LEItARtIKEL - Innovative Management Partner

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2015
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LEITARTIKEL
IMP
Perspectives
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BESSER? ANDERS?
BESSER GANZ ANDERS?
Oder: Warum Differenzierung ein Denken in drei Dimensionen erfordert
Franz Bailom, Kurt Matzler, Stephan Friedrich von den Eichen, IMP
Immer mehr Unternehmen müssen in Zeiten der globalen Hypercompetition
erkennen, dass ihre Gewinne einbrechen und sie keine Antwort darauf haben,
wie sie ihre Ertragskraft wieder steigern können. Der Versuch, durch Effizienz­
programme im zunehmenden Preiswettbewerb bestehen zu können und
gleichzeitig die Ertragskraft zu halten bzw. zu stärken, ist für viele die logische
Konsequenz. Den Forschungsarbeiten des Kanadiers Michael Raynor zufolge handelt es sich dabei aber um einen „ruinösen Irrweg“. Vielmehr muss es
Unternehmen darum gehen, sich mittels der richtigen Differenzierungslogik in
der Wahrnehmung der Kunden als wertvoll – und nicht billig – zu positionieren. Man könnte auch sagen: Der Erfolg hängt fundamental von der (richtig)
gewählten Differenzierungslogik ab. Für viele Unternehmen beginnt aber das
Dilemma bereits mit der Frage, was Differenzierung eigentlich bedeutet bzw.
wodurch man sich überhaupt differenzieren kann. Die Antwort darauf ist einfach und komplex zugleich!1
Differenzierung bedeutet zunächst nichts anderes, als sich von anderen zu unterscheiden. Die Fra­
ge muss daher lauten, in welcher Form (!) diese Unterscheidung erfolgen soll: Sollen Unternehmen
ihre Zukunftsfähigkeit stärken, indem sie evolutionär das Bestehende VERBESSERN oder revo­
lutionär VERÄNDERN? Oder sollen sie die eigene Zukunftsfähigkeit steigern, indem sie disruptiv
alles GANZ ANDERS machen als die anderen? Damit aber noch nicht genug: Was genau (!) sollen
Unternehmen denn besser, anders oder ganz anders machen als der Wettbewerb? Die strategische
(Grund-)Ausrichtung des Unternehmens und damit die Geschäftslogik in ihrer Gesamtheit? Oder
vielleicht doch nur einzelne Elemente aus dem Geschäftsmodell: das Leistungsangebot, die Wert­
schöpfung, die Vermarktung oder das Erlösmodell?
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Hier die richtigen Antworten zu finden, ist und bleibt schwierig. Fakt ist aber, dass ein Denken in
„besser“, „anders“ oder eben „ganz anders“ – sowohl auf der Ebene der strategischen Grundaus­
richtung als auch bei jedem einzelnen Element des Geschäftsmodells – völlig neue Perspektiven
eröffnen kann und letztlich muss. Denn die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen wird maßgeblich
davon abhängen, inwieweit es in einem zusehends schwieriger werdenden Umfeld gelingt, sich
in den Augen der Kunden von den Wettbewerbern wertvoll zu differenzieren und gleichzeitig eine
Kapitalisierungslogik zu entwickeln, die die Ertragsqualität des Unternehmens absichert.2 Dafür
müssen sich Unternehmen aber im Klaren sein, welche Kernherausforderungen in Zukunft den
strategischen Rahmen für wirksame Differenzierungslogiken aufspannen werden.
Sechs Thesen, die wir als Ergebnis zahlreicher Interviews und Recherchearbeiten ableiten konnten,
können hierfür eine wertvolle Reflexionsebene darstellen …
THESE 1:
In der Hypercompetition werden nur
besondere Geschäftslogiken gewinnen!
Richard D’Aveni3 prägte Mitte der 1990erJahre den Begriff Hypercompetition, also „Hy­
perwettbewerb“. Er prognostizierte auf Basis
seiner Forschungsarbeiten verstärkt instabile
Marktkonstellationen, die in Zukunft für Un­
ternehmen zu einem bisher nicht gekannten
Wettbewerbsdruck führen würden. In der Kon­
sequenz folgerte D’Aveni, dass Unternehmen
gezwungen sein würden, in immer kürzeren
Zeitabständen eine höhere Qualität zu günsti­
geren Preisen anzubieten.
Unsere seit 2006 fortlaufenden Studien mit
bisher mehr als 2.000 Unternehmen bestätigen
D’Avenis These eindeutig. Mehr als drei Viertel
aller untersuchten Unternehmen sehen sich
bereits seit Anfang der 2000er-Jahre einem
zunehmend ruinösen Preis-Qualitäts-Wettbe­
werb ausgesetzt. Die Entwicklungen der jüngs­
ten Vergangenheit – sinkende Wachstumsra­
ten, gepaart mit unvorhersehbaren Volatilitäten
– haben dazu beigetragen, dass sich der Druck
auf viele Unternehmen gesteigert hat. Eine
Trendumkehr ist aus heutiger Sicht nicht zu
erwarten. Immer mehr Unternehmen müssen
in Zeiten dieser globalen Hypercompetition
erkennen, dass ihre Gewinne einbrechen und
sie keine Antwort darauf haben, wie sie ihre
Ertragskraft wieder steigern können. Der Ver­
such, durch Effizienzprogramme im zunehmen­
den Preiswettbewerb bestehen zu können und
gleichzeitig die Ertragskraft zu halten bzw. zu
stärken, ist für viele die logische Konsequenz.
Vertraut man jedoch den umfangreichen For­
schungsarbeiten von Michael Raynor4, handelt
es sich dabei meist um einen „ruinösen Irrweg“.
Auf Basis einer Analyse von mehr als 25.000
Unternehmen verdeutlicht Raynor, dass Unter­
nehmen bei der Entwicklung ihrer Strategien
auf drei grundlegende „Erfolgsprinzipien“ set­
zen müssen, wollen sie dem Dilemma niedriger
Erträge nachhaltig entkommen. Diese lauten:5
1.Better before cheaper
2.Revenue before cost
3.There is no other rule
Aber hat Michael Raynor wirklich Recht mit
dem dritten Prinzip, wonach keine dritte Er­
folgsregel benötigt wird? Wir meinen: Nein!
Denn aus unserer Sicht existiert sehr wohl ein
weiteres Prinzip, das erfolgs- und ertragsent­
scheidend ist. Und dieses lautet:6
4.Es kommt (letztlich) immer auf die Entwicklung einer einzigartigen, stimmigen
und zukunftsfähigen Geschäftslogik an!
Unsere Studien und Projekterfahrungen be­
legen, dass langfristiger Unternehmenserfolg
und die damit einhergehende zukunftsfähige
Ertragslogik fundamental von der Entschei­
dung für den „richtigen“ Geschäftsmodell-Typ
im jeweiligen Industrieumfeld sowie dessen
innovativer Ausgestaltung abhängen. Es kommt
also immer auf die Geschäftslogik (!) an. Was
heißt das nun aber, zumal wir hier „Geschäfts­
logik“ so sehr betonen? Zugegeben, die Be­
griffe „Geschäftslogik“ und „Geschäftsmodell“
muten auf den ersten Eindruck recht ähnlich
an. Doch Ähnliches ist bekanntlich nicht das­
selbe. Dem allgemeinen Begriffsverständnis
folgend, beschreibt „Geschäftsmodell“ das
betriebliche Leistungssystem eines Unterneh­
mens: also die unsystematische, systematische
oder – im Idealfall – systemische Art und
Weise, wie Ressourcen in Kundennutzen und
letztlich in Er­trag transformiert werden. Folglich
hat jedes Unternehmen ein Geschäftsmodell,
zumindest implizit. Manche Geschäftsmodelle
funktionieren, andere nicht. Eine Geschäfts­
logik hingegen muss als eine eigene „Klasse“
von Geschäftsmodellen mit einer besonderen
ERTRAGSQUALITÄT verstanden werden. Die
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BESSER? ANDERS?
BESSER GANZ ANDERS?
besonderen Merkmale von Geschäftslogiken
sind ihre …
–Zukunftsfähigkeit hinsichtlich der WAHL des
Geschäftsmodell-Typs,
–Einzigartigkeit hinsichtlich der ARCHITEK­
TUR des gewählten Geschäftsmodell-Typs,
–Stimmigkeit hinsichtlich des ZUSAMMEN­
WIRKENS der gewählten Produkt-, Wert­
schöpfungs-, Vermarktungs- und Erlöslogik.
Sogleich wird klar, dass sich diese zukunfts­
fähige, einzigartige und stimmige „Klasse“ von
Geschäftsmodellen auch durch eine beson­
dere Differenzierungslogik auszeichnet bzw.
auszeichnen muss. Unweigerlich stellt sich
die Frage, welche grundlegenden Differenzie­
rungsoptionen in diesem Zusammenhang für
Unternehmen offenstehen.
In jeder Industrie setzen sich im Zeitablauf
bestimmte Grundmuster von Geschäftsmodel­
len durch bzw. haben sich durchgesetzt – und
funktionieren besonders gut. Daher ist es für
Unternehmen unumgänglich, sich bei der Su­
che nach einer zukunftsfähigen Ertragslogik
in einem ersten Schritt systematisch mit den
bisher erfolgreichen, aber auch den weniger
erfolgreichen Geschäftsmodell-Typen im jewei­
ligen Marktumfeld auseinanderzusetzen. Dar­auf
aufbauend kann dann wesentlich zielsicherer
anhand folgender Fragen entschieden werden,
welcher Zugang gewählt werden soll, um die
Ertragskraft des Unternehmens zu stärken:
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–Setzen wir auf einen der dominanten Typen
und versuchen, BESSER zu sein als die TopPerformer? (evolutionärer Zugang)
–Sollen wir auf einen ANDEREN, adaptierten
Geschäftsmodell-Typ setzen, der in Nischen­
märkten punkten kann? (revolutionärer
Zugang)
–Oder entscheiden wir uns für einen GANZ
ANDEREN Typ und versuchen damit, die
Wettbewerber zu überflügeln, indem exis­
tierende Marktmechanismen außer Kraft
gesetzt werden? (disruptiver Zugang)
Die strategische Diskussion bezüglich der Wahl
des richtigen Geschäftsmodell-Typs hat sich
dabei zentral an der Frage nach der Zukunfts­
fähigkeit (!) und nach den Möglichkeiten der
Einzigartigkeit (!) zu orientieren. Die beiden
Erfolgsprinzipien von Michael Raynor: „BETTER
BEFORE CHEAPER“ und „Revenue BE­
FORE COST“ sollten dabei den strategischen
Rahmen determinieren.7
Folgende Artikel und Interviews der Ausgabe 6 der IMP Perspectives dienen zur
Vertiefung unserer ERSTEN THESE. Sie
zeigen auf, wie es gelingen kann, mit
einer besonderen Geschäftslogik in der
Hypercompetition zu bestehen bzw. zu
gewin­nen:
–Von einer einzigartigen Ertrags­
logik: Warum die Ertragsqualität eines
Unternehmens von strategischen Entschei­
dungen auf zwei Ebenen bestimmt wird
(Welche Konzepte erfolgsentscheidend sein
können, Seite 39)
–Einen Flügelschlag voraus: Wie es
FACC gelingen konnte, eine neu entwickelte
Kernkompetenz in ein anderes Geschäftsfeld
zu transferieren. Und warum Unternehmen
manchmal riskante Schritte setzen müssen,
um nicht „abzustürzen“
(Beispiele erfolgreicher Differenzierung aus
der Welt der Unternehmen, Seite 191)
–Einfach differenziert: Warum weni­
ger mehr sein kann
(Welche Konzepte erfolgsentscheidend sein
können, Seite 107)
–HERRN GUARDIOLAS SUCHE NACH
DEM PERFEKTEN SPIEL: Wie ein Katalane
versucht, den FC Bayern München dahin­
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BESSER? ANDERS?
BESSER GANZ ANDERS?
gehend zu entwickeln, unverwechselbaren
Fußball zu spielen
(Beispiele erfolgreicher Differenzierung aus
der Welt der Unternehmen, Seite 199)
können, wird für viele ein Ding der Unmög­
lichkeit. Oft sind die Strategen auch von den
„Niederungen“ der Umsetzung weit entfernt:
Umsetzungswissen, direktes Marktfeedback
und operative Erfahrungen fehlen.
THESE 2:
Historisch betrachtet, war Wissen in Unter­
nehmen und in der Gesellschaft hierarchisch
organisiert. Das hat sich geändert. Heute gilt:
Wissen ist dezentral – niemand kann mehr
sagen, woher die nächste große Idee kommen
wird. Müssen wir unter diesen Bedingungen
Strategiearbeit neu erfinden? Vieles spricht
dafür. Wenn Sie Bahnbrechendes tun wollen,
müssen Sie aus tradierten Denkmustern aus­
brechen! Das heißt:
Erfolgreiche Strategie- und Innovations­
arbeit muss auf Öffnung setzen!8
Jeder, der sich heute mit Strategie auseinan­
dersetzt, kennt Begriffe wie SWOT-Analyse,
Erfahrungskurve, Portfolio-Analyse, SzenarioAnalyse, Kostenführerschaft und Differenzie­
rung, Kernkompetenzen, Benchmarking oder
die Balanced Scorecard. Die meisten dieser
Konzepte und Methoden sind uralt. Natürlich
hat sich die Disziplin selbst weiterentwickelt.
Aber wirklich große Sprünge kann man in den
letzten zwei Jahrzehnten nicht erkennen – aus­
genommen vielleicht das Thema Geschäftsmo­
dell bzw. Geschäftsmodellinnovation. Gleich­
zeitig muss man feststellen, dass die meisten
großen Unternehmen mehr oder weniger
klar definierte und formale Strategieprozesse
haben, die in jährlichen Planungszyklen ihren
Niederschlag finden. Allen gemeinsam ist aber
meist folgende Sicht: Strategiearbeit ist exklu­
siv und geheim. Exklusiv, weil sie einer kleinen
Gruppe von Top-Managern vorbehalten ist.
Geheim, weil es um Wettbewerbsvorteile geht,
die zu schützen sind. Doch dieses Verständnis
von Strategiearbeit und diese Form von Exklu­
sivität führen offensichtlich auch zu folgendem
Umstand: Etwa 90 Prozent der formulierten
Strategien werden niemals umgesetzt! Man
könnte also durchaus behaupten:
Unsere Strategiearbeit steckt in einer Krise!
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Das liegt zu einem großen Teil daran, dass
diejenigen, die die Strategien entwickeln, nicht
über das benötigte Wissen verfügen. Sie sind
mit der zunehmenden Komplexität überfor­
dert: Branchengrenzen verschwinden, (Markt-)
Dynamiken nehmen zu und mit den rasanten
technologischen Entwicklungen mithalten zu
Wenn Sie wirklich Neues schaffen wollen,
müssen Sie unkonventionelle Wege gehen!
Um das aber tun zu können, brauchen Sie
Wissen und Expertise fernab von Ihrem Kern­
geschäft. Sie müssen Ihren Strategieprozess
öffnen und einen Zugang für relevantes Wis­
sen schaffen. Tatsächlich findet man immer
mehr Unternehmen, die den Open-InnovationGedanken auf ihre Strategiearbeit übertragen
haben und mit neuen, offenen Ansätzen expe­
rimentieren. Wer den Schritt hin zu einer sys­
tematischen „OPEN-LOGIK“ wagt, wird über
die eigenen Differenzierungsmöglichkeiten
überrascht sein.9
Folgende Artikel und Interviews der Ausgabe 6 der IMP Perspectives dienen zur
Vertiefung unserer ZWEITEN THESE. Sie
zeigen auf, wie es gelingen kann, mit einer
entsprechenden Öffnung die eigene Strategie- und Innovationsarbeit erfolgreich
umzusetzen!
–OPEN STRATEGY: Warum Strategiearbeit
nicht länger exklusiv und geheim bleiben darf
(Welche Konzepte erfolgsentscheidend sein
können, Seite 31)
–DIFFERENZIERUNGSMÖGLICHKEITEN
DURCH MASS CUSTOMIZATION: Warum
eine Abkehr von standardisierten Produkten
keinesfalls ein Selbstläufer ist, sondern viel­
mehr eine solide Strategie erfordert
(Welche Konzepte erfolgsentscheidend sein
können, Seite 63)
–Von Mäusen, DNA und Geschäfts­
logiken: Warum die DNA nicht nur in der
Biologie, sondern auch bei Unternehmen ein
„überschätzter“ Superstar ist
(Was man von anderen Disziplinen in Sachen
Differenzierung lernen kann, Seite 147)
–Born to be different: Wie es IBM
gelingen kann, sich laufend neu zu definieren
und sich von anderen abzuheben. Und war­
um das Unternehmen offensichtlich für mehr
geschaffen ist als lediglich für „Business
Machines“
(Beispiele erfolgreicher Differenzierung aus
der Welt der Unternehmen, Seite 183)
THESE 3:
Spezialisierung und Diversifikation sind
keine Frage des Entweder-oder!
Die Frage „Spezialisierung oder Diversifikati­
on?“ prägt vielfach die Diskussion rund um die
strategische Ausrichtung von Unternehmen.
Wie schwierig es ist, hierfür „die“ richtige Ant­
wort zu finden, verdeutlichen auch die bis heute
sehr kontroversen Standpunkte der Manage­
mentforschung:
–Spezialisierungs-verfechter sehen
klare strategische Vorteile bei der Problem­
lösungskompetenz im jeweiligen Feld. Sie
betonen sowohl die Möglichkeit einer sehr
hohen Effizienzsteigerung als auch enorme
Kostenvorteile in der Leistungserbringung.
–Anhänger der Diversifikation
plädieren hingegen insbesondere im Zu­
sammenhang mit Risikominimierung dafür,
mit bestehenden Kompetenzen potenzial­
trächtige bzw. neue Marktfelder erfolgreich
erschließen zu können.
Beide Sichtweisen erscheinen auf den ersten
Blick logisch und richtig. Aber sind sie das
wirklich? Es macht an dieser Stelle Sinn, die
Managementforschung zu verlassen und einen
Perspektivenwechsel vorzunehmen. Die Er­
kenntnisse der Biologie eröffnen nämlich einen
klaren Blick auf das „wahre“ Erfolgsgeheimnis
der Natur, das sich auch sehr gut auf die Un­
ternehmenswelt übertragen lässt. Der Biologe,
Zoologe und Hirnforscher Prof. Martin Korte
weist im Gespräch mit uns nicht nur darauf hin,
dass in der Evolutionsgeschichte laufend ein
Wechselspiel von Diversität und Spezialisierung
vorherrscht. Er betont zudem:
Jene Lebewesen, die sich zu stark auf eine
statische Umwelt hin spezialisierten, waren
am Ende selten imstande, sich durchzu­
setzen!
Der Grund dafür? Hochspezialisierten Lebewe­
sen sei es kaum möglich, sich zeitgerecht und
„flexibel“ an eine sich schnell verändernde Um­
welt anzupassen. Es lohne sich zwar absolut,
die eigenen Fähig- und Fertigkeiten zu perfek­
tionieren. Aber es wäre gut, darauf zu achten,
mehrere Dinge zu perfektionieren und eine
Nische für „Ungewöhnliches“ besetzt zu halten!
Der Hirnforscher betont zudem, dass diese
Form von Diversität insbesondere dann seine
Qualität entfalten könne, wenn man vernetzt (!)
denken und handeln würde. Chancen und Risi­
ken von Veränderungen könnten dadurch früh­
zeitig erkannt und im „Netzwerk“ gemeinsam (!)
besser genutzt werden.10
Folgendes Interview der Ausgabe 6 der
IMP Perspectives dient zur Vertiefung unserer DRITTEN THESE. Es zeigt die jeweiligen Vor- und Nachteile von Spezialisierung
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BESSER? ANDERS?
BESSER GANZ ANDERS?
und Diversifikation auf, aber vor allem die
Vorteile einer intelligenten Kombination von
Einzelspezialisierungen.
Intelligenz deutlich schneller und auch radikaler
voranschreiten werden, als sich das viele von
uns im Jetzt vorstellen können.
–Wenn der „Wurm drin ist“: Warum
hochspezialisierte Bandwürmer ein schlech­
tes Vorbild für uns sind. Und warum es hin­
gegen Sinn macht, sich mit dem Konzept der
Vielfalt auseinanderzusetzen
(Was man von anderen Disziplinen in Sachen
Differenzierung lernen kann, Seite 157)
Laut einer Studie des Fraunhofer IAO könnte
sich zukünftig ein Produktionsauftrag – vom
Kunden ausgelöst – selbstständig durch die
Wertschöpfungskette steuern. Dabei würden
nicht nur Bearbeitungsschritte, Anlagen und
Materialien automatisch von intelligenten
Systemen gesteuert, sondern zudem sämtli­
che Kontrollen und mögliche Korrekturen wie
von Geisterhand ausgeführt. Der jeweilige
„Produktionsauftrag“ würde drohende Lie­
ferverzögerungen erkennen, diese direkt an
den Kunden melden und zusätzlich benötigte
Kapazitäten organisieren. Zudem könnten die
Produktionsanlagen Zeichnungen austauschen,
ihre Auftragsreihenfolgen organisieren und
untereinander die notwendigen Wartungs- und
Instandhaltungsbedarfe kommunizieren.
THESE 4:
Die Entwicklungen rund um künstliche
Intelligenz werden ganze Industrien
verändern!
Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass cyber-physi­
sche Systeme und Smart Factories erst in zehn
oder 15 Jahren da sein werden.
Industrie 4.0 hat längst begonnen, denn
vieles ist schon vorhanden!11
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Unternehmen setzen bereits Maschinen ein,
die mit einem Web-Client versehen sind
und mit deren Hilfe Daten über das Internet
generiert werden können. Oder Maschinen,
die – mit Sensoren ausgestattet – bestimmte
Funktionen überwachen. Wir haben auch im
Heute Produktionsabläufe etabliert, bei denen
mithilfe von RFID oder Barcodes sämtliche
Produkte mit Maschinen kommunizieren. Und
die Menschen in den Fabriken arbeiten bereits
mit Smartphones und iPads. Man könnte also
meinen, dass es sich bei all diesen Entwicklun­
gen um einen kontinuierlichen Veränderungs­
prozess handle – um eine Evolution. Aber das
ist ein gefährlicher Irrglaube, der Unternehmen
dazu verleiten könnte, den bereits eingeschla­
genen Weg in „Ruhe“ fortzusetzen! Vieles deu­
tet nämlich darauf hin, dass die Entwicklungen
rund um die digitale Revolution und künstliche
Die digitale Revolution und damit verbunden
auch die Entwicklungen rund um Industrie 4.0
werden aber nicht nur unsere Produktion ver­
ändern! Denn:
Bei Industrie 4.0 geht es vor allem auch um
Echtzeit!12
Und es geht um Individualisierung bis hin zu
einer „Losgröße 1“13. Das setzt wiederum eine
volle Einbindung der Kunden voraus. Damit
wird deutlich, dass es bei Industrie 4.0 nicht nur
um die Produktion selbst gehen kann, sondern
um den gesamten (!) Produktentstehungspro­
zess. Man muss sich bereits in der Innovations­
arbeit Gedanken darüber machen und die Pro­
dukte so entwickeln, dass sie anpassbar und
veränderbar sind. Nur so wird eine Kundeninte­
gration wirklich realisierbar! Insofern bedeutet
Industrie 4.0 nicht nur eine Veränderung in
Bezug auf die „Fabrik“, sondern der gesamte
Wertschöpfungsprozess ist davon betroffen,
der ganz weit vorne in der Produktinnovation –
BESSER? ANDERS?
BESSER GANZ ANDERS?
im Ideenmanagement – beginnen muss. Natür­
lich muss man auch die Wertschöpfungs-Lie­
ferpartner einbinden, die ganz wesentliche Teile
in der Produktion übernehmen. Eine solche
komplette Vernetzung macht die neue Wert­
schöpfungslogik aus und eröffnet die Möglich­
keit, in komplett neuen Geschäftsmodellen und
-potenzialen zu denken und zu arbeiten. Und
das ist auch unumgänglich. Denn:
Die alten Modelle werden erodieren, weil
wir sie an unserem Hochlohnstandort nicht
ewig halten können!14
Selbst dann nicht, wenn wir weiter automati­
sieren. Darum müssen sich Unternehmen der
Herausforderung namens Industrie 4.0 zeitnah
stellen. Denn sie stellt eine echte Chance dar:
sowohl eine Differenzierungs- als auch eine
Überlebenschance!
Folgende Artikel und Interviews der Ausgabe 6 der IMP Perspectives dienen zur
Vertiefung unserer VIERTEN THESE. Sie
zeigen auf, wie die Entwicklungen rund
um künstliche Intelligenz und Industrie 4.0
ganze Industrien verändern werden:
–INDUSTRIE 4.0: Wie wir mit einer „intelligen­
ten Fabrik“ individueller, flexibler, volatiler und
nachfrageorientierter produzieren können.
Und wie wir dabei echte Chancen für alle
Branchen schaffen können
(Welche Konzepte erfolgsentscheidend sein
können, Seite 53)
–WHAT’S UP, WATSON? Was sich aus Sicht
von IBM Deutschland Research & Deve­
lopment in Sachen künstliche Intelligenz,
Industrie 4.0, Neuromorphic und QuantenComputing für die Zukunft abzeichnet
(Wie künstliche Intelligenz neue Differenzie­
rungsmuster hervorbringen wird, Seite 119)
–Künstliche Intelligenz: eine eige­
ne Spezies? Warum auch bei Robotern
der Apfel nicht weit vom Stamm fällt
(Wie künstliche Intelligenz neue Differenzie­
rungsmuster hervorbringen wird, Seite 131)
–POLIS 4.0: Was wir in Zeiten der bevorste­
henden vierten industriellen Revolution von
den Menschen der antiken Polis lernen
können
(Wie künstliche Intelligenz neue Differenzie­
rungsmuster hervorbringen wird, Seite 139)
THESE 5:
Den rational entscheidenden Kunden hat
es nie gegeben!15
Nach wie vor ist man in den meisten Unter­
nehmen davon überzeugt, dass sich Kunden
und Interessenten auf Basis eines rationalen
Entscheidungsprozesses für oder gegen ein
Produkt oder eine Dienstleistung entscheiden.
Bei dieser Annahme handelt es sich jedoch um
einen fatalen Irrglauben. Denn die Erkenntnis­
se der modernen Hirnforschung verdeutlichen
augenscheinlich:
Der Mensch ist per se kein (rein) rational
denkendes und handelndes Wesen!
Circa 80 bis 95 Prozent unserer Entschei­
dungen fallen unbewusst! Zudem ist unsere
Auswahl und (Kauf-)Entscheidung wesentlich
stärker von emotionalen Aspekten beeinflusst,
als man annehmen möchte. Selbst in hoch­
komplexen Entscheidungssituationen spielen
Emotionen eine grundlegende Rolle. Das hat
schlicht und ergreifend damit zu tun, dass der
weitaus größte Teil unserer Entscheidungen
ohne Emotion undenkbar ist, weil jegliche
Information, die keine Emotionen auszulösen
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imstande ist, für das Gehirn WERTLOS ist. Das
heißt nichts anderes, als dass Unternehmen
bzw. Produkte und Dienstleistungen, die keine
Emotionen auslösen, für Kunden de facto kei­
ne Bedeutung haben! Je stärker aber die (po­
sitiven) Emotionen sind, die ein Unternehmen
bzw. ein Produkt oder eine Dienstleistung bei
den Kunden auslöst, desto wertvoller erschei­
nen diese.
Viele Unternehmen wollen all diese Tatsachen
nicht wahrhaben – was sich sehr oft in einer
falschen Auswahl des Nutzenversprechens, der
gewählten Preislogik oder einer nicht passen­
den Ausgestaltung der Vermarktung widerspie­
gelt. Dabei wäre es höchste Zeit, sich mit den
Erkenntnissen der modernen Hirnforschung
bzw. mit den jüngsten Ergebnissen aus der
Emotionsforschung zu beschäftigen. Denn es
ist unumstritten:
Es kommt wesentlich auf die emotionale
Differenzierung an!16
Die Frage nach der „richtigen“ Positionierung
in den Köpfen der Kunden erlangt im Hinblick
auf Differenzierungsmöglichkeiten im B2C,
aber auch im B2B unmittelbare und höchste
strategische Bedeutung. Es genügt aber nicht,
sich auf die kreative Umsetzung von Werbe­
botschaften zu verlassen. Es kommt also nicht
darauf an, „schöne“ Emotionen mit einer mehr
oder weniger zufällig gewählten Bild- und For­
mensprache auszulösen bzw. zu transportieren.
Vielmehr belegen die Forschungsergebnisse,
dass sich der Erfolg insbesondere durch die
systematische (!) Anwendung eindeutiger
(emotionaler) Prinzipien einstellt.
Die auf den Neurowissenschaften aufbauen­
den Forschungsarbeiten von Hans-Georg Häu­
sel17 et al. könnten für eine solche systemati­
sche Anwendung sehr hilfreich sein. Denn sie
zeigen, dass sich all unsere Emotionen im We­
sentlichen auf drei Grundmotive oder Grund­
antriebskräfte zurückführen lassen. Vereinfacht
ausgedrückt könnte man auch sagen:
Die Emotionalität des Menschen und damit
seine Denk- und Verhaltensweisen werden
durch drei Grundmotive bestimmt!18
Und diese drei Grundmotive sind jene Bau­
steine, die die Basis darstellen, um emotionale
Differenzierung tatsächlich wirksam werden
zu lassen. Georg Häusel bezeichnet die drei
Grundmotive in Anlehnung an die Gehirnregion,
in der sie entstehen, als „limbische Instruktio­
nen“, die den Menschen und damit seine Denkund Verhaltensweisen „bestimmen“:
1.Die Dominanz-Instruktion sagt uns:
Strebe nach Macht und Territorium! Setze
dich durch! Sei aktiv! Demonstriere Status!
2.Die Stimulanz-Instruktion sagt uns:
Suche neue Reize! Vermeide Langeweile!
Gehe Risiken ein!
3.Die Balance-Instruktion sagt uns:
Suche Sicherheit und Konstanz! Vermeide
Veränderungen und Überraschungen! Opti­
miere deinen Energieeinsatz! Sei zurückhal­
tend!
Damit aber nicht genug: Diese drei Grundmo­
tive des Menschen – Dominanz, Stimulanz und
Balance – geben nicht nur spezifische Instruk­
tionen. Sie determinieren auch, welche „Arten“
von Emotionen für uns im jeweiligen Instruk­
tionsfall von Bedeutung sind. Interessant wird
es dann, wenn man sich vor Augen führt, dass
jede Information, die der Mensch erhält, und
natürlich auch jede Art von rationalem Argu­
ment einem der drei Grundmotive zugeordnet
werden kann.
Es wird augenscheinlich, dass uns die For­
schungsergebnisse zu den menschlichen
Grundmotiven die Chance eröffnen, das Thema
„Emotionale Differenzierung“ völlig neu zu den­
ken. Für Unternehmen heißt das:
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BESSER? ANDERS?
BESSER GANZ ANDERS?
Erfolgreiche Differenzierung muss im ersten Schritt immer mit einer Entscheidung
für die „richtige“ Positionierungslogik
beginnen!
Unabhängig davon, ob es sich dabei um das
Unternehmen als solches, die Marke oder ein
bestimmtes Produkt bzw. eine Dienstleistung
handelt: Es geht konkret um das zentrale und
in der Folge alles bestimmende NUTZENVER­
SPRECHEN, mit dem wir uns in den Köpfen
der Kunden einzigartig – und damit wertvoll –
platzieren müssen. Folgt man den oben skiz­
zierten Erkenntnissen, lassen sich für Unter­
nehmen vier emotionale Positionierungsmuster
für Produkte, Dienstleistungen bzw. Marken
ableiten:
–Die Dominanz-Positionierung
–Die Stimulanz-Positionierung
–Die Balance-Positionierung
–Drei Mischpositionierungen
Die Kenntnis dieser Positionierungsmuster
und der dazugehörenden Emotionswelten
eröffnen definitiv eine völlig neue Sichtweise
auf die Frage, was emotionale Differenzierung
bedeutet und wie man darauf aufbauend neue
Differenzierungsstrategien entwickeln kann. Es
„lohnt“ sich daher sehr, sich intensiv damit aus­
einanderzusetzen.
Folgende Artikel und Interviews der Ausgabe 6 der IMP Perspectives dienen zur Vertiefung der FÜNFTEN THESE. Sie zeigen
auf, dass Emotionen eine sehr viel größere
Rolle spielen, als die meisten von uns
glauben.
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–Die „Unlogik“ unserer Kaufent­
scheidungen: Warum Kaufentscheidun­
gen niemals rational sind. Und warum es
deshalb für Unternehmen entscheidend ist,
sich mit vier zentralen Kaufentscheidungs­
typen zu beschäftigen
(Welche Konzepte erfolgsentscheidend sein
können, Seite 73)
–Emotionale Differenzierung: War­
um Unternehmen ihre herkömmlichen Diffe­
renzierungsstrategien überarbeiten müssen.
Und warum selbst das klassische Konzept
der „emotionalen Positionierung“ zu kurz
greift
(Welche Konzepte erfolgsentscheidend sein
können, Seite 89)
–Design-Driven Innovation: Warum die
Beachtung soziokultureller Aspekte neue
Innovationszugänge ermöglicht
(Welche Konzepte erfolgsentscheidend sein
können, Seite 101)
THESE 6:
Für ein besseres bzw. anderes Wachstum
müssen auch andere Vergleichsmaßstäbe
gesetzt werden!
Die Meisterleistung einer „berechnenden“ Öko­
nomie, die auf unser aus Zugehörigkeits- und
Vergleichsbedürfnis abgeleitetes Neid- und
Konsumverhalten baut, besteht offensichtlich
darin, in uns Menschen ein übergeordnetes
Bedürfnis zu wecken: das Bedürfnis nach im­
mer neuen Bedürfnissen. Dadurch entsteht ein
Endloskreislauf von Angebot und Nachfrage,
der davon lebt, dass wir Menschen laufend
Vergleiche anstellen – mit dem Ergebnis, selbst
immer mehr haben zu wollen, je mehr andere
besitzen. Auch wenn wir längst wissen, mit wel­
chen Methoden die Vermarktungsmaschinerie
arbeitet, funktioniert dieses „System“ gut und
ist „die“ Triebfeder der Wirtschaft schlechthin.
Doch warum vergleichen wir uns überhaupt mit
anderen Menschen? Die Psychologie lehrt uns,
dass soziale Vergleiche zu den unverzichtbaren
Voraussetzungen unserer Identitätsbildung
gehören, die über eine wahrgenommene Diffe­
IMP
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BESSER? ANDERS?
BESSER GANZ ANDERS?
renzierung erfolgt. Oder anders formuliert: Nur
in Abgrenzung zu anderen weiß man, wer man
selbst ist!19
Unabhängig von der Bedeutung des Verglei­
chens für das Individuum stellt sich die Frage,
was denn letztlich aus den menschlichen
Vergleichsprozessen gesellschaftlich und wirt­
schaftlich resultiert. Jean-Jacques Rousseau,
der von vielen auch als Philosoph der „Gleich­
heit“ bezeichnet wird, sieht im Vergleichen den
Ursprung und die Grundlage der Ungleichheit
unter Menschen. Er folgert, dass gerade auf­
grund des permanenten Vergleichens die mo­
ralischen Laster Neid, Gier und Missgunst an
oberster Stelle stehen. Trotzdem kommt man
nicht umhin, sich folgende Frage zu stellen:
Waren es nicht genau diese gesellschaftlich
verpönten Eigenschaften, die die Welt vorwärts brachten und ihr insgesamt zu mehr
Wohlstand verhalfen?20
Diese Ansicht vertrat zumindest Bernard Man­
deville, ein niederländischer Arzt und Sozialthe­
oretiker des 17. Jahrhunderts. Er beschrieb als
einer der Ersten, dass die Wirtschaft ein Kreis­
laufsystem sei, und stellte die provokante The­
se auf, dass nicht etwa die TUGEND, sondern
vielmehr das LASTER (!) die eigentliche Quelle
des Gemeinwohls sei. Ohne Laster würden wir
nur eine sehr elementare Entwicklungsstufe er­
reichen und wir wären nicht in der Lage, uns im
internationalen Wettbewerb zu behaupten. Un­
sere Nachfrage müsse immer weiter wachsen,
denn das sei der EINZIGE Weg zum Fortschritt
– davon war Mandeville überzeugt.
06
2015
25
Doch was hieße das für uns, wenn Mandevilles
These wahr wäre? Es würde bedeuten, dass
der Homo oeconomicus – wenn er auf seinen
Wohlstand nicht verzichten will – auf ewig
dazu verdammt wäre, ein solcher zu bleiben:
ein eigennützig handelnder Mensch, dessen
Wohlergehen insgesamt auf Eigeninteresse
basiert – koste es, was es wolle. Und es sieht
ja ganz danach aus, als ob wir mit aller Gewalt
danach strebten, ewig an diesem Besitzstre­
ben auf Kosten anderer festzuhalten. Obwohl
wir inzwischen alle wissen, dass wir uns diese
Form des Wohlstands schon lange nicht mehr
leisten können, lautet unser Motto: Konsum
und Wachstum über alles! Nach wie vor wird
dieses Wachstum mithilfe des Bruttoinlands­
produktes zum Ausdruck gebracht, auch wenn
wir es mit einem Vielfachen (!) in Form unseres
Haushaltsdefizites bezahlen. Ein fadenschei­
niges Rechen- und Zahlenspiel also. Trotzdem
scheinen nach wie vor Zahlenspiele dieser Art
und alles Mess- bzw. Vergleichbare unseren
einzigen „wirtschaftlichen Denkrahmen“ aufzu­
spannen. Und das, obwohl es mittlerweile An­
sätze gibt, die zumindest auch den sogenann­
ten „weichen“ Größen einen Wert bzw. einen
Preis zuschreiben.
Können diese alternativen Ansätze eine Lö­
sung sein? Nämlich ALLES zu messen, nicht
nur die Hard Facts, sondern auch die Soft
Facts? Motiviert ein solcher Ansatz den Men­
schen dazu, die Welt und unseren Wohlstand
„tugendhafter“ voranzutreiben und das Laster
zurückdrängen? Dadurch, dass ein ausbalan­
cierteres Wirtschaften möglich wird, das auf
mehr Kooperation, mehr Beachtung der Men­
schenwürde und mehr Wirtschaftsdemokratie
achtet?
Nicht der Vergleich per se ist „das Übel“!
Daher gilt es, zu überlegen, wie es uns gelin­
gen kann, uns an tatsächlich wertvollen Dingen
zu messen und diesbezüglich Vergleiche an­
zustellen. Wenn ausgeklügelte Marketing- und
Werbemaßnahmen dazu imstande sind, das
Bedürfnis nach Bedürfnissen zu schüren, dann
sollte sich doch auch das Bedürfnis nach einer
„besseren“ Welt hervorrufen bzw. verstärken
lassen. Und auch hier kann die natürliche
Veranlagung des Menschen zum Vergleichen
genutzt werden: Und zwar indem zukünftig
Qualitäten, die für Mensch und Gesellschaft
nachhaltig gut sind, verglichen werden. Der
Wettbewerb würde auf neue, inhaltlich bedeut­
same Weise gesteigert werden.
Folgende Artikel und Interviews der Ausgabe 6 der IMP Perspectives dienen zur Vertiefung der SECHSTEN THESE. Sie zeigen
auf, dass für ein besseres bzw. anderes
Wachstum auch andere Vergleichsmaßstäbe gesetzt werden müssen, die sich wieder
mehr an den Grundbedürfnissen der Menschen orientieren.
–„Ganz anders“ gibt es nicht: Warum
auch der Philosoph Konrad Paul Liessmann
davon überzeugt ist, dass es keinen Sinn
macht, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Und
warum erfolgreiche Innovationen immer an
menschlichen Bedürfnissen ansetzen
(Was man von anderen Disziplinen in Sachen
Differenzierung lernen kann, Seite 165)
–ÜBER STEIGERUNGSFORMEN UND
VERGLEICHSOBJEKTE: Warum der Wert
von Gütern immer relativ ist. Und warum es
darauf ankommt, die richtigen Dinge mitein­
ander zu vergleichen
(Was man von anderen Disziplinen in Sachen
Differenzierung lernen kann, Seite 171)
–EMMAS ENKEL: Wie der Tante-Emma-La­
den mit einem einzigartigen Multi-ChannelAnsatz ein kreatives „Revival“ erfährt und
eine junge Unternehmergeneration völlig
andere Kundenerlebnisse ermöglicht
(Beispiele erfolgreicher Differenzierung aus
der Welt der Unternehmen, Seite 213)
Wir wünschen Ihnen viele IMPulse beim Le­
sen dieser Ausgabe, die sich mit der Frage
beschäftigt, mit welchen Differenzierungsan­
sätzen Sie „punkten“ können. Vielleicht kom­
men Sie am Ende zu dem Schluss, einiges zu
VERBESSERN bzw. zu VERÄNDERN. Oder
aber Sie entscheiden sich für GANZ ANDERE
Differenzierungswege … Wer weiß?
IMP
Perspectives
26
BESSER? ANDERS?
BESSER GANZ ANDERS?
Weiterführende Erläuterungen
und Verweise
Vgl. Beitrag: Von einer einzigartigen Ertragslogik.
Oder: Warum die Ertragsqualität eines Unternehmens
von strategischen Entscheidungen auf zwei Ebenen
bestimmt wird. IMP Perspectives 6: Wachstum durch
Differenzierung. Innsbruck, 2014/15.
1
Vgl. ebd.
2
,
Richard A. D Aveni ist Professor für Strategie an
der Tuck School of Business am Dartmouth College,
Hanover, New Hampshire, USA.
3
Michael E. Raynor ist kanadischer Schriftsteller,
Direktor von Deloitte Services LP und Experte in
Sachen „Business Management Practices“.
4
Losgröße ist ein fertigungstechnischer Begriff und
gibt die Menge einer Charge, Sorte oder Serie an,
die hintereinander ohne Umschaltung oder Unter­
brechung der Fertigung hergestellt wird. Firmen, die
Just-in-time-Systeme anwenden, halten die Los­
größenbestände so klein wie möglich, deshalb ist
die optimale Losgröße 1.
13
Vgl. Beitrag: Industrie 4.0. Oder: Wie wir mit einer
„intelligenten Fabrik“ individueller, flexibler, volatiler
und nachfrageorientierter produzieren können. Und
wie wir dabei echte Chancen für alle Branchen schaf­
fen können. IMP Perspectives 6: Wachstum durch
Differenzierung. Innsbruck, 2014/15.
14
Vgl. Beitrag: Die Unlogik unserer Kaufentscheidungen. Oder: Warum Kaufentscheidungen niemals
rational sind. Und warum es deshalb für Unterneh­
men entscheidend ist, sich mit vier zentralen Kaufent­
scheidungstypen zu beschäftigen. IMP Perspectives
6: Wachstum durch Differenzierung. Innsbruck,
2014/15.
15
Vgl. Beitrag: Von einer einzigartigen Ertragslogik.
Oder: Warum die Ertragsqualität eines Unternehmens
von strategischen Entscheidungen auf zwei Ebenen
bestimmt wird. IMP Perspectives 6: Wachstum durch
Differenzierung. Innsbruck, 2014/15.
5
Vgl. ebd.
6
Vgl. Beitrag: Emotionale Differenzierung. Oder:
Warum Unternehmen ihre herkömmlichen Differen­
zierungsstrategien überarbeiten müssen. Und warum
selbst das klassische Konzept der „emotionalen Posi­
tionierung“ zu kurz greift. IMP Perspectives 6: Wachs­
tum durch Differenzierung. Innsbruck, 2014/15.
16
Vgl. ebd.
7
Vgl. Beitrag: Open Strategy. Oder: Warum Strategie­
arbeit nicht länger exklusiv und geheim bleiben darf.
IMP Perspectives 6: Wachstum durch Differenzierung.
Innsbruck, 2014/15.
8
Hans-Georg Häusel ist ein deutscher DiplomPsychologe. Er verfasst Sachbücher zu den Themen
Hirnforschung, Konsumverhalten und Marketing.
17
Vgl. ebd.
9
10
11
06
2015
27
12
Vgl. Beitrag: Wenn der „Wurm drin ist“. Oder: Warum
hochspezialisierte Bandwürmer ein schlechtes Vorbild
für uns sind. Und warum es hingegen Sinn macht,
sich mit dem Konzept der Vielfalt auseinanderzuset­
zen. IMP Perspectives 6: Wachstum durch Differen­
zierung. Innsbruck, 2014/1
Vgl. Beitrag: Industrie 4.0. Oder: Wie wir mit einer
„intelligenten Fabrik“ individueller, flexibler, volatiler
und nachfrageorientierter produzieren können. Und
wie wir dabei echte Chancen für alle Branchen
schaffen können. IMP Perspectives 6: Wachstum
durch Differenzierung. Innsbruck, 2014/15.
Vgl. ebd..
Vgl. Beitrag: Emotionale Differenzierung. Oder:
Warum Unternehmen ihre herkömmlichen Differen­
zierungsstrategien überarbeiten müssen. Und warum
selbst das klassische Konzept der „emotionalen Posi­
tionierung“ zu kurz greift. IMP Perspectives 6: Wachs­
tum durch Differenzierung. Innsbruck, 2014/15.
18
Vgl. ebd.
19
Vgl. ebd.
20