Lösung 2 - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits

Klausurenkurs zum Schwerpunktbereich
Arbeitsrecht
SoSe 2015
Klausur 2
- Lösung Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht
Prof. Dr. Burkhard Boemke
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Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht
Prof. Dr. Burkhard Boemke
Aufgabenteil A
A. Beantworten Sie nachstehenden Fragen.
I. Was ist eigentlich Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts
aus § 87 I Nr. 10 BetrVG?
 Es geht um die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit. Die
Mitbestimmung soll Angemessenheit und Durchsichtigkeit
des innerbetrieblichen Lohngefüges sicherstellen sowie die
Gleichbehandlung der Arbeitnehmer gewährleisten.
II. Was ist Lohn i. S. v. § 87 I Nr. 10 BetrVG?
 Der Begriff ist im weitesten Sinne zu verstehen. Erfasst
werden sämtliche Geldleistungen und geldwerte Leistungen,
die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses geleistet werden,
auch soweit sie nicht unmittelbare Gegenleistung für die
Erbringung der Arbeitsleistung sind.
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Aufgabenteil A
III. Anton Geber möchte 100.000 € an seine Arbeitnehmer als
Weihnachtsgeld auszahlen. Er möchte wissen, ob der
Betriebsrat verlangen kann:
a)
dass 250.000 € an die Arbeitnehmer ausgekehrt werden?

(-), die Höhe des Lohns ist mitbestimmungsfrei.
b)
dass das Geld monatlich als soziale Zulage für
Arbeitnehmer mit Unterhaltspflichten ausgezahlt wird?

(-), der Zweck
Mitbestimmung.
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der
Zuwendung
unterliegt
nicht
der
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Aufgabenteil A
IV.Anton Geber möchte das bisher auf Grund einer
Regelungsabrede gewährte Weihnachtsgeld in Höhe von
100.000
€
(Gesamtvolumen)
auf
50.000
€
(Gesamtvolumen) kürzen. Er möchte wissen, inwieweit
dies der Mitbestimmung nach § 87 I Nr. 10 BetrVG
unterliegt.
 Die Kürzungsentscheidung ist, weil sie die Höhe der
Zuwendung
betrifft,
mitbestimmungsfrei.
Deren
Umsetzung unterliegt allerdings der Mitbestimmung,
soweit sich die Verteilungsgrundsätze, also das Verhältnis
der Zulagen zueinander ändert.
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Aufgabenteil A
V. Anton Geber hat bisher eine außertarifliche Zulage von 1,00
€ auf den Stundenlohn seiner Arbeitnehmer gezahlt. Es
kommt zu einer Tariflohnerhöhung von 5%. Anton Geber
möchte wissen, unter welchen Voraussetzungen nach der
Rspr.
des
BAG
die
eine
(teilweise)
Anrechnung
mitbestimmungsfrei ist.
 Die Anrechnungsentscheidung als solche betrifft die Höhe
der Zulage und ist mitbestimmungsfrei. Deren Umsetzung ist
aber mitbestimmungspflichtig, wenn sich dadurch die
Verteilungsgrundsätze, also das Verhältnis der Zulagen
zueinander ändert.
 Trotz Änderung der Verteilungsgrundsätze findet nach der
Rspr. des GS des BAG keine Mitbestimmung statt, wenn die
Tariflohnerhöhung vollständig und gleichmäßig angerechnet
wird oder sich infolge der Anrechnung das Zulagenvolumen
auf „Null“ reduziert.
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Aufgabenteil A
VI. Anton Geber möchte künftig die Höhe des Weihnachtsgelds
auch unter Berücksichtigung sozialer Kriterien festlegen.
Dies führt dazu, dass einzelne Arbeitnehmer weniger
Weihnachtsgeld
bekommen
als
mit
ihnen
individualvertraglich vereinbart. Da das Gesamtvolumen des
Weihnachtsgelds sogar steigt, ist der Betriebsrat damit
einverstanden. Anton Geber möchte wissen, ob eine Kürzung
des Weihnachtsgelds durch Betriebsvereinbarung unter die
individualvertragliche Zusage möglich ist.
 Nach der Rechtsprechung des GS des BAG gilt insoweit das
kollektive
Günstigkeitsprinzip.
Umstrukturierende
Betriebsvereinbarungen, die zu einer Kürzung von
Leistungen ggü. einzelnen Arbeitnehmern führen, sind
zulässig, soweit sich nur das Gesamtvolumen nicht
verringert.
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Aufgabenteil A
VII. Anton Geber will an Mitarbeiter, die während eines Streiks
ihre Arbeitsleistung weiterhin erbracht haben, eine
Sonderzahlung leisten. Muss er seinen Betriebsrat
beteiligen, wenn er diese Prämie
a)
bei Beginn des Streiks ausgelobt hat?

Nach h. M. und Rspr. nein, weil es sich um eine
Arbeitskampfmaßnahme
handelt, die mitbestimmungsfrei
ist.
b)
als nachträgliche Anerkennung zahlen will?

Nach h. M. und Rspr. ja, weil eine nachträglich ausgelobte
Prämie keinen
Einfluss mehr auf den Verlauf des
Arbeitskampfs haben kann.
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Aufgabenteil B
B. Erstellen Sie ein Rechtsgutachten zu den
aufgeworfenen Fragen
I. Lohnanspruch von G
G könnte gegen B einen Anspruch auf Lohnzahlung für den
24.10.2014 aus § 611 BGB iVm dem AV haben.
1. Anspruch entstanden
durch AV (+)
2. Anspruch untergegangen
a) § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB „Ohne Arbeit – kein Lohn“
G hat am 24.10.2014 nicht gearbeitet. Arbeitsleistung ist
wegen ihres Fixschuldcharakters nicht nachholbar, daher tritt
Unmöglichkeit ein. Folge ist der Untergang des Gegenleistung
aus § 326 Abs.1 S.1 Hs.1 BGB.
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Aufgabenteil B
b) Annahmeverzug von B
aa) Überblick
Der Anspruch könnte jedoch durch § 615 S.1 BGB
aufrechterhalten worden sein. Der Dienstverpflichtete behält
seinen Vergütungsanspruch, ohne zur Nachleistung verpflichtet
zu sein, wenn der Dienstberechtigte in Annahmeverzug
kommt. Ob B in Annahmeverzug gekommen ist, bestimmt sich
nach §§ 293 ff. BGB.
bb) Leistungsbereitschaft und –willigkeit, § 297 BGB (+)
cc) Nichtannahme der Arbeitsleistung durch B, § 293 BGB (+)
dd) Zwischenergebnis
Annahmeverzug (+); G hat daher nach allgemeinen
Grundsätzen
06.05.2015 / Folie 9 einen Lohanspruch gemäß § 615 S. 1 BGB
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Aufgabenteil B
c) Verdrängung von § 615 S.1 BGB durch die sog.
Arbeitskampfrisikolehre
aa) Arbeitskampfrisikolehre
 Grundsatz ist nach st. Rspr. des BAG der Paritätsgedanke.
Die Erhaltung des Lohnanspruchs nach § 615 BGB dürfe
danach nicht dazu führen, dass sich die Kampfparität
verschiebt.
 Kampfparität wäre dann verschoben, wenn der von
Kampfmaßnahmen betroffene AG solchen AN das Entgelt
fortzahlen müsste, die leistungsbereit und –willig sind. Der
Lohnanspruch entfällt also in diesen Fällen, sofern die
Beschäftigung
auf
Grund
einer
rechtmäßigen
Arbeitskampfmaßnahme tatsächlich unmöglich oder wirt.
unzumutbar wird.
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Aufgabenteil B
bb) Anwendbarkeit auf den Sachverhalt
streikbedingte Unmöglichkeit der Beschäftigung (+), auch
keine andere Zuweisung möglich
Vergütung hätte Verschiebung der Kampfparität zu
Gunsten der Gewerkschaft zur Folge
keine Anwendung von § 615 BGB
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Aufgabenteil B
d) Ergebnis
Kein Vergütungsanspruch von G für den 24.10.2014.
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Aufgabenteil B
II. Ansprüche von Diana K
1. Lohnanspruch von K
a) Anspruch entstanden (+)
b) Anspruch untergegangen
aa) „ohne Arbeit kein Lohn“ – § 326 Abs. 1 S. 1 HS. 1 BGB
bb) Persönliches Leistungshindernis, § 616 BGB
 Für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen
in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden
gehindert wird.
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Aufgabenteil B
 In seiner Person liegender Grund?
Erfasst: Alle subjektiven – persönlichen
Leistungshindernisse
Nicht erfasst: objektive Leistungshindernisse
Streikbedingter Ausfall öffentlicher
objektives Leistungshindernis.
Verkehrsmittel,
d) Ergebnis
Kein Anspruch für K gegen B auf Lohanspruch für den
24.10.2014.
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als
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Aufgabenteil B
2. Schadensersatzanspruch von K
AGL: §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB
a) SV (+)
b) Pflichtverletzung (+)
c) Vertreten § 280 Abs. 1 S. 1 BGB
aa) Eigenes Verschulden
Schuldner ist verpflichtet alles erforderliche zu tun, um
bestehende Leistungshindernisse zu überwinden.
 Erfüllung der Tarifforderung der GdL
Keine Erforderlichkeit der Streikbeugung, um
Leistungsbereitschaft wiederherzustellen. Leistungsstörungen
aufgrund von Streikmaßnahmen im Verhältnis zu Dritten hat
der Schuldner daher grds. nicht zu vertreten.
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Aufgabenteil B
bb) Einstandspflicht für Erfüllungsgehilfen
Zurechnung der streikbedingten Arbeitsniederlegung der AN
nach § 278 BGB?
e.A. keine Gehilfenhaftung nach
§ 278 BGB bei
Leistungsstörung als Folge einer
Arbeitskampfmaßnahme
a.A. Anwendung von § 278
BGB, da Gläubigerschutz – kein
Vertreten bei rechtmäßiger
Arbeitskampfmaßnahme
Keine Entscheidung, da in beiden Fällen keine Haftung
von B eintreten würde.
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Aufgabenteil B
d) Ergebnis
Keine Schadensersatzansprüche von K gegen B.
3. Anteilige Rückerstattung des Preises für die
Streckenmonatskarte
AGL: § 346 BGB i.V.m. § 326 Abs. 4, Abs. 1, § 275 Abs. 1
BGB
a) Anspruch dem Grunde nach (+)
b) Ausschluss durch AGB-Klausel
aa) Einbeziehung nach § 305 Abs.2 BGB (+)
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Aufgabenteil B
bb) Überraschende Klausel § 305 c Abs. 1 BGB
 Sind solche Bestimmungen , die nach den Umständen des
Vertrags so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner
des Verwenders nicht mit ihnen zu rechnen braucht. Im
Rahmen eines Dienstverhältnisses sind dies häufig
Klauseln,
welche
das
Gegenseitigkeitsprinzip
aufzuheben versuchen.
 Im Fall wird der Vertragspartner zur Leistung verpflichtet,
obwohl er die ihm selbst gebührende Leistung nicht
erhält.
 Folge: Klausel nicht Vertragsbestandteil, § 305 c Abs.1
BGB
cc) Ergebnis: Kein Ausschluss des Anspruchs durch AGB
Bei Annahme einer Wirksamkeit ist fraglich, ob der
streikbedingte Ausfall unter höhere Gewalt zu
subsumieren gewesen wäre.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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