Sicherheit braucht Köpfchen Eierlegende Wollmilchsäue gibt es auch bei Bergsportausrüstung nicht. Deshalb sind Normen immer Kompromisse zwischen wünschenswert und machbar – und es kommt auch auf die richtige Anwendung der Produkte an. Von Thomas Exner, Florian Hellberg und Sophia Steinmüller 52 DAV 6/2013 Foto: Christian Pfanzelt Grenzen von Bergsportnormen Bergsportnormen sicherheitsforschung I m Bergsport ist es wichtig, einen Kompromiss zu finden zwischen Sicherheitsreserve einerseits und Handhabung und Gewicht andererseits. So könnte man zum Beispiel bei Expressen Stahlkarabiner mit Schraubverschluss verwenden, um Karabinerbrüche und unbeabsichtigtes Aushängen des Seils zu vermeiden. Dadurch wird allerdings die Exe schwerer und das Einhängen mühsamer. Zudem sind die Wahrscheinlichkeiten für ein unbeabsichtigtes Seilaushängen oder Karabinerbruch klein, und das mühsame Seil-Einhängen erhöht sogar das Sturzrisiko – deshalb ist hier maximale Sicherheit des Materials nicht gleichbedeutend mit optimaler Sicherheit für den Kletterer. Sich solche Gedanken zu machen und für jede Situation sinnvoll abzuwägen, ist gemeinsame Verantwortung von Herstellern und Anwendern. Der Hersteller hat zu garantieren, dass das Material die Mindestanforderungen der Norm erfüllt – der Anwender muss es fachgerecht handhaben. Was leistet eine Norm? Die meiste sicherheitsrelevante Bergsportausrüstung, die auf dem Markt erhältlich ist, wird als persönliche Schutzausrüstung (PSA) klassifiziert und muss deshalb laut Gesetz gewisse Mindestanforderungen zum Schutz des Benutzers erfüllen. Diese Mindestanforderungen sind in Europa in der Euro-Norm (EN) fixiert und werden durch das europäische Gremium für Normung (CEN) festgelegt. Eine weitere Norm für Bergsportausrüstung ist die freiwillige, internationale UIAA-Norm. Zu erkennen sind normgerechte Bergsportprodukte an der „CE“- und „UIAA“-Kennzeichnung auf der Ausrüstung. es verkauft werden darf, bei Kategorie III ist auch die Qualitätssicherung in der Herstellung zu überprüfen. Erkennen kann man normgerechte Bergsportprodukte am CEPrüfzeichen inklusive Kennnummer des Prüfinstituts. Der Karabiner vom Bild auf S. 54 beispielsweise, mit dem Prüfzeichen „CE 0321“, wurde von einem unabhängigen Prüfinstitut mit der Nummer 0321 (in diesem Fall SATRA in England) entsprechend der europäischen Karabinernorm (EN 12275) zertifiziert und die Qualität wird regelmäßig kontrolliert. Ein CE-Zeichen allein würde besagen, dass der Hersteller selbst erklärt, das Produkt sei konform mit den europäischen Richtlinien. Trägt etwa ein Schraubglied an einer Umlenkung nur das CE-Zeichen ohne Nummer eines Prüfinstituts, kann es ein Schraubglied aus dem Baumarkt zum Aufhängen von Blumentöpfen sein, das nie unabhängig geprüft wurde. Ein echtes Problem ist dies bei Bohrhaken, denn sie sind leider laut Definition keine PSA, weil sie am Fels verbleiben und nicht vom Anwender mitgeführt werden! Deshalb werden sie nicht unabhängig geprüft, und es kam schon öfter vor, dass Bohrhaken auf dem Markt Mängel aufwiesen. UIAA-Norm: tendenziell härter Das zweite Prüfzeichen für Bergsport artikel ist das Label der UIAA (weltweiter Alpenvereinsverband). Während die CENorm gesetzlich verpflichtend ist, können CE: Bitte mit Nummer! Bergsportausrüstung ist fast ausnahmslos den höchsten PSA-Kategorien II und III zugeordnet. Das bedeutet: Das Produkt muss eine „Baumusterprüfung“ durch ein zertifiziertes Prüfinstitut bestehen, bevor Hersteller die UIAA-Prüfung freiwillig auf sich nehmen. Die UIAA-Norm basiert in der Regel auf der CE-Norm, stellt aber in manchen Fällen höhere Anforderungen; Prü- fung und Zertifizierung machen ebenfalls unabhängige Prüfhäuser. Jeder renommierte Hersteller lässt seine Produkte in der Regel auch nach UIAA-Standards zertifizieren. Das UIAA-Prüfzeichen findet sich dann auf dem Produkt oder in der Gebrauchsanweisung. Die freiwillige UIAA-Norm bietet den Vorteil, dass Änderungen wesentlich schneller möglich sind als in der CEN, deren formelles Prozedere sich meist über Jahre hinzieht. So hatte die UIAA-Norm schon mehrmals eine Vorreiterrolle zur verpflichtenden CE-Norm. Beispielsweise enthält die UIAANorm für Klettersteigsets aus aktuellem Anlass seit 2008 einen Nässetest, der immer noch nicht zur EN gehört. Die Macht der Hersteller … Auf Kritik an der Sicherheit eines Produktes reagieren Hersteller oft mit dem Hinweis, es erfülle alle gültigen Normen. Das ist zum einen selbstverständlich, denn nicht normkonforme Produkte dürfen gar nicht verkauft werden. Zum anderen haben sie diese Normen stark selbst mitgestaltet: Die Normenausschüsse sind größtenteils von Herstellern besetzt. Natürlich ist ihre Perspektive wichtig für die Arbeit im Normengremium, denn durch umfangreiche Materialtests und tiefgreifendes Know-how wissen sie oft am besten, was technisch umsetzbar ist. Allerdings kommen dadurch natürlich kommerzielle Interessen mit ins Normen-Spiel; momentan haben die Hersteller sogar ein Übergewicht gegenüber Prüfhäusern und Kundenvertretern und können Entscheidungen und Änderungen schlichtweg blockieren. So kommt es, dass einige Hersteller bisher den Nässetest für Klettersteigsets aus der EN-Norm raushalten konnten, mit dem Argument, dass Klettersteiggehen bei Regen eine Fehlanwendung sei! So wird zum Teil der Fortschritt einer Norm unnötig in die Länge gezogen oder sinnvolle Sicherheitsanforderungen so gar ausgebremst. Eine ausgewogenere Kräfteverteilung zwischen Herstellern, Prüf DAV 6/2013 53 Fotos: Thomas Exner, privat sicherheitsforschung Bergsportnormen Diese Informationen auf dem Karabiner stehen für Sicherheit: die relevante Euro-Norm (EN 12275), Bruchkraftwerte in Längsund Querrichtung, CEZeichen mit Nummer des Prüfinstituts, UIAA-Prüfzeichen. Auf was ist zu achten? häusern und Bergsportvertretern in den Normengremien wäre wünschenswert. … und der Druck der Nutzer Andererseits üben auch die Bergsportler einen gewissen Druck auf die Hersteller aus. Die Forderung nach immer leichterem und/oder billigerem Material treibt die Hersteller dazu, näher an die Mindest anforderungen der Norm heranzugehen. Was natürlich nicht ohne Abstriche bei Lebensdauer und Sicherheitsreserve funktioniert. Dies zeigt sich beispielsweise im Trend zu immer dünneren und leichteren Seilen. Derzeit sind schon normgerechte Halbseile mit einem Durchmesser von 7,8 Millimeter erhältlich – ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht abzusehen. Die Gewichtsersparnis ist natürlich angenehm beim Zustieg oder für reine Gletschertouren – aber der dünne Durchmesser reduziert die Kantenschnittfestigkeit. Ob sich ein derart dünnes Seil noch eignet, um an je einem Einzelstrang einen Nachsteiger zu sichern, ist zu hinterfragen; vor allem im Granit mit vielen scharfen Felskanten. Beim Sportklettern haben dünne Einfachseile um neun Millimeter in der Regel eine kürzere Lebensdauer. Alterung ist nicht genormt Bergsportmaterial ist nicht für die Ewigkeit gemacht; es wird mit dem Altern schwächer. Wenn ein Produkt im Neuzustand gerade so die Normanforderungen erfüllt, sinkt mit der Zeit die Sicherheitsreserve vielleicht auf kritische Werte. Diese 54 DAV stehen in der Regel durch Bedienungsfehler. Sicherheit und Sicherung im Bergsport sind komplex; dazu braucht man solide Kenntnisse, die man idealerweise in Ausbildungskursen erlernt. 6/2013 Alterung hängt von vielen Faktoren ab, wie Umwelteinflüssen (vor allem UV-Belastung) oder der mechanischen Beanspruchung durch den Gebrauch. Daher gibt der Hersteller für jeden Ausrüstungsgegenstand eine maximale Lebensdauer an – daran können sich Anwender orientieren. Freilich wird ein Gurt mit zehn Jahren Lebensdauerangabe nicht nach zehn Jahren Wer sicherheitsrelevante Bergsport aus rüstung kauft, sollte auf jeden Fall auf Kennzeichnung durch das CE-Zeichen inklusive Prüfnummer und möglichst auch auf das UIAA-Label achten. Die EN- und UIAA-Norm gewährleisten, dass die Produkte gewisse Mindestanforderungen erfüllen, auf die Bergsportler sich verlassen können. Von Produkten ohne diese Zertifizierung sollte man auf jeden Fall die Finger lassen. Doch auch Eigenverantwortung ist gefordert: Wer Bergsport betreibt, muss sich zu LVS: Die neuen Geräte Nach Redaktionsschluss für DAV Panorama 6/13 testete die DAV-Sicherheitsforschung die LVS-Geräte zur Wintersaison 13/14. Die Ergebnisse finden Sie im Lauf des Dezembers unter alpenverein.de -> Bergsport -> Sicherheit und einem Tag bei einem Sturz reißen. Aber seine Sicherheitsreserven sind geringer als im Neuzustand – und vielleicht stellt ja auch eine verschärfte Norm inzwischen andere Sicherheitsansprüche. Gegen Fehler hilft nur Hirn Schaut man sich allerdings die Unfallzahlen im Gesamten an, sind hauptsächlich menschliche Fehler die Ursache für Unfälle. Selbst die meisten Fälle von „Materialversagen“ sind auf Fehlanwendungen zurückzuführen. So ereignen sich leider immer wieder Kletterunfälle, bei denen das Seil fälschlicherweise in die Materialschlaufe des Gurtes eingebunden wurde: eine klare Fehlanwendung, auch wenn am Ende das Material versagt hat – versagen musste. Auch Sportkletterunfälle, bei denen ein Halbautomat nicht blockiert, ent- Sicherungstechniken und generell über alpine Fertigkeiten informieren oder besser noch ausbilden lassen. Nur mit diesem Wissen kann man die Ausrüstung passend zur Tour auswählen, sachgemäß einsetzen, richtig lagern und ihre Lebensdauer gut einschätzen. Und bei jeder konkreten Anschaffung ist ein Kompromiss zu finden zwischen Sicherheitsreserve, Gewicht und Handhabung. Thomas Exner kümmert sich in der DAV-Sicherheitsforschung schwerpunktmäßig um die Vertretung in Normengremien. Florian Hellberg und Sophia Steinmüller hatten vor allem im Zusammenhang mit Klettersteigsets auch schon öfter das Vergnügen. DIE KA DA LE VND ER 20 14 Sind wir in den Bergen unterwegs, leben wir oft im Hier und Jetzt – entsprechend tiefe Spuren hinterlassen sie in unseren Köpfen und Seelen. | Christine Kopp Für Adrenalinfans Nur 19,80* Für Bergliebhaber Nur 24,80* Vorfreude: Jetzt schon blättern, schauen, lesen, staunen. Im dav-shop finden Sie beide Kalender als großformatige Diashow. Bergsport macht high! 13 aufregende Fotos von bekannten Outdoorfotografen in der schönsten Arena der Welt – den Bergen. Format 39,0 x 59,4 cm. *Mitgliederpreis, Nichtmitglieder: 24,80 u. Bestellnummer 383014 Die Welt der Berge 2014 12 Fotos im Wechselspiel mit 12 Texten begeisterter und nachdenklicher Alpinisten auf bedruckten Transparentseiten, Format 57 x 45 cm. *Mitgliederpreis, Nichtmitglieder: 29,80 u. Bestellnummer 382014 BERG 2014: Ein Jahr lang BERG für alle Fälle: w 17,80* 256 Seiten erstklassige Reportagen, Porträts und Interviews mit großartigen Bildern zu den angesagten Themen aus der großen Welt der Berge und des Bergsports: Das neue Jahrbuch BERG 2014 überzeugt erneut mit inhaltlicher und optischer Qualität und einzigartiger Themenvielfalt. Man kann mehr zum Thema Berge und Alpinismus lesen, muss man aber nicht. 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