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Rede von Stefan Wolf, Sprecher der BAG Grundeinkommen DIE LINKE, auf dem
Parteitag der Partei DIE LINKE am 6. Juni 2015 in Bielefeld
Liebe Genossinnen und Genossen,
wir von der BAG Grundeinkommen sind sehr angetan von der Tatsache, dass wir
heute auf einem Bundesparteitag endlich einmal die Diskussion über das
bedingungslose Grundeinkommen führen können. Wir alle können, wenn wir nach
Hause fahren, bezeugen, dass es Bielefeld gibt. Und ich sage, wir werden auch
bezeugen können, dass das Bedingungslose Grundeinkommen eine Zukunft in der
Partei DIE LINKE hat und die Partei DIE LINKE mit dem bedingungslosen
Grundeinkommen eine Vision von der Zukunft.
Räumen wir zunächst
Grundeinkommen auf.
mit
ein
paar
Irrtümern
über
das
bedingungslose
1.: Das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht das Ausfallgeld, wenn mensch kein
anderes Einkommen hat. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Einkommen,
das jeder Mensch erhält. Und oft wird gesagt: Dem Taxifahrer, der Krankenschwester
können wir das nicht erklären. Ich frage: Wenn wir ihnen sagen, ihr bekommt zweimal
Geld, einmal für eure Erwerbsarbeit und einmal nur dafür, dass ihr Mensch seid.
Warum sollten sie das nicht verstehen? Warum sollten sie das nicht wollen?
2.: Das bedingungslose Grundeinkommen drückt nicht auf die Löhne, sondern erhöht
die Löhne. Denn es ist ja quasi ein permanent ausbezahltes Streikgeld. Wenn ich weiß,
dass ich den langen Atem habe, meine gewerkschaftlichen Forderungen
durchzusetzen, dann werde ich das auch tun. Die Kampfkraft der Gewerkschaften
würde also erhöht. Ich kann mir gar nicht erklären, warum ausgerechnet
Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter manchmal ein Problem mit dem BGE
haben.
3. Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein Lohn für Faulheit. Denn gerade
durch das bedingungslose Grundeinkommen ist garantiert, dass jeder Mensch mit
Erwerbseinkommen automatisch mehr Netto hat als ein Nichterwerbstätiger. Davon
profitieren in erster Linie Erwerbstätige mit unterdurchschnittlichem Einkommen. Wer
also für den Lohnabstand eintritt, der muss für ein bedingungsloses Grundeinkommen
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eintreten. Sage niemand, das BGE wertschätze die Erwerbsarbeit nicht, genau das
Gegenteil ist der Fall.
Halten wir also fest: Das BGE bringt eine Verbesserung für alle Menschen, es stärkt
die Gewerkschaften und es wertschätzt die Erwerbsarbeit. Warum sollten wir also nicht
dafür sein?
Vielleicht weil es unrealistisch ist? Vielleicht, weil es eine Utopie ist? Eine schöne Idee,
die leider nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat?
Um das von der BAG Grundeinkommen vorgeschlagene Modell in der Form der
Sozialdividende umzusetzen, müsste pro Jahr in Deutschland eine knappe Billion Euro
bewegt werden. Ist das realistisch?
An den Finanzmärkten weltweit werden 10 Billionen Euro in weniger als einem Tag
bewegt. Ist das realistisch?
Wenn wir uns den gesamten Weltfinanzmarkt ansehen, den Hochfrequenzhandel, die
gigantischen Geldströme, diesen ganzen Wahnsinn – dann sehen wir verwirklichte
Utopien.
Wir sehen die verwirklichten Utopien von anderen. Die perfektionierte Verwirklichung
von leistungslosen Einkommen einiger weniger, gegen die sich schon Marx und
Engels gewendet haben.
Ich finde, es ist an der Zeit, eine wirkliche Utopie zu verwirklichen, die nicht die Gier
belohnt, sondern das Menschsein. Eine Utopie, von deren Realisierung nicht wenige,
sondern fast alle Menschen profitieren würden!
Linke Kritikerinnen und Kritiker meinen manchmal, es wäre Unsinn, erst das Geld
mittels Steuern den Menschen aus einer Tasche rauszuziehen, um es in die andere
Tasche mit einem Grundeinkommen hineinzustecken: Nun, dazu sagen wir: Die
Einführung dieses Umverteilungssystems, das sich in einer hohen Staatsquote
ausdrückt, ist nötig, um 470 Milliarden Euro pro Jahr von oben nach unten zu holen.
Über 70 Prozent der Bevölkerung würden davon profitieren! Gutverdienende und
Kapitalbesitzende müssten deutlich mehr abgeben als heute! So kann eine wirklich
solidarische Gesellschaft verwirklicht werden. Und die wollen wir ja als Linke.
Wir wollen eine solche Umverteilung auch, um LINKE Selbstverständlichkeiten wie
eine BürgerInnenversicherung, gebührenfreie Bildung, ein gebührenfreies Mittagessen für alle Kinder und Jugendliche, oder einen gebührenfreien öffentlichen
Personennahverkehr für alle finanzieren zu können.
Denn: Wie wir es ablehnen, öffentliche Güter und Gesundheit zur Ware zu machen,
lehnen wir es ab, den Menschen zur Ware zu machen.
Wie frei zugängliche, öffentliche Güter zur Daseinsvorsorge und Bildung sich der
Willkür des Marktes entziehen sollen, entzieht das Grundeinkommen die menschliche
Arbeitskraft der Willkür des Marktes.
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Halten wir also noch mal fest: Das emanzipatorische Grundeinkommen bringt eine
Verbesserung für alle Menschen, es stärkt die Gewerkschaften, es wertschätzt die
Erwerbsarbeit und andere notwendige Tätigkeiten, es verfolgt eine linke,
emanzipatorische Programmatik der Umverteilung – und es ist, wie Ihr in unserem
Konzept ausführlich nachlesen könnt, locker finanzierbar. Warum sollten wir also nicht
dafür sein?
Vielleicht weil es keine linke Idee ist?
In der linken Ideengeschichte nimmt die Erweiterung des „Reiches der Freiheit“ einen
breiten Raum ein. Dabei war es immer wichtig, das „Reich der Notwendigkeit“ zu
minimieren, um das „Reich der Freiheit“ zu erweitern. Auch ist es in der linken
Ideengeschichte als Ziel verankert, das Reich der Notwendigkeit menschenwürdig zu
gestalten – ein Grundeinkommen mit seiner Demokratie befördernden und Freiheit
mehrenden Wirkung befördert beide Ziele: Befreiung in der Arbeit und Befreiung von
destruktiver, Natur und Gesellschaft zerstörender Arbeit.
Es ging also von Anfang an der linken Bewegung nicht um eine Logik des „WünschDir-was“, sondern um eine Verschiebung der machtpolitischen Gewichte.
Dagegen könnte man einwenden, dass die Menschen dann nicht die gesellschaftlich
notwendige Arbeit verrichten würden. Aber ist das ein linker Einwand?
Was war noch einmal das Ziel der linken Bewegung? „Eine Assoziation, in der die freie
Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“.
Das heißt, die urlinke Idee basiert auf der Überzeugung, dass die Einzelnen in freien
Kooperation in der Lage sind, die richtigen und verantwortlichen Entscheidungen zu
treffen – aber ohne Zwang, sondern in freier, demokratischer Abstimmung.
Eine weitere linke Binsenweisheit ist: Die gegenwärtige Gesellschaft trägt den Keim
der zukünftigen in sich. So sehr wir manchmal über die Gegenwart verzweifeln wollen:
Auch die jetzt stattfindende Revolution der Arbeits- und Produktionsbedingungen
erzeugt die Voraussetzungen selbst, die zu ihrer Überwindung nötig sind. Nötig ist,
dass wir als LINKE die Chancen der Umwälzungen erkennen und die richtigen
Antworten darauf geben.
Und das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Instrument zur Demokratisierung,
Humanisierung und Revolutionierung der Arbeitswelt von unten, von der Seite der
Produzentinnen und Produzenten. Die Open-Source-Bewegung oder freie
Kooperativen könnten eine ungeahnte Dynamik bekommen, Wirtschaftsdemokratie
und selbstbestimmte Arbeitszeitverkürzung würden gefördert, wenn das
bedingungslose Grundeinkommen schon eingeführt wäre. Genau dadurch kann sich
das Reich der Freiheit maximal entfalten. Das Reich der Notwendigkeit hingegen wird
auf das gesellschaftlich erforderliche Maß reduziert und menschenwürdig gestaltet.
Fast alle Bestandteile dieser transformatorischen Strategie – die ihr in unserem
Grundeinkommenskonzept nachlesen könnt – sind bereits heute Beschlusslage der
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Partei DIE LINKE. Unser bedingungsloses Grundeinkommen würde sich also
problemlos in die Programmatik der Partei integrieren lassen, ohne dass der
Grundkonsens der Partei angetastet würde.
Die völlige Gleichberechtigung der Geschlechter wird nicht allein durch das BGE
erreicht, aber das BGE verbessert dafür die Voraussetzungen.
Ein sozial-ökologischer Umbau wird nicht allein durch das BGE erreicht werden
können, aber das BGE verbessert dafür die Voraussetzungen.
Der Wettbewerb zwischen weltumspannenden Konzernen und freien Kooperationen,
zwischen Monopolisten und Einzelanbietern, zwischen Siemens, Google und Microsoft
auf der einen und Open Source auf der anderen Seite wird nicht allein durch das BGE
entschieden, aber das BGE verbessert deutlich die Bedingungen der Kleinen.
Und nicht zuletzt kann nur das BGE dafür sorgen, dass ein Großteil der Kreativität der
Menschen entfesselt werden kann, die heute unterdrückt und zurückgehalten wird
durch kapitalistische Zwänge und Abhängigkeiten.
Es geht tatsächlich um die Verwirklichung eines Menschenrechtes, eines Rechtes, das
die Linke schon seit Beginn fordert: das Recht der Menschen auf die freie
Verfügungsgewalt über ihr Leben, über die Früchte ihrer Arbeit, den Inhalt ihres Tuns
und die Einteilung ihrer Zeit.
Das emanzipatorische bedingungslose Grundeinkommen ist dadurch in seiner
Wirkung zutiefst antikapitalistisch und radikalreformerisch zugleich. Es zeigt den
Beginn der nächsten Entwicklungsstufe der Gesellschaft an, in der die Warenform der
Arbeit beginnt aufgehoben zu werden.
Und genau das ist ein Ziel der linken Bewegung von Anfang an.
Das BGE kann also gesellschaftlichen Fortschritt bringen, wenn es von links gedacht
und gestaltet wird.
Ich nehme an, Ralf Krämer wird jetzt gleich darauf Bezug nehmen, dass die Debatte
um das bedingungslose Grundeinkommen anstrengend ist, weil Gegnerinnen und
Gegner sie immer wieder führen müssen, obwohl sie das eigentlich gar nicht wollen.
Doch wir brauchen die Debatte und wir brauchen das BGE um als LINKE aus der
Defensive zu kommen!
Denn sind wir als LINKE nicht viel zu oft in Abwehrdebatten? Führen wir nicht viel zu
oft Debatten, wo wir sagen, die Veränderung muss abgelehnt werden, weil sie eine
Verschlechterung bringt?
Deshalb: Machen wir die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen zu
einer Diskussion über den gesellschaftlichen Fortschritt. Wir als LINKE können sagen,
wie das BGE aussehen muss, damit die Gesellschaft dadurch verbessert wird. Und
wir als LINKE können dafür sorgen, dass die Gesellschaft endlich wieder eine Debatte
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darüber führt, wie Fortschritt aussehen kann und wie wir unser Leben und das
zukünftiger Generationen verbessern.
Freuen wir uns auf die Zukunft, indem wir sie bauen.
Warum sollten wir also nicht dafür sein?
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