Stuhltransplantation – wer sie braucht, und wie es geht

FORTBILDUNG
Matthias Banasch
Stuhltransplantation –
wer sie braucht, und wie es geht
Im Dezember 2013 titelte eine
große deutsche Tageszeitung:
„Opa (86) überlebt dank Kotspende
des Enkels“, ein klares Zeichen, dass
das Verfahren der Stuhltransplantation die wissenschaftliche Bühne
verlassen und auf dem Boulevard
angekommen ist. Worauf begründet
sich nun das gerade in den vergangenen zwei bis drei Jahren steigende
Interesse an dieser ungewöhnlichen
Behandlungsform?
I
m Wesentlichen sind drei Gründe für das gerade in den vergangenen zwei bis drei Jahren steigende Interesse zu nennen:
w Die zunehmende Inzidenz der Clostridium-difficile-Infektionen (CDI). Seit etwa 2003 wird weltweit,
so auch in Deutschland eine deutlich steigende Inzidenz der Clostridium-difficile-Infektionen beobachtet. Parallel besteht eine überproportionale Zunahme schwerer Verlaufsformen, die vor allem auf
die Verbreitung des hochvirulenten Ribotyp-Stammes 027 zurückzuführen ist. Wurden im Jahr 2000
etwa 1300 Patienten aufgrund einer CDI stationär
behandelt, waren es 2011 bereits 28 200 Patienten
[1]. Damit ist die Clostridium-difficile-Infektion in
Europa und anderen Teilen der entwickelten Welt
mittlerweile die häufigste bakterielle Darminfektion.
w Die Wirksamkeit der medikamentösen Therapieoptionen ist insbesondere bei rekurrierender CDI
unbefriedigend. Für die antibiotische Sanierung der
CDI stehen vorrangig drei Antibiotika zur Verfügung: Metronidazol, Vancomycin und Fidaxomicin.
Bereits die Erstlinientherapie ist nur in etwa 80 Prozent der Fälle erfolgreich. Mit jedem Rezidiv sinkt
die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften Heilung.
Nach dem zweiten Rezidiv liegt die Rückfallrate bereits bei über 60 Prozent [2].
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w Die Stuhltransplantation ist eine überzeugende Behandlungsalternative. Zwei systemische Reviews unter Einschluss von 35 Studien mit knapp
600 Patienten und eine randomisiert-kontrollierte
Studie belegen eindrucksvoll die hohe Effektivität
der Stuhltransplantation bei rekurrierender CDI
mit Heilungsraten von zirka 90 Prozent [3–5]. Die
2013 im New England Journal of Medicine publizierte Studie von van Nood et al. musste aufgrund
der dramatischen Überlegenheit der Transplantation im Vergleich zur Vancomycin-Standardtherapie
(Heilungsrate: 93,8 % vs. 30,8 %) nach der Interimsanalyse abgebrochen werden.
Die Wahrnehmung unseres Mikrobioms hat sich
in den letzten Jahren grundlegend geändert
Bei der fäkalen Mikrobiota-Transplantation (FMT,
Stuhltransplantation) wird das intestinale Mikrobiom eines gesunden Spenders in den Gastrointestinaltrakt eines kranken Empfängers übertragen.
Dabei handelt es sich keinesfalls um eine neue Therapieform. Die „gelbe Suppe“ wurde bereits im antiken China zur Behandlung von Bauchschmerzen
und Durchfallerkrankungen angewandt. Soldaten
des Deutschen Afrikakorps setzten Kameldung zur
Behandlung der Dysenterie ein, eine traditionelle
Behandlungsmethode, die man von ansässigen Beduinenstämmen übernommen hatte. Der erste be-
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Stuhltransplantation
kannte Fall einer erfolgreichen Stuhltransplantation bei pseudomembranöser Kolitis wurde bereits 1954 publiziert [6].
Allerdings hat sich erst in den letzten Jahren die Wahrnehmung unseres Mikrobioms grundlegend geändert: Von einem
eher lästigen und potentiell pathogenen Trabanten hin zu einem hochkomplexen, symbiotischen Organismus mit zahlreichen für uns vorteilhaften Eigenschaften.
Eine wesentliche Funktion liegt in der Aufrechterhaltung der
sogenannten Kolonisationsresistenz. Durch Besetzung entsprechender ökologischer Nischen verhindert das intestinale
Mikrobiom eine Fehlbesiedlung mit potentiell pathogenen
Mikroorganismen. Insbesondere die Vielzahl unterschiedlicher Spezies (Diversität) ist für die Aufrechterhaltung der
mikrobiellen Homöostase essentiell [7]. Entsprechende Analysen bei rekurrierender CDI zeigen deutliche quantitative
und qualitative (geringere Diversität) Veränderungen der intestinalen Mikroflora [8].
Aus Gründen der Akzeptanz und praktischen Erwägungen
wird meist ein Spender aus dem familiären Umfeld gewählt
Vorteile im Hinblick auf die Effektivität sind zumindest bei
der Indikation „rekurrierende CDI“ für blutsverwandte Spender nicht belegt. Der Spender sollte grundsätzlich gesund
sein und keine Risikoexposition für potentiell ansteckende
Erkrankungen mit längerer Inkubationsdauer aufweisen (z. B.
durch rezente Tropenaufenthalte oder i.v.-Drogenabusus).
In Anlehnung an die Screening-Untersuchungen bei der
Blutspende sollten potentiell über den Stuhl übertragbare
systemische Infektionserkrankungen wie beispielsweise Virushepatitiden, HIV und Syphilis serologisch ausgeschlossen
werden. Des Weiteren erfolgt eine Untersuchung des Spen-
derstuhls auf eventuelle enteropathogene Erreger (W Tabelle
1). Die Anzahl der zu analysierenden Stuhlproben ist bisher
nicht standardisiert.
Der Spenderstuhl sollte in einem sterilen und luftdicht zu
verschließenden Sammelbehälter gesammelt und zur Verhinderung einer exogenen Überwucherung möglichst zeitnah
– innerhalb von sechs Stunden – verarbeitet werden. Bei längerer Lagerung ist eine Kühlung zu favorisieren. Ein Stuhlgewicht zwischen 50 und 150 Gramm erscheint angemessen.
Der Spenderstuhl wird im Labor mit steriler Kochsalzlösung
suspendiert (200–500 ml). Hierfür können elektrische Mixer
verwendet werden; aus unserer Erfahrung werden gleiche
Ergebnisse auch durch einfaches Schütteln oder manuelles Rühren erzielt. Feste Faserbestandteile im Stuhl werden
durch ggf. mehrfache Filtration über Gaze oder feinmaschige Laborsiebe entfernt (Schematische Darstellung W Abb. 1).
Ziel ist eine weitgehend flüssige Stuhlsuspension, die über ein
Endoskop appliziert werden kann mit einem Gesamtvolumen
von zirka 200 bis 500 Milliliter (W Abb. 2) [3].
Grundsätzlich kann der Spenderstuhl sowohl im oberen als
auch im unteren Gastrointestinaltrakt appliziert werden
Insbesondere in jüngeren Publikationen wird der koloskopischen Applikation aus pathophysiologischen Erwägungen
und insgesamt besserer Verträglichkeit der Vorzug gegeben.
Ein rezentes Review zeigt zudem eine etwas höhere Effektivität der koloskopischen Applikation (Heilungsrate 91,4 vs.
82,3 %). Der Unterschied war allerdings nicht signifikant [4].
Die Vorbereitung unterscheidet sich nicht von der einer „normalen“ diagnostischen Koloskopie. Durch die Darmreinigung
erfolgt gleichzeitig eine Reduktion der eigenen Mikroflora,
Tabelle 1 Spenderscreening (modifiziert nach [15])
Anamnese
w „Gesunde“ Personen ohne akute oder chronische Erkrankungen
(Malignome, CED, Autoimmunerkrankungen etc.)
w Keine infektiöse Risikoexposition (i.v.-Drogenabusus, kürzlicher Tropenaufenthalt)
w Keine Antibiotika innerhalb der letzten drei Monate
w Keine (infektiösen) Darmerkrankungen in den letzten drei Monaten
w Keine großen gastrointestinalen Voroperationen
Allgemeine Untersuchungen
w Unauffälliger physikalischer Status
w Routinelabor (Blutbild, Leber- und Nierenparameter, CRP)
Spezielle Laboruntersuchungen
Serologie (z.A. Virushepatitis, HIV-, und Lues-Infektion):
w Anti-HAV IgM, HBs-AG, Anti-HCV, Anti-HIV, TPHA oder TPPA
Mikrobiologische Stuhluntersuchungen:
w C. difficile, Salmonellen, Shigellen, Campylobacter, Yersinien, EHEC
w Wurmeier und Parasiten mikroskopisch
w Lamblien- und Cryptosporidien-Antigen
w Noroviren- und Rotaviren
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Wiederholte Spende
Wiederholung des Spenderscreenings nach spätestens sechs Monaten
Notfälle (fulminante CDI, toxisches Megakolon)
Ggf. Verzicht auf o.g. Untersuchungen bei „gesunder“ Verwandtenspende nach sorgfältiger
Abwägung aller Therapiealternativen und entsprechender Aufklärung und Dokumentation.
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Stuhltransplantation
die im Sinne einer möglichst umfassenden Kolonisation mit
dem Spendermikrobiom durchaus erwünscht ist. Möglicherweise noch bestehende Antibiotikatherapien sollten mindestens 36 Stunden vor dem Eingriff beendet werden, d.h. ein
akutes CDI-Rezidiv sollte zunächst adäquat antibiotisch behandelt werden. Ausnahmen sind lebensbedrohliche Formen
der pseudomembranösen Kolitis, bei denen die FMT als „Ultima-ratio“-Therapie in Einzelfallberichten bereits erfolgreich
durchgeführt wurde.
Der ideale Ort der Stuhlapplikation (rechtsseitiges Kolon
vs. linksseitiges Kolon) ist ebenso Gegenstand aktueller Diskussionen wie das optimale Stuhlvolumen und eventuelle
begleitende medikamentöse Maßnahmen wie etwa die periinterventionelle Loperamid- oder Buscopan-Gabe zur Verlängerung der Kontaktzeit.
Wir favorisieren die koloskopische Applikation im terminalen Ileum und Zökum (zu jeweils 50 %) mittels „Endowasher“.
Bisher wird eine zumindest zwölfstündige stationäre Überwachung empfohlen, die aufgrund der insgesamt hervorragenden Verträglichkeit durchaus zur Diskussion gestellt
werden kann. Bei der gastrojejunalen Applikation (via Sonde
oder Endoskop) werden deutlich kleinere Volumina eingesetzt (30–50 ml). Dennoch scheint diese Applikationsform
weniger gut verträglich (Fieber, Bauchschmerzen). Auch vereinzelte schwere Komplikationen (z. B. Aspirationen) sind
ausschließlich bei oraler Applikation aufgetreten [9]. Obwohl
es sich bei der FMT um die bisher gravierendste absichtliche
Übertragung von Fremdorganismen handelt, sind in der Literatur bis dato keine infektiösen Komplikationen beschrieben.
Selbst unter immunsuppressiver Therapie scheint das Verfahren relativ sicher [10].
Auch bei adipösen Personen könnten Veränderungen der
intestinalen Flora pathophysiologisch relevant sein
Abbildung 1 Schematische
Aufbereitung des Spenderstuhls
Abbildung 2 Fertige Stuhlsuspension vor der „Transplantation“
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Auch bei anderen Erkrankungen (z. B. Colitis ulcerosa, Reizdarmsyndrom et al.) kann in Studien eine Dysbiose des intestinalen Mikrobioms nachgewiesen werden, deren Relevanz
und insbesondere ursächliche Bedeutung im Gegensatz zur
CDI allerdings weitaus weniger gut belegt ist. Entsprechend
ist die Evidenz für die Wirksamkeit der FMT bei diesen Indikationen bisher gering und beschränkt sich auf Einzelfallberichte und sehr kleine Fallserien [11, 12]. Eine Stuhltransplantation sollte daher bis auf weiteres ausschließlich im Rahmen
kontrollierter Studien in Erwägung gezogen werden.
Bei adipösen Personen könnten Veränderungen der intestinalen Flora, insbesondere eine Verschiebung der BakterienPhyla zugunsten sogenannter Firmicuten, pathophysiologisch relevant sein [13]. In einer kleinen randomisierten
Studie führte die Transplantation des Mikrobioms schlanker
Spender im Vergleich zur Autotransplantation tatsächlich zu
einer signifikanten Verbesserung der Insulinresistenz bei adipösen Männern [14].
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Stuhltransplantation
Die fäkale Mikrobiota-Transplantation hat derzeit noch den
Status eines individuellen Heilversuches
Die üblichen gesetzlichen Bestimmungen nach Arzneimittelgesetz, Medizinproduktegesetz oder Transplantationsgesetz
finden bisher keine Anwendung. Der Patient sollte daher
insbesondere auch über die bisher ungeklärte Langzeitsicherheit aufgeklärt und auf die fehlende Kostenerstattung
des Spenderscreenings hingewiesen werden. Für die serologischen und mikrobiologischen Untersuchungen sind Kosten
von mindestens 500 Euro zu berücksichtigen. Aufgrund der
überlegenen Wirksamkeit bei der Behandlung der rekurrierenden CDI empfehlen viele Fachgesellschaften die FMT
trotz der fehlenden gesetzlichen Regulation mittlerweile als
Therapie der Wahl ab dem zweiten CDI-Rezidiv (dritte Erkrankungsepisode). Im deutschsprachigen Raum hat die Österreichische Gesellschaft für Gastroenterologie und Hepatologie (ÖGGH) im Oktober 2014 einen Konsensusbericht mit
Empfehlungen zur Anwendung der FMT veröffentlicht [15].
Derzeit wird ein nationales, Internet-basiertes Melderegister
eingerichtet, das erstmalig eine strukturierte Evaluation der
bundesweit mittlerweile zahlreich durchgeführten „Transplantationen“ ermöglichen soll.
Viele Fachgesellschaften empfehlen die FMT
ab dem zweiten CDI-Rezidiv
Es ist zu erwarten, dass sich die Stuhltransplantation in der
Behandlung der rekurrierenden CDI als wirksamste und auch
kosteneffektivste Therapie der Wahl durchsetzen wird. Hinsichtlich der Applikationsform wäre zukünftig eine „Stuhlpille“ mit definierter mikrobieller Komposition – auch aus
rechtlichen Erwägungen – von großem Vorteil. Ob die FMT
auch bei anderen Indikationen, außerhalb wissenschaftlicher
Fragestellungen eine Rolle spielen wird, ist aufgrund der geringen Evidenz zum gegenwärtigen Zeitpunkt indes noch
nicht absehbar.
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Literatur
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Austrian Society of Gastroenterology and Hepatology (ÖGGH) in cooperation
with the Austrian Society of Infectious Diseases and Tropical Medicine. Z Gastroenterol 52: 1485–1492
Priv.-Doz. Dr. med. Matthias Banasch
Gastroenterologie & Allgemeine Innere Medizin
St. Elisabeth-Hospital gGmbH
Im Schlosspark 12
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