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3 // AGB-Recht
Deutscher AnwaltSpiegel
Ausgabe 06 // 25. März 2015
Wirksame standardisierte Haftungsbeschränkungen
im deutschen AGB-Recht
Ein Plädoyer vor dem Hintergrund von Globalisierung, Industrie 4.0 und Industrial Internet
Von Dr. Georg Rützel
Das deutsche Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Recht) behandelt das Haftungsregime für
Unternehmen in den Bereichen Business-to-Business
(B2B) und Business-to-Consumer (B2C) weitgehend
gleich. Folglich kann bei Geltung deutschen Rechts die
Haftung des Verwenders von AGB nur sehr unzureichend beschränkt werden. Dieser Umstand benachteiligt deutsche Unternehmen gegenüber ausländischen
Unternehmen, die in vielen Fällen durch Wahl ausländischen Rechts ihre Haftung wirksam beschränken können. So halten etwa die Lieferbedingungen von Orgalime
(ein Industriedachverband mit 130.000 überwiegend
mittelständischen Unternehmen aus Maschinen- und
Anlagenbau, Elektroindustrie sowie Metallverarbeitung
in 24 europäischen Ländern) der AGB-Kontrolle in unveränderter Form in 23 Ländern stand, nur in Deutschland
nicht. Das Haftungsrisiko eines Lieferanten ist jedoch
– was auch der BGH ausdrücklich anerkannt hat – ein
wesentliches Element in der Kalkulation und damit in
der Preisbildung (Kondring, B2B und AGB: Freiheit statt
Vollkontrolle, Das deutsche Recht attraktiver machen und
über Gesetzeslösungen diskutieren, AnwBl 2014, 830).
Vereinfacht gesagt: In Deutschland kann man gut ein-
© Sebastian Kaulitzki/Thinkstock/Getty Images
Ausgangslage
Unternehmen und Verbände fordern eine Reform des AGB-Rechts.
kaufen, das Verkaufen hingegen ist gefährlich. Im Ergebnis fördert die gegenwärtige Situation für die deutsche
exportorientierte Industrie die Flucht aus dem deutschen
Recht oder die Flucht weg von den deutschen Gerichten.
Aus diesem Grund machen sich Unternehmen und
Verbände für eine Reform des AGB-Rechts stark. So setzt
sich etwa der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) in der „Initiative zur Fortentwick- 
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lung des AGB-Rechts“ für eine Reform des AGB-Rechts im
unternehmerischen Geschäftsverkehr ein. Auf Betreiben
dieser Initiative haben sowohl die Landesjustizministerkonferenz als auch der Deutsche Juristentag im Jahre
2012 den Gesetzgeber aufgefordert, sich des Themas anzunehmen (Beschlüsse des 69. Deutschen Juristentages
München 2012, Abteilung Zivilrecht, Ziff. IV. 1–3).
Am 26.06.2014 behandelte der Deutsche Anwaltstag
in Stuttgart das Thema „AGB in B2B-Verträgen – Freiheit
oder Kontrolle?“. Am Ende der Veranstaltung wurde eine Resolution verabschiedet, die sich für eine Gesetzes­
änderung und für Flexibilität im B2B-Bereich ausspricht
(Hamacher, B2B und AGB – Crash or Progress?, Wenn der
BGH sich nicht bewegt, muss der Gesetzgeber reformieren, AnwBl 2014, 846–847).
Die rechtlichen Argumente
Die ausgetauschten rechtlichen Argumente sind seit
langer Zeit bekannt (siehe: Hannemann, AGB im unternehmerischen Rechtsverkehr: Gesetzgeber gefordert
– Regelungsvorschlag, AnwBl 2012, 314–317). So wird
vorgetragen, die §§ 305 ff. BGB hätten sich zwar für
Rechtsgeschäfte zwischen Unternehmen und Verbrauchern (B2C) bewährt, nicht aber im B2B-Bereich. Unternehmer können heute kaum mehr vermeiden, dass von
ihnen in Vertragsverhandlungen vorgelegte und vorformulierte Klauseln als AGB angesehen werden. Die Rechtsprechung geht dann regelmäßig mit Hinweis auf § 305
Abs. 1 Satz 1 BGB davon aus, dass es sich um Vertragsbedingungen handele, die „eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Abschluss des Vertrages stellt“.
Ein Aushandeln von Vertragsbedingungen ist zwar gemäß § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB möglich, allerdings stellt
die Rechtsprechung an das Merkmal des „Aushandelns“
so hohe Anforderungen, dass es in der Praxis für Individualabreden wenig Raum gibt (siehe dazu: Kaufhold,
AGB-Anschein trotz Verhandlungsbestätigung – Ist der
Individualvertrag im Unternehmerverkehr noch zu retten?, NJW 2014, 3488 ff.). Gerade in Zeiten elektronischer
Textverarbeitung ist es aber unsinnig anzunehmen, dass
einmal ausgearbeitete Klauseln nicht wiederholt zum
Einsatz kommen (Kessel, AGB im unternehmerischen
Rechtsverkehr: Wie aus der Schwäche des deutschen
Rechts eine Stärke wird, AnwBl 2012, 293–300).
Die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung, wonach die spezifischen Klauselverbote der §§ 308,
309 BGB nur zugunsten von Verbrauchern gelten sollen
(§ 310 Absatz 1 Satz 1 BGB), läuft faktisch weitgehend leer,
da die Rechtsprechung den Klauselverboten eine Indizwirkung im Hinblick auf die – auch für den unternehmerischen Rechtsverkehr geltende – Generalklausel des
§ 307 BGB beimisst.
Für eine Beibehaltung des bestehenden AGB-Rechts
sowie für die bisherige AGB-Rechtsprechung wird hingegen insbesondere von der Bauindustrie vorgebracht,
dass die gegenwärtige AGB-Kontrolle im B2B-Bereich
Rechtssicherheit schafft und insbesondere für mittelständische Betriebe ein wirksames und notwendiges
Schutzinstrument bietet.
Ausweg – Flucht ins ausländische Recht
Unabhängig davon dass die Akzeptanz ausländischen
Rechts bei reinen Inlandsgeschäften eher gering ist,
wird bisweilen die „Flucht ins ausländische Recht“ als
ein möglicher Ausweg gesehen. So versuchen manche
Unternehmen die Konsequenzen des deutschen AGB-
Rechts durch Anwendung zum Beispiel schweizerischen
Rechts und die Vereinbarung eines Schiedsgerichts unter Ausschluss der ordentlichen deutschen Gerichte zu
umgehen. In der Praxis mag man damit Erfolg haben,
allerdings gibt es auch hier rechtliche Risiken und Stolpersteine. Zwar garantiert Art. 3 Absatz 1 der Verordnung
(EG) Nr. 593/2008 vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)
grundsätzlich die freie Rechtswahl der Vertragsparteien.
Allerdings bleiben gemäß Art. 3 Absatz 3 und 4 Rom I
auch bei Wahl eines ausländischen Rechts die zwingenden deutschen AGB-Vorschriften anwendbar, wenn es
sich um einen Vertrag zwischen zwei deutschen Parteien handelt, der auch in Deutschland erfüllt wird. Ohne
Auslandsbezug hilft die Flucht aus dem deutschen Recht
nicht weiter.
Worum geht es wirklich?
Es geht nicht um eine Neuformulierung oder grundlegende Änderung des AGB-Rechts für den B2B-Bereich
als solches. Kern der Diskussion über die Reformierung
des AGB-Rechts sind die Themen Haftungsbeschränkung und Mängelansprüche. Es geht darum, Lieferanten und Hersteller wirksam von Risiken zu befreien, die
schlimmstenfalls zur Illiquidität und letztlich Insolvenz
führen können (Frankenberger, Die Grenzen des AGBRechts am Beispiel eines Anbieters von Windenergie­
anlagen, AnwBl 2012, 318, 319).
Verkäufer oder Auftragnehmer wollen die Möglichkeit haben, ihre Haftung sowohl der Höhe nach als
auch im Hinblick auf die Art des Schadens (Stichwort:
Folgeschaden) angemessen zu beschränken. Die von
der Rechtsprechung zugelassene Beschränkung der 
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Haftung auf den typischerweise vorhersehbaren Schaden reicht nicht aus. So kann ein mangelhaftes Produkt
mit einem Verkaufspreis von 5.000 Euro in vielen Fällen
leicht einen weitergehenden Sachschaden von mehr als
1.000.000 Euro verursachen. Auch sind bei Investitionsgütern, im Anlagenbau oder bei großen Infrastrukturprojekten zum Beispiel im Energiesektor Themen wie
entgangener Gewinn, Finanzierungskosten oder Produktionsausfall beim Vertragspartner meist von überragender Bedeutung. Diese Risiken vollumfänglich und
häufig ohne die praktische Möglichkeit einer wirksamen
anderweitigen vertraglichen Regelung beim Verkäufer
oder Auftragnehmer zu belassen, ist einseitig und unangemessen.
Der gesetzliche Kanon der Mängelansprüche des
Käufers oder Auftraggebers reicht von Nacherfüllung
über Selbstvornahme bis hin zu Minderung, Rücktritt
und Schadenersatz (statt Erfüllung). Häufig ist es sinnvoll, Rücktritt und Schadenersatz statt Erfüllung auszuschließen, etwa bei bestimmten Anlagebau- oder
Infrastrukturprojekten, da die Rechte in diesen Fällen
wenig zur Problemlösung beitragen. Vielmehr werden
sie in Worst-Case-Szenarien häufig als Druckmittel missbraucht. Auch die Minderung erscheint nicht in allen Fällen sachgerecht, jedenfalls dann nicht, wenn sich in ihr
letztlich über einen dauerhaft geminderten Ertragswert
der entgangene Gewinn des Käufers oder Auftraggebers
widerspiegelt, der im Rahmen einer angemessenen Haftungsbeschränkung – wie im vorangehenden Absatz angesprochen – abbedungen werden soll.
Im Kern geht es also um die angemessene Regelung
von Risiken, die das Vertragsverhältnis unangemessen
und einseitig belasten. Zudem handelt es sich dabei ge-
rade im B2B-Bereich um Risiken, die häufig besser und
umfassender vom Käufer oder Auftragnehmer über
Allgefahren-, Maschinenbruch- und Betriebsunterbrechungsversicherungen abgedeckt werden können, da
Vermögensschäden vom Hersteller einer Anlage gar
nicht über eine Versicherung abgedeckt werden können
(Frankenberger, a.a.O.). Da es sich dabei um stets wiederkehrende Geschäftsvorfälle und Risiken handelt, muss es
möglich sein, diese Bereiche auch mittels vorformulierter und gestellter Vertragsbedingungen zu regeln.
Ausblick – Industrie 4.0 / Industrial Internet
Seit einiger Zeit beginnen wir, über die weitgehende Vernetzung und Verbindung von Maschinen (auch und gerade in Produktions- und Lieferprozessen) und auch von
Mensch und Maschine nachzudenken. Vom „nächsten
Evolutionsschritt der Industrie“ ist die Rede. In einigen
Bereichen ist man bereits über das Nachdenken hinaus
zur Umsetzung übergegangen. Die dabei aufkommenden rechtlichen Fragen sind noch weitgehend ungeklärt.
Jüngst erschien zu diesem Themenbereich ein wichtiger
Gedankenanstoß aus juristischer Sicht von Prof. Dr. Jürgen Ensthaler in der Zeitschrift zum Innovations- und
Technikrecht (Ensthaler, Juristische Anforderungen an
Industrie 4.0, InTer 2014, 205 ff.). Darin weist er insbesondere darauf hin, dass in Zukunft juristische Haftungssysteme zu überdenken und neu zu ordnen sind. Auch im
Hinblick auf autonom fahrende Kraftfahrzeuge wird die
Notwendigkeit eines neuen zivilrechtlichen Haftungssystems sehr aktuell diskutiert (Lutz, Autonome Fahrzeuge als rechtliche Herausforderung, NJW 2015, 119 ff.).
Gerade vor dem Hintergrund international vernetzter
und autonom agierender Systeme, die in Zukunft nicht
nur Haftungsrisiken schaffen, sondern auch selbständig
rechtsgeschäftlich verbindliche Handlungen vornehmen
und Verträge schließen, muss eine Neubewertung standardisierter und vorformulierter Vertragsklauseln erfolgen.
Fazit
Auch wenn die gegenwärtigen Reformbestrebungen des
AGB-Rechts noch losgelöst von Zukunftsthemen wie Industrie 4.0 oder Industrial Internet diskutiert werden, ist
klar: Um eine Neubewertung von standardisierten Haftungsregelungen und Systemen in der Zukunft kommen
wir nicht herum. Forschung und Wissenschaft werden
hier gefordert sein. Der Gesetzgeber sollte aber bereits
jetzt die von großen Teilen der deutschen Wirtschaft geforderte Flexibilität und Rechtssicherheit herstellen und
eine Änderung des AGB-Rechts für den B2B-Bereich in
F
Angriff nehmen. Dr. Georg Rützel,
Syndikusanwalt und deutscher General Counsel
von General Electric, Frankfurt am Main
[email protected]
www.ge.com