Klausurenkurs zum Schwerpunktbereich Arbeitsrecht SoSe 2015 Klausur 2 - Lösung Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke 06.05.2015 / Folie 1 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A A. Beantworten Sie nachstehenden Fragen. I. Was ist eigentlich Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts aus § 87 I Nr. 10 BetrVG? Es geht um die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit. Die Mitbestimmung soll Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges sicherstellen sowie die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer gewährleisten. II. Was ist Lohn i. S. v. § 87 I Nr. 10 BetrVG? Der Begriff ist im weitesten Sinne zu verstehen. Erfasst werden sämtliche Geldleistungen und geldwerte Leistungen, die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses geleistet werden, auch soweit sie nicht unmittelbare Gegenleistung für die Erbringung der Arbeitsleistung sind. 06.05.2015 / Folie 2 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A III. Anton Geber möchte 100.000 € an seine Arbeitnehmer als Weihnachtsgeld auszahlen. Er möchte wissen, ob der Betriebsrat verlangen kann: a) dass 250.000 € an die Arbeitnehmer ausgekehrt werden? (-), die Höhe des Lohns ist mitbestimmungsfrei. b) dass das Geld monatlich als soziale Zulage für Arbeitnehmer mit Unterhaltspflichten ausgezahlt wird? (-), der Zweck Mitbestimmung. 06.05.2015 / Folie 3 der Zuwendung unterliegt nicht der Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A IV.Anton Geber möchte das bisher auf Grund einer Regelungsabrede gewährte Weihnachtsgeld in Höhe von 100.000 € (Gesamtvolumen) auf 50.000 € (Gesamtvolumen) kürzen. Er möchte wissen, inwieweit dies der Mitbestimmung nach § 87 I Nr. 10 BetrVG unterliegt. Die Kürzungsentscheidung ist, weil sie die Höhe der Zuwendung betrifft, mitbestimmungsfrei. Deren Umsetzung unterliegt allerdings der Mitbestimmung, soweit sich die Verteilungsgrundsätze, also das Verhältnis der Zulagen zueinander ändert. 06.05.2015 / Folie 4 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A V. Anton Geber hat bisher eine außertarifliche Zulage von 1,00 € auf den Stundenlohn seiner Arbeitnehmer gezahlt. Es kommt zu einer Tariflohnerhöhung von 5%. Anton Geber möchte wissen, unter welchen Voraussetzungen nach der Rspr. des BAG die eine (teilweise) Anrechnung mitbestimmungsfrei ist. Die Anrechnungsentscheidung als solche betrifft die Höhe der Zulage und ist mitbestimmungsfrei. Deren Umsetzung ist aber mitbestimmungspflichtig, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze, also das Verhältnis der Zulagen zueinander ändert. Trotz Änderung der Verteilungsgrundsätze findet nach der Rspr. des GS des BAG keine Mitbestimmung statt, wenn die Tariflohnerhöhung vollständig und gleichmäßig angerechnet wird oder sich infolge der Anrechnung das Zulagenvolumen auf „Null“ reduziert. 06.05.2015 / Folie 5 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A VI. Anton Geber möchte künftig die Höhe des Weihnachtsgelds auch unter Berücksichtigung sozialer Kriterien festlegen. Dies führt dazu, dass einzelne Arbeitnehmer weniger Weihnachtsgeld bekommen als mit ihnen individualvertraglich vereinbart. Da das Gesamtvolumen des Weihnachtsgelds sogar steigt, ist der Betriebsrat damit einverstanden. Anton Geber möchte wissen, ob eine Kürzung des Weihnachtsgelds durch Betriebsvereinbarung unter die individualvertragliche Zusage möglich ist. Nach der Rechtsprechung des GS des BAG gilt insoweit das kollektive Günstigkeitsprinzip. Umstrukturierende Betriebsvereinbarungen, die zu einer Kürzung von Leistungen ggü. einzelnen Arbeitnehmern führen, sind zulässig, soweit sich nur das Gesamtvolumen nicht verringert. 06.05.2015 / Folie 6 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A VII. Anton Geber will an Mitarbeiter, die während eines Streiks ihre Arbeitsleistung weiterhin erbracht haben, eine Sonderzahlung leisten. Muss er seinen Betriebsrat beteiligen, wenn er diese Prämie a) bei Beginn des Streiks ausgelobt hat? Nach h. M. und Rspr. nein, weil es sich um eine Arbeitskampfmaßnahme handelt, die mitbestimmungsfrei ist. b) als nachträgliche Anerkennung zahlen will? Nach h. M. und Rspr. ja, weil eine nachträglich ausgelobte Prämie keinen Einfluss mehr auf den Verlauf des Arbeitskampfs haben kann. 06.05.2015 / Folie 7 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B B. Erstellen Sie ein Rechtsgutachten zu den aufgeworfenen Fragen I. Lohnanspruch von G G könnte gegen B einen Anspruch auf Lohnzahlung für den 24.10.2014 aus § 611 BGB iVm dem AV haben. 1. Anspruch entstanden durch AV (+) 2. Anspruch untergegangen a) § 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB „Ohne Arbeit – kein Lohn“ G hat am 24.10.2014 nicht gearbeitet. Arbeitsleistung ist wegen ihres Fixschuldcharakters nicht nachholbar, daher tritt Unmöglichkeit ein. Folge ist der Untergang des Gegenleistung aus § 326 Abs.1 S.1 Hs.1 BGB. 06.05.2015 / Folie 8 8 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B b) Annahmeverzug von B aa) Überblick Der Anspruch könnte jedoch durch § 615 S.1 BGB aufrechterhalten worden sein. Der Dienstverpflichtete behält seinen Vergütungsanspruch, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn der Dienstberechtigte in Annahmeverzug kommt. Ob B in Annahmeverzug gekommen ist, bestimmt sich nach §§ 293 ff. BGB. bb) Leistungsbereitschaft und –willigkeit, § 297 BGB (+) cc) Nichtannahme der Arbeitsleistung durch B, § 293 BGB (+) dd) Zwischenergebnis Annahmeverzug (+); G hat daher nach allgemeinen Grundsätzen 06.05.2015 / Folie 9 einen Lohanspruch gemäß § 615 S. 1 BGB Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B c) Verdrängung von § 615 S.1 BGB durch die sog. Arbeitskampfrisikolehre aa) Arbeitskampfrisikolehre Grundsatz ist nach st. Rspr. des BAG der Paritätsgedanke. Die Erhaltung des Lohnanspruchs nach § 615 BGB dürfe danach nicht dazu führen, dass sich die Kampfparität verschiebt. Kampfparität wäre dann verschoben, wenn der von Kampfmaßnahmen betroffene AG solchen AN das Entgelt fortzahlen müsste, die leistungsbereit und –willig sind. Der Lohnanspruch entfällt also in diesen Fällen, sofern die Beschäftigung auf Grund einer rechtmäßigen Arbeitskampfmaßnahme tatsächlich unmöglich oder wirt. unzumutbar wird. 06.05.2015 / Folie 10 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B bb) Anwendbarkeit auf den Sachverhalt streikbedingte Unmöglichkeit der Beschäftigung (+), auch keine andere Zuweisung möglich Vergütung hätte Verschiebung der Kampfparität zu Gunsten der Gewerkschaft zur Folge keine Anwendung von § 615 BGB 06.05.2015 / Folie 11 11 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B d) Ergebnis Kein Vergütungsanspruch von G für den 24.10.2014. 06.05.2015 / Folie 12 12 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B II. Ansprüche von Diana K 1. Lohnanspruch von K a) Anspruch entstanden (+) b) Anspruch untergegangen aa) „ohne Arbeit kein Lohn“ – § 326 Abs. 1 S. 1 HS. 1 BGB bb) Persönliches Leistungshindernis, § 616 BGB Für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden gehindert wird. 06.05.2015 / Folie 13 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B In seiner Person liegender Grund? Erfasst: Alle subjektiven – persönlichen Leistungshindernisse Nicht erfasst: objektive Leistungshindernisse Streikbedingter Ausfall öffentlicher objektives Leistungshindernis. Verkehrsmittel, d) Ergebnis Kein Anspruch für K gegen B auf Lohanspruch für den 24.10.2014. 06.05.2015 / Folie 14 als Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B 2. Schadensersatzanspruch von K AGL: §§ 280 Abs. 1, 3, 283 BGB a) SV (+) b) Pflichtverletzung (+) c) Vertreten § 280 Abs. 1 S. 1 BGB aa) Eigenes Verschulden Schuldner ist verpflichtet alles erforderliche zu tun, um bestehende Leistungshindernisse zu überwinden. Erfüllung der Tarifforderung der GdL Keine Erforderlichkeit der Streikbeugung, um Leistungsbereitschaft wiederherzustellen. Leistungsstörungen aufgrund von Streikmaßnahmen im Verhältnis zu Dritten hat der Schuldner daher grds. nicht zu vertreten. 06.05.2015 / Folie 15 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B bb) Einstandspflicht für Erfüllungsgehilfen Zurechnung der streikbedingten Arbeitsniederlegung der AN nach § 278 BGB? e.A. keine Gehilfenhaftung nach § 278 BGB bei Leistungsstörung als Folge einer Arbeitskampfmaßnahme a.A. Anwendung von § 278 BGB, da Gläubigerschutz – kein Vertreten bei rechtmäßiger Arbeitskampfmaßnahme Keine Entscheidung, da in beiden Fällen keine Haftung von B eintreten würde. 06.05.2015 / Folie 16 16 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B d) Ergebnis Keine Schadensersatzansprüche von K gegen B. 3. Anteilige Rückerstattung des Preises für die Streckenmonatskarte AGL: § 346 BGB i.V.m. § 326 Abs. 4, Abs. 1, § 275 Abs. 1 BGB a) Anspruch dem Grunde nach (+) b) Ausschluss durch AGB-Klausel aa) Einbeziehung nach § 305 Abs.2 BGB (+) 06.05.2015 / Folie 17 17 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B bb) Überraschende Klausel § 305 c Abs. 1 BGB Sind solche Bestimmungen , die nach den Umständen des Vertrags so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders nicht mit ihnen zu rechnen braucht. Im Rahmen eines Dienstverhältnisses sind dies häufig Klauseln, welche das Gegenseitigkeitsprinzip aufzuheben versuchen. Im Fall wird der Vertragspartner zur Leistung verpflichtet, obwohl er die ihm selbst gebührende Leistung nicht erhält. Folge: Klausel nicht Vertragsbestandteil, § 305 c Abs.1 BGB cc) Ergebnis: Kein Ausschluss des Anspruchs durch AGB Bei Annahme einer Wirksamkeit ist fraglich, ob der streikbedingte Ausfall unter höhere Gewalt zu subsumieren gewesen wäre. 06.05.2015 / Folie 18 18 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 06.05.2015 / Folie 19
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