Edle Kunstwerke aus Gänseeiern

Handwerk
Judith Schneider machte eine alte religiöse Tradition zu ihrem Hobby
Edle Kunstwerke aus Gänseeiern
Auf der Suche nach einem österlichen Thema hat
die Stubete in Matten eine Künstlerin aufgespürt,
die sich seit zehn Jahren einem besonderen Hobby
verschrieben hat. Mit viel Leidenschaft und noch
grösserem Fingerspitzengefühl fertigt Judith Schneider
aussergewöhnliche Kunstwerke an, deren Ursprung
im katholischen Umfeld zu finden sind. Stefan Schwarz
Das Veredeln von Gänseeiern ist Teil ei­
ner alten Tradition, die sich Klosterar­
beit nennt. Die Wurzeln gehen zurück
bis ins Mittelalter, als in den Katakom­
ben Roms wertvolle Reliquien ausge­
graben und auf verschiedene Klöster
im gesamten Alpenraum verteilt wur­
den. Diese Gegenstände religiö­ser Ver­
ehrung wurden später von den Nonnen
zu kostbaren Wallfahrtsandenken verar­
beitet, durch deren Verkauf sie einen Teil
zum Klosterleben beisteuern konnten.
Mit einer riesigen Vielfalt an eingesetz­
ten Kunsthandwerkstechniken erlebte
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die Klosterarbeit in der Barockzeit ihren
Höhepunkt. Von Altarpyramiden über
Bildtafeln, Kastenbilder und Wachsar­
beiten bis hin zu kunstvoll dekorierten
Gänseeiern war der Kreativität der klös­
terlichen Kunst keine Grenzen gesetzt.
Das Ei des Anstosses …
Bis vor zehn Jahren hatte die mittlerweile
55-jährige Judith Schneider aus Mat­
ten bei Interlaken keine Ahnung davon,
was Klosterarbeit ist. Nachdem aber ihre
Eltern zu einem runden Geburtstag von
einer Bekannten ein solch prächtig ge­
schmücktes Ei geschenkt bekommen hat­
ten, war das Feuer bei der handwerklich
vielseitig begabten Frau entfacht. Sie be­
legte kurzerhand einen Kurs bei der ent­
sprechenden Künstlerin und setzte sich
vertieft mit dem Thema Klosterarbeit
und insbesondere dem kunstvollen Aus­
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Handwerk
Mit grosser Leidenschaft und viel Fingerspitzengefühl lebt Judith Schneider
zuhause am Arbeitstisch ihre künstlerische Kreativität aus.
schmücken von Gänseeiern auseinander.
Die spontane Faszination für das überlie­
ferte Kunsthandwerk mit religiösem Hin­
tergrund kam nicht von ungefähr. Die ge­
lernte Floristin arbeitete mittlerweile für
das örtliche katholische Pfarramt und
entwickelte dadurch mehr und mehr eine
tiefere Beziehung zur Kirche. Mit viel
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Herzblut machte sich Judith Schneider
ans Werk und entwickelte beim Kreie­
ren ihrer kleinen ovalen Schmuckstücke
mehr und mehr einen eigenen Stil. So
sind ihre Eier farblich Ton in Ton gehal­
ten und beim Ausgarnieren lässt sie gerne
auch neue Ideen oder andere Handwerks­
techniken einfliessen.
Die Entstehung eines neuen Kunstwerks
beginnt mit dem Bohren eines kleinen
Loches, bevor das Gänseei mit Hilfe ei­
ner Pumpe ausgeblasen wird. Sobald
das gut gewaschene Ei aussen und innen
gut ausgetrocknet ist, wird es mit Hilfe
eines Drehwerkzeuges (Dremel) in zwei
Hälften geteilt. Dieses Unterfangen mit
dem Ei in der einen und dem Dremel in
der anderen Hand ist recht delikat. Vor
dem kreativen Teil der Arbeit wird ein
kleines Scharnier angebracht, damit das
Ei am Schluss in gewünschter Art und
Weise geöffnet und geschlossen werden
kann. Die Suche nach dem idealen Kleb­
stoff für das nachhaltige Befestigen der
Scharniere auf der mehrschichtigen Ei­
erschale bereitete Judith Schneider einst
wesentlich mehr Kopfzerbrechen als der
nachfolgende Teil des Ausschmückens.
Kreativität ohne Grenzen
Bei der kniffligen Arbeit an ihrem bes­
tens ein­gerichteten Werktisch kann die
vierfache Mutter ideal abschalten. Zu­
erst baut sie ein kleines Bödeli, kleidet
dieses zum Beispiel mit Samt oder Seide
ein und montiert es in der Rundung des
of­fenen Eis. Jetzt stellt sich die Frage,
in welche Richtung sich das Werk ent­
wickeln soll. Judith Schneider beginnt
meist in der Mitte und arbeitet sich nach
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Handwerk
aussen. Besonders gerne mag sie Krüll,
Faden und Draht, weil damit immer wie­
der neue Formen und Ornamente kreiert
werden können. Für Krüllarbeiten wer­
den schmale Papierstreifen mit Goldoder Silberschnitt um eine feine Nadel
gewickelt und zu filigranen Gebilden
zusammengeklebt. Bei der weiteren Ge­
staltung verwendet die Künstlerin auch
andere kleine Dinge, die ihr beispiels­
weise unterwegs in der Natur ins Auge
springen. So finden sich neben religi­
ösen Materialien auch Muscheln, Samen
oder kleine Schneckenhäuschen in den edel
geschmückten Gänseeiern. Zu den regel­
mässig verwendeten religiö­sen Sym­bolen gehören auch die so genannten Fat­
schenkinder. Diese Jesus-Figürchen aus
Wachs fertigt Judith Schneider eben­
falls selber an und wickelt sie dann wie
in einem Köcher mit allerlei Materialien
ein. Hierfür werden wieder­um Stoffteile,
Spitzen, Blümchen, Drahtgeflechte und
vieles mehr verwendet. Diese Fatschen­
kinder wurden den Novizinnen früher
von ihren Liebsten mitgegeben, um diese
im Kloster vor Heimweh und der verlo­
renen Mutterschaft zu trösten.
Die Freude ist der halbe Lohn
Judith Schneider, die heute als Kateche­
tin arbeitet und nebenbei für den Hausge­
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brauch Schwyzerörgeli spielt, hat in den
letzten zehn Jahren rund 30 Gänseeier zu
filigranen Kleinkunstwerken verwandelt.
Manches Stück hat sie auch auf der Aus­
senseite prächtig geschmückt und mit al­
lerlei Schikanen ausgestattet. Da hat es
zum Beispiel eingebaute Fensterli, kleine
Regale mit Schublädli und anderes mehr.
Bis zu 20 Arbeitsstunden stecken in je­
dem einzelnen Werk, welche teilweise
auch im Auftrag für besondere Anlässe
kreiert werden. So war in einem Ei auch
einmal ein kleiner Taufbrief versteckt,
den man mit einer kleinen Kurbel hinaus­
drehen konnte.
Ihre kleinen Kunstwerke verkauft Judith
Schneider zu Preisen ab 120 Franken,
was mit Blick auf den Aufwand und die
Verwendung von Sujets wie Ikonen mit
richtigem Blattgold in keinem Verhältnis
steht. Die Entstehung ist für die Künst­
lerin die grösste Freude und Motivation.
Und wenn sie ein Ei verkaufen kann, ist
das ihre grösste Belohnung. So berich­
tet Judith Schneider mit strahlenden Au­
gen zum Beispiel von ihrer ersten Prä­
senz an einer Kunsthandwerkmesse und
dass sie ihre edlen Kunstwerke aus Gän­
seeiern im Frühjahr 2016 vielleicht so­
gar an einer grossen Ostereierausstellung
zeigen darf.
Früher tanzte Judith Schneider in der
Trachtengruppe. Heute spielt sie für
den Hausgebrauch Schwyzerörgeli.
Kontakt
Judith Schneider
Hertigässli 43
3800 Matten
Telefon 033 822 59 12
www.judiths-atelier.ch
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