Jürgen Fohrmann - Aktuelles aus der Universität Bonn

Jürgen Fohrmann: Rede zum Rektoratswechsel 2015, 29. April 2015, Aula
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Erlauben Sie mir nach der ausführlichen persönlichen Ansprache durch Prof. Engels, unserem
Hochschulratsvorsitzendem, einfach zu sagen:
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich möchte Sie im Namen der Universität alle sehr herzlich begrüßen. Ich freue mich, dass Sie uns
heute die Ehre geben, unsere Gäste zu sein.
Lassen sich mich mit einem Zitat beginnen:
Man wählte […] vornehme Herren […] zu Rektoren, aus Höflichkeit oder weil man von ihnen
Gunstbezeugungen erwartete. Die Geschäfte zu erledigen, wurde ihnen wohl erspart, später,
schon im 16. und 17. Jahrhundert, erhielten sie dazu offiziell einen Professor als Beistand,
den Pro- oder Vicerektor. […] Gewöhnlich wurde der Rektor aus den einzelnen Fakultäten
abwechselnd gewählt und zwar fast überall nur auf ein halbes Jahr. Seine Stellung war eine
außerordentlich vornehme. In Köln kam er im Range gleich nach dem Erzbischof, in Frankfurt
ließ Kurfürst Joachim ihn zu seiner Rechten gehen. Sein Titel war […] Magnificus, in
deutscher Sprache wohl auch ‚Durchlaucht‘. Bei öffentlichen Akten erschien er, begleitet von
den Pedellen, in feierlicher Amtstracht. […] Doktoren und Scholaren holten den alten und den
neuen Rektor [beim Amtswechsel] aus ihren Wohnungen ab und begaben sich im festlichen
Zuge nach der […]kirche. Voran ging ein Diener, der auf einem Stabe das Barett des Rektors
trug. In der Kirche hielt ein Magister eine Lobrede auf den Neuerwählten. Darauf setzte der
alte Rektor dem neuen das Barett auf das Haupt, überreichte ihm den silbernen Stab, das
Zeichen seiner Macht, und die Statuten der Universität, ‚damit er wisse, welche Last er
übernähme‘.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich bin sicher: Sie haben in dieser Beschreibung, die aus dem Jahre 1924 stammt und die einen tiefen
Blick in die deutsche Vergangenheit eröffnet, unschwer die Amtsführung des nun scheidenden
Rektorats und den heutigen Amtswechsel wiedererkannt! Vielleicht mit Ausnahme des Umstands,
dass die Amtszeit nun 12 mal 6 Monate gedauert hat.
Obwohl, wie Sie ja gehört haben, die Geschäfte zu führen, mir eigentlich erspart blieb, denn ich hatte
Prorektoren, finden Sie eine kleine Zusammenfassung einiger solcher Geschäfte der 12 mal 6 Monate
– natürlich nicht nur meiner, sondern der der gesamten Universität – in gedruckter Form nach der
Veranstaltung am Ausgang der Aula. Damit ist fast alles gesagt, und ich habe daher die Lizenz – und
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Emil Reicke, Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit, Köln 1924, S. 30
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natürlich auch, weil meine Stellung eine außerordentlich vornehme ist – zum Abschied etwas freier zu
reden und nur einige Aspekte zu beleuchten.
Meine Damen und Herren:
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„Großbau ohne wirkliche Kooperation ist lebensgefährlich“ – so formuliert es Alexander Kluge in der
„Chronik der Gefühle“, und er hat recht.
Dass es sich bei der Universität Bonn um einen Großbau handelt, wird niemand bestreiten können.
Nicht nur, weil hier groß gebaut wird und weil uns die Baumaßnahmen kontinuierlich beschäftigen und
weil sie eigentlich immer zu teuer sind. Und nicht nur, weil solcher Großbau auch ein Großthema einer
stets interessierten Öffentlichkeit ist. Sie alle wissen, dass der Campusausbau in Poppelsdorf, in
Endenich, auf dem Venusberg, in Klein Altendorf und in der Bonner City enorme Anstrengungen und
Ressourcen erfordert und noch erfordern wird. Aber wir sind hier dank aller Beteiligter ein gutes Stück
vorangekommen.
Es ist ein Großbau, weil es sich um ein weit verzweigtes Geflecht handelt. Ich will zur
Veranschaulichung ein Bild aus der Botanik benutzen und diesen Großbau als ein Rhizom
bezeichnen, ein komplex verzweigtes Wurzelwerk, dessen Mittelpunkt, wenn es ihn denn gibt, schwer
auszumachen ist. Zwar gibt es vertikale Strukturen, die sogenannte Linie in der Verwaltung, die
Zuständigkeiten des Rektorats, die Organisation der Fakultäten und Einrichtungen usw. Aber diese im
Grunde sehr eingeschränkte Vertikalität, die man durch Schwerhörigkeit oder Phlegma auch
weitgehend paralysieren kann, greift nur, wenn sie in das Rhizom, und das heißt: in die vernetzten
Strukturen hinein- und aus diesen wieder heraus wirkt. Das ist nicht trivial. Denn es setzt zuallererst
voraus, dass eine solche Wirkung überhaupt entfaltet werden soll. Das ist, wie die Lebenserfahrung
oder Gremien lehren, nicht selbstverständlich. Es gibt auch ein habituelles Ausharren, eine lähmende
Uninspiriertheit, die jeden Enthusiasmus austreibt.
Als Rektorat haben wir uns zur Aufgabe gemacht, Wirkungen in diesem Rhizom und Wirkungen
dieses Rhizoms zu ermöglichen. Dies ist – diese Aussage wird niemanden überraschen – sowohl
gelungen als auch nicht immer oder nicht immer schon gelungen.
Einer der Gründe für beides liegt sicherlich daran, dass Universitäten Gebilde sind, die durchaus
gegenläufige Prinzipien mit- und eben auch gegeneinander ausagieren. Als Institutionen des
Wissenschaftssystems sind sie Teil der Gesellschaft (nicht ihr anderes!), auf sie wirken andere
Teilsysteme der Gesellschaft mit Anforderungen, die unterschiedlichen Prinzipien und Kräften
entstammen, ebenso ein, wie die Wissenschaft auf diese anderen Teilsysteme wiederum selbst
Einfluss zu nehmen sucht. Gegenläufig sind sie, weil sie erstens hierarchisch, in den Hierarchien aber
zweitens bündisch, also auf Konsens ausgerichtet sind. Sie sollen drittens aber auch partizipativ sein,
wobei die Partizipation nicht leicht mit den verteilten und gewichteten Verantwortlichkeiten und
Kenntnisständen zusammenzubringen ist. Universitäten sind zwar demokratisch legitimierte
Institutionen, sie bilden aber nur in Teilen Grundprinzipien einer Beteiligungsdemokratie ab. Denn
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Alexander Kluge, Chronik der Gefühle, 2 Bde., Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000, Bd. 2, S. 467.
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Universitäten sind heute viertens Orte professionalisierter Organisation, im Idealfall vollständig
sachorientierter Entscheidungen, die ein Höchstmaß an Information und Expertise voraussetzen, das
nicht von allen und mit allen geteilt werden kann. Sie sind fünftens auch Orte der Ausbildung wie
Bildung, sechstens der Laufbahn, des beruflichen wie wissenschaftlichen Erfolgs, siebtens eines Lehrwie Forschungsimperativs, aber auch achtens der Kultur und neuntens einer Kultur der Geselligkeit,
um diesen alteuropäischen Ausdruck zu benutzen. In diesem Rhizom kreuzen sich die Wege, die in
ihnen verbreiteten Informationen, die Räume und Infrastrukturen der Kommunikation.
Die Universität hat in den letzten 6 Jahren mit dieser Grundeinsicht eines in sich komplexen und in
Teilen gegenläufigen Gebildes mit nur schwer oder gar nicht aufeinander abbildbaren Funktionen auf
vielfache Weise umzugehen versucht. Es hat ein eigentlich nie beendetes Wechselspiel zwischen
zentralen und dezentralen Aufgaben, zwischen Regulierung und Deregulierung gegeben. Das neue
Verhältnis etwa zwischen Fakultäts- und Rektorats- Budgetkompetenzen, das vom Vorgängerrektorat
bereits beschlossen und in ersten Schritten eingeführt war, ist zu bespielen versucht worden. Vor- und
Nachteile gegeneinander abzuwägen, bedürfte eines separaten Vortrags. Die zentrale Verwaltung ist
mit drei neuen Dezernaten (übrigens fast kostenneutral) erweitert und zugleich reorganisiert, es sind
neue Gremien geschaffen worden. Sie verbessern die Verzahnung zwischen den Fakultäten und mit
der zentralen Verwaltung, richten auch alte Aufgaben korporativ-bündischer Strukturen (also etwa:
studentische Beteiligung) neu aus, weil der Senat dies in seiner überkommenen Funktion längst nicht
mehr zu leisten vermag. Dies war sowohl für die Lehre als auch für die Forschung von sehr großer
Bedeutung. Nur so konnten die Konsolidierung und Weiterentwicklung der neuen Studienstruktur mit
135 Studiengängen, mit wieder eingeführtem Lehramt und doppeltem Abiturjahrgang überhaupt
geleistet werden. Zudem ist die Binnenstruktur zwischen den professionalisierten Aufgabenbereichen
etwa im Studien-, Budget- und IT-Management, aber auch in vielen anderen Feldern aufgebaut und
durch Informationssysteme unterstützt worden. Es sind neue Kommunikationsorte, etwa im
Studierendensekretariat, in unserem Info-Punkt mit FAZ-Café geschaffen worden – um nur einige
Beispiele zu nennen. Und wir haben versucht, mit der Flexibilisierung von Laufbahnen auf allen
Stufen, mit Doktorandenprogrammen und -karrieren, mit neuen Berufungsverfahren und ihrer
Qualitätssicherung, mit Tenure-Track-Modellen und Personalentwicklung, mit Gleichstellung und
Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf die veränderten Wissenschaftssystem- wie
Umweltbedingungen konstruktiv zu reagieren.
Bei aller Differenzierung und Optimierung von Strukturen dieses in sich vielfältigen und oft gegenläufig
verankerten Rhizoms ‚Universität‘ geht es aber eigentlich immer, oder sollte ich sagen: immer noch,
um die Begegnung zwischen Menschen. Es geht damit um Räume des Formellen wie Informellen. Ein
Credo dieses Rektorats war, die Räume des Informellen zu bewahren. Wir waren der Meinung, dass
wir dort, wo wir Gesetze haben, an die sich auch ein verständiger Rheinländer, eine verständige
Rheinländerin halten mag, einen Code of Conduct oder Compliance-Regeln nicht wirklich benötigen;
dass wir dort, wo Vertrauen mehr motiviert als Regelung, keine Zielvereinbarungen brauchen.
Selbstverständlich geht es bei aller Knappheit der Ressourcen (der monetären wie der symbolischen)
immer auch um Selbstsorge, Macht, um Kräfteverhältnisse. Aber es war durchaus eine unser
Konzept verstärkende Erfahrung, dass neben allen Anreizsystemen, die wir auch verschiedentlich
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variiert haben und auf Grund finanzieller Situationen variieren mussten, persönliche und
wissenschaftliche Wertschätzung bei allen Rufabwendungsgesprächen und bei der Gewinnung neuer
Kolleginnen und Kollegen eine sehr hohe Stellung einnahm. So haben wir in den letzten 6 Jahren fast
90 Prozent aller Bleibeverhandlungen für Bonn entscheiden können. Wir konterkarieren damit einen
bestimmten Rationalitätstyp, der wohl zwangsläufig dadurch entsteht, dass das Rhizom ‚Universität‘
weiter wächst, einen internen wie extern motivierten und veranlassten Ausdehnungsimperativ hat und
damit zugleich aber auch eine höhere Regelungsdichte mit sich bringt. Dies ist immer die Stunde
formalisierter Verfahren, deren Quantitätsauswertungen vermeintlich ein klares, evaluiertes Bild
ergeben und ein besonderes Maß an Gerechtigkeit zu verbürgen scheinen.
Aber dies ist nur die eine Seite der Medaille. Denn es gibt in sozialen Gebilden neben der monetären,
formalen Ökonomie der Zahlen oder Bezahlungen immer auch noch mindestens eine zweite Form
sozialer Reziprozität. Sie ist viel unfassbarer; ihre Deliberation von Äquivalenz und Gerechtigkeit
variiert kulturell und reicht dabei tief in unsere Vor- und Stammesgeschichte zurück. In den nicht
ideologisch oder kleinbürgerlich geprägten Diskussionen über Arbeitsverhältnisse, rechtliche
Gleichbehandlung und Gleichstellung, Belastungen, Hilfestellungen und
Unterstützungsnotwendigkeiten, die wir als Rektorat auch immer wieder geführt haben, ist dies mehr
als deutlich geworden. Diese Ökonomie zu bewahren, ihren emotionalen Kern, ihre Erfolge wie
natürlich auch Enttäuschungen sowohl zu feiern als zu ertragen, erscheint mir als ein hohes Gut, und
es ist ein Fehler einer einseitig und vermeintlich tradeunionistisch ausgerichteten Politik, auch dies
noch vertraglich regeln zu wollen. Wir haben – und wir müssen es aus meiner Sicht in Zukunft noch
viel mehr – auf diese Bedarfe nicht mit Regulierung, sondern mit Infrastrukturen zu reagieren, die für
alle Beteiligten Ermöglichungsräume eröffnen.
Wenn die ‚Universität‘ also ein solches Geflecht, ein solches Rhizom ist, dann entfaltet es sich, um im
Bild zu bleiben, stets als ein mehrfach gestaffeltes Wurzelwerk. Es geht somit auch um
Ausdehnungen und ihre Bewältigung, um Rahmungen und ihre sowohl kognitive als auch soziale
Wahrnehmung.
Da ist einmal die Institution selbst, vom Rektorat aus startend das Büro, die Zentralverwaltung und der
Kanzler, eigentlich die alte ‚camera‘; dann die Fakultäten, die zentralen Einrichtungen; dann die
anderen Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen; dann die
städtische, regionale und überregionale Öffentlichkeit; schließlich die nationalen wie internationalen
Beziehungen. Oft geht es um gruppenspezifische, allerdings stets auf die Universität bezogene
Belange, Ansprache und Förderung, etwa in der „Jungen Universität“ für die Schulen; oder die
Freunde und Förderer, die Alumni stehen im Mittelpunkt; regional bemühen wir uns um das städtische
Bürgertum mit einer Vielzahl von Veranstaltungen, auch Festen, also einer breiten Teilhabe am
öffentlichen Leben. Sodann geht es um die Beziehungen zur Wirtschaft, zum Handel und zum
Handwerk; Ergebnis war eine ganze Reihe von Kooperationen. Dann ging und geht es um die
Vernetzung vor Ort als gemeinsamer Wissenschaftsregion; dem entsprach unsere Gründung des
„Forum internationale Wissenschaft“ mit der Dahrendorf-Professur und der Dahrendorf-Bibliothek als
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Startpunkt, des „Internationalen Kollegs“ in Kooperation mit dem DAAD und des gemeinsam mit der
Stadt Bonn betriebenen Liaison Office und vielen weiteren gemeinsamen Initiativen mit den
Drittmittelförderorganisationen vor Ort, besonders der DFG, die Kooperation mit den UNOEinrichtungen, auch der United Nation-University und unserem weltweit erstem Joint Master
Programm. Sodann die überregionale Vernetzung in der Rheinregion mit unseren universitären
Nachbarn aus Aachen, Düsseldorf und Köln und anderen Forschungspartnern, der Helmholtz- und der
Leibniz-Gemeinschaft, Max Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft in einer Reihe gemeinsamer
Berufungen, einer gemeinsamen Nutzung von Ressourcen und förmlicher Kooperationen. Und
international der Zusammenschluss und der Ausbau von Beziehungen in einer Vielzahl von
Partnerschaften, Austauschen, gemeinsamen Konferenzen, Sommerschulen und
Gastgeberfunktionen (die Universität Bonn ist etwa an Platz 4 der Beliebtheitsskala für Stipendiaten
und Preisträger der Alexander von Humboldt-Stiftung). Neben den guten Beziehungen zu unseren
europäischen Nachbarn waren die Kontakte zu China, Japan, Brasilien, den USA, auch Kanada einige
Schwerpunkte meines Rektorats. Dazu treten die notwendigen Interessenvertretungen in der Landesund in der Hochschulrektorenkonferenz, im Zusammen- und manchmal Gegenspiel zur Politik, im
Beitritt zur, ja ich weiß, umstrittenen Verbindung „German U15“. Alle diese Ausdehnungen stellen
zugleich Rahmungen dar, die bedacht und beschickt werden müssen.
Zunächst kann man zu Fuß gehen. Der kürzeste Weg ist zwischen den Schreibtischen im Büro und zu
den Büros der Mitarbeiter. Und dann zum Büro des Kanzlers; und dann zu den angerainten Räumen.
Also zu Fuß: Ich habe gleich zur Beginn meiner Amtszeit versucht – und dies gilt selbstverständlich
auch für die Prorektoren in ihren spezifischen Aufgabenbereichen – jeden Mitarbeiter der
Zentralverwaltung persönlich kennenzulernen. Dies ist zwar nicht flächendeckend gelungen, aber
doch zu einem guten Teil. Es geht um Blickkontakt, wechselseitige persönliche Ansprache, es geht
um Atmosphäre. Es geht um das Aufbrechen sinnloser Versäulung: hier die Verwaltung, dort die
Wissenschaft. Dieses Aufbrechen mögen nicht alle, aber es ist doch weitgehend gelungen. Insofern ist
es gut, zu Fuß zu gehen.
Fakultäten sind schon misstrauischer, wenn der Rektor anklopft. Es soll wahrscheinlich wieder etwas
zentral verfügt, zentral geregelt werden, und dies vermeintlich immer zum Nachteil der Fakultät oder
einzelner Institute. Nichts ist so lebendig wie diesbezüglich kursierende Gerüchte, die sich noch
einmal diversifizieren, wenn sie die Studierenden erreichen. Demzufolge sollte Bonn auch schon
einmal Technische Hochschule werden. Fama mala.
Fakultäten benötigen eigentlich kein Rektorat oder nur dann, wenn man in der eigenen Fakultät gegen
die eigene Fakultät als Kollege oder als Dekan Rückendeckung braucht oder zusätzliche Ressourcen.
Dies ist die alte Tradition, die ich eingangs zitierte, und eigentlich ist gegen sie ja auch nur wenig zu
sagen. Leider reicht diese Haltung aber nicht mehr aus. Dies hängt mit den Ausdehnungen, den
Reichweiten zusammen, die ich benannt habe. Die Universität ist seit wenigen Jahrzehnten mehr als
die Ansammlung mehr oder weniger berühmter Forscher und von ihnen angezogener Studierender;
sie ist ein Gesamtsubjekt, ein in sich differenziertes, ein in sich ungleich gewichtetes, aber ein
Gesamtsubjekt.
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Als solch in sich differenziertes Subjekt hat die Universität Fachkulturen ausgebildet, die wir als
solche zu akzeptieren und da zu stärken versucht haben, wo dies die internationale
Konkurrenzfähigkeit und das So-Sein der Fächer erforderten, also etwa in neuen DepartmentStrukturen, besonderen Karrierewegen, infrastrukturellen Erfordernissen. Ihrerseits bilden in ihrer
überregionalen Fachvernetzung die einzelnen Fächer und ihre Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler durchaus zentrifugale Kräfte, die sich nicht an der eigenen Universität orientieren. Der
Versuch, von einem übergeordneten Standpunkt zwischen den Fächern Äquivalenzen festzustellen
oder Gewichtungen festzulegen, führt, mit welchen Kriterien auch immer, zu Schwerpunktsetzungen,
die in die Universität – über Ressourcenzuweisungen, Reputation, monetäre Forschungserfolge –
zurückwirken.
Dies hängt auch damit zusammen, dass die Universitäten mit den Sonderforschungsbereichen und
den Graduiertenkollegs seit etwa 30 Jahren die Strukturmerkmale der DFG für koordinierte Verfahren
in die Universität hinein kopiert und zu einem wichtigen Gradmesser für Erfolg gemacht haben. Ohne
Frage hat dies vieles beflügelt, es war im Zusammenspiel und der universitären
Bedeutungszuweisung der Fächer aber auch nicht strukturneutral.
Das deutsche Hochschulsystem hat sich neben vielen weiteren Unterteilungen und Nuancierungen
nachhaltig in außeruniversitäre Programm- und universitäre Grundlagenforschung differenziert – eine
Differenzierung, die nun durch die Neufassung von § 91b Grundgesetz neue Entfaltungs- und
Kooperationsmöglichkeiten erhält. Es ist aber der vollständig falsche Weg, Programmforschung zum
Regelverfahren der Universitäten machen zu wollen oder über Ressourcenzuweisungen de facto zu
machen. Jede Regulierung nach solchen Programmvorgaben, sei es durch Politik, sei es durch
mächtige Wissenschaftsorganisationen, sei es aber auch durch internen Ehrgeiz, verkennt, dass die
schiere Komplexität einer Universität mit ihren vielen möglichen Anschlüssen, mit ihrer Chance auf
den glücklichen Zufall eine solche Politik zum Scheitern verurteilt – und dies zu recht, denn es ist
gerade die Besonderheit einer Universität, aus dem geregelten wie ungeregelten Zusammenspiel der
Kräfte ihre Innovationspotentiale zu entfalten. Natürlich bedeutet dies nicht, keine Formen der
Kohäsion zuzulassen oder auch erzeugen zu wollen. Es bedeutet aber, nach all‘ den Erfahrungen, die
ich machen durfte, solche Kohäsion weder zu überschätzen noch ihre nur geringe Reichweite nicht zu
sehen. Programmbildung ist ein Element, und ganz sicher nicht das wichtigste.
Es war daher unser Anliegen, eher auf die formale Ermöglichung von Entwicklung als auf eine
inhaltliche Steuerung zu setzen. Und meine Aufgabe als Rektor habe ich in einer Politik der
ordnenden, unterstützenden und anregenden Moderation gesehen – eine Politik, die übrigens auf
Landesebene in der Neufassung der IT-Kooperationen zwischen den Universitäten und
Fachhochschulen zu einem Aufbruch geführt hat, den man nur dann anstoßen kann, wenn man auf
den Enthusiasmus der Beteiligten setzt und diesen zu verbinden, zu organisieren weiß. Aber auch hier
gilt: Man muss formale Rahmen schaffen, in denen sich etwas ent- oder ausfalten kann, man muss
sich nicht zumuten, inhaltlich steuern zu wollen.
Dies ist, glaube ich, in den letzten 6 Jahren – im Blick auf die Bonner Universität – recht gut geglückt.
Als Ergebnis dieser Wissenschaftskonkurrenz waren nach quantitativen Parametern die letzten 6
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Jahre sehr erfolgreich, mit einer Vielzahl von Preisen, Auszeichnungen und einer Steigerung der
Drittmitteleinwerbungen um etwa 50 %, also 150 Millionen Euro per anno über alles. Jede dritte bis
vierte Wissenschaftlerstelle ist inzwischen Drittmittel finanziert. Auch die Erfolge in der
Exzellenzinitiative bestätigen dies, selbst wenn unser Zukunftskonzept in der dritten Linie nicht
gefördert wurde. Es ist ein Erfolg der gesamten Universität, er verteilt sich allerdings ungleich auf die
Fakultäten, wobei ich als einen Pol nur die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät (das
„Flaggschiff“ in den Worten ihres Dekans) hervorheben möchte, die national Platz 1 aller DFGBewilligungen einnimmt. Die Gründe für die Unwucht sind mannigfaltig und bedürfen zur Erklärung
einer wissenschaftssoziologischen Analyse des Verhältnisses zwischen Traditions- und
Reformuniversitäten in Deutschland seit den 1970er Jahren. Dies ist heute nicht mein Thema.
Diese großen Forschungserfolge haben uns an eine organisatorische und infrastrukturelle
Kapazitätsgrenze geführt; wir können kaum weiter wachsen, weil wir die Allgemeinkosten und
Raumressourcen, die damit verbunden wären, nicht mehr ‚stemmen‘ können. Und es steht auch noch
aus, die Folgekosten der Bewilligungen aus der Exzellenzinitiative und anderer Programme, die ja fast
immer mit dem Versprechen eines zukünftig eigenen Ressourceneinsatzes verbunden waren, zu
schultern. Die Konsequenz, die sog. Volluniversität aufzugeben und sich nach den
Schwerpunktbildungen weiter auszurichten, hat sich für dieses Rektorat nicht als sinnvolle und auch
nicht als begrüßenswerte Alternative dargestellt. Ein solcher Schritt wäre auch, dies meine feste
Überzeugung, wissenschaftspolitisch und wissenschaftlich ein Fehler.
Mit dem Wachstum der Forschung, der Lehre und den vielen neuen Aufgaben, die die Universität in
ihrem Umfeld übernimmt, ist eine grundsätzlich nur schwer zu lösende Maximierungsspirale
verbunden: Die höhere Zirkulationsgeschwindigkeit der Programme, die internationale Sichtbarkeit
großer Forschungserfolge und die internationale Attraktivität erfordern eine Beteiligung, will man nicht
den Status der Forschungsuniversität aufgeben, aber dies wäre der Tod des von diesem Rektorat
präferierten Universitätsmodells. Die Erfolge bringen aber Organisationserfordernisse mit sich, die u.
a. zu einer immer höheren Vernetzungs- und Regelungsdichte führen. Dabei sind alle Organisationsund Wissenschaftseinheiten in einer ständigen Optimierungsbewegung, die ihrerseits immer wieder
auf Größenwachstum zielt und mit ihr das Versprechen auf weitere Steigerung verbindet. Dieser
Prozess ist aber endlich, nicht nur aus Ressourcenknappheit, sondern auch, weil eine bestimmte
Komplexität nicht mehr administriert, moderiert und nachgehalten werden kann.
Dieser Zustand ist m. E. nicht nur im Blick auf die einzelne Universität, sondern auch im Blick auf das
gesamte Wissenschaftssystem nahezu erreicht. Das Lieblingswort des wissenschaftspolitischen
Diskurses, man möge sich ‚strategisch‘ aufstellen, wirkt mit seinen Allerweltsreflexionen und meist
schlichten Antworten eher hilflos: Im Blick worauf strategisch? Natürlich kann man sich einzelne Ziele
setzen und ein Verhalten in Bezug auf diese Ziele dann ‚strategisch‘ nennen. Aber was bedeuten sie
angesichts der gerade angedeuteten Diagnose? Im Blick auf die nationale, die internationale
Konkurrenzsituation? Im Blick auf die Teilsysteme einer Weltgesellschaft? Welche Analysen zu und
von ‚Strategie‘ liegen dieser Perspektivierung zugrunde, die nicht ein reines Größenwachstum
proklamieren, die nicht ermuntern, mehr Gelder einzuwerben, mehr Preise zu erringen? Wenn es aber
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nicht nur um Größenwachstum, sondern um etwas anderes, eine wie immer zu definierende Qualität
geht: Welches sind die Kriterien für diese Qualität?
Es geht mithin um ein Überdenken der Ziele, die sich das Wissenschaftssystem und die sich jede
einzelne Einrichtung im Wissenschaftssystem setzten und setzen. Weil dies von so komplexen
Voraussetzungen abhängig und schon gar nicht zu enumerieren ist, hat das jetzige Rektorat das
Leitbild der Universität radikal verschlankt und auf die einfache, aber alles einschließende Formel
gebracht:
Die Universität Bonn fördert und pflegt die Wissenschaften als Einheit von Forschung und Lehre.
Radikal, heißt ja von der Wurzel her, und die Wurzel der Universität ist die Förderung und die Pflege
von Wissenschaft. Dies ist eine gesamtuniversitäre Aufgabe, und in diesem Sinne ist die Universität
ein Gesamtsubjekt. Es gehört vielleicht zu den eindringlichsten Erfahrungen meines Rektoramts, dass
dieses Gesamtsubjekt nicht abbildbar ist, ohne wieder massiv zu vereinfachen. Die Universität liegt
nicht in der Verantwortung einer Person oder Teilkörperschaft, auch wenn das Rektorat als
Kollegialorgan de jure letztverantwortlich ist. Denn für dieses Gesamtsubjekt gibt es keinen zentralen
Ort, zwar ein Rektorat, aber keinen Souverän im Feld, kein Kafkasches Tier im Bau, keine Spinne im
Netz, die durch unablässiges Laufen dieses Feld, diesen Bau, dieses Netz zu pflegen wissen. Das
Zusammenspiel des Geflechts aus dezentralen, zentralen und externen Berührungen und Strukturen
auf die glückendste Weise zu ermöglichen, ist eine nicht endende Aufgabe, für die es auch nicht einen
Moment Stillstand gibt. Es gibt aus meiner Sicht daher keine Alternative zur eben genannten klugen
Moderation, die auch Leitung ist, deren Erfolg aber davon abhängt, wie viele Personen sich einbinden
lassen. Dass dies in den verschiedenen Bereichen, in den verschiedenen Fakultäten unterschiedlich
ist, ist keine überraschende, aber eben auch eine reale Erfahrung.
Für diese gesuchten Personen gilt die auch heute noch vollständig zutreffende Formulierung Heinrich
von Kleists aus den Berliner Abendblättern des Jahres 1810. Es heißt dort:
Man könnte die Menschen in zwei Klassen abteilen; in solche, die sich auf eine Metapher und
2) in solche, die sich auf eine Formel verstehn. Deren, die sich auf beides verstehn, sind zu
wenige, sie machen keine Klasse aus.
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Leider machen die Personen, die sich sowohl auf Formel wie auf Metapher verstehen, in der Tat keine
‚Klasse‘ aus. Auch eine kluge Berufungspolitik kann diese Personen mit dieser Fähigkeit und diesem
Ethos nicht automatisch erzeugen, und so bleibt es immer dem Kairos der Situation vorbehalten,
solche Personen um sich zu haben und von ihrer Fähigkeit, zu strukturieren, zu organisieren und zu
übertragen, gesamtuniversitären Nutzen zu ziehen.
3 Heinrich von Kleist, Fragmente, in: Anekdoten. Kleine Schriften (= dtv Gesamtausgabe, hrsg. Von Helmut
Semmbdner, Bd. 5), München o. J., S. 71.
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Wie auch immer: Was solche Politik der Moderation angestoßen, was auch verhindert, welche
Reichweite sie erzielt hat – dies mag die Universität als ganze, dies mögen die einzelnen Mitglieder
der Universität im einzeln betrachten und bewerten.
Dass diese Moderation, die zugleich Leitung ist, nicht allein möglich war, versteht sich von selbst.
Dass sie aber von vielen mitgetragen wurde, und dies gerade auch aus den administrativen
Bereichen, unterstützt von einem freundlich-freundschaftlich zugetanen Kanzler, dafür möchte ich den
Dezernaten, zentralen Einrichtungen, zentralen Büros und dem Kanzler besonderen Dank sagen. Und
dieser Dank gilt auch dem Hochschulrat, dem Senat, den Dekanen, den Fakultäten und Einrichtungen
insgesamt, den Studierenden, den Freunden und Förderern, den Kooperationspartnern, mit großem
Nachdruck den Rektoratskolleginnen und -kollegen sowie mit ebenso großem Nachdruck allen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Rektor-, Prorektoren- und Kanzlerbüros, unseren Fahrern, also
allen, die in den letzten Jahren mitgewirkt, mitgetragen und mit ertragen haben. Denn, wir haben es
gehört, „Großbau ohne wirkliche Kooperation ist lebensgefährlich.“
Ich hoffe sehr, dass diese Universität weiterhin unter einem guten Stern steht, und hoffe für alle, die
sich darum bemühen, bestes Gelingen! Dem neuen Rektor, Kollegen Michael Hoch, und seinem
Rektorat wünsche ich viel Glück!
Meine Damen und Herren, ich bin sehr häufig gefragt worden, warum ich – da inzwischen ja doch
eher unüblich – nicht für eine zweite Amtszeit als Rektor kandidiert habe. Ich habe mich bei dieser
Entscheidung an einem weiteren Satz Alexander Kluges orientiert; er lautet:
„Menschen haben zweierlei Eigentum: ihre Lebenszeit, ihren Eigensinn.“
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Ich möchte versuchen, beides wieder anders zur Deckung zu bringen.
Deswegen übergebe ich die Universität jetzt – allerdings nur pars pro toto – einer anderen Leitung,
und zwar ganz so, wie es die Tradition verlangt: ‚damit er, der neue Rektor, weiß, welche Last er
übernimmt‘.
Ihnen allen danke ich für Ihre langjährige Geduld und Aufmerksamkeit, und ich verbinde dies mit dem
Wunsch, dass Sie dieser Universität auch in der Zukunft gewogen bleiben mögen!
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A. Kluge, Chronik der Gefühle, Bd. 1, S. 11.
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