Arbeitgebervereinigung Nahrung und Genuss e.V. (ANG) Rede ANG-Präsidentin Brigitte Faust ANG-Mitgliederversammlung 7. Mai 2015 in München Es gilt das gesprochene Wort Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe ANG-Mitglieder, liebe Gäste, ich darf Sie sehr herzlich zum offenen Teil der ANG Mitgliederversammlung 2015 begrüßen. Ganz besonders begrüßen möchte ich unsere zwei Gastredner, auf die ich mich und sie sich sicherlich auch sehr freuen. Frau Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, kurz gesagt: „unserer Gewerkschaft“. Liebe Frau Rosenberger, wir wissen es als Zeichen gelebter Sozial- und Tarifpartnerschaft sehr zu schätzen, dass Sie heute aus Hamburg hier zu uns nach München gereist sind. Vielen Dank hierfür und wir freuen uns auf Ihre Grußworte. Von Berlin nach München gereist ist unser zweiter Gastredner, Herr Thorben Albrecht. Herr Albrecht ist Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Ein für uns wichtiger und wertvoller Ansprechpartner. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass wir so viele Themen mit Ihnen in den letzten Monaten diskutieren durften. Wir freuen uns, dass Sie hier sind und später zu uns sprechen werden. Unserer Einladung sind auch in diesem Jahr wieder Gäste aus Unternehmen, Wissenschaft, Justiz und Verbänden gefolgt. Ihnen Allen einen herzlichen Dank, dass Sie gekommen sind. Ganz besonders, weil es derzeit mit den Reisemöglichkeiten nicht besonders läuft. Ich möchte noch jemanden namentlich begrüßen. Herrn Wolfgang Goebel, den Präsidenten des Bundesverbandes der Systemgastronomie. Ganz herzlichen Dank, lieber Herr Goebel, das Sie gekommen sind. Wir sind sehr froh, dass der BdS sich mit der ANG seine Räumlichkeiten und unsere Geschäftsführerin, Frau Holsboer teilt. Ich möchte mich an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit bedanken. Meine Damen und Herren, die Ernährungsindustrie ist eine der drei größten Industrien in Deutschland, zusammen mit Metall/Elektro und Chemie. Ich habe jetzt ganz bewusst von einer der drei größten Industrien gesprochen, weil wir je nach Trennschärfe in der Berechnung der Mitarbeiter und des Umsatzes mit der chemischen Industrie ein Wechselspiel um Platz 2 und 3 haben. Aber darum geht es ja gar nicht. 2 Entscheidend ist, dass wir mit unseren über 500.000 Beschäftigten, den mehr als 6.000 Betrieben und einem Umsatz von mehr als 170 Mrd. Euro ein bedeutender Faktor für Wirtschaft und Arbeitsmarkt sind. Ich wiederhole das noch einmal: Wir sind eine der bedeutendsten Säulen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes in diesem Land. Und als solche wollen wir auch wahrgenommen und geschätzt werden! Wir stellen mit unseren Lebens- und Genussmitteln die tägliche Versorgung der Verbraucher sicher. Wir stellen hochwertige und sichere Produkte her. Wir haben eine weltweite Exportquote, die ihresgleichen sucht. Bleiben wir in der Branche… für mich als Präsidentin der ANG ist es wichtig, zu sehen, wie die Stimmung in unserer Branche ist: Positive und negative Entwicklungen. Aber Sie wissen natürlich, meine Damen und Herren, unsere Branche bewegt sich in einer sehr herausfordernden Polarität. Die Optimisten, die sagen: gegessen und getrunken wird immer! Die Anderen, die auf unsere Nachbarn zeigen und die dortige Preisstellung von Lebensmitteln. Wir als Verband wollen und müssen einen kühlen Kopf bewahren. Das ist etwas, was unsere ganze Branche auszeichnet. Wir zeigen weder euphorisches Jubeln, noch betrübtes Jammern. Ich würde sagen, wir zeichnen uns durch eine souveräne, sehr konzentrierte und wache Haltung aus. Das kommt sicherlich zum einen daher, dass „wir Deutschen“ nicht gerade als heißblütige Emotionsmenschen bekannt sind. Aber, vor allem zeigt mir die souveräne, konzentrierte Wachheit, dass wir gelernt haben mit kühlem Kopf neue Rahmenbedingungen und Herausforderungen anzupacken und nicht jammernd zu warten, bis uns jemand hilft. Obwohl, oder vielleicht gerade weil, die Ernährungsindustrie in der Struktur sehr heterogen ist – wir zählen wie gesagt über 6.000 Betriebe unterschiedlichster Größe – also trotz oder aufgrund dieser Heterogenität hat sie eine enorme Anpassungs- und Gestaltungskraft. Wir warten nicht, meine Damen und Herren, bis uns jemand hilft und schon gar nicht warten wir, bis wir per Gesetz eine Maßnahme verordnet bekommen. Wir packen an, wir suchen und wir finden unseren Weg. Sie wissen, wir haben derzeit große Herausforderungen, die die Unternehmen bewältigen müssen. Ich sage nur: „ Mindestlohn“. Und den damit verbundenen administrativen Aufwand und den Kontrollen! Darüber gibt es sicherlich viel zu diskutieren, aber ich möchte heute Ihren Blick auf etwas lenken, was für die Zukunft unseres Landes von besonderer Bedeutung ist: 3 Das Thema „Fachkräftesicherung und Demografie“. Hier, meine Damen und Herren, zeigt sich ganz besonders die anpackende Kraft unserer Branche. Worum geht es? Es geht um drei große Herausforderungen: Wie bringen wir Talente ins Unternehmen? Wie halten wir vorhandene Leistungsträger? Wie können wir das Ende eines Erwerbslebens flexibel gestalten? Menschen mit Potential ins Unternehmen zu bringen hat verschiedene Ansätze: Die duale Ausbildung Ein Schwerpunkt bei der Fachkräftesicherung in der Ernährungsindustrie ist und bleibt die duale Ausbildung. Wir bieten neben der „spartenübergreifenden“ Ausbildung FALET – also Fachkraft für Lebensmitteltechnik, noch viele hoch spezialisierte, ernährungstypische Ausbildungsberufe an, vom Brauer bis zum Molkereifachmann. Zusätzlich werden in der Ernährungsindustrie Ausbildungen in kaufmännischen und technischen Bereichen angeboten und durchgeführt. Unser ANG-Arbeitspanel 2015 hat sogar ergeben, dass unsere Unternehmen erstmals deutlich mehr Azubis in technischen Berufen, als in ernährungstypischen Berufen ausbilden – ganze 44% der Ausbildungsplätze. Es ist doch spannend, meine Damen und Herren, welches enorme Spektrum wir haben. Damit meine ich, dass wir zusätzlich vom kleinen Mittelständler bis hin zum Weltkonzern auch noch alle Betriebsgrößen anbieten können. Es ist schließlich auch Typ-Sache, wo man sich wohler fühlt. Auf den Punkt gebracht: In der Ernährungsindustrie findet jeder etwas Passendes. Ganz neue Potentiale bietet auch die Digitalisierung, das wird sicher auch Auswirkungen auf uns haben und ist eine Chance, unsere Branche mehr in die Öffentlichkeit zu bringen. Ausbildungstrends Wir als ANG führen jedes Jahr zu Beginn des Ausbildungsjahres eine ad-hoc-Umfrage durch. Das tun wir, um Trends zu erfragen. Hier hat sich eines klar herausgestellt: Sie alle kennen das Stichwort: Mobilität. Mobilität, von der wir alle noch vor Jahren gesprochen haben. Sie ist tatsächlich nicht vorhanden. Es gibt sehr konträre Vorstellungen bei den jungen Menschen. Ein Stückweit kann ich das auch verstehen – die meisten jungen Menschen möchten nicht für einen 4 Ausbildungsplatz ihre familiären Verbindungen und den Freundeskreis aufgeben. Andererseits, und das klingt zunächst paradox, wünschen sich schon im Vorstellungsgespräch immer mehr Azubi-Anwärter die Möglichkeit, Auslandserfahrung sammeln zu können. Also gleichzeitig: ganz nahe und ganz weit weg! Und das müssen wir ernst nehmen. Wir setzen heute bei der Azubi-Suche sehr stark auf regionales Recruiting mit globaler Perspektive. Diese globale Perspektive bieten längst nicht mehr nur die großen internationalen Unternehmen. Auslandsgeschäft ist in der Ernährungsindustrie auch bei KMUs völlig normal. Moderne Berufsbilder Ausbildung und unser Engagement rund um die duale Ausbildung, meine Damen und Herren, ist nicht statisch. Wir müssen nicht nur den betrieblichen Teil der Ausbildung aktuell halten – wie ich es eben mit der globalen Perspektive angesprochen habe. Auch unsere Ausbildungsberufe an sich, also Lehrpläne und Prüfungsanforderungen, hinterfragen wir regelmäßig auf ihre Aktualität und packen dort an, wo Modernisierungen richtig sind. Ein sehr gelungenes Beispiel ist die Novellierung des Berufs „Fachkraft für Süßwarentechnik“ hin zum „Süßwarentechnologen“. Vom traditionellen Bild hin zu hochmodernen Berufen. So eine Novellierung passiert nicht von heute auf morgen, sondern ist eine riesige, wertvolle Gemeinschaftsaufgabe der Sozialpartner und ein Beispiel dafür, dass es nur gelingt, wenn beide anpacken – Gewerkschaft und Verband. Herr Kammerinke, Sie können glaube ich ein Lied davon singen, wie viel Arbeit in so einer Novelle steckt. Die Müller haben es ja vor Jahren mit ihrem Verfahrenstechnologen schon vorgemacht. Image der dualen Ausbildung Damit ist die duale Ausbildung für unsere Branche ein Grundpfeiler der Fachkräftesicherung. Daher engagieren wir uns hier gerne und mit WIR meine ich Unternehmen und Verbände. Ein Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit der ANG ist die kontinuierliche Darstellung der Karrieremöglichkeiten in der Ernährungsindustrie für Schul- und Hochschulabsolventen. Mit der Lebensmittelzeitung und der Bundesagentur für Arbeit mit ihren Publikationen haben wir hierbei starke Partner. Eine breite Öffentlichkeit erreichen wir über z.B. Artikel in der FAZ und Studierende über Tätigkeitsprofile in Studienzeitungen wie AUDIMAX. Nur so erreichen wir auch Hochschulabsolventen, aber es ist uns ein Anliegen, die duale Ausbildung als ebenbürtige Alternative an sich zu stärken – Schlagwort: Akademisierungswahn. 5 Ein besonders leidenschaftlicher Botschafter für die duale Ausbildung und Vertreter der ANG im Bildungsausschuss der BDA sind Sie, lieber Herr Werhahn. Ich weiß, mit welch großem Engagement Sie sich nicht nur für die Müllerei, sondern umfassend für Bildungsthemen einsetzen. Dabei haben Sie einen besonders guten Blick für die Schnittstellen zwischen Betrieb und Schule, Herzlichen Dank für Ihren Einsatz! Wir bieten Vieles, Branchenimage Aber nicht nur die duale Ausbildung muss sich um ihr Image bemühen. Es ist die Ernährungsindustrie, die beharrlich und konsequent an ihrem Image arbeiten muss. Image, meine Damen und Herren, ist heute ein zentraler Erfolgsfaktor. Da muss die Ernährungsindustrie immer wieder Stellung beziehen und sich kritischen Fragen stellen, obwohl die Themen oft schon beantwortet sind. Und es ist manchmal – und das werden Sie auch kennen, meine Damen und Herren, ein nicht sehr schönes Gefühl, wenn wir mal wieder plakativ als Giftmischer, Betrüger und Verbrauchertäuscher diffamiert werden. Das macht uns auch als Arbeitgeber weniger attraktiv. Ernährungsthemen sind, und damit müssen wir einfach leben, immer emotional besetzt und sind für Journalisten beliebt für eine schnelle und reißerische Story. Aber wir werden, und das kann ich Ihnen versprechen, meine Damen und Herren, nicht aufhören, immer und überall für die Ernährungsindustrie zu werben. Dies ist umso brisanter, als wir generell kein besonders industriefreundliches Klima in Deutschland haben. Industriepolitik ist hartes Brot und Industrie in Verbindung mit Lebensmitteln ist ein besonders dickes Brett. So sehr Verbraucher an sich technischen Fortschritt schätzen – bei ihrem Auto oder Kühlschrank – so wenig möchten Sie, dass Dinge die sie Essen oder Trinken im klassischen Sinne „produziert“ werden. Dabei sollte unbeschwerte Lust am Essen gerade dann möglich sein, wenn man weiß, wie moderne Lebensmittelproduktion stattfindet. Eins steht fest, meine Damen und Herren, noch nie waren unsere Lebensmittel so sicher wie heute! Geisenheim, Tag des sozialen Dialogs Auf europäischer Ebene sind wir schon einen Schritt weiter. Frau Dr. Borowski, Sie haben im Sozialen Dialog der EU-Kommission für unsere Branche betrieben, dass die Sozialpartner auf EU-Ebene eine gemeinsame Stellungnahme für eine maßgeschneiderte Industriepolitik verabschiedet haben. Das ist ein wichtiger Schritt. Diesen Gedanken des sozialen Dialogs haben wir im Februar 2015 auf nationaler Ebene aufgegriffen. Frau Rosenberger, Ihre NGG und die ANG haben nach fast 10 Jahren Stillstand in Geisenheim einen Tag des sozialen Dialogs gestaltet, der diesen Namen 6 verdient. Die gesamte NGG-Spitze auf Bundes- und Landesebene ist mit dem ANGVorstand und den Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern der ANG-Mitgliedsverbände zusammengekommen. Wir haben hier Schritte in die richtige Richtung gemacht. Es ist ja nicht immer einfach, Einigkeit unter Sozialpartnern herzustellen. Besonders freut mich daher, dass wir uns einig waren, dass wir weiter machen werden. Wir werden konsequent im Dialog bleiben. Wir werden konsequent gemeinsame Themen identifizieren und wir werden konsequent dort anpacken, wo wir für die Branche richtige Weichen stellen können. Wir sprechen übrigens, ein ganz wichtiger Punkt, meine Damen und Herren, intern vom „Geist von Geisenheim“, der seither in verschiedenen Projekten wiederzufinden ist. Flexible Übergänge, Betriebsrenten Ein schönes Beispiel für den „Geist von Geisenheim“ ist das gemeinsame Engagement von NGG und ANG im März 2015 bezüglich der Altersversorgung, konkret bei der Kritik am geplanten Modell der gemeinsamen Einrichtungen. Gemeinsam haben ANG und NGG vor Ort im BMAS und mit einem gemeinsamen Schreiben von Ihnen, Frau Rosenberger und mir, Frau Bundesministerin Nahles sensibilisiert, dass das Vorhaben zu gemeinsamen Einrichtungen bei der Altersversorgung erhebliche Gefahren für die Ernährungsindustrie birgt. Die Ernährungsindustrie hat die wohl flächendeckendste Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung – bis zu 100% Verbreitung je nach Sparte. Wir sind hier absolut führend in der gesamten Wirtschaft. Diese Errungenschaft ist gefährdet, wenn durch die Schaffung weiterer Durchführungswege, die noch dazu mit Haftungsfreistellung für Arbeitgeber locken, neue Angebote geschaffen werden, die weniger gut und unnötig sind. Aus unserer Sicht wird hier eine Lösung für ein tatsächlich nicht vorhandenes Problem angeboten. Wir brauchen kein „Pay and forget“, wie es das Modell propagiert und das ich gerne als vergiftete Karotte bezeichne, die den Arbeitgebern vor die Nase gehängt wird. Dass hierzu eine Abstimmung in kürzester Zeit möglich war ist toll. Obwohl fast alle Branchen Bedenken an dem Vorhaben äußerten, sind wir die einzige Branche, die in einer gemeinsamen Sozialpartnererklärung aufgetreten ist. Was, wenn nicht der Geist von Geisenheim, sollte so etwas bewirken. Ein großer Partner unserer Altersversorgung ist die Hamburger Pensionskasse, HPK. Lieber Herr Stapelfeld, ich weiß, dass Ihr Haus inzwischen sogar von Vertretern aller Branchen angefragt wird, damit Sie beispielsweise Ihr Modell der „Brückenrente“ erklären. Ein Modell, bei dem Bestandteile der betrieblichen Altersversorgung auf Wunsch und bei Bedarf für ein früheres Ausscheiden aus dem Berufsleben genutzt werden können. Das sind Lösungen der Branche zur flexiblen Gestaltung der Übergänge, die wir – und ich sage es nochmal – selbst geschaffen haben und aus eigener Kraft umsetzen. 7 Ausklang Meine Damen und Herren, diese Beispiele zeigen, dass die Ernährungsindustrie anpackt, große Gestaltungskraft hat und, wenn es sein muss, sehr wehrfähig ist. Und bevor wir uns dem auch nicht unwichtigen Thema „Essen“ zuwenden und ich hierzu den Aufruf starten darf, möchte ich noch einen Wunsch artikulieren: Lieber Herr Staatssekretär Albrecht, wir möchten Ihnen heute einen Wunsch mitgeben. Dieser Wunsch lautet: Stoppt weitere Regulierungen, lasst uns Luft zum Atmen damit wir unsere Gestaltungskraft auch ausleben können. Und glauben Sie uns: wir können es! Vielen Dank Guten Appetit! 8
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