„ES GIBT VIEL SCHAT TEN, ABER AUCH LICHT“

Sterben in Pflegeheimen. Die Gießener Sterbestudie 2014 offenbart
erhebliche Defizite bei der Betreuung Sterbender in deutschen Pflegeheimen.
Wir sprachen mit Studienleiter Prof. Dr. Wolfgang George über die
Problemlagen und seine Wünsche für die Zukunft.
Foto: dpa/Sueddeutsche Zeitung Photo
„ES GIBT VIEL SCHAT TEN,
ABER AUCH LICHT“
Interview mit Prof. Wolfgang George
GIESSENER
STERBESTUDIE 2014
An der aktuellen Umfrage des Leiters des
Projektbereichs für Versorgungsforschung
am Gießener TransMIT-Zentrum, Wolfgang
George, nahmen rund 3 000 Mitarbeiter
aus etwa 500 Pflegeeinrichtungen in ganz
Deutschland teil. Ziel der Erhebung war
es, die pflegerische, medizinische und psychosoziale Versorgungssituation Sterbender in stationären Pflegeeinrichtungen aufzuzeigen. Zur Messung der Bedingungen
wurden unter anderem die Sachverhalte
Zeit, Ausbildung, Angehörigenintegration
und Kommunikation analysiert. Bereits im
vergangenen Jahr hatte die Gießener
Sterbestudie 2013 deutliche Defizite in der
Versorgungsqualität Sterbender in
deutschen Krankenhäusern offenbart.
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Wo liegen die Hauptprobleme bei
der Versorgung Sterbender in stationären Pflegeeinrichtungen?
Es gibt ganz klar ein Ressourcenproblem. Für eine angemessene Versorgung fehlt den Pflegenden wegen
der unzureichenden Personalausstattung vor allem Zeit, häufig aber auch
die notwendige Qualifikation. Unsere Erhebung zeigt zudem große Defizite in der Kommunikation. Hier
mangelt es oft an einer adäquaten
Kultur. Gerade am Lebensende
brauchen Gespräche mit Sterbenden
und deren Angehörigen eine professionelle Ausrichtung.
Inwiefern beeinflussen Größe und
Trägerschaft die Sterbesituation?
Nach unseren bisherigen Ergebnissen – die schon eine gute Baseline
ergeben – bieten die kleinen Einrichtungen auf dem Land mit 20 bis
100 Pflegeplätzen bessere Bedingungen. Auch kommunale und freigemeinnützige Heime stellen sich
insgesamt als die entwickelteren
Sterbeorte dar.
Und wo ist die Sterbequalität am
schlechtesten?
In der Regel in großen Einrichtungen in der Stadt mit mehr als 100
Betten. Unsere Befunde zeigen zudem eine problematische Tendenz
bei den privaten Trägern. Zahlreiche
dieser Einrichtungsträger konnten
wir trotz stetiger Ansprache nicht
erreichen.
Wo sehen die Pflegekräfte den größten Nachholbedarf, um Patienten
ein würdevolles Lebensende zu ermöglichen?
Was oft nicht gut gelingt, ist die Zusammenarbeit mit den Angehörigen,
anderen regionalen Partnern und der
Laienhilfe. Des Weiteren fehlt den
Pflegenden oft eine belastbare Ausbildung zur Begleitung Sterbender.
Sie haben im vergangenen Jahr bereits die Sterbebedingungen in deutschen Krankenhäusern untersucht.
Wie unterscheidet sich die Qualität
des Sterbens in Kliniken und Heimen?
Die äußeren Voraussetzungen wie
zum Beispiel die Räumlichkeiten
Die Schwester Der Pfleger 54. Jahrg. 1|15
Fotos: iStockphoto, J. Kristen
Herr Professor George, wen haben
Sie in Ihrer aktuellen Studie befragt?
In diesem Jahr waren es vor allem
Pflegende. Mit ihrer Hilfe wollen
wir Licht ins Dunkel bringen. Denn
bisher weiß keiner genau, wie in
deutschen Pflegeheimen tatsächlich
gestorben wird.
Bilden + Forschen
sind in Heimen geeigneter als in den
Krankenhäusern. So wird Sterbenden in stationären Pflegeeinrichtungen zumeist ein Einzelzimmer zur
Verfügung gestellt. Das ist ein eher
überraschender Befund, der aber
zeigt, dass hier nicht am falschen
Ende gespart wird. Die Heimkräfte
wünschen sich aber auch mehr helfende Hände. Die Arbeit von Hospizgruppen ist hier bei weitem nicht
so präsent wie in den Kliniken. Die
Transparenz muss durch Einbindung Dritter erhöht werden.
Das neue Pflegestärkungsgesetz von
Bundesgesundheitsminister Gröhe
sieht ab dem kommenden Jahr bis zu
20 000 zusätzliche Betreuungskräfte
in der stationären Pflege vor. Reicht
mehr Personal allein aus, um die Versorgung Sterbender zu verbessern?
Bestimmt ist ein Mehr in diesem
Fall mehr als notwendig. Die Personaldecke ist zu kurz. Jedoch muss genau darauf geachtet werden, wo die
zusätzlichen Helfer eingesetzt werden. Wichtig sind sie in jedem Fall
in der Angehörigenintegration, im
Netzwerkaufbau und bei der Schaffung von Communities für die Palliativarbeit.
Was müsste die Politik darüber hinaus noch tun?
Grundsätzlich sind die Probleme der
Pflege im Bewusstsein der Politiker
angekommen. Allerdings müssen sie
die primären Systeme wie die niedergelassenen Hausärzte, die Pflegedienste vor Ort und die regionalen
Netzwerkpartner stärker fördern.
Das gehört auf ihre Agenda und weniger die Entwicklung neuer Spezialtruppen.
Was wünschen Sie sich für die Pflegenden?
Ganz klar mehr Wertschätzung für
ihren täglichen Einsatz. Dieser verdient nicht nur mehr Geld, sondern
vor allem auch mehr soziale Anerkennung. Hier muss unsere Gesellschaft noch viel nachholen.
Und für die sterbenden Bewohner?
Wir müssen für ein menschenwürdiges Sterben eine Kultur des Zuhauses etablieren. Sowohl das KrankenDie Schwester Der Pfleger 54. Jahrg. 1|15
„PFLEGENDEN FEHLT FÜR EINE
ANGEMESSENE VERSORGUNG STERBENDER
BEWOHNER OFT DIE ZEIT“
haus als auch das Heim können Orte
sein, in denen ein solches Gefühl
durch gelebte Praxis vermittelt wird.
In vielen Krankenhäusern und natürlich auch Pflegeheimen sind wir
schon auf einem guten Weg.
Planen Sie eine Fortsetzung Ihrer
Studie?
Momentan sind wir noch im laufenden Verfahren der aktuellen Erhebung. Zur vollständigen empirischen
Auswertung stehen noch Umfrageergebnisse von Partnern aus verschiedenen Bundesländern aus.
Dennoch können wir mit dem bisherigen Datenkörper mit aktuell bereits über 4000 Teilnehmern aus
Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern schon einige interessante
Fragen zur Beantwortung bringen.
Das heißt?
Beispielsweise sieht die Versorgungssituation in ländlich geprägten
Bundesländern etwas besser aus als
in den städtisch dominierten. Aber
das muss auch mit Vorsicht gesagt
werden. Insgesamt sind die Gemeinsamkeiten stärker als die Unterschiede. Auch lohnt es sich, die Einrichtungen mit besonders guter und diejenigen mit besonders unzureichender Betreuung einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.
In den alten Bundesländern ist die
ärztliche Versorgung noch immer
schlechter als im Westen. Gibt es ein
solches Ost-West-Gefälle auch bei
der Sterbequalität?
Das haben wir in unserem bisherigen
empirischen Aufschlag nicht feststellen können. Das soll aber nicht
heißen, dass es das nicht gibt.
Wann wird die Studie abgeschlossen
sein?
Die Datenerhebung im ersten Quartal des kommenden Jahres.
Herr Professor George, vielen Dank
für dieses Gespräch.
Das Interview führte
Johanna Kristen.
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