Sein Kontinent Sein Jahrhundert Der Schriftsteller Eduardo Galeano prägte das Bild Lateinamerikas. Seite 16 Günter Grass’ Werk führt vor Augen, dass Geschichte in Geschichten zersplittert ist. Ein Nachruf auf Seite 3 Foto: AFP/Ronaldo Schemidt Foto: dpa/Arno Burgi Dienstag, 14. April 2015 Außenminister verhandeln über Ukraine Neue Gefechte in Donezk Berlin. Eine Entschärfung des Konfliktes in der Ostukraine sollte laut Bundesaußenminister FrankWalter Steinmeier (SPD) am Abend in Berlin vorangebracht werden. Gemeldet wurde aber auch ein Wiederaufflammen »intensiver Gefechte nahe Donezk und Schirokin«. Unmittelbar vor einem Treffen der Außenminister aus Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland sagte Steinmeiers Sprecher Martin Schäfer, zu den zentralen Fragen gehöre die Vorbereitung lokaler Wahlen in der Ostukraine, der Zugang für humanitäre Helfer und die Regelung eines Sonderstatus für die Donbass-Region. Schäfer warnte vor einer neuen Eskalation, falls der vor zwei Monaten in der belarussischen Hauptstadt Minsk vereinbarte politische Prozess zum Stillstand komme. Auf Fortschritte bei der Entschärfung des Konfliktes verwies Serbien, das seit 100 Tagen an der Spitze der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) steht. Schon »in den nächsten Tagen« könnten Arbeitsgruppen durch Kiew, Moskau, die Aufständischen und die OSZE gebildet werden, kündigte der serbische Außenminister Ivica Dacic in Belgrad an. Die Ukraine lehnt die Bildung der in Minsk vereinbarten Donbass-Arbeitsgruppen ab. Eine Absage gab es auch auf Forderungen, die wirtschaftliche und finanzielle Blockade der Ostukraine zu beenden. Kiew werde doch nicht noch die »Terroristen« unterstützen, meinte in Kiew Außenministeriumssprecher Jewgeni Perebijnis. dpa/nd 70. Jahrgang/Nr. 86 ISSN 0323-3375 www.neues-deutschland.de »Wer sagt, alle Asylbewerber sind Dreckspack, dem sage ich, dass er ein Nazi ist und die Schnauze halten soll.« Cem Özdemir Im sachsen-anhaltischen Tröglitz brannte Anfang April eine geplante Flüchtlingsunterkunft. Foto: dpa/Polizei Sachsen-Anhalt Gegen den Furor des Hasses »Das ist kein guter Tag für Sachsen«, hat Landesinnenminister Markus Ulbig vor dem Pegida-Aufmarsch erklärt. Es sollte wie Kritik an der rechten Bewegung klingen – die fällige Selbstkritik hat der CDU-Politiker vermissen lassen. Ulbig gehört zu denen, die eine politische Mitverantwortung an der immer bedrohlicher werdenden rassistischen Welle tragen. Er hat etwa mit dem Ruf nach schnellen Abschiebungen den Strudel der Vorurteile mit beschleunigt. Als daraus ein Sog namens Pegida wurde, versuchte der CDU-Mann, mit Verständnis für »besorgte Bürger« auch noch davon zu profitieren. Sachsens Innenminister ist kein Einzelfall. Die CSU hetzt mit NPD-Rhetorik gegen Migranten. Das großkoalitionäre Asylunrecht behandelt arme Flüchtlinge als Problem statt den Mangel an Solidarität in einem reichen Land. Und so fort. Wer im Angesicht von Bedrohungen und Anschlägen nun einen »Aufstand der Anständigen« herbeiwünscht, darf das nicht (erneut) übersehen. Eine rassistische Welle entsteht nicht von allein, ihre Energie bezieht sie tief aus dem Bauch einer Gesellschaft, die auf Spaltung gründet. Und die Welle kann noch größer und gefährlicher werden, wenn sie nicht gebrochen wird. Das ist bisher nicht geschehen. Manches, das den Furor des Hasses stoppen könnte, braucht wohl länger. Doch haben die Menschen die Zeit, die nun in Flüchtlingsheimen oder anderswo mit dem Tod bedroht werden? Ihr Leben steht auf dem Spiel – nicht Deutschlands Ansehen, um das sich Politiker in dunklen Zeiten wie diesen gern sorgen. Es geht um den Mindestanspruch einer ganzen Gesellschaft an sich selbst – in der niemand Citoyen sein kann, solange anderen die Vor einem Jahr entführte Boko Haram mehr als 200 Schülerinnen Köln. Rund 800 000 Kinder sind nach UNAngaben in Nigeria auf der Flucht vor dem Konflikt mit der Islamistengruppe Boko Haram. In einem Jahr habe sich die Zahl der Binnenflüchtlinge auf 1,2 Millionen Menschen fast verdoppelt, hieß es in einem am Montag veröffentlichten Bericht des UN-Kinderhilfswerks UNICEF. Ein Jahr nach der Entführung von über 200 Schülerinnen im Norden Nigerias durch Boko Haram forderte UNICEF mehr Schutz für Kinder in dem Land. »Die Entführung der Mädchen aus Chibok vor einem Jahr war ein schreckliches Verbrechen, Angriffe auf Schulen und Entführungen von Kindern dürfen in Nigeria nicht länger zum Alltag gehören«, erklärte der Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, Christian Schneider. »Schutz und Hilfe für Kinder in der Region müssen wo immer möglich verstärkt werden.« UNICEF erklärte, Tausende Kinder aus Nigeria seien Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen. Mädchen und Jungen würden getötet, entführt, zwangsverheiratet, als Kämpfer rekrutiert oder in extremen Fällen dazu gezwungen, sich als Selbstmordattentäter zu sprengen. In den Jahren 2012 bis 2014 seien bei gezielten Angriffen auf Schulen im Nordosten Nigerias mindestens 196 Lehrer und 314 Schüler getötet worden, erklärte UNICEF. Mehr als 300 Schulen wurden zerstört oder schwer beschädigt. Die UN-Organisation betonte, viele Familien seien bei der Ankunft in den Flüchtlingslagern völlig entkräftet sowie mittellos und bräuchten dringend Hilfe. Immer mehr Kinder und Jugendliche seien auf sich allein gestellt. Agenturen/nd Seite 7 Hunderttausende gingen gegen die Präsidentin auf die Straße STANDPUNKT Tom Strohschneider über Pegida, die rassistische Welle und Mut zum Widerstand 800 000 Kinder sind in Nigeria auf der Flucht Brasilien: Rousseff unter Druck der Demonstranten Rechtsaußen Wilders bei Pegida-Aufmarsch +++ Thüringens Premier Ramelow erhält Morddrohungen von Rassisten +++ Flüchtlingsbeauftragte Özoguz kämpft mit Hassbotschaften +++ Neonazis »hängen« Puppe in deutsch-russischer Schule in Berlin +++ Rechte drohen Juso-Vize in Niedersachsen mit KZ +++ Neun Schüsse auf Asylheim in Hessen +++ Versicherung nach Kündigung von Flüchtlingsunterkunft wegen »Gefahrenerhöhung« in der Kritik +++ Seiten 2 und 11 UNTEN LINKS Mit dem Glückwunsch von Bayerns Ex-Ministerpräsidenten Edmund Stoiber an Angela Merkel zum 15-jährigen Jubiläum als CDU-Chefin wurde das Rätselraten um das legendäre Wolfratshauser Frühstück 2002 neu entfacht. »Viel gegessen haben wir dabei nicht«, erklärte Stoiber jetzt in der »Bild«-Zeitung unter Bezug auf das damalige Gerangel am Küchentisch um die K-Frage in der Union. Eine überraschende Wendung. Immerhin hatte der CSU-Mann vor zweieinhalb Jahren in seinen Memoiren enthüllt, dass es frische Semmeln, Butter, Marmelade, Honig, Käse und Wurst gab. Und stolz angemerkt, wie Merkel noch neun Jahre danach bei seinem 70. Geburtstag seiner Gattin bescheinigt habe, das Frühstück sei super gewesen. Vielleicht müssen noch einmal 15 Merkel-Jahre ins Land gehen, bis wir erfahren, dass es nicht in Wolfratshausen, sondern bei Tiffany stattfand und statt Semmeln Sekt gereicht wurde – was auch erklären würde, warum Stoibers Erinnerungen so variieren. oer Bundesausgabe 1,70 € Freiheit zu leben bestritten wird. Es ist an der Zeit, deutlicher Nein zu sagen, wenn im Betrieb »die Ausländer« schlechtgeredet werden; sich im Alltag vehementer einzumischen, wenn rassistische Sprüche geklopft werden; in der Politik klarer Kante zu zeigen, wenn Flüchtlinge als Kostenfaktoren und Migranten nur nach Nützlichkeit betrachtet werden. Grünen-Chef Cem Özdemir hat mit Blick auf einen der Pegida-Drahtzieher erklärt, wer Asylbewerber »Dreckspack« nennt, »mit dem rede ich nicht, sondern dem sage ich, dass er ein Nazi ist und die Schnauze halten soll«. Genau so. Widerstand braucht jetzt mehr Mut. Dringend. Sonst geht nicht nur von Dresden weiter ein Signal aus, das die Attentäter von Vorra, Tröglitz und anderswo als Bestätigung für ihre Mordbrennerei ansehen. Eine rassistische Welle war schon einmal der Rückraum, in dem eine Generation neonazistischer Terroristen heranwachsen konnte – der NSU. Brasília. Mit Großkundgebungen haben sich erneut Hunderttausende Brasilianer gegen Korruption und steigende Lebenshaltungskosten gewandt. Nach Polizeiangaben beteiligten sich am Sonntag knapp 700 000 Demonstranten an Protesten in mehr als 200 Städten des Landes. Die Organisatoren gaben die Teilnehmerzahl mit eineinhalb Millionen an. Die Demonstranten wandten sich mit Sprechchören wie »Dilma raus« und »Korrupte Regierung« gegen die politische Führung um Staatschefin Dilma Rousseff. Bei der größten Kundgebung versammelten sich in der Wirtschaftsmetropole São Paulo nach Polizeiangaben etwa 275 000 Menschen, die Initiatoren sprachen von rund 800 000 Teilnehmern. In Rio de Janeiro gab es zwei kleinere Demonstrationen, an denen sich Medienberichten zufolge an die 10 000 Menschen beteiligten. In der Hauptstadt Brasília waren es mehr als 25 000. Die Proteste richteten sich gegen Inflation und Energiekosten. Zudem machten die Teilnehmer ihrer Wut über den Korruptionsskandal um den staatlichen Ölkonzern Petrobras Luft. Laut Staatsanwaltschaft zahlten rund zwei Dutzend Firmen, zumeist große Baukonzerne, an Petrobras Schmiergeld, um an lukrative Aufträge zu kommen. Das Staatsunternehmen soll zudem Auftragssummen durch illegale Aufschläge aufgebläht haben. Die Mehreinnahmen sollen an andere Unternehmen weitergeleitet worden sein. Nachdem das Geld auf diese Weise gewaschen wurde, wurde es nach Angaben der Ermittler als Bestechungsgeld ausgezahlt. Davon sollen vor allem Politiker der regierenden Arbeiterpartei von Präsidentin Rousseff profitiert haben. AFP/nd Seite 10
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