Nach Hause kommen – aufbrechen Jahresbrief der Gruppe Laufdorf des Laurentiuskonvents Mit der Weihnachtsgeschichte erhalten die Leitworte für unseren diesjährigen Rundbrief Tiefe und Weite. Die Ehre Gottes verbündet sich mit der Friedensansage für die Menschen auf der Erde: Gott kommt nach Hause - und Erde und Menschen brechen auf. Der Stall wird für das umher geschobene Paar zum Zuhause - notdürftig und bergend. Hirten finden die Ankunft des Heilands - mitten im vertrauten Geruch des Schutzraumes. Weise bergen, jenseits ihres bekannten Herrschaftsgefüges - die Schätze ihres Lebens bei dem Kind in der Krippe: Bei ihm verwahren sie mit dem Gold ihren Wert, mit Myrrhe ihren Trost, mit Weihrauch ihr Heil. Wir in Laufdorf richten im Provisorischen ein Zuhause ein, finden in alltäglichen Begegnungen Spuren Gottes und entdecken in ihnen tiefe und heilsame Weisheit. Das Neugeborene wächst. Der Heiland nimmt Gestalt an - zusammen mit denen, die hören, ankommen, anschauen, ruhen, umkehren, im Scheitern neu beginnen, sich verwandeln lassen. Die Hirten brechen auf in ihre Felder: Wie tragen wir Segen in unseren Alltag? Die Weisen brechen auf und kommen auf einem anderen Weg in ihr Land: Wie gehen wir in unserer Heimat weise um mit Reichtum, mit Trostworten, mit Heilsversprechen? Die Familie bricht auf – aus dem lebensbedrohlichem Land in den Schutz der großen Exilgemeinde in Ägypten: Wie brechen wir auf aus gewohntem Rahmen, damit eigenes und anderes Leben Zuflucht findet? Unser Erfahrungen im Nach Hause kommen und unsere Fragen im Aufbrechen möchten wir teilen: Gabriele „Aus welchem Land kommen Sie?“ höre ich manchmal von echten Hessen, denen mein Schwäbisch fremdländisch vorkommt, obwohl ich seit 40 Jahren nicht mehr in Memmingen lebe. Wenn Schwaben sich miteinander unterhalten verstehe ich inzwischen genauso wenig wie bei den Nachbarschaftsgesprächen in Laufdorf. Die Sprache verrät kaum, wo ein Zuhause ist. Nach Hause komme ich mit einem Gang durch die Gärten: Bei meiner Mutter die Blumenwiese im Frühling mit Schneeglöckchen und Märzenbechern, Lerchensporn und Szylla - üppig wie in meiner Kindheit. Oder der ehemalige Gemüsegarten heute mit mehrjährigen Stauden und Unkraut bedeckt - und spätestens am zweiten Tag fange ich an zu jäten. Nach Wochen der Abwesenheit aus Laufdorf, in denen ich Kinderfreizeiten für die Lebenshilfe leite oder mit Stephan im Urlaub bin, durchwandere ich - kaum angekommen - die Gärten, die wir bewirtschaften dürfen: das Gewächshaus mit Tomaten, Gurken und Paprika, der Apfelhain, das Ackerland nahe des Gemeinschaftshauses. Nach anstrengenden Arbeitstagen suche ich in ihnen Erholung beim Umgraben und Pflanzen und komme an. Bei Gesprächen um die Zukunft meines Elternhauses, in dem meine Mutter mit 88 Jahren seit 10 Monaten allein wohnt, ergreift mich Wehmut vor allem, wenn ich an den Garten denke. Bin ich in Laufdorf, merke ich, dass ich hier gut angekommen bin, und das liegt mit an den Gärten. Die Ernte ist so reichhaltig, dass wir zum Teil an Nachbarn verschenken können oder den Segen im Tausch gegen Honig und Milch vermehren. So komme ich auch im Dorf und bei den Menschen hier an. Im Juni hatten wir Besuch von Mohamed Salah mit seiner Familie. Er ist Leiter des "Christian Peacemaker Team" im Norden Iraks. Seine Frau und die Kinder kamen neugierig mit mir in die Gärten. Sie genossen das Naschen und erzählten von ihren großen Anbauflächen zu Hause. Bohnen wüchsen dort, ganz verschiedene Sorten, und Mais und Obst. Es sei ein kleines Paradies. Damals konnten sie sich nicht vorstellen, dass der Krieg bis in ihr Gebiet dringen könnte. Ich fühle mich ihnen sehr verbunden, spüre ich doch, dass wir die Kraftquelle Garten teilen und die Hoffnung auf Friede, solange wir Wachstum bewundern können. Oft habe ich dieses Jahr an sie gedacht. Ein wenig wie die Weisen aus dem Morgenland hüten wir die von Nachbarn anvertrauten Garten-Schätze und freuen uns, dank ihrer auf Gemüse und Eier von Großkonzernen verzichten zu können. Mögen auch unsere Kinder und unser vor 11 Monaten geborener Enkel Simon diese Erde noch wert schätzen und genießen können! Stephans Vater sehnt sich nach einem erfüllten Leben inzwischen nach einer anderen, endgültigen Bleibe im Schoße Gottes. Er ist auf den Rollstuhl angewiesen, hat kaum mehr Kraft, die Handgriffe zu tun, die die helfenden Hände ihm noch zutrauen, ist zunehmend verwirrt. Am dritten Advent haben wir ihn wohl ein letztes mal nach Laufdorf geholt. Die bewegenden Begegnungen mit ihm in seiner zunehmenden Schwachheit haben mich ihm näher gebracht und mir ein Teilnehmen auch an Stephans Ursprungs-Zuhause ermöglicht. Stephan Das Leben mit Staub, das Klettern auf Gerüste und über Kisten hat endlich ein Ende. Die Baustellen außen und innen in unseren Häusern der Ringstraße sind bald abgeschlossen. Die Wohnungen sind größtenteils gedämmt, warm, freundlicher und sogar teils barrierefrei. Mit großer Erleichterung habe ich die Endabrechnung an den Lahn Dill Kreis und die Bank als Zuschussgeber und Finanzierungspartner weiter gereicht.- Puh! Ich denke zurück an meine ersten Erfahrungen vor 5 Jahren, am Anfang unserer Zeit in Laufdorf. Zusammen mit Wolfgang Heins half ich mit, ein Gästeappartement in der Ringstr. 5 einzurichten. Menschen sollten hier für eine Zeit Obdach, Ruhe finden vor dem, was im Alltag auf sie einstürmte. Über dieTür hängten wir dieses besondere Stoffbild: Gabriele und ich haben es im Norden Syriens von der Großmutter einer Bauernfamilie erhalten. Sie hatten uns an einem kalten Dezemberabend zu sich hereingebeten: Der Benzinofen bullerte, sie teilten mit uns Fladenbrot, Kartxoffeln und Zwiebeln, getunkt in Ölivenöl. Wir erzählten einander mit Photos, Händen und Füßen. Ich holte meine Flöte aus dem Auto und spielte. 10 Jahre später: Ob unsere Gastgeber von damals noch leben? Sind sie geflohen? Wohin? Manchen Besuch hatten wir von Menschen aus dieser Region des mittleren Ostens: Mohamed Salah mit seiner Familie war im Sommer bei uns und berichtete von seiner Arbeit als muslimisches Mitglied des Christian Peacemaker Teams (CPT) in Erbil in Irak- Kurdistan. Syrische Menschen, geflohen bis nach Wetzlar, erzählten ihre Geschichten, wir entdeckten gemeinsame Bekannte, so den Abt Paolo aus dem Kloster Mar Musa, der seit seinem Kontakt mit der IS im Sommer letzten Jahres nicht mehr aufgetaucht ist. Zwei syrische Abende in Wetzlar ließen Flüchtlinge zu Gastgebern mit reicher Kultur werden. Marie-Noëlle und ich begrüßten die lokale Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) im November und erlebten den Pfarrer der syrischen orthodoxen Gemeinden in Giessen mit seiner verzweifelten Bitte nach Schutzräumen für die Flüchtenden. So haben wir gemeinsam beraten und beschlossen, die Familie Ibrahim bei uns aufzunehmen: 6 Erwachsene, 2 Kleinkinder und ein Säugling, gerade in diesem Jahr 2014 geboren. Sheikmus Ibrahim lebt schon seit einiger Zeit in Wetzlar. Seine Familie aus dem Norden Syriens ist im letzten Monat vor den heranrückenden IS Truppen in den Nordirak geflohen und versucht zurzeit vor den Toren Erbils zu überleben. Mithilfe des Arbeitskreises Flüchtlinge, der Mitarbeiter des Ausländeramtes des Lahn Dill Kreises und des hessischen Ministeriums haben wir einige der Türen geöffnet, dass sie mit Flüchtlingsvisa zu uns reisen können und in einigen unserer Gastzimmer für einige Zeit Obdach finden. Wann sie in den nächsten Wochen kommen? Wie es dann weiter geht- und wohin ihre Reise geht? Wir werden sehen - und das Unsere tun. Für mich heißt es dann vielleicht Singen, Flöten und gemeinsam Musizieren. Und: Auch weiterhin werden wir Menschen und Gruppen bei uns aufnehmen für Tagungen und Sitzungen. Platz genug werden wir schon finden. Eine gute gemeinsame Zuversicht! Davorka Ich bin viel unterwegs – für die Arbeit bei Church and Peace, als Präsidentin vom Internationalen Versöhnungsbund, für die Quäker und dann noch einfach private Reisen. Nun wohnen wir seit zwei Jahren in Laufdorf und im Konvent – und nach den Reisen komme ich jetzt wirklich nach Hause. Ich kenne die letzten Stationen auf den möglichen Zugstrecken und freue mich, Bekanntes zu erkennen und zu wissen: bald bin ich da. Im ersten Jahr war es befremdlich gewesen, „nach Hause“ zu fahren und nichts zu erkennen. Jetzt ist eine Routine entstanden, die mir gut tut. Ich finde das Aufbrechen immer viel einfacher als das nach Hause Kommen. Im besten Fall bringt man einem „Sack voll“ nach Hause – neue Erfahrungen, Erkenntnisperlen, man durfte sich erproben und wachsen, neue Begegnungen, neue Menschen kennen lernen … Im vertrauten Kreis kann man „auspacken“ und vielleicht sogar einen Schatz entdecken und ihn teilen. Die wichtigen Facetten entstehen oft erst im Mitteilen, weil dann das Erlebte in einen konkreten Kontext gebracht wird. Erst der Kontext macht aus der Erfahrung etwas Erlebtes, aus dem Verstehen und Verständnis wachsen kann. So waren für mich in diesem Jahr die Reisen mit ihrem nach Hause kommen so wichtig, um aus den vielen Eindrücken dann auch das „nach Hause“ kommen zu machen, das in die Tiefe geht und verwandelt und verwandeln kann zu etwas Neuem, das weiter wirken kann. Mich hat sehr berührt, dass für uns Quäker im Konvent der spirituelle Raum geöffnet wurde für unsere spezifische Andachtsform des gemeinsamen Wartens in der Stille und Anwesenheit Gottes. Wir üben uns nun gemeinsam im Hören in der stillen Kapelle morgens, wenn dann im Zyklus der Andachtsverantwortung Björn oder ich an der Reihe sind. Aus dieser Haltung des Hörens gehen wir in den Alltag – Gott zu loben durch unseren Alltag. Johann David mit Björn Wir haben unser Zuhause. Es fällt leicht, Menschen aus Familie und Gemeinschaft und auch noch Fremde kommen und gehen zu sehen, selbst kleine und größere Kreise zu ziehen. Hamburg ist inzwischen weit weg. Johann Davids Leben hat eigentlich gerade einen Umkreis von etwa 6 km: vom wetzlarer Weinberg bis zur Schule in Bonbaden. Ebenso selbstverständlich sind die größeren Reisen von Mama und Papa, aber auch eigene Besuche bei der Familie in Berlin, Tuttlingen und München. Mit den Weinberg Rangern (Kindergruppe des Naturschutzbundes) ging es jetzt durch das zweite Jahr, was persönlich, geographisch und zeitlich Vertrautheit schafft. Eine große Besonderheit war der Besuch der Ranger bei uns in Laufdorf, die damit anfangen konnten, auch das Umfeld ihres Schutzgebiets kennen zu lernen. So konnten wir gemeinsam Gastgeber sein und auch zeigen, warum wir ein fledermausfreundliches Haus haben. Eine besondere Rolle spielen der Hühnerstall (Tür auf, Tür zu, Eier da, Eier weg – und durch natürliche Abgänge inzwischen vier Hühner weniger als noch vor gut zwei Jahren) und die vielen Tiergehege. Johann David ist Naturschützer und das bedeutet in letzter Zeit vor allem Zootierpfleger. Ein weiterer Höhepunkt des Jahres für Johann David war der Besuch mit Opa im Tierpark Hellabrunn, gut vorbereitet durch zahlreiche Hellabrunn Tierfilme. Eingezäunt werden die Tiere auch weiterhin auf unserem Küchenfußboden. Ein Fernglas und Schlüssel am Gürtel erlauben Überblick und Zutritt. Meine Rolle als „Zoodirektor“ ist sein Angebot – Kümmerer für Zootierpfleger ist sicher ein guter Inhalt. Im abgelaufenen Jahr sind unsere Kreise also gefühlt kleiner geworden. Geborgenheit zeigt sich zum Beispiel im gemütlichen Einschlafen und wieder Aufwachen, in der Sicherheit, andere gern aufnehmen zu können. Und hoffentlich auch in der Kraft für Neues im kommenden Jahr. Ernst Im September besuchten Marie-Noëlle und ich auf unserer Reise durch Serbien und Bosnien unsere Freundin Amra Panzo. Sie sagt scherzhaft von sich selbst, dass sie eine mennonitsche Muslima sei. Vor zwei Jahren hatten wir sie im Rahmen vom Arbeitskreis Frieden und des Christlich-islamischen Arbeitskreises eingeladen. Sie ist eine der treibenden Kräfte bei „Gläubige für den Frieden“. Durch ihren Verein „Kleine Schritte“ (mali koratli) hat sie viel mit Religonslehrerinnen und -lehrern gearbeitet zu konstruktivem Umgang mit Konflikten. Neuerdings wird sie auch direkt zur Arbeit mit Schülerinnen und Schülern eingeladen. Sie erzählte uns eine beglückende Geschichte von einem Mädchen in einer Schulklasse. Die Lehrerin hatte Amra vorgestellt und versucht, den Sinn ihres Kommens zu erklären, verfiel aber darüber ins Lamentieren, wie schlimm der Krieg und seine Folgen seien - eine in Bosnien weit verbreitete Grundstimmung. Das Mädchen entgegnete: „Frau Lehrerin, wir sind doch neue Kinder! Verschonen Sie uns damit!“ „Wir sind doch neu!“ An dieser Geschichte erlebe ich exemplarisch Aufbruchstimmung. Ob alt oder „neu“, wir teilen die Hoffnung auf ein fröhliches, solidarisches Europa. Im nächsten Jahr plant Church and Peace - und unsere Gemeinschaft ist ein Teil dieses Netzwerkes eine Internationale Tagung im Kosovo. Auch das ist Aufbruch im Kommen. Etwas, was mir wie ein Aufräumen im Zuhause der eigenen Geschichte vorkam, war das Gedenken an die Kriegserklärung Deutschlands vor 100 Jahren und den Verlauf des 1. Weltkrieges. Die Kirche war an der Verführung in die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ maßgeblich mit beteiligt. Marie-Noëlle, Stephan und ich haben uns auf der Basis des Arbeitskreises Frieden in Gebeten, Andachten und Gottesdiensten öffentlich damit auseinander gesetzt. Können und wollen die Christinnen und Christen aus den Ländern, die 1914 gegeneinander in den Krieg zogen, sagen: „Wir sind neu“? - Wir leben in einem "neuen" Bund? Das Leitbild vom "gerechten Frieden" - vor 4 Jahren auf der Synode Braunfels auf unser Betreiben hin beschlossen - ist doch längst noch nicht in den Gemeinden angekommen. Dennoch, diese Erinnerungsarbeit hat auf uns selbst reinigend gewirkt. Wenn das eigene Haus gereinigt und sauber ist, dann fällt es leichter, gastfreundlich zu sein. Die Nachrichten vom Flüchtlingselend rund um das Mittelmeer und im Nahen und Mittleren Osten haben uns natürlich sehr beschäftigt. Wie können wir unserer Hoffnung auf ein Ende von Gewalt und einer Konversion von Schwertern zu Pflugscharen Ausdruck verleihen? Wir haben uns gemeinsam darauf verständigt, unsere Gästezimmer für syrische Flüchtlinge zu öffnen und wollen ihnen ein vorübergehendes Zuhause anbieten. Marie-Noëlle Von Laufdorf für eine Reise aufzubrechen wird dadurch erleichtert, dass immer jemand bleibt, der nach dem Rechten schaut. Nicht nur werden die Hühner und die Gärten versorgt wenn wir unterwegs sind, sondern die Heim Gebliebenen essen weiterhin zu Mittag zusammen und das Gebet findet jeden Morgen in der Kapelle statt. Dadurch wird eine Kontinuität der Präsenz der Gemeinschaft garantiert. Bis wir im Herbst wieder einen gemeinsamen Rhythmus gefunden hatten, dauerte es allerdings dieses Jahr besonders lange, denn viele waren nacheinander verreist, ob dienstlich oder privat. Ich selbst war Juli, August und September mehrfach weg - mal in den Alpen mit Ernst, mal für einen Einsatz als Dolmetscherin, mal für eine unvergessliche Reise durch Serbien und Bosnien - und es plagte mich das schlechte Gewissen, gerade in Stoßzeiten (für den Garten) nicht hier gewesen zu sein. Die Treuen, die die Lücken gefüllt haben, beklagten sich keineswegs; trotzdem hoffe ich, dass wir unsere Abwesenheiten nächstes Jahr besser koordinieren können. Ich war insgesamt mehr zu Hause in diesem Jahr als in den Jahren zuvor. Meine Arbeit bestand hauptsächlich aus Übersetzungen von Artikeln und Büchern ins Französische und weniger aus Vorträgen und Predigten in Gemeinden oder Veranstaltungen. Ein Gefühl der Einsamkeit schlich sich manchmal bei mir ein, so wie die Feststellung: wie schnell gerät man in Vergessenheit, wenn man keine "offizielle" Funktion mehr hat. Aber das Übersetzen von Erzählungen aus anderen Ländern ist eine Möglichkeit, in Gedanken aufzubrechen und über das Leben der Menschen in aller Welt zu lernen und zu reflektieren. Auch erleben wir immer wieder, dass Menschen aus fernen Orten zu uns ins Haus kommen und mit uns ihre Erfahrungen teilen. Unter den Vielen, die bei uns einige Tagen blieben, behalte ich in intensiver Erinnerung den Besuch von Viola Raheb und ihrem Mann Marwan Abado. Sie leben zur Zeit im Exil in Wien. Sie ließen uns mit Leidenschaft und Kunst am Schicksal des palästinensischen Volks teilhaben. Dann gab es Kyoko, eine couragierte 77 jährige Japanerin, die mit dem IFOR Vorstand hier in Februar war. Sie berichtete über den Kampf der japanischen Friedensbewegung um den Erhalt des 9. Artikels der Verfassung: darin hatte sich das japanische Volk 1947 verpflichtet, nie eine Armee zu unterhalten und sich nie an Kriegen zu beteiligen. Oder auch Jean-Pierre Massamba, ebenfalls Vorstandsmitglied des Internationalen Versöhnungsbundes, der bei uns am Frühstückstisch von dem mühsamen Wiederaufbau der Gesellschaft in Kongo Brazaville, an dem der Versöhnungsbund und die Kirchen beteiligt sind, erzählte. Und schließlich, im Juni, die Begegnungen mit Gästen aus Burkina Faso bei der Feier des 40 jährigen Bestehens der Partnerschaft der hiesigen Kirchenkreise, für die Silvia und ich dolmetschen. Ein überraschender, kurzer aber sehr herzlicher Besuch von Remzije, unserer kurdischen Freundin, die mit ihren Geschwistern von 2002 bis 2004 vor ihrer Rückkehr in die Türkei bei uns gelebt hatte, muss noch erwähnt werden. Nach ihrem Studium in der Türkei arbeitet sie nun in der Biogas Branche und ist eine richtige Geschäftsfrau geworden. Sie unterstützt tatkräftig ihre Familie. Das Wiedersehen war bewegend. Für uns und für sie. Im Laufe des Besuches verschwand sie kurz nach oben, um das Zimmer neben der Kapelle noch einmal zu sehen, in dem sie mit Aysun ihrer Schwester vor derer Festnahme durch die Polizei gelebt hatte. Für sie war damals der erzwungene Aufbruch eine Chance, in der Türkei die Schule wiederaufzunehmen, weil sie sich hier als "Illegale" nicht weiter bilden konnte, wie sie es wünschte. Aysun hingegen musste zuerst die Abschiebehaft erleben, dann die traumatische Gerichtsverhandlung und das Ende des Traumes, einmal Krankenschwester zu werden. Ob ihr die Türkei ein besseres Zuhause geworden ist? Inzwischen ist sie verheiratet und hat ein Kind. Wir wissen durch Kina, die sie besucht hat, dass es ihr körperlich wie psychisch nicht so gut geht. Church and Peace ist in neue Räume umgezogen. Davor wurde ich gebeten, mich um die vielen Dokumente zu kümmern, die nicht Teil des Umzugs sein konnten. Es bedeutete, viele Ordner zu durchsuchen, Unwichtiges zu entsorgen, Wichtiges zu behalten. Diese Aufgabe wurde mir zu einer Art Reise in die Vergangenheit. Ich hatte besonders große Freude, als ich Texte von Wilfried Warneck und von anderen Menschen, die Church and Peace geprägt haben, entdeckte: Schätze die ohne den Umzug noch lange verborgen und ungeordnet geblieben wären. Familiär ist bei uns vieles passiert in diesem Jahr, gerade in Sachen Aufbrechen und nach Hause kommen: unsere älteste Tochter Josepha heiratete im Frühling und zog im Sommer mit ihrem Mann Joel nach etlichen Jahren im Ruhrgebiet nach Hessen zurück. Im Herbst kam ihr erstes Kind Johanna zur Welt. Wir sind voller Bewunderung vor dem kleinen Menschen und freuen uns, dass die junge Familie so nahe ist! Wir waren bei einer schönen Feier der evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden, als Martha ihr Bachelor erhielt. Sie blieb in Laufdorf einige Wochen, um ihrer Schwester nach der Geburt zu helfen und hat nun ihre erste Stelle in einem deutschen Kindergarten in Madrid angetreten. Jacoba ist ihrerseits für ein Semester mit dem Programm Erasmus in Rom und wird voraussichtlich nach ihrem Bachelor-Abschluss Pierre-Etienne heiraten. Theodor Für mich haben nach Hause Kommen und Aufbrechen zunächst berufliche Aspekte: der Wechsel zwischen den beruflichen Bezügen und dem privaten Zuhause. Für die berufliche Seite hat sich Mitte diesen Jahres Entscheidendes geändert: durch meine Beteiligung am Beratungsunternehmen its-people ERP GmbH arbeite ich jetzt parallel für mehrere mittelständische Unternehmen und nicht mehr überwiegend für eine international tätige Firma. Dies kann ich zumeist von meinem Büro zu Hause aus tun. Aber auch von hier kehre ich nach Hause zurück, wenn ich mein Büro verlasse. Seit Silvia sich aus dem Gruppenleben weitgehend zurückgezogen hat, hat das Zuhause wiederum 2 Aspekte: Silvia und die Gruppe. Ich nehme nun häufig am gemeinschaftlichen Mittagessen teil, manchmal aber habe ich mit Silvia mittags ein tête-à-tête. Fast jede Woche bin ich nun mit Kochen dran. Zum Glück haben die Gruppengeschwister nichts dagegen, meist Blechkartoffeln, Kräuterquark, Salat und Kompott (aus Gruppenherstellung) zu speisen. An den festen Abendterminen und an der monatlichen Mahnwache zu Friedensthemen nehme ich weiterhin, wie alle anderen Gruppenmitglieder, regelmäßig teil. Seit wir uns nach den Zuzügen 2009 in der Gruppe auf die Beibehaltung der Gebetsform geeinigt haben, die in Laufdorf schon viele Jahre praktiziert wurde, nehme ich daran nicht mehr teil. Ich hatte mir im Lichte der Weiterentwicklung meines persönlichen Gottesbildes eine offenere Form gewünscht. Seit dem Zuzug von Davorka und Björn finden diese Morgengebete turnusgemäß auch als stille Andachten nach Quäker Art statt. Dies ermöglicht mir nun wieder die Teilnahme und damit eine Ausweitung des Zuhause in der Gruppe. Silvia Aufbrechen, Ankommen... Für mich brachte das Jahr entlang dieser Vokabel und Inhalte einiges an Erfahrungen und vielleicht Erkenntnissen. Zunächst, mir etwas vornehmen: nach dem weitgehend in Österreich bei unserer Tochter Kina und ihrer Familie verbrachten letzten Jahr dachte ich, wieder hier anzukommen, mit Tagesstruktur, mit Wochenstruktur. Dieser Vorsatz war mit einiger Aufregung, wie ich es wohl hinbekommen würde und Vorfreude verbunden. Kaum war er gefasst, kam die Nachricht, dass Kina an einem akuten Bandscheibenvorfall operiert worden war. So hieß es wieder, meine Siebensachen zu packen, und zurück nach Hallein zu fahren. Ich übernahm den Haushalt, das Tragen der noch nicht laufenden Zwillinge und zusätzlich das Packen der vielen Kartons für den bevorstehenden Umzug in ein benachbartes Dorf. Zwei Monate war ich im Einsatz, freute mich an den Enkelkindern, der schönen Landschaft, der guten Luft, dem Nützlichsein. Aufbruch und Ankommen dorthin. Theodor blieb wieder einmal zurück. Dann kam die Rückkehr ins hessische Dorf, nach Hause. Seitdem versuche ich, mich hier wieder zu verwurzeln. Ich bin froh, mich voll auf die Dinge und Inhalte konzentrieren zu können, die mir viel bedeuten: Aufstellungsarbeit, Training in gewaltfreier Kommunikation, Übersetzungen, weitere Entdeckungsreisen in den biblischen Schriften, ökumenische Frauenarbeit in der Dorfgemeinde, Nachbarschaft, Singen, Musizieren, ins Gespräch kommen, Verbindung halten zur großen Verwandtschaft und zu unserem Freundes-kreis, Daniels Familie um die Ecke unter-stützen und erleben. Der Kontakt zur laufdorfer Gruppe ist sehr lose und ich empfinde ihn dennoch als warmherzig. Sollten die syrischen Flüchtlinge kommendes Jahr Aufnahme in die Gruppe finden, werde ich vielleicht wieder wie früher Deutschunterricht erteilen und präsenter sein. Mal sehen. Nach diesem Jahr schätze ich meine Möglichkeit besonders, verfügbar zu sein, unter anderem als Großmutter (seit Ende Juli haben wir ein 5. Enkelkind, Claras kleine Wonja in Dresden). Verfügbarkeit und Planung sind nicht unbedingt kompatibel. Also mache ich mich weiter bereit zu neuen Aufbrüchen und erneuten Rückkehrphasen... Christa Das gravierendste Ereignis in diesem zu Ende gehendem Jahr war die Begleitung meiner Mutter zum Sterben. So will ich mit einem Gedicht von Annette v.Droste Hülshoff beginnen: An meine Mutter So gern hätt´ ich ein schönes Lied gemacht - von Deiner Liebe, Deiner treuen Weise, Die Gabe, die für andre immer wacht, hätt´ich so gern geweckt zu Deinem Preise. Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr, und wie ich auch die Reime mochte stellen, Des Herzens Fluten wallten drüber her, zerstörten mir des Liedes zarte Wellen. So nimm die einfach schlichte Gabe hin, von einfach ungeschmücktem Wort getragen Und meine ganze Seele nimm darin; wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen. Vor allen Dingen spiegelt sich im letzten Satz, wie es mir ergangen ist. Meine Mutter hatte mit Vertreibung aus der Heimat, im April 1946, mit Sorgen für ihr 3 jähriges Kind, das ich damals war, und für die Schwiegermutter und mit Sorge um ihren Mann, von dem sie nach Kriegsende nichts mehr gehört hatte, und mit Sorge für den täglichen Lebensunterhalt keine Ressourcen mehr für große Gefühle. Das tägliche Leben musste bestanden werden. Werktags von morgens bis abends beim Bauern auf dem Feld für das täglich Brot arbeiten mit mir am Schürzenbändel (ich versuchte mit den Erwachsenen mitzuhalten mit Garben legen, Kartoffeln oder Dickwurzeln ausbuddeln, Heu wenden usw.) in einem Dorf im nördlichen Hessen, weit weg vom Böhmerwald, der Stadt Krummau, wo wir vorher gewohnt hatten. Gott sei Dank kam mein Vater schon Oktober 1946 aus russischer Gefangenschaft zurück. Dank der guten deutschen Bürokratie hat er uns auch wiedergefunden, wusste er doch in Gefangenschaft nichts von unserer Vertreibung. Dann kamen ziemlich schnell meine Schwester 1947, mein Bruder 1948 und 1950 noch ein Bruder zur Welt - da blieb auch für mich nur übrig, auf die Geschwister aufzupassen. Als mein Vater dann bei der Post in Frankfurt eine Anstellung bekam, war er nur noch alle 4 Wochen für ein längeres Wochenende zu Hause, bis wir 2 Jahre später alle zusammen eine 3 ½ Zimmer Post-Wohnung beziehen konnten. Hier kam dann 1955 mein jüngster Bruder zur Welt. Hier normalisierte sich das Leben. Hier machte ich meinen Schulabschluss und meine Lehre. Als wir Kinder alle versorgt waren und allmählich unser eigenes Leben lebten, starb mein Vater. Von nun an lebte meine Mutter allein in der Wohnung - in der sie bleiben konnte bis dieses Jahr im März. Meine Schwester kaufte ihr einmal wöchentlich ein, mein Bruder Helmut wohnte in der Nähe, die Nichten Susanne und Kathrin kamen immer mal vorbei, auch um die Kinder mal bei der Oma (Uroma) abzugeben. Als im Februar, nach einem Sturz in der Wohnung, und nach einem Krankenhausaufenthalt die Mutter versorgt werden musste, war ich, die einzige Ruheständlerin, in der Lage, meiner Mutter beizustehen, so dass sie in ihrem Umfeld bleiben konnte. Später kam eine Frau aus Polen, Ilona, die meine Tochter Sarah über eine Vermittlung fand. Sie versorgte die Mutter so gut, dass ich ab und zu wieder in mein Zuhause nach Laufdorf abreisen konnte. Leider hatte die Mutter vom Krankenhaus einen dicken Dekubitus mit nach Hause gebracht. Der wurde zwar vom ambulanten Pflegedienst täglich vorbildlich versorgt, aber die Schmerzen bei der Behandlung vergällten meiner Mutter jeden Tag neu das Leben. Der 93. Geburtstag, den wir Kinder, Enkel- und Urenkelkinder bei ihr feierten, war für sie nur noch eine Last. Sie freute sich, dass wir alle da waren, blieb aber im Bett. Eigentlich wollte sie nur noch sterben. Am 28. März hat Gott ihr Gebet erhört und sie zu sich geholt. Nach der Beerdigung am 7. April musste die Wohnung gekündigt werden und vor allem geräumt. Da war die Endgültigkeit besiegelt. Diesen Treffpunkt in Frankfurt gibt es nicht mehr. Aber wir Geschwister beschlossen, uns 2-3 mal im Jahr zu einem Essen in einem Lokal in der Nähe zu treffen. Dieses Ereignis ist das Eindrücklichste, dennoch geht das Leben weiter, auch in den andern Bahnen, die gelegt waren,. Ich bin eingebunden im Alltag in Laufdorf in unserer Gemeinschaft. Eingebunden auch in unseren Bemühungen mehr zur fairen und gerechteren Lebensqualität der Arbeiter in den Herkunftsländern unserer Luxusartikeln, wie Kakao, Kaffee, Tee usw. beizutragen. Jeden Donnerstag öffnen wir im Rahmen unseres „fairen“ Bananenverkaufs die Schränke und Vorratslager unserer Eine Welt Waren. Die Ev. Gemeinde stellt uns nach wie vor kostenlos die Räumlichkeit zur Verfügung. Ein kleines Team wechselt sich ab beim Verkauf und hilft bei Beratung und Planung der Aktivitäten im Jahreslauf. Es ist immer wieder erfreulich zu erleben, dass die Menschen im Dorf uns sehen und wahrnehmen und beim Kauf bereit sind, ihren Beitrag zu leisten. Mal sehen, ob es im nächsten Jahr noch mehr darüber zu berichten gibt. In diesem Sinne bin auch ich gespannt, was das Neue Jahr bringen wird und wünsche allen Lesern ein gesegnetes Neu geboren werden durch das Geburtsfest Jesu Christi.
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