Die andere Seite der Arbeitslosigkeit

WIRTSCHAFT
DONNERSTAG, 2. APRIL 2015, SEITE 32
Dieandere
Seiteder
Arbeitslosigkeit
2300 Akademiker sind in der Steiermark arbeitslos. Wie es passiert, warum es aktuell überproportional oft dazu kommt – und wieso viele der
Betroffenen trotzdem Hoffnung schöpfen.
MARKUS ZOTTLER
B
etriebe unterschätzen die
Uniabsolventen.“ Stefan H. ist
ein im Gespräch zurückhaltender, äußerst höflicher Typ. Die
in den letzten Monaten angehäufte
Enttäuschung kann er trotzdem
kaum verbergen. Seit Anfang Oktober ist der Doktor der Biologie
arbeitslos, viele Initiativ-Bewerbungen
und
zähe
Bewerbungsgespräche hat er
hinter sich. „Der
Markt ist einfach ziemlich
übersättigt,
weil viele
Techniker
Stefan H.:
Arbeitslos nach
Dissertation
und Mediziner hineinströmen.“
Stefan ist einer von aktuell 2281
arbeitslosen Akademikern in der
Steiermark, rund 1650 davon sind
in Graz registriert. Auch wenn
grundsätzlich noch immer gilt,
dass Akademiker und gut Ausgebildete rascher Jobs finden, sind
die Zeiten härter geworden – auch
weil es immer mehr Höherqualifizierte gibt. Während die Arbeitslosen-Rate der Akademiker österreichweit bei rund drei Prozent
liegt, steigt die absolute Anzahl in
diesem Segment rasch. In der Steiermark etwa nahm die Anzahl der
als arbeitslos vorgemerkten Akademiker im Vergleich mit dem
Vorjahr um 17 Prozent zu. Eine
ARBEITSLOSE IN ÖSTERREICH
Jeweils März
Gemeldete Arbeitslose
Gesamt
350.337
322.102 332.212
266.320 252.587 263.774
2011
2010
2012
In Schulung
366.277
290.045
2013
402.323
+9,9 %
+9,7 %
+22,2 %
(+6,5 %)
68.307
360.212
319.175 (+12,9 %)
2014
Zahlen im Detail März 2015, Veränderung zum Vorjahr
Männer
Frauen
Inländer
Aus15–24
länder
Jahre
97.965
46.863
215.354 144.858 262.247
+14,9 %
428.519
+5,7 %
2015
ab 50
Jahre
96.366
+16,2 %
Zahl, die weiter über dem durchschnittlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit liegt. An der Spitze liegen
akademische Betriebswirte, verhältnismäßig hohe Arbeitslosenzahlen findet man auch bei
Rechtswissenschaftern, Historikern, Pädagogen oder Kulturwissenschaftern. „Es gibt beliebte
Studien, bei denen mir außer einer
Uni-Karriere nicht einmal theoretisch ein Job einfällt“, ließ Österreichs AMS-Chef Johannes Kopf
jüngst unverblümt wissen.
Es sei „nicht das größte Problem
des Arbeitsmarktservice“, ergänzt
Kopfs steirisches Pendant KarlHeinz Snobe im Gespräch schnell.
Snobe (AMS), Wychodil, Bauer (Akzent)
Juristin ohne Job: Cseke I.
SIMON MÖSTL (4)
STEIRISCHER ARBEITSMARKT
1500 mehr Ü-50-Arbeitslose als im Vorjahr
Tirol: Sinkende Zahlen
GRAZ. Auch im März gab es am heimischen Arbeitsmarkt wenige Hoffnungsschimmer. 55.605 Steirerinnen und Steirer (inkl. Schulungsteilnehmer) sind als
arbeitslos vorgemerkt, die Anzahl der Arbeitslosen
stieg im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum um
8,7 Prozent. Bei Männern (+12,2 Prozent) stieg die
Anzahl viel höher als bei Frauen (+3,5 Prozent). Dramatisch – exakt um 1476 Personen – legte auch die
Zahl der Menschen ohne Job zu, die älter als 50 Jahre sind (+ 14,1 Prozent). Ein früheres Anspringen
der Bauwirtschaft verhinderte die in den MonatsHOFFMANN
wechsel fallende Karwoche.
INNSBRUCK. Als einziges Bundesland weist Tirol sinkende
Arbeitslosenzahlen aus. Das
AMS macht dafür in erster Linie
den Tourismus verantwortlich –
dort registrierte man einen
Rückgang der Arbeitslosen von
20 Prozent. Vor allem der frühe
Ostertermin habe zu dieser
Entwicklung beigetragen. Im
Vorjahr habe man noch den
umgekehrten Effekt gehabt.
Foto: APA, Quelle: APA/AMS
Entscheidende
WochenfürAthen
Trotzdem sei es schmerzhaft, dass
man arbeitslosen Akademikern
lange Zeit „keine guten Angebote
machen konnte“. Seit dem Jahr
2010 bietet das AMS deswegen gemeinsam mit der Karl-FranzensUniversität das Ausbildungszentrum Akzent an. Dort soll ein
„hochwertiges Schulungsangebot
auf Uni-Level“ geboten werden.
In vier Jahren wurden in dem
von Thomas Wychodil, Martin
Bauer und Sandra Walla-Trippl geleiteten Zentrum 1600 Personen
ausgebildet, 42 Prozent der Kursteilnehmer bekamen im Anschluss wieder eine Arbeitsstelle. In Wien folgte man
dem steirischen Beispiel, das
auf eine enge Kooperation
mit Leitbetrieben setzt, und
bietet heute ein beinahe
identes Angebot an.
Lisa H. und Cseke I.
stehen kurz vor dem
Abschluss ihres
Kurses. Die eine
ausgebildete
Hebamme mit
dem
Drang
zur beruflichen Neuorientierung,
die andere
arbeitslose
Juristin.
Lange ein-
te sie die Zeit des Zweifelns, heute
teilen sie dank zweier Jobangebote
wieder die Zuversicht.
Steigen die Zahlen bis 2018?
Österreichweit ist kein Ende der
Rekordarbeitslosigkeit in Sicht.
Im März waren um 6,5 Prozent
mehr Menschen ohne Job als im
Vorjahr. Seit August 2011 steigen
die Zahlen. Geht es nach einer
Prognose des AMS, wird sich das
bis 2018 auch nicht ändern. Bei
den arbeitslosen Akademikern erwartet
man bis 2019 sogar einen Zuwachs von 35
Prozent.
Ausgebildete
Hebamme:
Lisa H.
Griechenland muss im April 2,8 Milliarden Euro
zurückzahlen – und erzürnt mit Moskau-Besuch.
ATHEN. Es waren rund 3000 Pensionisten, die gestern Athens
Straßen säumten. Sie appellierten an die Regierung von Ministerpräsident Alexis
Tsipras,
Wahlversprechen zu erfüllen
und eine Erhöhung der Altersbezüge auf das Niveau vor der Finanzkrise zu beschließen. Auch
wenn die ersten größeren Protestkundgebungen seit dem
Wahlsieg des neuen Premiers
diesen kaum freuen werden, gilt
die Sorge im Moment wohl anderen Dingen. Alleine im April
muss Griechenland nämlich 2,8
Milliarden Euro an Rückzahlungen für Hilfsgelder leisten. Der
Internationale Währungsfonds
(IWF) erhält dabei knapp 450
Millionen Euro, darüber hinaus
sind 2,4 Milliarden Euro für kurzfristige Anleihen (sogenannte TBills) zurückzuzahlen.
Griechenland will seine Verpflichtungen gegenüber dem
Währungsfonds jedenfalls fristgerecht am 9. April erfüllen. Das
will die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen des Athener Finanzministeriums erfahren haben – nachdem zuvor zahlreiche
anderslautende Meldungen kursierten. „Das Geld ist da. Wir
werden rechtzeitig zahlen“, soll
ein Mitarbeiter des stellvertretenden Finanzministers Dimitris
Mardas am Telefon ausgerichtet
haben.
Keine griechischen Bitcoins
Für Aufsehen in der Europäischen Kommission sorgt auch
Tsipras’ Reise zum russischen
Präsidenten Wladimir Putin
nach Moskau. Zwar ließ eine
Sprecherin wissen, dass man
„Rede- und Versammlungsfreiheit“ habe, gleichzeitig verwies
sie aber auf jüngste Aussagen
von Währungskommissar Pierre
Moscovici. Dieser erklärte, dass
Russland „keine Alternative“ sei.
„Griechenland hat seinen Platz
in der Eurozone.“
Und dort will das Land vorerst
wohl auch selbst bleiben. Meldungen, wonach der griechische
Finanzminister Yanis Varoufakis
notfalls bereit sei, in seinem
Land die virtuelle Währung Bitcoin einzuführen, stellten sich
gestern recht bald als AprilLeitartikel Seite 10
scherz dar.
Kartellamt verbietet Fusion um Edeka-Gruppe
BONN. Trotz Zugeständnissen
darf Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka die
Kaiser’s-Tengelmann-Supermärkte nicht übernehmen. Das
deutsche Kartellamt untersagte
am Mittwoch die von Anfang an
umstrittene Fusion.
Der Zusammenschluss hätte
zu einer erheblichen Verschlechterung des Wettbewerbs im Großraum Berlin, in
München und Oberbayern sowie in Nordrhein-Westfalen ge-
führt, erklärte Kartellamtschef
Andreas Mundt.
„In diesem Fall kommt es vor
allem auf die Marktverhältnisse
vor Ort an“, erläuterte Mundt.
Nicht der relativ geringe bundesweite Marktanteil von Kaiser’s Tengelmann sei entscheidend. Die Einkaufsalternativen
wären durch den Zusammenschluss für die Verbraucher erheblich eingeschränkt worden,
die Gefahr von Preiserhöhungen wäre gegeben gewesen.