Denkraster für die Organisationsentwicklung

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Sa./So., 28./29. März 2015
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„Reinventing Organizations“: rasanter Wandel,
volatiles Umfeld: Wie können Organisationen
da zukunftsfit gemacht werden? Ein Überblick
über neue Modelle und mögliche Brücken
zwischen Altem und Neuem.
Johannes Schneider
Wien – Es sind mindestens 20 Jahre vergangen, seitdem mit der
Prozess- und Projektorganisation
zwei Organisationsparadigmen eine substanzielle Breitenwirkung
in der Praxis entfaltet haben. In
der Zwischenzeit hat sich das
Unternehmensumfeld dramatisch
verändert, wobei aber nur wenige
Unternehmen diesen Wandel in
ihren Organisationen reflektieren.
Zuletzt erfuhr das Buch Reinventing Organizations von Frederic
Laloux breitere Aufmerksamkeit,
welches ein innovatives Organisationsmodell vorschlägt. In der
kommenden Woche erscheint die
deutsche Ausgabe – Anlass für die
Frage, welche Denkraster vorausschauenden Managern zur Verfügung stehen, um ihre Organisationen in einem sich rasant verändernden Umfeld zukunftsfit zu gestalten.
Der für die Organisationsgestaltung relevanteste Gedanke bei Laloux ist jener des „Selbstmanagements“. Dieser geht mit der Abschaffung hierarchischer Strukturen, der weitgehenden Dezentralisierung von Funktionsbereichen
(HR, IT, Finance) sowie dem umfangreichen Einsatz von PeerFeedback einher. Ein klarer Rahmen der Interaktion, insbesondere zur Entscheidungsfindung und
Konfliktlösung, ist dafür Voraussetzung.
Neben der Theorie beschreibt
Laloux zwölf Unternehmen unterschiedlicher Größe in verschiedenen Industrien, die gerade wegen
eines starken Selbstmanagements
kommerziell überdurchschnittlich erfolgreich sind. Allerdings
tragen diese Unternehmen den
Nukleus eines alternativen Organisationsmodells seit der Gründung in sich. Das Verständnis, wie
hingegen ein bestehendes Unternehmen erfolgreich transformiert
werden kann, steckt derzeit – das
merkt Laloux selbst an – noch in
den Kinderschuhen.
Selbstmanagement propagiert
auch das vom US-Entrepreneur
Brian Robertson entwickelte „Holacracy“-Konzept. Zentrales Element
ist dabei, dass sich Mitarbeiter in
unterschiedlichen thematischen,
„Kreisen“ selbst organisieren. In
diesen Kreisen fallen Entscheidungen unter Einbeziehung der
Stimmen aller Beteiligten. Wie
Entscheidungen genau zustande
kommen und wie diese Kreise miteinander interagieren, ist in einer
umfangreichen „Verfassung“ geregelt. Holacracy wurde mittlerweile aus unterschiedlichen Gründen kritisch reflektiert, unter anderem deshalb, weil bislang noch
kein Unternehmen substanzieller
Größe Holacracy als Organisa-
tionsprinzip anwendet (mit Ausnahme eines US-amerikanischen
Online-Schuhhändlers mit 1500
Mitarbeitern).
Das Denkraster der Ambidextrie („Beidhändigkeit“) geht davon
aus, dass Unternehmen im aktuellen Umfeld zwei Dinge gleichzeitig beherrschen müssen. Nämlich
„Exploration“ einerseits, das Erschließen neuer Geschäftsmodelle und Wachstumsfelder, und „Exploitation“ andererseits, was etwa
Perfektionierung des Bestehenden bei Optimierung der Kostenstruktur meint. Die damit vorprogrammierten Spannungsfelder versucht die „strukturelle Ambidextrie“ aufzulösen. Sie fordert eine gesellschaftsrechtliche bzw. räumliche Trennung von Exploration
und Exploitation sowie unterschiedliche Steuerungsmechanismen. Eine derartige Trennung gibt
gerade in Konzernstrukturen neuen Ideen eine Chance auf Entwicklung, kann mittelfristig aber auch
zu Isolation und AuseinanderdrifAuseinanderdrif
ten führen.
Das Paradigma der Netzwerkorganisation sieht vor, dass Aufgaben dauerhaft jener Stelle zugewiesen werden, die für deren
Bewältigung am besten geeignet
ist. Wenn es die Lösung eines Problems erforderlich macht, kann
ein Netzwerk flexibel und leicht
angepasst werden. Gerade wissensbasierte Dienstleister wie
Softwarehersteller oder internationale Unternehmensberater arbeiten nach dieser Logik. Bei allen
Schwierigkeiten der Koordination
und dem Risiko von Redundanzen
kann mit netzwerkartigen Strukturen einigen organisatorischen
Kernherausforderungen sinnvoll
begegnet werden: Sie sind weitgehend kompatibel mit bereits
bestehenden organisatorischen
Strukturen, machen die Frage von
„zentral“ vs. „dezentral“ obsolet
und erlauben die Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg.
Aus den vorgestellten Zugängen wird das Dilemma klar, in dem
sich der vorausschauende Manager wiederfindet: Zum einen sind
aktuell diskutierte Organisationskonzepte in Hinblick auf die Unternehmensrealität nur bedingt
anschlussfähig und haben noch
einen geringen Grad der Operationalisierung. Zum anderen ist ein
Zuwarten im aktuellen Umfeld
keine Option. Ein möglicher Ausweg ist, sich an Gestaltungsprinzipien zu orientieren, die eine
Brücke zwischen Erprobtem und
Neuem schlagen:
Keine Organisation ohne Strategie
Beides geht jedenfalls Hand in
Hand, und es ist ein grundlegender Fehler, das eine oder das andere denken zu wollen. Wenn ein
Maschinenbauer auch im Wartungsgeschäft punkten will, wird
das nur funktionieren, wenn er
das auch entsprechend organisatorisch umsetzt.
Klare Spielregeln Dass Regeln der
Interaktion klar sein müssen, ist
kein Spezifikum selbstmanagender Organisationen. Jede Organisation braucht explizite Formen
des Umgangs miteinander, präzise Konfliktlösungsmechanismen
und ein Abstecken von Verantwortungsbereichen. Grundlegend
gilt, dass mit steigender Umweltkomplexität die Regeln der Koor-
dination einfacher und nicht komplizierter werden müssen.
Breite Rollen schaffen Flexibilität
Verantwortungsbereiche dürfen
keinesfalls zu eng gesetzt sein –
gerade wenn es darum geht, Neues zu erproben und flexibel auf
Kundenanforderungen zu reagieren. Das bedeutet bei marktnahen
Aufgaben und volatilen Umfeldern auch Dezentralisierung als
Grundannahme. Das steht nicht
im Widerspruch zur Zentralisierung weniger marktnaher Aktivitäten zur Steigerung von Effizienz.
Interne Durchlässigkeit sichern
Im Sinne der „Beidhändigkeit“ sowie des Netzwerkgedankens lässt
eine zukunftsfitte Organisation
Funktionen und Aufgaben zu, die
über das reguläre Tagesgeschäft
hinausgehen. Das betrifft sowohl
die temporäre Mitarbeit an Projekten als auch die Wahrnehmung
einer Rolle in einem Netzwerk.
Diese „Doppelrollen“ machen Unternehmen durchlässig für neue
Ideen.
Externe Anschlussfähigkeit ausbauen Im aktuellen Umfeld verschwimmen Unternehmens- und
Industriegrenzen zunehmend. In
der Pharmaindustrie sind Allianzen längst gängige Praxis. Diese
werden auch in anderen Branchen
eine immer wichtigere Rolle spielen. Die zukunftsfitte Organisation verfügt über Teams und
Steuerungsmechanismen, die es
ermöglichen, über Unternehmensgrenzen hinaus aktiv zu
sein.
JOHANNES SCHNEIDER ist Senior Ma-
nager bei der Contrast ManagementConsulting GmbH.