Ausgabe vom 08.06.2015

Deutsche Botschaft Moskau
- Pressereferat Russland in deutschsprachigen (Online-)Medien
27.07.2015
Redaktion: Maximilian Feldmann
Russland in deutschen Medien wird zur internen Unterrichtung der Botschaft zusammengestellt und enthält eine
Auswahl von Artikeln aus in Deutschland, Österreich und der Schweiz erscheinenden Presseerzeugnissen, die aus
dem Internetangebot dieser Medien heruntergeladen werden, weshalb sich zeitliche Verschiebungen gegenüber der
Veröffentlichung im jeweiligen Druck-Medium ergeben können.
Inhalt
Das rassistische Manifest, FAZ.net .................................................................................................1
Schwimmen hält jung, FAZ.net .......................................................................................................2
Spot an, Licht aus, sueddeutsche.de ................................................................................................2
Blatters Pakt mit dem Putin, Welt.online ........................................................................................2
Sibirien ist nur karg und kalt? Von wegen, Welt.online .................................................................3
Die moralische Baustelle,tagesspiegel.de ........................................................................................3
Russlands Pläne im All Eine eigene Raumstation, Mars-Missionen und endlich Kosmonauten
zum Mond bringen, tagesspiegel.de ................................................................................................3
Dümmliche Niederlagen, taz.de ......................................................................................................4
Ein Land zwischen den Fronten, handelsblatt.com .........................................................................4
800 Euro zum Kaffee, Der Spiegel ..................................................................................................4
Russische Fußball-Schönheitskönigin: Schön rechts, Der Spiegel .................................................6
Theater um russischen Major in der Ukraine, derstandard.at ..........................................................7
Geburt des Donbass: Ein "wildes Feld" für Magnaten und Sowjets, diepresse.com ......................7
Im Schatten des Imperiums, NZZ.ch ...............................................................................................9
Das rassistische Manifest, FAZ.net
von Friedrich Schmidt, 27.07.2015
Affenrufe und brennende Fahnen: Im russischen Fußball werden Schwarze und Kaukasier
verhöhnt. Die Verantwortlichen bestrafen die Opfer.
Nur zwei Tage war Olga Kuskowa die „Miss Charme“ der Premjer-Liga, der ersten russischen
Fußballspielklasse. Der 21 Jahre alten Unterstützerin von ZSKA Moskau, die den jährlichen
Schönheitswettbewerb gewonnen hatte, wurden Einträge auf ihrer Seite in einem sozialen
Netzwerk zum Verhängnis. Laut Medienberichten hatte sie dort unter eine Fotokombination aus
einem Schokoladenriegel und schwarzafrikanischen Kindern in schmutziger Kleidung
geschrieben, sie möge Schokolade, aber nach diesem Bild habe sie eine Abneigung dagegen
entwickelt. Berichtet wurde auch von der Karikatur einer grinsenden Frau vor zwei Öfen mit
dem Aufruf, Juden sowie Menschen aus dem Kaukasus zu verbrennen.
[…]
http://www.faz.net/aktuell/russlands-premjer-liga-das-rassistische-manifest-13718765.html
Schwimmen hält jung, FAZ.net
von Christoph Becker, 27.07.2015
Nicht nur die Fifa hat bemerkenswerte Funktionäre: Auch dem Internationalen
Schwimmverband steht eine erstaunliche Figur vor, die bei der Weltmeisterschaft im
russischen Kasan allzu gerne mit Wladimir Putin posiert.
Schwimmen. Ein herrlicher Sport, natürlich nicht nur bei diesen Temperaturen. Und vor allem:
ein Sport für jedes Alter. Ein Sport, der Generationen zusammenführt: Jugendliche auf der Suche
nach ein bisschen Liebe auf der Liegewiese und den besten Posen auf dem Drei-Meter-Brett, und
Senioren, auf der Suche nach ein bisschen Klatsch am Beckenrand und der besten Haltung beim
Toten Mann auf der Fünfzig-Meter-Bahn. Schwimmen hält jung.
Das hat auch Julio Cesar Maglione gemerkt, ein rüstiger Mann aus Uruguay, der im November
ins neunte Lebensjahrzehnt eintritt. Maglione steht seit 2009 der Fina vor, dem Weltverband
aller Schwimmer, Springer und Wasserballspieler. Im Jahr 2009 war er ins Präsidentenbüro in
Lausanne eingezogen. „Amtszeiten sollten beschränkt werden“, sagte Maglione damals. „Ich
will hier nicht mehr sein, wenn ich 80 bin.“
[…]
http://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/kommentar-schwimmen-haelt-jung-13718981.html
Spot an, Licht aus, sueddeutsche.de
von Frank Nienhuysen, 27.07.2015
Der ukrainische Regisseur Oleg Senzow stammt von der Krim. Dort engagierte er sich
gegen die russische Besetzung. Nun steht er in Moskau vor Gericht - unter Terrorverdacht.
Seine einzige Hoffnung ist ein Gefangenenaustausch.
Die Kamera ist diesmal auf den Filmemacher gerichtet, und sie zeigt ihn in einem russischen
Gerichtssaal, in einem gläsernen Kabuff. Oleg Senzow, Ukrainer, helles T-Shirt, kurze dunkle
Haare, würde wohl eine Menge dafür geben, wenn dies Dreharbeiten wären. Aber es ist sein
Prozess, an diesem Montag ist die nächste Anhörung, und die Vorwürfe gegen ihn wiegen
schwer: Mehrere Anschläge, Planung weiterer Terrorangriffe, Gründung einer regionalen Zelle
der paramilitärischen, rechtsnationalistischen ukrainischen Organisation Rechter Sektor. All dies
könnte zu einer Haftstrafe von 20 Jahren führen. Senzow selber sagte, er glaube, dass es dazu
auch kommt. Für unschuldig hält er sich trotzdem.
[…]
http://www.sueddeutsche.de/politik/russland-spot-an-licht-aus-1.2582741
Blatters Pakt mit dem Putin, Welt.online
von Oskar Beck, 27.07.2015
Jede Woche schreibt Oskar Beck über Hintergründiges aus dem Sport. Heute über das
Bündnis von Fifa-Präsident Sepp Blatter und Wladimir Putin. Und über andere
verblüffende Doppelpässe.
Sepp Blatter reist wieder, Gott sei Dank. Als der Fifa-Präsident neulich die Frauen-WM in
Kanada mied, waren viele besorgt, dass er womöglich für den Rest seines Lebens die Schweiz
nie mehr verlässt – jedenfalls nicht dorthin, wo ihm passieren könnte, was sich der britische Fifa-
Enthüller Andrew Jennings neulich so wünschte: "An der Straße hält plötzlich ein Polizeiauto,
und der Sheriff sagt: Steigen Sie bitte ein, Herr Blatter."
[…]
http://www.welt.de/sport/fussball/article144470845/Blatters-Pakt-mit-dem-Putin.html
Sibirien ist nur karg und kalt? Von wegen, Welt.online
von Daniel Stolpe, 27.07.2015
Über kaum eine Region der Erde sind so viele Klischees im Umlauf wie über Sibirien.
Darum verirrt sich hierhin kaum ein Tourist. Unser Autor räumt mit so manchen falschen
Vorstellungen auf.
Vorurteil eins: Alle Russen sind wie Wladimir Putin – kühl und gewissenlos; man hält sich von
ihnen am besten fern. Vorurteil zwei: Sibirien ist karg, in zehn Monaten des Jahres ist es dort
kalt und in den anderen beiden noch kälter.
Fort mit den Klischees! Am besten macht man sich selbst ein Bild und reist durch Sibiriens
Regionen Chakassien, Tuwa und Krasnojarsk. Dort lernt man ein ganz anderes Russland kennen
– frei von Stereotypen, mit unberührter Natur und immer für eine Überraschung gut.
In Tuwa ist man stolz auf eine gewisse Exotik
[…]
http://www.welt.de/reise/Fern/article144401614/Sibirien-ist-nur-karg-und-kalt-Von-wegen.html
Die moralische Baustelle,tagesspiegel.de
von Elke Windisch, 27.07.2015
In St. Petersburg werden am Samstag die Qualifikationsgruppen für die umstrittene
Fußball-WM 2018 ausgelost. Ein Ereignis, das sich weder Sepp Blatter noch Wladimir
Putin entgehen lassen.
Kommt Wladimir Putin nach St. Petersburg oder kommt er nicht? Natürlich kommt er. Natürlich
wird er am Samstag im Konstantinpalast bei der Auslosung der Qualifikationsgruppen für die
Fußball-Weltmeisterschaft eine Rede halten. Veranstaltungen von internationaler Wichtigkeit,
besonders im Sport, sind für den Kremlchef und aktiven Judoka stets Chefsache. Um die
Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 zu sichern, schickte er sieben Jahre zuvor gleich
seinen besten Mann zur Vergabe nach Guatemala: Wladimir Putin.
[…]
http://www.tagesspiegel.de/sport/fussball-wm-2018-in-russland-die-moralischebaustelle/12102718.html
Russlands Pläne im All Eine eigene Raumstation, MarsMissionen und endlich Kosmonauten zum Mond bringen,
tagesspiegel.de
von Gerhard Kowalski, 27.07.2015
Russland gehört zu den wichtigsten Partnern der Internationalen Raumstation (ISS), hat
aber angekündigt, 2024 aus dem Projekt auszusteigen.
Bereits 2023 soll nach dem Willen von Präsident Wladimir Putin eine neue russische
Raumstation gebaut werden. Als Grundlage könnten dabei zwei oder drei Module dienen, die in
den kommenden Jahren eigentlich das russische ISS-Segment vervollständigen sollten.
[…]
http://www.tagesspiegel.de/wissen/russlands-plaene-im-all-eine-eigene-raumstation-marsmissionen-und-endlich-kosmonauten-zum-mond-bringen/12106184.html
Dümmliche Niederlagen, taz.de
von Klaus-Helge Donath, 27.07.2015
Am Samstag findet die Gruppen-Auslosung für die WM-Qualifikation statt. Der Zustand
der russischen Mannschaft ist desolat.
Die jüngste Geschichte des russischen Fußballs ist eine Geschichte von unrühmlichen
Niederlagen. „Krachende, spektakuläre Schlappen“ könnten russische Fans verkraften, aber nicht
diese „dümmlich trotteligen Niederlagen“, meinte ein bekannter russischer Sportkommentator
zum Leistungsstand der russischen „sbornaja“. Just am Vorabend des ersten FußballGroßereignisses auf russischem Boden - der Gruppen-Auslosung für die WM-Qualifikation in
Sankt Petersburg 2018.
[…]
http://www.taz.de/Fussball-WM-2018-in-Russland/!5217613/
Ein Land zwischen den Fronten, handelsblatt.com
von Nina Jeglinski, 27.07.2015
Machtkämpfe mit Schmugglern, neue Kämpfe im Osten, Einflussnahme aus Russland und
den USA: Die Ukraine muss derzeit an mehreren Fronten kämpfen. Es wächst die Angst
vor dem endgültigen Chaos.
Aus den großen Schlagzeilen ist die Ukraine zuletzt verschwunden. Doch das heißt nicht, dass
sich die Lage im Land wirklich beruhigt hätte. Die Regierung liefert sich einen Machtkampf mit
Vertretern des paramilitärischen „Rechten Sektors“, die Dezentralisierung und der Sonderstatus
des Donbass sorgt für Streit und im Osten wird trotz Waffenstillstands weiter gekämpft. Hinzu
kommt eine Wirtschafts- und Finanzkrise, die immer bedrohlicher wird. Viele fürchten, dass
nach dem Krieg in der Ost-Ukraine auch andere Landesteile destabilisiert werden und das Land
vollends ins Chaos stürzt.
[…]
http://www.handelsblatt.com/politik/international/machtkaempfe-in-der-ukraine-ein-landzwischen-den-fronten/12095544.html
800 Euro zum Kaffee, Der Spiegel
von Hubert Gude, 27.07.2015
Ivan A. hatte einen entspannten Urlaub geplant. Am Düsseldorfer Flughafen holte der
russische Wissenschaftler seine gerade aus Moskau eingetroffene Ehefrau ab, um mit ihr
zunächst nach Eindhoven zu fahren, wo er an der Technischen Universität (TU) forschte.
Von dort sollte es weitergehen ans Meer. Das war im Juli vergangenen Jahres. Doch der
Physiker hatte gerade seinen Parkschein in den Automaten gesteckt, als sich ihm ein
Wagen mit schwer bewaffneten Polizeibeamten in den Weg stellte.
Das russische Paar wurde festgenommen und bis spät in der Nacht in der Inspektion der
Bundespolizei verhört. Der Laptop, das Handy und sogar der Kindle des Physikers wurden
beschlagnahmt. Nachdem sie Fingerabdrücke genommen und Fotos gemacht hatten, eröffneten
ihm die Beamten den Vorwurf: Spionage. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe führt inzwischen
ein Verfahren wegen "des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit" gegen den
Russen. Aktenzeichen: GBA 3BJs 7/14-3 geh.
Der 28-jährige Physiker steht unter dem Verdacht, vertrauliche Forschungsinhalte an den
russischen Geheimdienst SWR verraten zu haben. Es geht um den sensiblen Bereich
Wissenschafts- und Industriespionage, um Hightech aus den Niederlanden und Deutschland. Die
TU kooperiert eng mit dem Technologiekonzern Philips, der in Eindhoven einst gegründet
wurde.
Und es geht um Know-how aus einer deut-schen Eliteeinrichtung. Denn bevor Ivan A. 2013 in
die Niederlande ging, forschte er über drei Jahre lang, von 2009 bis 2011, jeweils für mehrere
Monate als Gastwissenschaftler am "Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts" im
bayerischen Erlangen. Die Spezialgebiete des Russen: Quantenoptik und Nanophotonik. Er
arbeitete in der Grundlagenforschung, die etwa bei der Entwicklung von ultraschnellen
Quantencomputern eine Rolle spielt.
Seit Jahren warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vor russischen Angriffen auf
deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Diverse hoch professionelle
Hackerangriffe, etwa auf das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt im Jahr 2013, werden
russischen oder chinesischen Geheimdiensten zugeschrieben.
Aufmerksam wurde der Verfassungsschutz auf den Wissenschaftler offenbar eher zufällig. Das
Amt observierte gerade einen russischen Diplomaten am Generalkonsulat in Bonn, den es als
Offizier des zivilen russischen Geheimdienstes SWR enttarnt hatte. Einmal im Monat reiste der
falsche Diplomat nach Aachen, wo er in einem Café beim Hauptbahnhof einen Landsmann traf.
Bei diesen Treffen soll Geld übergeben worden sein.
Der Landsmann, so stellte sich bald heraus, war der junge Physiker Ivan A., der jedes Mal mit
dem Auto aus den Niederlanden nach Aachen anreiste.
Auf seinem Spezialgebiet war er offenbar sehr erfolgreich. Seinem LinkedInProfil zufolge
promovierte er an der Lomonossow-Universität in Moskau, gewann Stipendien und forschte an
internationalen Einrichtungen wie dem Max-Planck-Institut. "Ivan A. war ein vielversprechender
und höchst talentierter Forscher", erinnert sich Professor Gerd Leuchs, der mit A. in Erlangen
zusammenarbeitete und mehrfach mit ihm publizierte.
Als das Institut von dem Spionageverdacht gegen den russischen Wissenschaftler erfuhr, war
Ivan A. bereits nicht mehr in Leuchs Arbeitsgruppe. Im Februar 2014 unterrichtete ein BfVMitarbeiter diskret die Personalabteilung der Forschungseinrichtung, fünf Monate später wurde
der mutmaßliche Spion festgenommen. Seitdem warten die Wissenschaftler des Instituts auf das
Ergebnis der Ermittlungen, in welchem Umfang er womöglich Forschungsinhalte gestohlen hat.
Die TU Eindhoven, wo A. von September 2013 bis Juli 2014 forschte, leitete interne
Untersuchungen ein, als sie von dem Spionageverdacht erfuhr. Der Russe wurde mit den
Vorwürfen konfrontiert und verlor seine Zulassung. Er werde als "Gefahr für die nationale
Sicherheit des Landes" betrachtet, schrieb das niederländische Justizministerium, das ihm das
Schengenvisum entzog, mit dem er in Europa reisen konnte. Er sei eine Persona non grata, eine
unerwünschte Person.
Ivan A. ist nach Moskau zurückgekehrt, wo ihn der SPIEGEL mit den Vorwürfen konfrontierte.
"Ich bin kein Spion", sagte der Wissenschaftler. Bei den monatlichen Treffen in Aachen sei es
um ein Apartment in Moskau gegangen, "das ich an Freunde des russischen Diplomaten
vermietet hatte". Dass er bei den Treffen Geld bekam, räumt A. ein. 800 Euro habe ihm der
Diplomat jeden Monat beim Kaffee überreicht, angeblich für die Miete der Moskauer Wohnung.
Abgeschlossen ist der Fall noch nicht. Der Verfassungsschutz versucht das deutsche Umfeld des
Wissenschaftlers und des inzwischen ausgewiesenen Diplomaten abzuklären. Deshalb bat er die
Bundesanwaltschaft, bei den Ermittlungen "vorübergehend innezuhalten".
Das Schreiben vom 29. Juni landete allerdings nicht nur in Karlsruhe, son-dern auch im privaten
Mail-Account eines Wuppertalers. Der Mann hatte sich als "Mechaniker" und "Observant" beim
BfV beworben. Im Anhang seiner Absage-Mail fand er als Irrläufer das brisante Schreiben an die
Bundesanwaltschaft.
Die Ermittlungen gegen Ivan A. und sei-nen mutmaßlichen Agentenführer dauern an.
Russische Fußball-Schönheitskönigin: Schön rechts, Der Spiegel
von Benjamin Bidder, 27.07.2015
Hübsches Gesicht, hässliche Gedanken: Russlands Fußballliga hat einer Schönheitskönigin
den Titel aberkannt, weil sie Hitler verehrt. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf den
Rassismus im russischen Fußball - und die Halbherzigkeit der Funktionäre.
Drei Jahre vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft sorgt ein Rassismus-Skandal in Russland für
Schlagzeilen. Die russische Fußball-Liga hat einer jungen Moskauerin den Titel "Miss
Charming" zuerkannt. Im Netz sorgte die Auszeichnung von Olga Kuskowa für Empörung.
Kuskowa ist 21 Jahre alt, Anhängerin des Moskauer Armee-Clubs ZSKA und spielt selbst in
einem Amateur-Team Fußball.
Antirassismus-Aktivisten hatten nach der Auszeichnung allerdings Hinweise darauf zusammen
getragen, dass sich hinter Kuskowas hübschem Gesicht durchaus hässliche Gedanken verbergen.
Auf Facebook machte die Gruppe "ZSKA-Fans gegen Rassismus" darauf aufmerksam, dass
Kuskowa in sozialen Netzwerken Gedankengut von Neonazis verbreitet und Hass gegen Juden
und Ausländer schürt. Daraufhin entzog die russische Fußball-Liga der 21-Jährigen den Titel
wieder.
Auf Fotos des sozialen Netzwerks VK.com - einer russischen Facebook-Alternative - posiert sie
etwa mit zum Hitlergruß gehobenen Arm. Eine andere Aufnahme zeigt sie mit einem Begleiter,
der die Zahlen 14 und 88 als Tattoo trägt. Beides sind bei Neonazis beliebte Codes. 14 steht für
"Fourteen Words", einen Glaubenssatz von Rassisten: "Wir müssen die Existenz unseres Volkes
und die Zukunft für die weißen Kinder sichern". Die Ziffer 88 ist eine Chiffre für "Heil Hitler".
Liga-Funktionär Sergej Tscheban sagte der Zeitung "Sport-Express", man bedauere den Vorfall.
Er bat auch um "Verständnis" für Kuskowa: In jungen Jahren "haben wir alle Fehler gemacht.
Wer ist schon ohne Sünde?"
Dem Profil im Internet nach zu urteilen wirkt das Weltbild der degradierten Schönheitskönigin
allerdings durchaus fest gefügt. Ein Eintrag zeigt ein Foto von Krematorien mit dem Slogan:
"Juden und Chatschis brennen gut im Ofen." Chatschi ist ein grobes Schimpfwort für Menschen
aus dem Kaukasus. In einem anderen werden farbige Kinder in Afrika mit einem Schokoriegel
verglichen. In einem Video sagt ein Russe zu Afrikanern: "Nur ein Weißer ist ein Mensch". "Hat
er alles richtig gesagt", hat Kuskowa darunter geschrieben.
Der Fall wirft ein Schlaglicht darauf, wie weit verbreitet rechte Parolen im russischen Fußball
sind. Im April verurteilte die Liga Spartak Moskau zu einer Geldstrafe, weil Fans ein
rassistisches Banner im Stadion aufgehängt hatten. 2014 musste ZSKA vor leeren Rängen in der
Champions League gegen Bayern München spielen, wegen rassistischer Ausschreitungen. Im
Herbst 2013 ließen Spartak-Fans bei einem Auswärtsspiel in Jaroslawl eine Hakenkreuz-Fahne
über den Rängen flattern und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Liga und Verband reagieren mitunter halbherzig. Vor allem Beleidigungen von Spielern anderer
Hautfarbe sind in Russlands erster Liga nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Am
vergangenen Freitag - 1. Spieltag nach der Sommerpause - beleidigten Fans von Spartak Moskau
Emanuel Fripong vom Gastteam FC Ufa, einen englischen Spieler mit Wurzeln in Ghana.
Die Liga verhängte daraufhin eine Strafe - allerdings gegen den Spieler, der den Fans nach den
Schmähungen den Mittelfinger gezeigt hatte.
http://www.spiegel.de/panorama/leute/russland-rechte-fussball-schoenheitskoenigin-muss-titelabgeben-a-1045092.html
Theater um russischen Major in der Ukraine, derstandard.at
von André Ballin, 27.07.2015
Kiew nimmt angeblich Offizier aus Russland fest
Der ukrainische Grenzschutz meldet die Festnahme eines russischen Majors. Er soll einen
Munitions-Lkw der Rebellen begleitet haben, als er am Kontrollpunkt Beresowoje im Gebiet
Donezk abgefangen wurde. Während ein ebenfalls festgenommener Separatistenkämpfer einen
Ausweis der "Donezker Volksrepublik" (DVR) bei sich trug, wird die Identität des Russen
bislang dokumentarisch nicht bestätigt; die Behörden präsentierten lediglich eine russische
Fahrerlaubnis.
[…]
http://derstandard.at/2000019749090/Theater-um-russischen-Major-in-der-Ukraine
Geburt des Donbass: Ein "wildes Feld" für Magnaten und Sowjets,
diepresse.com
von Jutta Sommerbauer, 27.07.2015
Die Geschichte des von Separatisten besetzten ostukrainischen Donbass nahm viele
Wendungen: Im späten 19. Jahrhundert lockte das Zarenreich westliche Unternehmer zur
Entwicklung der Industrie an.
Das Stück Land, das John Hughes am 18. April 1869 von der russischen Regierung erstand, lag
in der weiten Ebene zwischen den beiden großen Strömen Dnjepr und Don. Der Grund war flach
und der Boden fruchtbar. Doch Hughes, ein Geschäftsmann aus der südwalisischen Stadt
Merthyr Tydfil, wollte im Südwesten des Zarenreichs keine Landwirtschaft betreiben. Er würde
den Boden nicht mit Pflügen bearbeiten, keine Setzlinge in die Schwarzerde stecken. Er würde
vielmehr Schätze aus ihr bergen.
Ein gutes Jahr später, im Sommer 1870, segelte Hughes mit acht Schiffen und 100 Arbeitern
nach Russland. In den Folgejahren errichtete er auf seinem Grund eine Stahlfabrik, er förderte
Kohle, stellte Koks, Eisen und Stahl her und baute eine Eisenbahnlinie. Die Arbeitersiedlung, die
rund um die Betriebe entstand, wurde ihm zu Ehren slavophon Jusowka genannt: die Stadt von
Hughes. Es ist das heutige Donezk. Die Arbeitersiedlung entwickelte sich rasant: 1870 lebten
164 Menschen in dem Ort; eine Dekade später 4000.
Hughes Firma hieß „New Russia Company Limited“. Neurussland, Noworossia, das die
Donezker Separatisten heute wieder in ihren Reden bemühen, nannte man im 19. Jahrhundert die
Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres, die das Zarenreich den Osmanen abgetrotzt hatte.
Bekannt ist die Steppengegend im Grenzgebiet zwischen Russland und der Ukraine auch unter
einem anderen Begriff, der ihre Lage am Rande historischer Imperien betont: als „wildes Feld“,
dikoe pole, einst Einfallsort für die Reitervölker aus dem Osten, Siedlungsgebiet der Kosaken,
die die Grenzen sichern sollten.
Patron und Analphabet. Im späten 19. Jahrhundert wollte das Zarenhaus den an Bodenschätzen
reichen Teil dieser Steppe – das Donez-Becken oder Donbass – endlich im großen Stil
erschließen. Man warb westliche Industrielle wie John Hughes an, die das entsprechende Knowhow beisteuern sollten.
Ein Foto zeigt Hughes als imposanten Mann mit Vollbart und weißem gescheitelten Haar. Am
Kragen sitzt eine Masche, an seiner schwarzen Anzugjacke hängt eine Kette mit Taschenuhr.
Hughes konnte bis zu seinem Lebensende nicht schreiben, was den Industriemagnaten jedoch
nicht daran hinderte, in großen Maßstäben zu denken wie andere Gründerväter seiner
Generation: Er ließ Arbeiterquartiere, Schulen, ein Spital, öffentliche Bäder und eine Kirche
bauen. Ende des 19. Jahrhunderts war Hughes Stahlwerk, das nach seinem Tod 1889 seine Söhne
weiter betrieben, das größte im Zarenreich. Aus den Industriebetrieben des Donbass bezog das
russische Reich mehr als 80 Prozent seiner Kohle und 50 Prozent seines Eisens.
An John Hughes erinnert im heutigen Donezk nur noch eine Statue und die Jusowskaja
Piwowarnja, ein bei jungem Publikum beliebtes Lokal in einem jener typischen Donezker GlasBeton-Kobel. Die Piwowarnja braut ihr eigenes Bier, Golden Ale, Stout, Porter, und – überhaupt
nicht walisisch, aber bei den Gästen beliebt – Weißbier. Seit dem Beginn des Konflikts im
Donbass weist ein Schild am Eingang darauf hin, dass Waffen in einem Spezialzimmer
abzugeben sind. Im dämmrigen Eingangsbereich stehen zwei Kämpfer in Camouflage, die der
Bitte unmissverständlich Nachdruck verleihen.
Hughes' Fußabdrücke mögen fast unsichtbar sein im heutigen Donezk, das im Jahr 1924 in
Stalino („Stahlstadt“) und 1961 in Donetsk umbenannt wurde. Das Andenken an den
Gründervater aus dem Westen wird in den Tagen der Donezker Volksrepublik nicht besonders
hoch gehalten. Unter welchem Schlagwort sollte die neurussische Geschichtsschreibung die
walisische Entwicklungshilfe einordnen: Völkerfreundschaft? Westlicher Imperialismus?
Kapitalistische Ausbeutung?
Industrielle wie Hughes begründeten die Schwerindustrie des Donbass. Die Sowjets bauten
später, als die Besitzungen der Familie 1919 von den Bolschewiken nationalisiert wurden, auf
diese Erfahrungen auf. Im Sowjetreich wurde die Industrialisierung zur Staatsdoktrin: Lenins
Diktum, der Donbass sei „nicht irgendeine Region, sondern es ist eine Region, ohne die der
sozialistische Aufbau bloß ein frommer Wunsch bleiben würde“, erfüllte die Region, die in den
1920ern an die Ukrainische Sowjetrepublik erging, jahrzehntelang mit proletarischem Stolz.
Ortschaften entstanden im Donbass stets im Schatten der Kohlebergwerke, Stahlhütten,
Lokomotivfabriken und der chemischen Industrie. Die industrielle Monokultur der Company
Towns beunruhigte im Kommunismus niemanden, sollte sich aber zum strukturellen Problem für
die Region entwickeln, als die regional stark verzahnte Sowjet-Wirtschaft nach 1991
auseinanderbrach. Doch vorerst kamen die Menschen aus allen Enden und Ecken des
Großreichs, um im Donbass für harte Arbeit sicheres Geld zu verdienen. Patrone – einst Hughes,
in der Sowjetzeit die so genannten „Roten Direktoren“ – waren in diesem System die Garanten
für das Wohl der Bevölkerung. Das Schicksal der Arbeiter war an das Schicksal der Betriebe
geknüpft. Die Schattenseiten – die riskante Arbeit, die Hungersnot, Exploitation von
Zwangsarbeitern – werden bis heute weniger gern beleuchtet.
Oligarchen statt Direktoren. Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb im Donbass zunächst
vieles, wie es war. Die meisten Minen, die meisten Werke liefen weiter, obwohl sie nicht mehr
besonders rentabel waren. Die Unabhängigkeit der Ukraine, für die die Bürger mehrheitlich
gestimmt hatten, blieb wenig greifbar in einer Region, in der die sowjetische Gruppen-Identität
die multikulturelle Herkunft der Bewohner oder die sich herausbildende nationale Idee
überlagerte. Die Signale aus Kiew gaben wenig Anlass, diese Sicht zu ändern: Leonid
Krawtschuk, erster Präsident der Ukraine, ließ die Donezker Eliten walten, solange sie nicht die
Integration mit Russland anstrebten. Sein Nachfolger Leonid Kutschma setzte 1997 Viktor
Janukowitsch als Gouverneur ein, der dafür im Gegenzug Kutschmas Wiederwahl 1999 sicherte.
Allmählich löste ein neuer Unternehmertyp die Roten Direktoren ab: Es waren dies Oligarchen
wie Rinat Achmetow, die nicht davor zurückschreckten, ihren Besitz auch mit unlauteren
Praktiken zu vergrößern. Achmetow, der zum reichsten Mann der Ukraine aufstieg, versammelte
in seinem Wirtschaftsimperium Banken, eine Medienholding und natürlich Bergbau- und
Metallurgiebetriebe. Das Donezker System der Patronage, in dem der übermächtige Dienstgeber,
der hosjain, über das Wohl seiner Untergebenen wacht, fand seine zeitgenössische Form:
Achmetow baute ein wahrhaft prächtiges Fußballstadion für seinen Verein Schachtjor Donezk,
er ließ die Donezker Oper bezuschussen und förderte Sozialeinrichtungen. Gleichzeitig baute er
in enger Zusammenarbeit mit Janukowitsch eine politische Partei auf, die Partei der Regionen,
die in den kommenden Jahren – mit einer kurzen Verzögerung durch die Orange Revolution –
Ukraine-weit nach der Macht griff.
Doch eben dieser Machtanspruch des Donbass auf die ganze Ukraine barg Konflikte: Der
Donezker Clan war überall außerhalb der Industrieregion äußerst unbeliebt, die Partei der
Regionen galt als korrupte Partei der Macht. Wie die deutsche Politologin Kerstin Zimmer
beschreibt, hatten sich seit der Orangen Revolution auch gegenseitige Stereotype –
„nationalistische“ Ukrainer versus „fehlerhafte“, weil russifizierte Donbass-Bewohner –
festgesetzt.
Angesichts des Konflikts stellen die „Urbewohner“ des Donbass – das einst arbeitende, aber
immer öfter verarmte und trinkende Volk – häufig folgende, an die Kiewer Politiker gerichtete
Frage: „Warum belästigt ihr uns, warum seid ihr zu uns gekommen?“ Die Frage zeugt von dem
anderen Verständnis über dieses Land namens Ukraine. Der Donbass hat – bis auf seine
gebildeten, proukrainischen Schichten – bis vor Kurzem in einer eigenen Realität gelebt: Hier
existierte die Sowjetunion nach ihrem Ende in einer kapitalistisch-autoritären,
heruntergewirtschafteten Version fort. Die verunsicherte Region findet nun in der Idee des
„Russkij Mir“ Trost: falschen Trost. Denn Russland erbarmt sich des Donbass nicht, die
Zukunftsfrage ist unausweichlich. John Hughes kam in den Donbass, weil sein Boden Schätze
versprach. Die Schätze sind ausgebuddelt, übrig geblieben ist nur Erde.
http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/4784690/Geburt-des-Donbass_Ein-wildes-Feld-furMagnaten-und-Sowjets?from=suche.intern.portal
Im Schatten des Imperiums, NZZ.ch
von Adam Krzeminski, 27.07.2015
Nach 1989 hatte für die befreiten Staaten Ostmitteleuropas der Anschluss an den
westlichen Lebensstandard Priorität. Heute gilt es, die Freiheit gegenüber einem
aggressiven Russland zu sichern.
Die Griechenland-Krise und die russische Aggression in der Ukraine lassen Ostmitteleuropa in
den Augen des Westens wieder einmal nur schemenhaft erscheinen. Die Euro-Staaten Lettland,
Litauen und Slowakei werden zwar immer wieder als leuchtende Beispiele «nördlicher
Finanzkultur» gegenüber dem «verlotterten Süden» gelobt. Zugleich aber brandmarkt man
Orbans Ungarn und Zemans Tschechien als unsichere Kantonisten des Westens und sieht in
Estland, Polen und Rumänien Geschichtshysteriker, die eigene Albträume nun mit NatoStützpunkten kurieren wollen und die komplizierte Lage um den Krieg in der Ostukraine unnötig
verschärfen.
«Danzig 1939, Donezk 2014?»
So kam es vor einem Jahr zu einer indirekten, aber sinnigen deutsch-polnischen Kontroverse.
Anlässlich des 75. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkrieges richteten 25 polnische
Politiker und Intellektuelle, darunter der kürzlich verstorbene Ex-Aussenminister Bartoszewski,
einen Brief an die europäische Öffentlichkeit: «Danzig 1939, Donezk 2014?» Ein aggressives
Russland habe ein Gebiet seines kleineren Nachbarn besetzt, die Krim. Russische Armee und
Geheimdienste operierten im Osten der Ukraine. Europa brauche dringend eine realistische
Ostpolitik. Frankreich solle seine Waffenlieferungen an den Aggressor einstellen, Deutschland
seine Verstrickung mit ihm «vom Energiesektor über das Fussballgeschäft bis zur
Tourismusbranche» eindämmen. Alle Europäer seien aufgerufen, sich im Namen der Werte von
1789 an Hilfsaktionen für die bedrohte Ukraine zu beteiligen. «Wer heute weiter ‹business as
usual› betreibt, der setzt das Leben weiterer Tausender Ukrainer und Russen aufs Spiel. Der
riskiert weitere Hunderttausende Flüchtlinge und einen Angriff des putinschen Imperialismus auf
weitere Länder. Gestern Danzig, heute Donezk: Wir dürfen nicht zulassen, dass Europa auf viele
Jahre mit einer offenen blutenden Wunde lebt.»
«Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!»
Drei Monate später kam aus Berlin mit dem Manifest «Wieder Krieg in Europa? Nicht in
unserem Namen!» ein indirekter Konter. 60 prominente deutsche Politiker, Künstler und
Intellektuelle forderten die Bundesregierung auf, sich besonnen für eine neue
Entspannungspolitik und den Dialog mit Russland einzusetzen, denn «ohne die
Versöhnungsbereitschaft der Menschen Russlands, ohne die Weitsicht von Michael
Gorbatschow, ohne die Unterstützung unserer westlichen Verbündeten und ohne das umsichtige
Handeln der damaligen Bundesregierung wäre die Spaltung Europas nicht überwunden worden».
Die Grossmächte also sind die treibenden Kräfte der Geschichte. Kein Wort über die friedliche
Revolution des Jahres 1989 im gesamten sowjetischen Machtbereich, die ohne Guillotine und
GPU-Erschiessungskommandos auskam und keinen Bonapartismus hervorbrachte. Dafür aber
Lob für die «von Vernunft geprägte Geste der Siegermächte» und schliesslich die larmoyante
Klage: «Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch,
unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 [sic!] gehört
Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das
gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das grössenwahnsinnige HitlerDeutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.» Das Wiener
Geschacher der Grossmächte um Länder und Völker als Untermauerung für einen heutigen
Gestaltungsanspruch? Und was ist mit dem Hitler-Stalin-Pakt und der nach Wien 1815 bereits
fünften Teilung Polens?! Ein merkwürdiges Geschichtsbewusstsein tut sich hier auf.
Ein klar identifizierbares Opfer
Gegen diese Sichtweise protestierten eine Woche später 100 deutsche Osteuropa-Experten: Es
gebe in diesem Krieg einen eindeutigen Aggressor und ein klar identifizierbares Opfer. Wenn
Moskau sich von der EU oder der Nato bedroht fühle, solle es in Brüssel vorsprechen und nicht
ein Nichtmitgliedsland überfallen. Seit 2001 aber erfüllt Moskau seine Abmachungen nicht –
obwohl russische Truppen weiterhin in der Moldau, Abchasien und Südossetien stehen, bot die
EU Moskau Kooperationsverträge und eine Modernisierungspartnerschaft an. 2008 lehnte die
Nato auf Drängen Deutschlands die Mitgliedsanträge Georgiens und der Ukraine ab. Und seither
erkannte Moskau beiden Staaten ihre territoriale Integrität ab. «Es geht um Europa. Aber das
bedeutet eben nicht, einen Kotau vor Putin zu machen, der Europas extreme Rechte unterstützt
und gerade vor seinem Parlament ‹Nationalstolz› und ‹absolute Souveränität› als Werte
hochhielt, die Europa ‹vergessen› habe.»
Auch dem deutschen Aussenminister muss die plumpe Geschichtsphilosophie des «Manifestes
der 60» unangenehm gewesen sein. In einem Vortrag in Jekaterinburg sagte er vor russischen
Studenten unmissverständlich, dass nicht nur deutsch-russische Kriege in Europa Unheil
anrichteten, sondern auch allzu grosse Nähe: «Im 18. Jahrhundert teilten deutsche und russische
Herrscher dreimal das polnische Staatsgebiet unter sich auf, bis von Polen nichts mehr übrig
blieb. Hitler und Stalin taten dies auch – 1939, als sie ihre Einflusssphären in Ostmitteleuropa
markierten. Auch das muss uns in der heutigen Lage eindringlich bewusst sein! Uns muss
bewusst sein, wie historische Erfahrungen diese unsere Nachbarn bis heute beunruhigen.»
Mit den Symbolen eines untergegangenen Staates
Es war eine sinnige Geste Frank Walter Steinmeiers, bei seinem Gang nach Wolgograd zum 70.
Jahrestag des Sieges über das Dritte Reich auch eine ukrainische Dichterin und einen polnischen
Publizisten einzuladen. Er wollte damit wohl zum Ausdruck bringen, dass der Zweite Weltkrieg
keineswegs nur eine deutsch-russische Angelegenheit war, und auch, dass eine Entschuldigung
für die Greueltaten der deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund der
russischen Aggression in der Ukraine stattfindet. An der breitbeinigen Haltung und den geballten
Fäusten der russischen Offiziellen, ebenso wie daran, dass es auf dem sowjetischen
Soldatenfriedhof Blumenkränze von beiden Aussenministern, auf dem deutschen dagegen nur
vom deutschen gab, konnte man gut erkennen, dass dem heutigen Russland gar nicht an
Versöhnung liegt: «Der Hauptgrund ist die menschliche Bequemlichkeit», notierte dann die
Dichterin Marjana Gaponenko. «Sie ermöglicht es, dass man sich mit den Symbolen eines
untergegangenen Staates abfertigen lässt, und sie hilft der regierenden Elite, dank
Phantomschmerz die alte und sehr fragwürdige Grösse aufrechtzuerhalten. Mitleid und wahre
Empathie bleiben auf der Strecke. Mitten im sowjetroten Fahnenrauschen entgleitet das
Kostbare: der lebendige Bezug zur Geschichte, die nunmehr als leere Hülle zur Schau getragen
wird.»
Die russische Vorsehung schützt die russische Wunderwaffe
Wie das realiter in russischen Medien aussieht, kann man sich in der populären Talkshow
«Abend mit Solowjow» ansehen. Gleich nach der Maiparade brüllten sich dort zwei
grossrussische Chauvinisten minutenlang an. Der stellvertretende Duma-Vorsitzende Wladimir
Schirinowski schwärmte vom Reich der Zaren, Aleksandr Prochanow, Chefredaktor des
nationalen Kampfblattes «Sawtra», eher von dem Stalins. Aber einen Unterschied zwischen den
beiden gibt es nicht. Der frühere sowjetische Kriegskorrespondent in Kambodscha, Afghanistan
und Nicaragua sieht in der Siegesparade eine Prozession des Volkes. Daneben schwärmt er für
die Schönheit einer Atomexplosion in Semipalatinsk. Dann wiederum fügen sich für ihn die
ordinären Wolken über der Stadt, in der russische Atomsprengköpfe produziert werden, zur
Himmelskuppel einer orthodoxen Kirche. Die russische Vorsehung schützt also die russische
Wunderwaffe. Das ist nicht nur Kitsch, das ist die Ästhetik jenes Klerikalfaschismus, den Walter
Laqueur der derzeitigen «russischen Idee» in der Ära Putin bescheinigt. Sie wurde in zahlreichen
Büchern, Zeitungsbeiträgen und Reden als eine imperial-revisionistische entworfen.
Eine neue Konstellation an der Nato-Ostflanke
Entsprechend pessimistisch bewertete in Polen der nationalkonservative Sejm-Abgeordnete und
das Mitglied des nationalen Sicherheitsrates Ludwig Dorn die sicherheitspolitische Lage seines
Landes. Sie verschlechtere sich seit 2008 kontinuierlich, und da sich die Ukraine unter
russischem Druck als selbständiger Staat vermutlich nicht halten werde, müsse Polen in der Nato
von der zweiten Liga aufsteigen und nuklearpolitisch denselben Status erhalten wie Italien,
Deutschland und die Niederlande. Es sei für Polen im Übrigen inopportun, in der Avantgarde der
Sanktionspolitik zu sein, weil es Polen nur anderen ostmitteleuropäischen Staaten entfremde
Dieser Defätismus provozierte eine heftige Replik aus der liberalen Ecke. Miroslaw Czech,
Politiker und Historiker ukrainischer Abstammung, warf Dorn vor, er verkenne das Gewicht der
baltischen Staaten in der polnischen Politik und die neue Konstellation auf der gesamten
östlichen Flanke der Nato, die von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer ihre Befehlsstrukturen
errichtet. Es sei auch falsch, dass der Westen bereit sei, die Ukraine fallenzulassen, um Putin zu
beschwichtigen, «selbst der französische Präsident denkt nicht daran».
Ein Aufruf zur religiös-nationalen Erneuerung Russlands
Polnische Slawisten sind vorsichtig in ihren Bewertungen des heutigen Russland. Andrzej
Walicki, ein Kenner der russischen Ideengeschichte, dessen Analysen der
«Enttotalitarisierungsphasen» des Sowjetsystems seit 1956 bahnbrechend blieben, warnt vor
Vereinfachungen und lehnt die auch in Polen wiederholten Vermutungen ab, Putin könne
europaweit eine «Internationale» der konservativen Revolution formieren. Trotz allen
neoimperialen Noten sei Putins Konservatismus ein Aufruf nur zur religiös-nationalen
Erneuerung Russlands, was sogar zu einem Abbau des imperialen zugunsten eines amorphen
postimperialen russischen Selbstverständnisses der Russen führen könne. Dieser Weg sei sehr
schwierig, weshalb der Westen gut beraten sei, «vorsichtig, aber auch mit gewissem Wohlwollen
dieses schwergeprüfte Land zu begleiten».
Auch Pawel Rojek von der Johannes-Paul-II.-Universität in Krakau vertritt in seinem Buch «Der
Fluch des Imperiums» (2014) die in Polen unpopuläre These, dass die imperiale Rhetorik in
Putins Russland lediglich einen faktischen Rückzug aus imperialen Positionen kaschiert. Für
eine Nation, die jahrhundertelang meinte, den wahren Glauben zu verteidigen, Europa vor der
jakobinischen Revolution zu retten, die Slawen zu vereinigen sowie das sowjetische Paradies auf
Erden zu bauen, und die schliesslich das dämonische Dritte Reich bezwang, musste nach 1991
die Vorstellung, dass warmes Wasser und ordentliche Strassen Zweck des Staates seien, eine
geistige Katastrophe bedeuten. Um den Horror Vacui zu füllen, baute man Potemkinsche Dörfer
einer neuen «russischen Idee» – des «Dritten Rom» oder eines «Eurasischen Imperiums». Doch
sie beeinflussen kaum die gesellschaftliche Praxis.
Eine imperiale Attrappe
Die Frage ist, welche Idee Balten, Polen, Tschechen, Slowaken, Rumänen, Bulgaren, Kroaten
dieser imperialen Attrappe im Osten entgegensetzen. 1989 waren für die «Bruderländer»
individuelle Freiheit, nationale Selbständigkeit, aber auch Europa und der euroatlantische
Westen bestimmend. Diejenigen, die der Nato und der EU beitraten, entwickeln sich schneller
als der einstige Hegemon, und zwar nicht allein, weil sie Geld aus Brüssel bekommen, sondern
weil sie den Acquis communautaire implantierten. Laut dem Human Development Index (HDI),
der Lebenserwartung, Ausbildung und Kaufkraft misst, verläuft heute ein tiefer Graben in der
Lebensqualität zwischen Mittel- und Osteuropa: Tschechien belegt weltweit Platz 28, Polen 35,
Lettland 48, Russland aber nur 57 und die Ukraine sogar 83. Das Pro-Kopf-Einkommen mag in
Russland höher als in Polen liegen, aber die Lebenserwartung ist um volle 10 Jahre kürzer.
Für die Ostmitteleuropäer ist die EU-Mitgliedschaft tatsächlich identitätsstiftend geworden.
Polen, Rumänien, Litauer oder Esten sehen die Zukunft der EU weitaus optimistischer als
Griechen, Zyprioten oder Italiener. Und sie betrachten sich ebenso stark als EU-Bürger wie die
Deutschen. Zugleich aber liegt in diesen Ländern die Wahlbeteiligung bei den Europa-Wahlen
niedriger als im Westen, und in den Medien sind Kassandrarufe über den Zerfall der EU gang
und gäbe.
Trotz der vierzigjährigen Erfahrung sowjetischer Bevormundung, trotz dem polnischtschechisch-ungarisch-slowakischen «Visegráder Viereck» und trotz den Bemühungen von
Autoren, welche die Region systematisch bereisen und beschreiben, bilden die
ostmitteleuropäischen Länder noch längst keine kommunizierenden Röhren und auch keine
einheitliche Interessengruppe an der östlichen Flanke von Nato und EU. Zu unterschiedlich sind
ihre historischen Verankerungen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Während sich Polen und
Balten 300 Jahre entlang der Achse Paris-Berlin-Moskau bewegten, waren Tschechen, Slowaken
und Ungarn in das Vieleck der Habsburger Monarchie eingefasst, Rumänen und Bulgaren
wiederum hatten es eher mit türkischer als russischer Pression zu tun.
Anders als Russland oder Deutschland waren diese Staaten nie richtige Imperien, dennoch
kennen auch sie Grossmachtphantasien und Phantomschmerzen – nach dem grossbulgarischen
Reich des 7. Jahrhunderts, dem slawischen Grossreich Svatopluks im 9. Jahrhundert, der
polnisch-litauischen Rzeczpospolita des 16. Jahrhunderts, der gross-ungarischen Stephanskrone,
dem Reich der Daker im 1. Jahrhundert usw. Und überall werden vergangene glorreiche Siege
und «siegreiche Niederlagen» andächtig gefeiert (Amselfeld, Grunwald, Mohács) sowie
historische Traumata gepflegt oder «bewältigt»: Trianon 1920, Hitler-Stalin-Pakt 1939,
Warschauer Aufstand 1944 und Budapester Aufstand 1956. Und es wird darüber gestritten, ob
ein erfolgreicher Feldherr, berühmter Autor oder Wissenschafter Pole oder Deutscher, Litauer
oder Weissrusse, Ungar oder Rumäne, Tscheche oder Slowake gewesen ist.
Keine richtigen Imperien
Doch eins ist den Ostmitteleuropäern gemeinsam: Sie errichteten nie richtige Imperien. Es sind
aber nun einmal Imperien mit ihrer Effizienz und ihrer Fähigkeit, einen strategischen Willen
durchzusetzen, die das politische Denken in Europa ab dem 16. Jahrhundert prägten, und zwar
später auch das der Nachfolgestaaten. Auch die EU ist kein richtiges Imperium, dieses können
für sich wohl noch lediglich die USA reklamieren, nicht allein wegen ihrer Army und Navy,
sondern auch wegen der Möglichkeiten juristischer und technologischer Einwirkung auf andere.
Die EU ist dagegen nur eine «ausgehandelte» Entität. Sie hat sich jedoch trotz allen Kultur- und
Interessenunterschieden ihrer Mitglieder und trotz ihrer – von Henry Kissinger einst so beklagten
– «fehlenden Adresse», dem Fehlen eines eindeutigen Entscheidungszentrums also, sowohl in
der Euro-Krise um die Schulden Griechenlands als auch in der Konfrontation mit der
«defensiven Aggressivität» Russlands in der Ukraine-Krise als erstaunlich zäh und standhaft
erwiesen.
Eine ausreichende Ausstrahlungskraft
Die Europäische Union ist keineswegs deutsch. Sie ist auch nicht allein deutsch-französisch.
Angela Merkel und François Hollande konnten in Minsk den Waffenstillstand in der Ostukraine
deswegen aushandeln, weil sämtliche EU-Mitglieder – auch diejenigen in Südost- und
Südeuropa, die für wirtschaftliche Sirenengesänge oder kaum verhüllte Erpressungen aus
Moskau anfällig sein könnten – die Wirtschaftssanktionen gegenüber dem Moskauer Aggressor
mittrugen. Die EU hat keine «hard power», aber eine ausreichende Ausstrahlungskraft, um der
Ukraine eine Modernisierungschance jenseits des korrupten postsowjetischen OligarchenSystems zu bieten.
http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/im-schatten-des-imperiums-1.18586081