht selten ist der
Arbeitsvertrag an das Objekt gekoppelt. Wird der
Auftrag an eine andere Firma vergeben, verlieren
die Reinigungskräfte ihren Arbeitsplatz. Ihnen wird
suggeriert: „Das ist Dein Kunde. Also gib Dir Mühe,
sonst bist Du Deinen Job los“. Für die IG BAU sind
deshalb Leistungsverdichtung und Befristung derzeit
die Schwerpunktthemen in der Gebäudereinigung.
Zeynep Bicici ist Leiterin der
Abteilung GebäudereinigerHandwerk, Mitbestimmung,
Frauen und Senioren der
Industriegewerkschaft BauenAgrar-Umwelt (IG BAU).
www.igbau.de
Frauen- und
Gleichstellungspolitik:
Richtig gut!
ver.di kämpft für die Aufwertung von Sozial-, Erziehungs- und Pflegeberufen
Weitere Infos zur Kampagne und
Unterstützungsmöglichkeiten unter:
www.soziale-berufe-aufwerten.de
www.gesundheit-soziales.verdi.de/
berufe/pflegeberufe
Kontakt: Alexa Wolfstädter,
E-Mail: [email protected]
Die vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
hat in diesem Jahr eine deutliche Aufwertung der
Tätigkeiten im Sozial- und Erziehungsdienst und
in der Pflege zum tarifpolitischen Schwerpunkt
ausgerufen. Im Sozial- und Erziehungsdienst geht
es um statusverbessernde Einkommenserhöhungen
durch eine Neuregelung der Eingruppierung. In
der Pflege fordert ver.di mindestens 3000 Euro
Bruttoverdienst für eine qualifizierte Pflegefachkraft in Vollzeit. Es geht ganz konkret um eine
bessere Bewertung dieser hoch qualifizierten und
anspruchsvollen Tätigkeiten, die überwiegend
von Frauen ausgeübt werden und immer noch zu
niedrig bezahlt werden.
Mit werbewirksamen Kampagnen soll auch gesellschaftlich dafür geworben werden, diese typischen
Frauenberufe besser zu bezahlen und für bessere
Arbeitsbedingungen zu sorgen. Im Bereich der
Kindertagesstätten geht es dabei um bundeseinheitliche Mindeststandards, im Pflegebereich um
eine ausreichende gesetzliche Personalbemessung.
Die Arbeit mit und für Menschen ist in hohem
Maße gesellschaftlich relevant: Denn die
Menschen, die diese Tätigkeiten ausüben,
realisieren Grundrechte. Der soziale Rechtsstaat
muss im Alltag stattfinden. Dafür braucht es gute
Arbeitsbedingungen für diejenigen, die dies beruflich sicherstellen.
Zeitgemäßer und moderner
Frauen in ver.di mit neuer Öffentlichkeitsarbeit
Anmeldung zum Newsleter:
www.frauen.verdi.de oder
www.frauen.verdi.de/service
Kontakt: Karin Schwendler,
[email protected]
www.facebook.com/frauen.verdi.de
„Gefällt mir“! Das neueste rund um die Frauenund Gleichstellungspolitik bei ver.di ist jetzt auch
auf facebook zu finden – zum Mitdiskutieren,
Mitmachen und weiterleiten. Ab Mitte Februar
startet auch der neue Newsletter der ver.di
Frauen mit aktuellen und interessanten Themen
und Informationen rund um die Frauen- und
Gleichstellungspolitik. Mindestens einmal im
Monat soll der Newsletter erscheinen.
Who cares?
Workshop zur Zukunft der Pflege in Europa
Unsere Gesellschaft wird in ganz Europa nicht nur
bunter, sondern auch älter. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird sich allein in Deutschland bis
2030 um 50 Prozent auf 3,4 Millionen Personen
erhöhen. Doch wer übernimmt die Verantwortung,
die Fürsorge und die Pflege, wenn die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiterhin steigt? 75 Prozent
Frauenerwerbsquote strebt die Strategie Europa
Workshop „Who Cares – Europäische
Erfahrungen und Möglichkeiten
2020 an. Wie verbessern wir die Vereinbarkeit von
zur Vereinbarkeit von Beruf und
Beruf, Familie und Pflege in Europa, um die GleichPflegeaufgaben“, am 5. Mai 2015, von
stellung von Frauen und Männern zu fördern?
9.30 bis 16.00 Uhr, in der FriedrichEbert-Stiftung, Berlin.
Ein gemeinsamer Workshop von DGB, FriedrichEbert-Stiftung und Europäischem GewerkschaftsInfos und Anmeldungen:
[email protected]
bund (EGB) setzt sich mit den gesellschaftlichen
Veränderungsprozessen auseinander und will
Impulse geben für eine Debatte, wie ein Pflegesystem den Wünschen und Möglichkeiten sowohl
der pflegenden Angehörigen als auch der Pflegebedürftigen besser entsprechen könnte. Auch
gesetzliche Rahmenbedingungen und betriebliche
Handlungsoptionen werden diskutiert und weiterentwickelt. Vorgestellt werden Ergebnisse der
aktuellen, europaweiten Umfrage des EGB „Who
cares – Europäische Erfahrungen und Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflegeaufgaben“ sowie gute Praxis aus verschiedenen
Ländern. Außerdem wird es Raum für Diskussionen
zu politischen und betrieblichen Lösungen geben.
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
21
DGB-Projekt
Partnerschaftliche Vereinbarkeitslösungen fördern
DGB-Projekt startet in die nächste Phase
Von Frank Meissner und Hanna Wolf
Mit dem Beschluss „Von der eigenständigen
Existenzsicherung zur selbstbestimmten
Erwerbsbiographie von Frauen und
Männern“ hat der 20. Bundeskongress im
Mai 2014 frauen- und gleichstellungspolitische Maßstäbe gesetzt. Die fünfte Phase des
DGB-Projektes „Vereinbarkeit von Familie
und Beruf gestalten!“ setzt genau dort an
und rückt bei der Ausgestaltung familienbewusster Arbeitszeiten partnerschaftliche
Vereinbarungen in den Mittelpunkt.
Wer macht den Haushalt, wer kümmert sich um
die Kinder, wer arbeitet wann und wieviel? Wer die
eigene Existenz sichern will, braucht gleiche Teilhabechancen am Arbeitsmarkt. Nicht nur arbeitsmarktpolitische Rahmenbedingungen müssen sich
dafür ändern auch innerhalb von Partnerschaften
müssen Vereinbarungen getroffen werden, die
beiden Geschlechtern ermöglichen, den eigenen
Lebensunterhalt zu bestreiten und die eigene
Existenz – auch längerfristig – zu sichern.
zu werden, müssen Themen wie „Männer und
Vereinbarkeit“, „Partnerschaftliche Arrangements
der Erwerbs- und Familienarbeit“ und „Lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung“ verstärkt
in den Fokus der Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit rücken. Daher richtet das DGB-Projekt
sein Augenmerk in der fünften Phase künftig auf
partnerschaftliche Arrangements und Vereinbarkeitslösungen, die aus der Perspektive der Familien
Anforderungen an die Arbeitswelt stellen. Ziel
der neu gestarteten Projektphase ist es, durch
lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle partnerschaftliche Vereinbarungen zu unterstützen und
insbesondere Männer für das Thema Vereinbarkeit
von Familie und Beruf zu sensibilisieren.
Das Projekt will wichtige Impulse sowohl auf der
betrieblichen als auch auf der gewerkschaftlichen
Ebene geben. Sensibilisierung, Information, Qualifikation, Beratung und Vernetzung der betrieblichen
Akteure und Akteurinnen sowie das Aufzeigen
betrieblicher Best Practice-Beispiele stehen dabei
im Vordergrund. Zusätzlich werden VeröffentliPartnerschaftliche Vereinbarungen setzen Impulse, chungen zu Themenschwerpunkten erarbeitet und
die den Diskussionen um Vereinbarkeit von Familie in Kooperation mit den Mitgliedsgewerkschaften in
öffentlichkeitswirksamen Seminaren, Workshops,
und Beruf neuen Schwung verleihen. Sie nehmen
zeitliche Rahmenbedingungen von „Familie“ in den Zukunftsgesprächen und Fachtagungen verbreitet.
Blick, die sich auch in den Gesetzen der Bundesre- In zwei Betrieben wird modellhaft die Einführung
von partnerschaftlichen Vereinbarkeitslösungen
gierung wiederfinden, z. B. beim Elterngeld Plus,
das Müttern und Vätern eine flexiblere Gestaltung erprobt und ein Konzept entwickelt, das Betriebsund Personalräte bei der Beratung und Umsetzung
der Elternzeit und neue Perspektiven der gemeinsamen Erziehungsverantwortung ermöglicht. Damit rund um das Elterngeld Plus unterstützt.
bieten sich gute Chancen, die Arbeitsorganisation
Weiterhin bietet das Projekt Unterstützung für
familienbewusster zu gestalten. Denn weiterhin
Gewerkschaften mittels Internet, Newsletter,
stoßen Veränderungsprozesse auf erhebliche
Broschüren, Beratung und Coaching. Erfahrungen
soziale, aber vor allem betriebliche Hindernisse.
und Fachwissen aus den vorherigen Projekten
Althergebrachte Betriebs- und Verwaltungskulwerden mit neuen Unterstützungsformen verknüpft
turen haben zur Folge, dass traditionelle Rollenund Diskussionsprozesse angeregt, die durch die
bilder immer noch vorherrschend sind.
Sensibilisierung für „Partnerschaftliche Vereinbarungen“ nachhaltig eine bessere Vereinbarkeit von
Um den sich ändernden Lebensverhältnissen und
Familie und Beruf ermöglichen.
-formen von Frauen und Männern und deren
Wunsch nach einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit gerecht
22
DGB Frau geht vor
Dr. Frank Meissner leitet das
Projekt „Vereinbarkeit von Familie
und Beruf gestalten!“ beim
DGB-Bundesvorstand.
[email protected]
Hanna Wolf ist Koordinatorin des
Projektes „Vereinbarkeit von Familie
und Beruf gestalten!“ beim
DGB-Bundesvorstand.
[email protected]
www.familie.dgb.de
Vereinbarkeit
von Familie und Beruf
gestalten
Thematische Schwerpunkte
des Projektes:
nM
änner und Vereinbarkeit von
Familie und Beruf
n E lterngeld Plus
n L ebenslauforientierung und partnerschaftliche Vereinbarungen
n Initialisierung von gewerkschaftlichen Diskussionsprozessen
Was darf’s denn sein ... ?
Eine schwere Entscheidung bei der Berufswahl
Von Mareike Richter
Mareike Richter ist politische
Referentin in der Abteilung Frauen,
Gleichstellungs- und Familienpolitik
im DGB-Bundesvorstand und
arbeitet im Kooperationsprojekt
„Was verdient die Frau?
Wirtschaftliche Unabhängigkeit“
des DGB-Bundesvorstandes und
des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend.
www.frauen.dgb.de
Studie: „Schule, und dann?
Herausforderungen bei der
Berufsorientierung von Schülern
in Deutschland“ – Eine Studie des
Instituts für Demoskopie Allensbach
im Auftrag der Vodafone Stiftung
Deutschland mit einem Kommentar
von Klaus Hurrelmann, 2014
www.vodafone-stiftung.de
Auch 2015 ist die DGB Bundesvorstandsverwaltung beim Girls‘Day
wieder mit dabei: Am 23. April lädt
die Abteilung Frauen, Gleichstellungsund Familienpolitik junge Schülerinnen
zu sich ins Haus ein. Unter dem Titel
„Frauen in der Politik – Politik, ein
Job für Frauen?!“ lernen Schülerinnen
kennen, was es heißt in der Politik
zu arbeiten, sich für die Rechte von
Arbeitnehmer/innen einzusetzen
und wie sich der Arbeitsalltag in
Gewerkschaften gestaltet.
Ausbildungsberufe und Studiengänge in der
IT, im Handwerk, in Technik und Naturwissenschaften kennenlernen und weiblichen Vorbildern in Führungspositionen in
Wirtschaft und Politik begegnen – beim
Girls‘Day am 23. April haben Mädchen
ab der 5. Klasse wieder die Möglichkeit,
Berufe zu erkunden und kennenzulernen –
jenseits von klassischen Rollenbildern.
Als Lena 15 Jahre alt ist und ihr die Frage gestellt
wird, was sie sich von ihrer Zukunft erwartet, fällt
die Antwort bescheiden aus: „Ich bin schon aufgeregt was nach der Schulzeit auf mich zukommt.
Eine konkrete Vorstellung von dem, was ich mal
werden möchte habe ich noch nicht.“ Lenas
Aussage steht für viele ihrer Mitschüler/innen. Die
Umbruchphase der Berufsorientierung geht oft mit
Unsicherheiten einher: Nach einer neuen Jugendstudie ist jede/r vierte Schüler/in über den beruflichen Werdegang besorgt. Damit geht einher, dass
fast der Hälfte der Schüler/innen die Berufswahl
schwer fällt, nur knapp ein Drittel weiß, welchen
Beruf er/sie erlernen möchten.
Nur eines wissen junge Menschen ganz genau: Der
Beruf muss Raum zur Selbstverwirklichung bieten
und Freude bereiten. „Ich will einen Job, der mir
Spaß macht und passen sollte er zu mir“, so Lenas
Anspruch an ihren zukünftigen Beruf. Ein gutes
Einkommen, einen sicheren Arbeitsplatz sowie
Beschäftigungsbedingungen, die die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf ermöglichen, finden bei der
Berufswahl kaum Berücksichtigung.
Vielen jungen Menschen ist das breite Spektrum
an Berufen nicht bekannt und sie wissen zu wenig
über die Ausbildungsinhalte. Informationen zu
Verdienst-, Anschluss- und Aufstiegsmöglichkeiten
rücken bei der Berufsberatung in den Hintergrund. Kurz: Schüler/innen fühlen sich schlecht
informiert. Ein Grund sich in altbekannten und
sicheren Rollenmustern zu bewegen? Bestimmt!
Hinzukommt, dass sich die meisten Schüler/innen
in ihrem sozialen Umfeld nach Berufsmöglichkeiten
umschauen. Eine Verstetigung von vorgelebten
Rollenmustern ist damit vorprogrammiert.
Betrachtet man das Berufswahlverhalten von
Frauen und Männern wird schnell deutlich:
Geschlechterunterschiede herrschen noch immer
in den Köpfen junger Menschen. Entsprechend
tradierter Rollenmuster suchen Mädchen ihren
Traumberuf im medizinischen, sozialen und
kaufmännischen Bereich, wohingegen Jungs
technische und handwerkliche Berufe vorziehen.
Häufig werden diese Rollenstereotypen von den
Vorstellungen der Eltern und dem sozialen Umfeld
mitgetragen. Einkommen in frauen- und männerdominierten Branchen fallen unterschiedlich
aus: Bereiche, in denen Verantwortung für den
Menschen übernommen wird, werden gesellschaftlich schlechter bewertet als Branchen mit Verantwortung für Technik – und damit auch schlechter
entlohnt. Warum also nicht mal anders?
Weg von veralteten Geschlechterstereotypen –
dafür braucht es Einblicke in Berufe fernab von
geschlechtsspezifischen Rollenvorstellungen. Der
Aktionstag Girls’Day gibt Mädchen die Möglichkeit, typische Männerberufe kennenzulernen und
praktische Eindrücke zu sammeln – er ist damit
ein wichtiger Baustein in der Berufsfindung. Am
Mädchen-Zukunftstag öffnen Unternehmen und
Organisationen ihre Türen und bieten Einblicke
in Berufe in Technik, IT, Handwerk und Naturwissenschaften. 2014 erkundeten rund 103.000
Mädchen, die mehr als 9.000 Angebote von
Unternehmen und Organisationen. Und der Girls‘
Day zeigt seine Wirkung: Laut Bundesagentur für
Arbeit wachsen die Beschäftigtenzahlen der Frauen
in vielen männerdominierten Berufsgruppen. Der
Frauenanteil unter den Studierenden, die z. B. ein
Ingenieurstudium begonnen haben, ist erneut
gestiegen und erreicht einen Höchstwert von 24
Prozent. Vielleicht ist auch Lena bald mit dabei und
zeigt, dass es auch anders geht.
Ausgabe Nr. 1 – März 2015
23
DGB-BUNDESVORSTAND | Entgelt bezahlt | Postvertriebsstück A 14573
Recht auf Mehr! Am 20. März ist Equal Pay Day
Aufruf zur Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin
Noch immer durchschnittlich 22 Prozent weniger Entgelt als Männer – für gleiche oder
gleichwertige Arbeit. Das ist die Realität für erwerbstätige Frauen in Deutschland.
Damit ist die Entgeltlücke hierzulande nahezu konstant und größer als in den meisten
EU-Ländern. Auch wenn Frauen genauso viel und genauso gut arbeiten wie ihre männlichen Kollegen, ihr durchschnittliches Entgelt ist weiter deutlich geringer. Das muss sich
ändern. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutsche Frauenrat und der Sozialverband
Deutschland (SovD) rufen am 20. März 2015 von 12 bis 13 Uhr zu einer gemeinsamen
Kundgebung am Brandenburger Tor auf.
Unter dem Motto: „Frauen haben ’Recht auf Mehr’“ fordern sie:
ndie
Einhaltung bestehender Tarifverträge und die korrekte Anwendung des
gesetzlichen Mindestlohns als Lohnuntergrenze, weil Frauen besonders häufig
für Dumpinglöhne arbeiten müssen.
neinen
Rechtsanspruch auf Rückkehr aus Teilzeit- in Vollzeitbeschäftigung,
damit Frauen nach einer familienbedingten Reduzierung ihre Arbeitszeit
wieder aufstocken können.
ngesetzliche Regelungen zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit, damit Unternehmen
verpflichtet werden, ihre Entgeltpraxis geschlechtergerecht zu gestalten.
nalle
Arbeitsverhältnisse sozial abzusichern, um alle Arbeitnehmer/innen bei der Durchsetzung ihres Anspruches auf Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und vieles
andere mehr zu unterstützen.
Redner/innen auf der Kundgebung sind: Reiner Hoffmann, Vorsitzender des DGB,
Mona Küppers, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, Edda Schliepack,
Mitglied im Präsidium des SoVD, Manuela Schwesig, Bundesministerin Familien, Senioren,
Frauen und Jugend sowie Vertreter/innen der im Bundestag vertretenen Parteien.
IMPRESSUM
Herausgeber: Deutscher Gewerkschaftsbund / Bundesvorstand
Abteilung Frauen, Gleichstellungs- und Familienpolitik
Henriette-Herz-Platz 2 · 10178 Berlin · www.frauen.dgb.de
verantwortlich: Elke Hannack, Anja Weusthoff
Redaktion: Britta Jagusch, Frankfurt
Titelbild: Robert Kneschke / fotolia.com
Satz, Grafik und Druck: PrintNetwork pn GmbH, Berlin
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