Handwerk Judith Schneider machte eine alte religiöse Tradition zu ihrem Hobby Edle Kunstwerke aus Gänseeiern Auf der Suche nach einem österlichen Thema hat die Stubete in Matten eine Künstlerin aufgespürt, die sich seit zehn Jahren einem besonderen Hobby verschrieben hat. Mit viel Leidenschaft und noch grösserem Fingerspitzengefühl fertigt Judith Schneider aussergewöhnliche Kunstwerke an, deren Ursprung im katholischen Umfeld zu finden sind. Stefan Schwarz Das Veredeln von Gänseeiern ist Teil ei ner alten Tradition, die sich Klosterar beit nennt. Die Wurzeln gehen zurück bis ins Mittelalter, als in den Katakom ben Roms wertvolle Reliquien ausge graben und auf verschiedene Klöster im gesamten Alpenraum verteilt wur den. Diese Gegenstände religiöser Ver ehrung wurden später von den Nonnen zu kostbaren Wallfahrtsandenken verar beitet, durch deren Verkauf sie einen Teil zum Klosterleben beisteuern konnten. Mit einer riesigen Vielfalt an eingesetz ten Kunsthandwerkstechniken erlebte 2/2015 die Klosterarbeit in der Barockzeit ihren Höhepunkt. Von Altarpyramiden über Bildtafeln, Kastenbilder und Wachsar beiten bis hin zu kunstvoll dekorierten Gänseeiern war der Kreativität der klös terlichen Kunst keine Grenzen gesetzt. Das Ei des Anstosses … Bis vor zehn Jahren hatte die mittlerweile 55-jährige Judith Schneider aus Mat ten bei Interlaken keine Ahnung davon, was Klosterarbeit ist. Nachdem aber ihre Eltern zu einem runden Geburtstag von einer Bekannten ein solch prächtig ge schmücktes Ei geschenkt bekommen hat ten, war das Feuer bei der handwerklich vielseitig begabten Frau entfacht. Sie be legte kurzerhand einen Kurs bei der ent sprechenden Künstlerin und setzte sich vertieft mit dem Thema Klosterarbeit und insbesondere dem kunstvollen Aus 43 Handwerk Mit grosser Leidenschaft und viel Fingerspitzengefühl lebt Judith Schneider zuhause am Arbeitstisch ihre künstlerische Kreativität aus. schmücken von Gänseeiern auseinander. Die spontane Faszination für das überlie ferte Kunsthandwerk mit religiösem Hin tergrund kam nicht von ungefähr. Die ge lernte Floristin arbeitete mittlerweile für das örtliche katholische Pfarramt und entwickelte dadurch mehr und mehr eine tiefere Beziehung zur Kirche. Mit viel 44 Herzblut machte sich Judith Schneider ans Werk und entwickelte beim Kreie ren ihrer kleinen ovalen Schmuckstücke mehr und mehr einen eigenen Stil. So sind ihre Eier farblich Ton in Ton gehal ten und beim Ausgarnieren lässt sie gerne auch neue Ideen oder andere Handwerks techniken einfliessen. Die Entstehung eines neuen Kunstwerks beginnt mit dem Bohren eines kleinen Loches, bevor das Gänseei mit Hilfe ei ner Pumpe ausgeblasen wird. Sobald das gut gewaschene Ei aussen und innen gut ausgetrocknet ist, wird es mit Hilfe eines Drehwerkzeuges (Dremel) in zwei Hälften geteilt. Dieses Unterfangen mit dem Ei in der einen und dem Dremel in der anderen Hand ist recht delikat. Vor dem kreativen Teil der Arbeit wird ein kleines Scharnier angebracht, damit das Ei am Schluss in gewünschter Art und Weise geöffnet und geschlossen werden kann. Die Suche nach dem idealen Kleb stoff für das nachhaltige Befestigen der Scharniere auf der mehrschichtigen Ei erschale bereitete Judith Schneider einst wesentlich mehr Kopfzerbrechen als der nachfolgende Teil des Ausschmückens. Kreativität ohne Grenzen Bei der kniffligen Arbeit an ihrem bes tens eingerichteten Werktisch kann die vierfache Mutter ideal abschalten. Zu erst baut sie ein kleines Bödeli, kleidet dieses zum Beispiel mit Samt oder Seide ein und montiert es in der Rundung des offenen Eis. Jetzt stellt sich die Frage, in welche Richtung sich das Werk ent wickeln soll. Judith Schneider beginnt meist in der Mitte und arbeitet sich nach 2/2015 Handwerk aussen. Besonders gerne mag sie Krüll, Faden und Draht, weil damit immer wie der neue Formen und Ornamente kreiert werden können. Für Krüllarbeiten wer den schmale Papierstreifen mit Goldoder Silberschnitt um eine feine Nadel gewickelt und zu filigranen Gebilden zusammengeklebt. Bei der weiteren Ge staltung verwendet die Künstlerin auch andere kleine Dinge, die ihr beispiels weise unterwegs in der Natur ins Auge springen. So finden sich neben religi ösen Materialien auch Muscheln, Samen oder kleine Schneckenhäuschen in den edel geschmückten Gänseeiern. Zu den regel mässig verwendeten religiösen Symbolen gehören auch die so genannten Fat schenkinder. Diese Jesus-Figürchen aus Wachs fertigt Judith Schneider eben falls selber an und wickelt sie dann wie in einem Köcher mit allerlei Materialien ein. Hierfür werden wiederum Stoffteile, Spitzen, Blümchen, Drahtgeflechte und vieles mehr verwendet. Diese Fatschen kinder wurden den Novizinnen früher von ihren Liebsten mitgegeben, um diese im Kloster vor Heimweh und der verlo renen Mutterschaft zu trösten. Die Freude ist der halbe Lohn Judith Schneider, die heute als Kateche tin arbeitet und nebenbei für den Hausge 2/2015 brauch Schwyzerörgeli spielt, hat in den letzten zehn Jahren rund 30 Gänseeier zu filigranen Kleinkunstwerken verwandelt. Manches Stück hat sie auch auf der Aus senseite prächtig geschmückt und mit al lerlei Schikanen ausgestattet. Da hat es zum Beispiel eingebaute Fensterli, kleine Regale mit Schublädli und anderes mehr. Bis zu 20 Arbeitsstunden stecken in je dem einzelnen Werk, welche teilweise auch im Auftrag für besondere Anlässe kreiert werden. So war in einem Ei auch einmal ein kleiner Taufbrief versteckt, den man mit einer kleinen Kurbel hinaus drehen konnte. Ihre kleinen Kunstwerke verkauft Judith Schneider zu Preisen ab 120 Franken, was mit Blick auf den Aufwand und die Verwendung von Sujets wie Ikonen mit richtigem Blattgold in keinem Verhältnis steht. Die Entstehung ist für die Künst lerin die grösste Freude und Motivation. Und wenn sie ein Ei verkaufen kann, ist das ihre grösste Belohnung. So berich tet Judith Schneider mit strahlenden Au gen zum Beispiel von ihrer ersten Prä senz an einer Kunsthandwerkmesse und dass sie ihre edlen Kunstwerke aus Gän seeiern im Frühjahr 2016 vielleicht so gar an einer grossen Ostereierausstellung zeigen darf. Früher tanzte Judith Schneider in der Trachtengruppe. Heute spielt sie für den Hausgebrauch Schwyzerörgeli. Kontakt Judith Schneider Hertigässli 43 3800 Matten Telefon 033 822 59 12 www.judiths-atelier.ch 45
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