Präsentation Roul Tiaden (LDI NRW)

Nach der BDSG-Novelle ist vor der EU-Grundverordnung
Fünf Forderungen
zum Bonitäts-Scoring
Roul Tiaden
Der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (LDI)
Nordrhein-Westfalen
Berlin, 20. Mai 2015
Scoring als Herausforderung für unsere
Wertvorstellungen
Wir wollen
g
als einzelne Person und nicht als Mitglied einer Vergleichsgruppe beurteilt
werden (keine „statistische Sippenhaft“)
g
nach unseren Leistungen und nicht aufgrund verhaltensunabhängiger
Merkmale wie Geschlecht, Alter, Wohnort etc. bewertet werden (keine
Diskriminierung)
g
in unseren Entwicklungsmöglichkeiten und künftigen Handlungsoptionen
nicht allein von vergangenheitsbezogenen Prognosen abhängig sein
g
nachvollziehen können, weshalb wir schlecht bewertet wurden, und ggf.
wirksam widersprechen können – nicht jedoch undurchschaubaren
Algorithmen ausgeliefert sein (keine „Black-Box“- Entscheidungen)
Geschäftspolitische Vorteile versus
Einzelfallgerechtigkeit
„Alles was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch.“
(Descartes)
g
Grundsätzliches Prognoseproblem: Treffsichere Vorhersage
bestenfalls (!) für Gesamtgruppe, nie für die konkrete Person möglich
g
Auskunfteien-Scoring:
- Prognosegenauigkeit oft mangels aussagekräftiger Daten gering
(daher „Geschäftsgeheimnis“?)
- Teilweise hohe Fehlerquote bei der Datenbasis
g
Viele Personen mit schlechtem Score waren bislang vertragstreu und
werden dies auch künftig sein.
Wesentliche Änderungen der BDSG-Novelle
zu Scoring und Auskunfteien
§ 6a
Neue Informationspflicht bei automatisierten Entscheidungen
§ 28a
Neue Norm zu Datenübermittlungen an Auskunfteien:
- Anforderungen an Einmeldung von Negativdaten
- Positivdaten zu Bankverträgen (statt SCHUFA-Einwilligung)
- Verbot der Einmeldung von „Konditionenanfragen“
§ 28b
Neue Norm zu Anforderungen an Scoring-Verfahren
§ 29
Neue Informationspflicht bei Kreditablehnung infolge
Datenbankabfrage (Abs. 7)
§ 34
- Erweiterte Auskunftsrechte zu Score-Werten
- Pro Jahr eine unentgeltliche Auskunft von Auskunfteien
§ 35
Kennzeichnung von Schätzdaten; Verkürzung der
Löschungsfrist bei erledigten Sachverhalten
§ 43
Neuer Bußgeldtatbestand für nicht erteilte Auskünfte (§ 34)
BDSG-Novelle 2009 zum Scoring
g
Positiv: Erstmals ausdrückliche Anforderungen an Daten, die in ScoreBerechnungen einfließen dürfen (§ 28b)
g
Allerdings:
- Keine Anforderungen an die Qualität der Verfahren (Prognosegenauigkeit)
- Keine ausdrücklichen Diskriminierungsverbote – § 28b Nr. 2 erlaubt zwar
Score-Beschränkungen aufgrund rechtlicher Bewertungen, hoher
Abstraktionsgrad der Norm erschwert indes deren Durchsetzbarkeit
- Wohnumfeldbewertung (Geoscoring) entgegen den Forderungen von
Daten- und Verbraucherschützern unter bestimmten Voraussetzungen
zulässig
g
Auskunftsrechte der Betroffenen (§ 34 Abs. 2 und 4) grundsätzlich positiv –
im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch beschränkt und durch vage
Formulierungen geschwächt
1.
Anforderungen an Wissenschaftlichkeit und
Prognosegenauigkeit des Scoring
g
Manko der bisherigen Regelung in § 28b Nr. 1 BDSG:
Anforderung „unter Zugrundelegung eines wissenschaftlich anerkanntes
mathematisch-statistischen Verfahrens“ bezieht sich nur auf die Verwendung
eines Score-Merkmals (Bonitätsrelevanz).
g
Bislang nicht erfasst:
- Wissenschaftlichkeit der Score-Berechnung, etwa Gewichtung der Merkmale
- Aussagekraft/Prognosegenauigkeit der errechneten Score-Werte
g
Dringender gesetzlicher Nachbesserungsbedarf:
Zertifizierung der Scoring-Verfahren durch unabhängige Stellen (z.B. BaFin)
2.
Transparenz über Prognosegenauigkeit und
Aussagekraft übermittelter Score-Werte
g
Bislang keine Informationen über Prognosegenauigkeit der Score-Verfahren
- Keine Transparenz für Empfänger von Score-Werten
- Keine Transparenz für betroffene Verbraucher/innen
g
Erforderlich:
Verpflichtung von Auskunfteien und sonstigen Score-Anbietern,
Vertragspartner und betroffene Verbraucher/innen zu informieren über
- Aussagekraft des konkreten Score-Werts und
- zertifizierte Prognosegenauigkeit des zugrunde liegenden Score-Verfahrens.
g
Dadurch (Markt-) Transparenz über Qualität und ggf. begrenzte Aussagekraft
der Score-Berechnungen
3.
Verbot diskriminierender Score-Merkmale
g
Alternativen: Abschließender Positivkatalog oder Diskriminierungsverbot
g
Verbot bestimmter Score-Merkmale - wie in USA, Großbritannien, § 10 Abs. 2
Satz 1 Nr. 3 KWG. Unzulässig für Bonitätsbewertungen sollten sein:
-
g
Daten gem. § 3 Abs. 9 BDSG und § 1 AGG (mit Ausnahmen zu „Alter“)
Staatsangehörigkeit und Vorname
Adressdaten (einschließlich Zahl der Voranschriften)
Daten aus sog. Sozialen Netzwerken und zum Kommunikationsverhalten
Abschließender Positivkatalog zulässiger Datenkategorien in Anlehnung an
§ 10 Abs. 2 Satz 4 KWG: Genutzt werden dürfen Daten der Betroffenen zu
- Einkommens-, Vermögens-, Beschäftigungsverhältnissen
- Zahlungsverhalten und Vertragstreue (Auskunfteien: § 28a BDSG-Daten)
- Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzverfahren
USA – Equal Credit Opportunity Act
Ausschluss diskriminierender Score-Merkmale
Bei Entscheidungen über Kredite und deren Konditionen dürfen folgende
Merkmale nicht berücksichtigt werden:
Rasse, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Herkunft
Geschlecht
Familienstand
Bezug öffentlicher Leistungen
Das Merkmal „Alter“ darf nur ausnahmsweise bei Schutzvorkehrungen für
ältere Kreditsuchende in die Kreditentscheidungen einfließen.
4.
Verbot des Geo-Scoring (Wohnumfeldbewertung)
g
Befürchtung „Redlining“:
- Kredite/Dienstleistungen werden den Bewohnern eines
bestimmten Gebietes nicht oder nur verteuert angeboten.
- Diskriminierende Praxis mit Wirkung einer sich selbst
erfüllenden Prophezeiung („Ghettoisierung“)
g
Damalige Kritik des Verbraucher- und Datenschutzes an § 28b Nr.3
und 4 BDSG weiterhin aktuell:
Anschriften-Scoring wird von Betroffenen als unfaire „statistische
Sippenhaft“ und damit als diskriminierend wahrgenommen.
g
US-Auskunfteien verzichten auf „Wohnumfeld“-Scoring
5.
Mehr Transparenz für Betroffene
g
Transparenz auch über
- die Merkmale und die dafür genutzten Daten der betroffenen Person
- die Gewichtung der einzelnen Merkmale
(Alt.: die 4 Merkmale, die den konkreten Score-Wert am
stärksten negativ beeinflussen; vgl. USA)
- die zugeordnete Vergleichsgruppe
- die zertifizierte Prognosegenauigkeit des Score-Verfahrens und
die Aussagekraft des konkreten Score-Werts (vgl. Forderung 2)
g
Zentrales Auskunftsportal der Auskunfteien mit verbraucherfreundlich
ausgestalteten Gegendarstellungsmöglichkeiten – verbessert auch
Score-Datenbasis und Score-Qualität (vgl. USA)
g
Erweiterung der Informationspflicht des § 29 Abs. 7 BDSG
auf alle Kreditentscheidungen und -konditionen (vgl. USA)
USA – Equal Credit Opportunity Act
Begründungspflicht bei Kreditentscheidungen
zum Nachteil der Betroffenen
Pflicht über Entscheidungsgründe zu unterrichten – unabhängig vom Scoring
Begründung muss konkret sein:
„Ausschlaggebend war Ihr zu niedriges Einkommen.“
Unzulässig, weil zu unbestimmt:
„Der für Sie errechnete Score-Wert war zu niedrig.“
Unterrichtungspflicht auch bei Entscheidungen über Kreditkonditionen
(z. B. Höhe des Zinssatzes).
USA – Fair Credit Reporting Act
Auskunftspflicht der Auskunfteien
zum Credit Score
Aktueller oder zuletzt erstellter Score-Wert der anfragenden Person
Spannweite der beim Score-Modell möglichen Score-Werte
Datum der Score-Erstellung
Verantwortliche Stelle für Score-Berechnung und Datengrundlage
Auflistung der 4 Merkmale mit stärkstem negativen Einfluss auf den
individuellen Score-Wert (+ ggf. Auskunft, ob Merkmal „Zahl der
Bonitätsauskünfte in jüngster Zeit“ negativen Einfluss auf Score hatte)
Fair Isaac: Information über Scoring-Merkmale und ihre
Gewichtung
Mehr über die konkreten Merkmale zu den genannten Kategorien unter
www.myfico.com/Credit/Education/WhatsInYourScore.
USA – Paradigmenwechsel:
Vom Geschäftsgeheimnis
zum Score-Simulator
Früher:
Score-Verfahren als „Black Box“:
Unternehmen betrieben Scoring als „Geheimwissenschaft“
Heute:
- Verbraucherschutzfreundlichere Auskunftsrechte
- Freiwillige Informations- und Serviceangebote der Unternehmen
- Vermarktung von Beratungspaketen rund um den Score
- Score-Simulatoren
Fünf Forderungen zum Bonitäts-Scoring
1.
Anforderungen an Wissenschaftlichkeit und Prognosegenauigkeit des
Scoring
2.
Transparenz über Prognosegenauigkeit und Aussagekraft
übermittelter Score-Werte
3.
Verbot diskriminierender Score-Merkmale
4.
Verbot des Geo-Scoring (Wohnumfeldbewertung)
5.
Mehr Transparenz für Betroffene
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