Klausurenkurs zum Schwerpunktbereich Arbeitsrecht WS 2015/16 Klausur 3 - Lösung - Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke 09.10.15 / Folie 1 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A A. Beantworten Sie nachstehende Fragen. I. 1. Definieren Sie den Begriff Arbeitskampf. Kollektive Maßnahme der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite zur Störung des Arbeitsverhältnisses, um ein bestimmtes Regelungsziel zu erreichen. 2. Worin unterscheiden sich Arbeitskampf und Zurückbehaltungsrecht (§ 273 BGB)? Der Arbeitskampf dient der Lösung einer Regelungsstreitigkeit für die Zukunft, währen das ZbR der Durchsetzung von Rechtsansprüchen dient. 09.10.15 / Folie 2 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A II. Nennen Sie je drei Arbeitskampfmittel auf. 1. Arbeitnehmerseite 2. Arbeitgeberseite Aussperrung/BetriebsStreik /Boykott/ stilllegung/Streikprämie Betriebsbesetzung oder Bzw. Beschäftigung von -blockade/Flash-Mob. Streikbrechern (zB LeihAN) 09.10.15 / Folie 3 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A III. Gibt es einen numerus clausus von Arbeitskampfmitteln? Begründen Sie Ihre Entscheidung. Nein, Art. 9 III GG garantiert die freie Wahl der Arbeitskampfmittel. IV. Wieso ist nach der Rspr. und h. M. während eines laufenden Tarifvertrags ein Arbeitskampf in Bezug auf Gegenstände des laufenden Tarifvertrags unzulässig? Friedenspflicht als Ausdruck des Grundsatzes der Vertragstreue. V. Sie sollen die Zulässigkeit einer einzelnen Arbeitskampfmaßnahme beurteilen. Wo finden Sie die wesentlichen Rechts(erkenntnis)quellen? Das Arbeitskampfrecht als solches ist nicht gesetzlich geregelt. Daher Art. 9 III GG + Richterrecht, insbes. BVerfG + BAG. 09.10.15 / Folie 4 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A VI. Begründen Sie, weswegen nach Rspr. und h. M. nur tariffähige Parteien einen Arbeitskampf ausrufen können? Der Arbeitskampf ist Hilfsmittel der Durchsetzung von Tarifforderungen. Deswegen kann dieser nur zwischen und durch tariffähige Parteien geführt werden. VII. Welche gesetzliche Regelung des Arbeitsförderungsrechts ist Ausdruck der Staatsneutralität im Arbeitskampf? § 160 SGB III 09.10.15 / Folie 5 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A VIII. Was besagt der ultima-ratio-Grundsatz im Arbeitskampfrecht? Begründen Sie, weswegen gleichwohl Warnstreiks trotz laufender Tarifvertragsverhandlungen zulässig sind, wenn die Friedenspflicht abgelaufen ist. Ein Arbeitskampf darf nur das letzte Mittel zur Erreichung des tariflichen Regelungsziels sein. Warnstreik lassen sich gleichwohl rechtfertigen, weil dadurch, dass die AG-Seite das Verhandlungsangebot der Gewerkschaft nicht annimmt zum Ausdruck kommt, dass das Verhandlungsziel zurzeit nicht anderweitig erreicht werden kann. IX. Wonach bestimmt sich verbandsintern die Zulässigkeit einer Arbeitskampfmaßnahme? Maßgeblich ist die zugrunde liegende Satzung. 09.10.15 / Folie 6 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil A X. Welche Rechtsfolgen hat der Ausruf eines Streiks durch eine Gewerkschaft für das einzelne Gewerkschaftsmitglied? Das Gewerkschaftsmitglied kann sich dem Streik anschließen. Begründet wird insoweit ein Gestaltungsrecht. Ggf besteht verbandsinterne Folgepflicht. 09.10.15 / Folie 7 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B B. Erstellen Sie ein Rechtsgutachten zu den aufgeworfenen Fragen I. Anspruch von D gegen A in Höhe von 4,30 € 1. Anspruch aus Arbeitsverhältnis i. V. m. Arbeitsvertrag a) Anspruch entstanden? (+), durch Abschluss des Arbeitsvertrags 09.10.15 / Folie 8 8 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B b) Problem: Höhe der Vergütung? aa) Zusammensetzung des Lohns Tariflohn + übertarifliche Zulage bb) Tariflohn (1) Bisher: 12,25 €/Stunde => 2.082,50 €/Monat (2) Zukünftig: Arbeitszeitverkürzung „bei vollem Lohnausgleich“, d. h. die Verkürzung der Arbeitszeit darf nicht zu einer Verringerung des tariflichen Monatseinkommens von 2.082,50 €/Monat führen. Daher 2.082,50 €/Monat : 160 Std./Monat => 13,02 €/Stunde 09.10.15 / Folie 9 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B cc) Übertarifliche Zulage (1) Bisher: 0,50 €/Stunde => 85 €/Monat (2) Zukünftig: (2.1) 0,50 €/Stunde bei verringerter Arbeitszeit, nämlich 0,50 €/Stunde x 160 Stunden/Monat = 80,00 €/Monat à Danach hätte A korrekt bezahlt (2.2) Aber: Tarifliche Regelung „bei vollem Lohnausgleich“? à Erstreckung neben dem Tariflohn auch auf übertarifliche Zulage? 09.10.15 / Folie 10 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B (2.2.1) „Bei vollem Lohnausgleich“ als sog. Effektivgarantieklausel, d. h. der bisher gezahlte Lohn wird für die Zukunft tariflich garantiert? - (-), weil erstens eine solche Absicht der Tarifvertragsparteien sich nicht entnehmen lässt - ferner werden Effektivgarantieklauseln in st. Rspr. und nach h. L. als unwirksam angesehen 09.10.15 / Folie 11 11 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B (2.2.2) Aber Aufrechterhaltung des bisherigen Lohnstandards auf Grund einer begrenzten Effektivklausel? Nach früherer Rstpr. des BAG waren sog. begrenzte Effektivklauseln zulässig, -d. h. durch TV konnte geregelt werden, dass bisher gewährte übertarifliche Zulagen von einer Tariflohnerhöhung nicht berührt werden, also in unveränderter Höhe weitergezahlt werden müssen 09.10.15 / Folie 12 st. Rspr. des BAG seit 1968 + h. M. gegen die Zulässigkeit von begrenzten Effektivklauseln 12 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B Begrenzte Effektivitätsklausel Zulässigkeit (+) Arg: Zulässigkeit (-) - Regelung außertariflicher Arbeitsbedingungen nicht von Regelungsmacht der TV-Parteien umfasst - Lohnhöhe nicht mehr aus Vertragstext zu entnehmen (§ 1 Abs. 2 TVG) à Streitentscheid à Unzulässigkeit (a.A. vertretbar) 09.10.15 / Folie 13 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B 2.2.3. Aufrechterhaltung als Besitzstandsklausel? Nach h.M. zulässig – aber ebenfalls zweifelhaft! - Streit muss an dieser Stelle nicht entschieden werden, weil A hier die bisherige Zulage in unveränderter Höhe weiterzahlt, nämlich in Höhe von 0,50 € je Stunde. - Verringerung des Lohns ergibt sich hier nicht aus einer Kürzung der Zulage, sondern einer Veränderung der Berechnungsbasis, nämlich statt bisher 40-Wochen-Stunden nunmehr 37,5-WochenStunden. 09.10.15 / Folie 14 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B 2. Ergebnis Ein Anspruch auf den zusätzlichen Lohn (-) 09.10.15 / Folie 15 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B II. Anrechnung der Tariflohnerhöhung auf Zulage 1. Individualrechtliche Zulässigkeit der Kürzung der übertarifliche Zulage? (+), weil hier Anrechnungsvorbehalt à Daher grds. Anrechnung in Höhe der Tariflohnerhöhung möglich, sodass bei D auf Grund des Vorbehalts die Tariflohnerhöhung von 0,77 € auf die Zulage in Höhe von 0,50 € angerechnet werden könnte 09.10.15 / Folie 16 16 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B 2. Tariflicher Ausschluss der Anrechnung auf Grund „Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich“? a) Effektivgarantieklausel (-), da unzulässig b) Begrenzte Effektivitätsklausel (-), da ebenfalls unzulässig (s.o.) 09.10.15 / Folie 17 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B c) Besitzstandsklausel? =verbieten dem AG einseitige Kürzungen von zusätzlichen Leistungen anlässlich einer Tariflohnerhöhung - à Zulässigkeit? hM (+) – a.A. gut vertretbar - hier aber (-), weil Wille der Tarifvertragsparteien im Zweifel nur die tariflichen Arbeitsbedingungen zu regeln - Besitzstandsklauseln, die darüber hinausgehen, bedürfen einer besonders deutlichen Vereinbarung, die der bloßen Formulierung „Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich“ nicht entnommen werden kann. à Daher Anrechnung auch nicht auf Grund einer sog. Besitzstandsklausel ausgeschlossen 09.10.15 / Folie 18 18 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B c) Zwischenergebnis Arbeitgeber A ist also auch durch den TV nicht die Anrechnung der Tariflohnerhöhung untersagt 09.10.15 / Folie 19 19 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B 3. Mitbestimmung des Betriebsrats § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei Anrechnung? - Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen unterliegen grds. dann der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, wenn sich dadurch die Verteilungsgrundsätze ändern - Veränderung der Verteilungsgrundsätze liegt vor, wenn sich das für die Verteilungsgerechtigkeit entscheidende Verhältnis der Zulagen zueinander ändert à hier: Kürzung Zulage von 0,50 €/Stunde auf 0,25 € je Stunde à Damit bleibt das Verhältnis der Zulagen zueinander unverändert 09.10.15 / Folie 20 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Aufgabenteil B 4. Ergebnis Kürzung mitbestimmungsfrei (+) 09.10.15 / Folie 21 Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits- und Sozialrecht Prof. Dr. Burkhard Boemke Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 09.10.15 / Folie 22
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