afdF0515s16D_Layout 4 07.04.15 09:18 Seite 16 aktuell für die Frau REPORT 611 Kilogramm Abfall produziert jeder Deutsche pro Jahr. Und trennt, und trennt, und trennt – weil die Politik es so will. Deshalb stehen in manchen Kellern inzwischen mehr Mülltonnen, als das Haus Bewohner hat... Wie sich eine ganze Stadt gegen die Biotonne wehrt Braune Tonne, gelber Sack, grauer Eimer, grüner Behälter – steht bei Ihnen der Hauseingang oder Keller inzwischen auch voll? Wir Deutschen gelten als die Weltmeister im Mülltrennen. Doch lohnt sich das überhaupt? 쮿 Er steht für ein neues Vorzeige-Projekt, um das ihn andere Städte und Länder beneiden: Dr. Maximilian Monzel (Foto), Chef des Zweckverbandes Regionale Abfallwirtschaft (RegAb) in Trier (Rheinland-Pfalz). Denn hier werden Rest- und Biomüll nicht vom Bürger getrennt – in der Trierer Abfallsortieranlage sorgen Mikroorganismen aus dem Biomüll dafür, dass der Müll sich erwärmt und trocknet. So kann man ihn dann prima weiterverwerten. Und viel billiger ist das Verfahren auch noch! Die Trierer zahlen nur 90 Euro pro Jahr für 80 Liter Müll. In vielen anderen Gemeinden und Städten, die übliche Mülltrennung betreiben, müssen die Bürger oft mehr als das doppelte bezahlen. Trotzdem wollen die Behörden jetzt auch die Trierer zwingen, die Biotonne einzuführen. Wir haben Maximilian Monzel gefragt: erpackungen und Kunststoff in den gelben Sack, Bioabfall in die braune Tonne, Altpapier und Glas in den Container, Restmüll in den grauen Eimer. Von Stadt zu Stadt, von Gemeinde zu Gemeinde mögen die Behälter unterschiedlich aussehen und die Farben anders ausfallen, aber eines ist von Rügen im Norden bis Garmisch im Süden fast überall gleich: Die meisten von uns trennen ihren Müll. In keinem anderen Land der Welt wird so leidenschaftlich sortiert wie bei uns! Und eigentlich ist das ja auch eine gute Sache. Schließlich hilft das der Umwelt, Wertstoffe werden wiederverwertet und vor allem senkt das unsere Müllgebühren. Glauben wir zumindest. Aber stimmt das auch? Sie werden staunen: V Wird am Ende einfach alles wieder zusammen gekippt? Die große Recycling-Lüge Ist Müll-Trennen für die Tonne? 16 AKTUELL FÜR DIE FRAU Fotos: Fotolia, privat staunen, ie S n e d r e Vielleicht w rheit mit was in Wah schieht ... e g ll a f b A Ihrem Immer mehr Experten sagen ganz offen: Unser heutiges Abfallsystem stinkt zum Himmel, weil es altmodisch und uneffektiv ist, der Umwelt viel zu wenig bringt – und in Wahrheit viel zu teuer ist. Und damit auch die Gebühren, die wir alle bezahlen müssen. Ist Mülltrennen also für die Tonne? Werfen wir doch mal einen Blick hinter die Kulissen: Über die Hälfte aller Verpackungen, die wir nach dem Sortieren über den Gelben Sack oder die Gelbe Tonne entsorgen, wird gar nicht wiederverwertet – sie wird schlicht und einfach verbrannt! Das wurde inzwischen vom Bundesumweltministerium eingestanden. Ist das ganze Gerede vom umweltfreundlichen Recycling also nur eine Lüge? Ja und nein. Bei Altpapier liegt die Recycling-Quote immerhin bei 90 Prozent. Aus neun von zehn Zeitungen, Prospekten oder Kartons, die wir in die Papier-Container werfen, werden also tatsächlich neue Papier-Produkte hergestellt. Bei Glas ist das Ergebnis fast genau so gut: bis zu 86 Prozent wird recycelt. Aber ausgerechnet dort, wo wir uns mit dem Trennen am meisten Mühe geben, beim Gelben Sack oder der Gelben Tonne, betreiben wir viel Aufwand für fast nichts: Bis zu zwei Drittel der von uns sortierten Kunststoffe werden am Ende wieder zusammengekippt – und landen in Verbrennungsanlagen. Warum ist das so? Warum werden immer noch so viele Wertstoffe einfach verfeuert? Wie so oft: Weil Politiker falsch geplant haben! Viele Städte und Landkreise haben in der Vergangen- Die Trierer Anlage gilt als beispielhaft – Sind Sie wütend, dass man Ihnen jetzt mit der Biotonne droht? DR. MONZEL: Ich würde eher sagen, verwundert und irritiert. Schließlich haben wir in Trier, mit immerhin 530.000 Einwohnern, in den letzten acht Jahren ein Verfahren entwickelt, dass die Biotonne entbehrlich macht, aber den Verwertunganspruch ge- heit viel zu viele und viel zu große Verbrennungsanlagen gebaut. Und dafür Milliarden (Gebühren und Steuergelder) ausgegeben. Damit diese Anlagen nun nicht stillstehen, brauchen sie viel Müll zum verbrennen. Unsere Gebühren könnten kräftig sinken Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es z.B. 16 (!) Verbrennungsanlagen für Hausmüll. Sie können 6,3 Millionen Tonnen Abfall verbrennen. Blöd nur: Da die Bürger dort besonders fleißig sammeln und sortieren, fallen nur rund vier Millionen Tonnen Restmüll an. Die Anlagen haben also zu wenig zu tun. Verkehrte Welt: Weil das nicht nur in diesem Bundesland so ist, importiert Deutschland zwei Millionen Tonnen Müll aus ganz Europa zu uns, um all die Anlagen am Laufen zu halten! Dabei könnte laut Bundesverband der Entsorgungswirtschaft (BDE) jede vierte der deutschlandweit 71 Anlagen geschlossen wer- nauso gut erfüllt. Deshalb sind wir da ein wenig „uneinsichtig“. REDAKTION Die meisten Trierer Bürger wollen keine Biotonne, haben tausende Unterschriften gesammelt. Wie geht es weiter, wenn die Behörde stur bleibt und die Biotonne erzwingt? DR. MONZEL: Dann werden im Zweifel wohl die Gerichte entscheiden müssen. REDAKTION: Wer ist Ihrer Meinung nach der Feind eines effizienten Abfall-Recyclings? DR. MONZEL: Von einem Feind will ich nicht sprechen. Allerdings würde ich mir von den Behörden etwas mehr Offenheit und Flexibilität für technische Fortschritte und neue Wege wünschen. REDAKTION: Werden wir Bürger mit der ganzen „Mülltrennerei“ zum Narren gehalten? DR. MONZEL: Nein, nur neigen wir in Deutschland oft dazu, eine ursprünglich gute Idee zu sehr auf die Spitze zu treiben – und übersehen, dass es längst modernere, bessere Alternativen gibt. Wir verstricken uns häufig so in Regelungen, dass sich nichts mehr bewegt. den – und so Millionen Euro gespart und die Gebühren für alle deutlich gesenkt werden. Warum passiert das dann nicht? „Eigentlich möchte man gar kein echtes Recycling, man will eher noch mehr Müll, um die Anlagen auszulasten“, vermutet Prof. Michael Braungart vom Internationalen Institut für Umweltforschung. Denn Müll zu verbren- nen ist um die Hälfte billiger, als ihn zu recyceln. Kein Wunder, dass immer mehr Bürger am jetzigen Sortier-System zweifeln und sich sogar wehren wie z.B. in Trier (s. Kasten links). Immer mehr Bürger zweifeln am Mülltrennen Mit der Umfrage fand der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) heraus, dass die Mehrheit der Deutschen mit der Abfalltrennung und den ständig neuen Tonnen unzufrieden ist. Zwei Drittel halten das Aussortieren für zu kompliziert. Zu Recht, sagt Prof. Klaus Wiemer, der Präsident des Hessischen Forschungsverbundes für Umwelt. Für ihn gehört unser bisheriges Abfallsortiersystem selbst auf den Müll: „Tatsächlich versteht das kaum noch jemand. Zudem können wir heute mit modernen Maschinen alles Mögliche viel besser trennen als die Bürger jemals von Hand.“ Maschinen sortieren besser als der Mensch! Tatsache ist: Rund 40 Prozent dessen, was sich in unseren Tonnen findet, sind „Fehlwürfe“ – Abfall, der eigentlich in eine andere Tonne gehört. Es muss also sowieso alles maschinell nachsortiert werden. Es ist wohl Zeit, dass sich um diesen Unsinn mal jemand ernsthaft kümmert. In den Umfragen sagen die meisten Deutschen nämlich auch, dass sie sehr wohl zum Sortieren bereit sind – wenn es wirklich Sinn macht und der Umwelt hilft ... Auf unseren Mülldeponien lagern viele Millionen-Schätze 쮿 Jahrzehntelang wurde unser ganzer Müll einfach auf Deponien geworfen oder vergraben. Experten gehen davon aus, dass auch viele Wertstoffe unter den Müllbergen lagern, z.B. Kupfer, Eisen und besondere Metalle, sogenannte Seltene Erden. Sie werden für die Produktion vieler Hightech-Produkte benötigt. Kein iPod, kein Handy, kein Windrad funktioniert ohne sie. Deshalb sollen sie jetzt aus alten Deponien geborgen werden. AKTUELL FÜR DIE FRAU 17
© Copyright 2024 ExpyDoc