„In den 1980ern wollte keiner meine Fotos sehen“ - kultur

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SÄCHSISCHE ZEITUNG
GÖRLITZER STADTLEBEN
D I E N S TA G
12. MAI 2015
Der Dresdner Fotograf Jörg Schöner steht inmitten seiner Ausstellung „Görlitz – Auferstehung eines Denkmals“ in einer ehemaligen Produktionshalle der Kema an der Pomologischen Gartenstraße. Gestern hat er hier beim Aufbau
Foto: Nikolai Schmidt
geholfen. Bis zur Eröffnung der Schau am Sonnabend werden die Bilder noch beschriftet. Der Ort und das Aufnahmedatum sollen an jedem Foto stehen.
„In den 1980ern wollte
keiner meine Fotos sehen“
Der Dresdner Fotograf Jörg Schöner dokumentiert die Görlitzer Altstadt seit 35 Jahren
wie nur wenige andere. Am Sonnabend startet seine Ausstellung in der Kema.
Von Ingo Kramer
D
Das Eingangstor zum Haus Handwerk 20
ist trotz aller Veränderungen noch gut
wiederzuerkennen.
er erste Eindruck von Görlitz war katastrophal. Im Spätherbst 1979 war das.
„Bei Nieselregen im November war die
Görlitzer Altstadt ein Gruselkabinett“, erinnert sich Jörg Schöner. Der Dresdner Fotograf war damals 35 Jahre alt und musste
sich ein Thema für seine Diplomarbeit an
der Hochschule für Grafik und Buchkunst
in Leipzig suchen. Er fragte den damaligen
sächsischen Landeskonservator Hans Nadler, mit dem er befreundet war. Dessen
Antwort: „Geh nach Görlitz und fotografiere es, bevor es zusammenbricht.“
Schöner folgte dem Rat, fuhr nach Görlitz und fotografierte die Altstadt fast zwei
Jahre lang. Trotz des fatalen ersten Eindrucks und der Startschwierigkeiten, hier
eine fotografische Handschrift zu entwickeln, hat ihn die Stadt nie wieder losgelassen. Schon bald schätzte er sie sehr. Und
seither verging kaum eine Phase, in der er
nicht an der Neiße war, um Fotos zu machen. Ab Sonnabend ist nun ein kleiner
Teil davon öffentlich zu sehen. In zwei Hallen der früheren Kema an der Pomologischen Gartenstraße wird die Ausstellung
„Görlitz – Auferstehung eines Denkmals“
um 15 Uhr in Anwesenheit von Sachsens
Ministerpräsident Stanislaw Tillich eröffnet, der auch sprechen wird. An diesem
Tag ist die Ausstellung ab 16 Uhr zu besichtigen, ab 17. Mai täglich von 10 bis 19 Uhr.
Zu sehen sind reichlich 100 Fotos – allesamt im riesengroßen Format 2,25 mal
3,10 Meter, hergestellt mit einem hochwertigen Tintenstrahldrucker auf Kunststoff-
planen. „Wenn man durchläuft, hat man
das Gefühl, unter einem Dach durch die gesamte Altstadt zu spazieren“, schwärmt
der Fotograf. Die Stadtverwaltung hat den
Ausstellungsort ausgesucht und er selbst
findet das Ambiente sehr geeignet.
Die Schau zeigt Fotos aus den gesamten
35 Jahren. Mal hängen zwei Fotos direkt
nebeneinander, die das gleiche Motiv zeigen – verfallen in den 1980ern, in neuem
Glanz in der heutigen Zeit. Doch immer alt
und neu nebeneinander zu zeigen, würde
den Betrachter bald ermüden, glaubt der
70-Jährige, der als Fotograf immer noch
voll im Berufsleben steht. Deshalb hat er
die Bilder teils ganz anders arrangiert. So
sieht man zwei graue Hinterhöfe in den
1980er Jahren. Der eine ist völlig vermüllt,
der andere zwar ebenso schäbig, aber intakt und ordentlich gekehrt. „Diesen sozialen Vergleich finde ich ebenso interessant“,
sagt Schöner. Andere Fotos zeigen Innenaufnahmen von Gebäuden, Details von Fassaden, frühere und heutige Läden.
Gründerzeit ist nicht vertreten
Ein paar wenige Bilder sind außerhalb der
Altstadt entstanden: In der Nikolaivorstadt.
Die gründerzeitliche Innenstadt hingegen
fehlt. Das hat verschiedene Gründe: „Die
Häuser waren für die damalige Fototechnik
zu hoch, die Straßen waren schon damals
zu sehr zugeparkt und außerdem war die
Altstadt schlichtweg interessanter.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Schöner
seine Görlitz-Fotos ausstellt. Doch anfangs
war das Interesse gering: „Auf meine Diplomarbeit habe ich die Note drei bekom-
2,25 mal 3,10 Meter messen die Kunststoffplanen, auf denen die Görlitz-Fotos in der Kema gezeigt werden.
Nicht immer ist das gleiche Motiv alt und neu nebeneinandergestellt.
men und keiner wollte die Fotos sehen.“ In
dieser Zeit sei das kulturelle Erbe in Form
von Bausubstanz noch nicht im Bewusstsein der Leute gewesen. Doch schon 1984
traf sich der internationale Rat für Denkmalpflege (Icomos) zu einer Generaltagung
in Dresden. Zum Programm gehörte ein Tagesausflug nach Görlitz. Dafür hatte Schöner eine Ausstellung mit seinen Fotos im
Format 50 mal 70 Zentimeter im Haus Untermarkt 2 vorbereitet, die anschließend
ein paar Monate öffentlich gezeigt wurde.
Werden die Fotos versteigert?
Mittlerweile dokumentiert der emeritierte
Professor die Altstadt seit 35 Jahren – so
lange, so detailliert und in so hoher Qualität wie nur wenige andere. Das dürfte den
Ausschlag gegeben haben, warum gerade
seine Bilder jetzt aus Anlass von 25 Jahren
Deutsche Einheit in Görlitz gezeigt werden. Die Schau kostet rund 120 000 Euro.
Knapp die Hälfte zahlt der Freistaat Sachsen, die andere das Bundesministerium für
Kultur und Medien. Die Stadt muss weniger als fünf Prozent beisteuern. Dazu gibt
die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ein
140 Seiten dickes Begleitbuch heraus, in
dem ein Großteil der Bilder zu sehen ist.
Die Ausstellung bleibt bis 18. Oktober geöffnet – täglich von 10 bis 19 Uhr und bei
freiem Eintritt. Was danach aus den riesigen Bildern wird, ist nach Aussage des Fotografen noch nicht geklärt. Vielleicht findet
sich eine zweite Stadt, die sie zeigen will.
„Ansonsten könnte man sie vielleicht auch
nach dem Ende der Ausstellung im Oktober versteigern“, überlegt Jörg Schöner.
Beide Aufnahmen entstanden zu DDRZeiten im Handwerk 13, in dem heute
Camillo-Kino und Kneipe zu finden sind.
Der Hinterhof der Peterstraße 5 war zu DDR-Zeiten vollkommen zugemüllt mit Trabi-Resten und einem alten
Bollerwagen. Inzwischen ist hier eine einladende Gaststätten-Terrasse zu finden.