Detailinformationen - Kardinal König Archiv

Thomas J. Nagy, König – Kaiser – Kardinal
Der Autor im Gespräch
Thomas J. Nagy ist Unternehmensberater und systemischer Coach und beschäftigt sich, sofern er
nicht Bücher schreibt, mit psychosozialen Themen. Von diesem Gesichtspunkt aus ist er auch an die
Biografie über Kardinal Franz König herangegangen.
Bücher über Kardinal König gibt es viele, wodurch unterscheidet sich Ihre Biografie?
Drei Aspekte haben mich gereizt: Über 50 Gespräche mit Zeitzeugen und Wegbegleitern; die Person
des Kardinals im Kontext zu seiner Umgebung und der Versuch, ein wenig ins Innere dieses sehr
zurückhaltenden und diskreten Menschen zu blicken.
Haben Sie dabei neue Erkenntnisse gewonnen?
Kardinal König schrieb kein Tagebuch, es gibt kaum persönliche Aufzeichnungen und auch seine
Biografischen Erzählungen sind nur kurze Auszüge und Fragmente. Indem ich mich auf die Suche in
24 Quellen mit authentischen privaten Aussagen von ihm begeben habe, fand ich Stück um Stück
eines Puzzles, das ich mit Hilfe meiner Gesprächspartner nach und nach zu einem Gesamtbild
zusammensetzen konnte. Oft waren es nur einzelne Wörter, die mich auf die Spur zum großen
Zusammenhang gebracht haben.
Welche Neuigkeiten haben Sie gefunden?
Zum einen die Bedeutung seines Stiefvaters Johann Kaiser, über den er kaum etwas erzählt hat, weil
er den Buben schlecht behandelt hat. Dennoch, wäre der nicht gewesen, so wäre der weitere
Lebensweg Franz Königs anders verlaufen.
Dann die Diskussion um die Fristenlösung, bei der der Kardinal, wie ihm dies Vertreter der ÖVP auch
heute noch vorwerfen, angeblich zu wenig konsequent gewesen sei. Dabei wurde er – das ist so ein
Schlüsselwort, das ich gefunden habe – von VP-Politikern „bekniet“, eine nicht zu strenge Position
dagegen einzunehmen.
Auch die Aussöhnung mit den Sozialisten und den Gewerkschaften ist nicht erst seit seiner Rede am
27. Februar 1973 vor dem Präsidium des Österreichischen Gewerkschaftsbundes vorangetrieben
worden, sondern hat bereits 1956 zaghaft und danach mit heimlichen nächtlichen Treffen im
Erzbischöflichen Palais begonnen.
Und auch die Gründe für das Zerwürfnis mit Papst Johannes Paul II. sind heute klarer erkennbar.
Kardinal König hat den polnischen Kollegen im Konklave 1978 favorisiert und damals gewusst, dass
die Grundhaltung der beiden Männer ganz verschieden war. Für Franz König zählte allerdings das
große Ganze, und Karoly Wojtyla erfüllte die Mission Öffnung des Ostens.
Haben Sie Kardinal König jemals persönlich kennengelernt?
Im November 1977 oder 1978 durfte ich für ihn anlässlich der Männerwallfahrt ministrieren und
seinen Bischofsstab tragen. Es war sehr kalt, und mir fiel auf, dass seine Fingerabdrücke nach der
Übergabe des Stabes noch einige Augenblicke am Metall sichtbar waren, bevor sie verschwanden.
Heimlich zog ich meinen weißen Handschuh aus und versuchte, den Abdruck nach der nächsten
Übergabe festzuhalten. In der Sakristei kam dann der Kardinal zu mir und sagte, ich hätte bei der
Kälte nicht den Handschuh ausziehen brauchen, er gäbe mir auch gerne hier die Hand.
Sie haben viele Interviews geführt, wer waren jene Gesprächspartner, die Sie am stärksten
beeindruckt haben?
1
Thomas J. Nagy, König – Kaiser – Kardinal
Adolf Holl erzählte mir, ein Brief des Kardinals habe ihm Anfang der 1960er-Jahre in den USA Tür und
Tor geöffnet. Heute genügt allein schon sein Name, um Gesprächstermine zu bekommen. Alle
Gespräche waren voller Wertschätzung vor dieser großen Persönlichkeit. Viele Informationen konnte
ich nicht im Buch verarbeiten, doch liebte ich die vielen Schilderungen von Abendessen mit ihm, bei
denen er nur Fisch aß. Bei Adolf Bayer saß ich im Wohnzimmer auf einem Sofa und sah mir Fotos an,
die Franz König wenige Wochen vor seinem Tod auf eben diesem Sofa sitzend zeigten. In der
Präsidentschaftskanzlei wurde mir gesagt, dass Präsident Putin kurz davor auf meinem Platz gesessen
sei. Michael Heltau erzählte mir lachend, „Kardinal“ sei wie ein zweiter Vorname von Franz König
gewesen. Oder Hannes Androsch, der mir nicht nur seine Erinnerungen zur Verfügung gestellt hat,
sondern mich auch beim Transkribieren sehr unterstützt hat. Am beeindruckendsten fand ich
sicherlich Helmut Schmidt, der mich sehr berührte, als er mir erzählte, das Grab Kardinal Königs sei
das einzige gewesen, das er besucht habe.
Der König ist tot, es lebe der Kaiser!
„Das Verhältnis zu meinem Stiefvater war überaus schwierig“, viel mehr erzählte Franz König nicht
über Johann Kaiser. Dennoch wurde sein Lebensweg durch diesen Menschen entscheidend geprägt.
Die Mutter, Maria Fink, wollte ursprünglich mit einem Mann aus der Nachbarschaft eine
Milchverarbeitung gründen, doch die Eltern erlaubten ihr das nicht, Franz König sei eine „bessere
Partie“ für sie. Die beiden heirateten und hatten eine kleine Landwirtschaft in Warth im Pielachtal,
die heute noch vom Neffen bewohnt wird. Franz wurde am 3. August 1905 als ältestes König-Kind
geboren, fünf Geschwister folgten. Dann, 1911, starb der Vater. Der Hof brauchte einen Mann. Über
Vermittlung des Pfarrers Hiebel ehelichte Johann Kaiser die 33-jährige Witwe und machte sich am
„Steinergut“, wie der Hof genannt wird, breit. „Er war ein großer, schlanker Mann mit einer Zigarre
im Mund und einem Trachtenanzug“, beschreibt ihn Josef Fink, Kardinal Königs Cousin. Keine guten
Erinnerungen an den Herrn Kaiser hatte jedoch Franz König: „Ich hatte einen Ziehvater, mit dem ich
mich leider gar nicht recht verstanden habe, mit dem ich auch persönliche Dinge kaum besprochen
habe.“
Johann Kaiser war Bürgermeister in Warth und Bauernkammerobmann. An der Arbeit am Hof hatte
er keine rechte Freude, das sollten die Frau und die Kinde erledigen. Josef Fink hat einen Spruch noch
immer im Ohr: „Die Königskinder müssen fest arbeiten!“ Zu den sechs König-Kindern kamen noch
weitere vier aus der Ehe mit Johann Kaiser dazu. Lernen zählte damals viel weniger, als am
elterlichen Hof mitzuarbeiten. Franz König aber war ein wissbegieriges Kind, das aus der Schule nur
Einser nach Hause brachte. Von Büchern wollte der Ziehvater allerdings nichts wissen. Der sehnte das
Ende der Schulzeit herbei, um endlich einen vollwertigen Knecht zu haben. Johann Kaiser war streng
und auch ungerecht, denn er machte einen Unterschied zwischen den „Königskindern“ und seinen
eigenen vier Kindern. Wenn sich die Kinder im Flur unterhielten, trat schon der Stiefvater dazwischen
und herrschte sie an: „Geht’s arbeiten und hört’s auf zu tratschen!“
Ein Mentor des Buben war der Kirchberger Pfarrer Hiebl, mittlerweile Dechant geworden. Vielleicht
wollte er damit auch seine Vermittlung des harten und lieblosen Ziehvaters an die Mutter
wiedergutmachen. Dieses außergewöhnlich begabte Kind sollte auf jeden Fall gefördert werden.
„Seine Mutter war eine ausgesprochen gütige Frau“, beschreibt Josef Fink seine Tante, Franz Königs
Mutter. Trotz der vielen Kinder und dem Wissen, was es bedeutet, wenn der Älteste für die
Landwirtschaft ausfällt, begrüßte sie die Initiative von Lehrer, Dechant und einigen Frauen der
Pfarrgemeinde, dem Buben den Besuch des Gymnasiums in Melk zu ermöglichen.
Wäre der Vater nicht so früh gestorben und hätte Johann Kaiser seinen Stiefsohn nicht so schlecht
behandelt, hätte ihn sein Weg vielleicht nicht nach Melk und weiter zum Studium nach Rom geführt.
2
Thomas J. Nagy, König – Kaiser – Kardinal
Am 22 Juli 1934 feierte Franz König seine Nachprimiz in Kirchberg an der Pielach. Auf einem Foto sitzt
ihm zu Füßen seine Halbschwester Berta, die als „Primizbraut“ die Keuschheit und Reinheit der
Kirche versinnbildlichte. Rechts neben ihm sitzt Johann Kaiser. Die Zeit war damals politisch sehr
turbulent, die Christlichsoziale Partei kollaborierte eng mit der katholischen Kirche, die Sozialistische
Partei und die Gewerkschaften wurden verboten, vom 12. Bis 14. Februar 1934 war es zum
Bürgerkrieg gekommen, und der Ständestaat war ausgerufen worden. Johann Kaiser war längst kein
kleiner Kommunalpolitiker mehr, sondern Niederösterreichischer Landtagsabgeordneter. Auch dieser
erlebte Konflikt prägte wohl Franz Königs spätere versöhnliche Einstellung gegenüber den Sozialisten
und Gewerkschaftern.
Nachdem am 17. Dezember 1962 der Stiefvater, Johann Kaiser, im Alter von 80 Jahren gestorben
war, holte Franz König die Mutter nach Wien, wo sie bis zu ihrem Tod 1967 im Erzbischöflichen Palais
wohnte.
Ob Franz König etwas bereut hat? Seine Mitarbeiter habe er zu wenig gelobt, erzählte er in seinen
späten Jahren seiner Sekretärin: „Ich habe das vielleicht in der Hitze des Tages manchmal zu wenig
getan. Das tut mir heute leid.“ Als Grund dafür nannte er seinen strengen Stiefvater. „Wenn ich mit
dem Zeugnis voller Einser gekommen bin, hat er es nie angeschaut und immer nur eine verächtliche
Handbewegung gemacht“, erinnerte er sich an seine Kindheit. „Ich habe mich damals sehr in mich
zurückgezogen und ich fürchte, das ist mir ein bisschen geblieben.“
Der Rote Kardinal.
„„Ich bin kein Bischof der ÖVP und kein Bischof der SPÖ, kein Bischof der Unternehmer und keiner
der Gewerkschafter, nicht ein Bischof der Bauern und nicht einer der Städter: Ich bin der Bischof aller
Katholiken. Die Kirche ist für alle da, sie fühlt sich verantwortlich für alle Menschen, auch für jene, die
ihr formell nicht zugehören.“ Die Rede Kardinal Franz Königs am 27. Februar 1973 vor dem Präsidium
des Österreichischen Gewerkschaftsbundes sorgte für Aufregung, mitunter auch für Empörung in
Österreich. Durch den Ständestaat und die Verfolgung der Sozialisten durch die Christlichsoziale
Partei war es 1934 zum Bürgerkrieg mit mehr als 1600 Toten gekommen. Auch wenn es nach dem
Krieg zur Trennung zwischen kirchlicher und staatlicher Gewalt kam, waren die Gräben zwischen Rot
und Schwarz damals noch sehr tief. Doch die Annäherung hatte nicht erst 1973, sondern schon mit
der Ernennung von Franz König zum Erzbischof von Wien im Jahre 1956 begonnen.
Am 1. Januar 1957 wurde ein „Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe veröffentlicht, in dem
stand: „Was ist nun vom Sozialismus zu halten? Der gemäßigte Sozialismus von heute strebt eine
sozialere Gesellschaftsordnung an. Das ist gut. Doch sprechen seine ersten Vertreter immer noch von
einer österreichischen sozialistischen Weltanschauung im Gegensatz zur christlichen und
katholischen Weltanschauung ... Was man vom Sozialismus erwarten müsste, wäre die Anerkennung
einer selbständigen geistigen Welt. Solange das nicht geschehen ist, ist der Sozialismus nicht der
richtige Weg.“ Am 28. Mai 1957 wurde durch einen Ministerratsbeschluss die Konkordatsfrage
wieder behandelt, doch schon bald kam es bei den Verhandlungen wieder zu Differenzen.
Konsequenz des Disputes war, dass Franz König von Papst Pius XII. nicht zum Kardinal ernannt wurde.
Erst nach der Inthronisation von Johannes XXIII. 1958 und der Ernennung Franz Königs zum Kardinal
„gab es diese Kontakte mit den Sozialisten, und es hat sich langsam relativ gut entwickelt.“ König
erlebte die politische Stimmung damals so: „Man hat gemeint, christlichsozial und katholische Kirche
ist dasselbe. Die Spannung war sehr groß und zum Teil doch große Bitterkeit festzustellen.“
3
Thomas J. Nagy, König – Kaiser – Kardinal
1956 starb Adolf Schärfs Gattin Hilda und der Erzbischof kondolierte. „Ich bin in die Familie
gegangen. Man hat große Augen gemacht und das mit Skepsis beobachtet“, erinnerte sich Kardinal
König an die erste Begegnung. Am 5. Mai 1957 gewann Schärf die Präsidentenwahl, 17 Tage später
trat er sein Amt an. In seiner Angelobungsrede versprach der neue Bundespräsident, „dass eine
Regelung des Verhältnisses zwischen dem Staat und der römisch-katholischen Kirche erfolgt, ohne
dass dabei Sentimentalitäten von einst geweckt werden“. Von Kardinal König erhielt er ein
Glückwunschtelegramm. „Ich habe heute noch ein bisschen das Entsetzen in politischen Kreisen in
den Ohren: Um Gottes willen, der Erzbischof gratuliert, wie wenn nichts geschehen wäre, einem
sozialistischen Kandidaten, der Bundespräsident geworden ist!“ In späteren Jahren soll der
Bundespräsident zum Kardinal gesagt haben: „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich aus der Kirche
gar nicht auszutreten brauchen.“
„Aufseiten der SPÖ waren es vor allem Bruno Kreisky und Franz Olah, die diese Entwicklung gefördert
haben“, blickt Heinz Fischer zurück, „aber auch Bruno Pittermann, der ja ein Jahrgangskollege von
Franz König war, hat diese Annäherung begrüßt.“ Olah selbst erzählte 1985, sein Bestreben in der
Zweiten Republik sei nicht nur der Dialog mit den Sozialpartnern gewesen, sondern auch der
Ausgleich mit der katholischen Kirche. „Wir haben in Kardinal König einen verständnisvollen
Gesprächspartner gefunden, mit dem wir auch die Konkordatsfrage bereinigt haben.“
Am 28. März 1957 kam es zum ersten Gespräch mit dem Kardinal, berichtete Franz Olah. „Unsere
Gruppe wartete ab, bis es dunkel war, und ging dann so unauffällig wie möglich ins Erzbischöfliche
Palais.“ Kardinal König bestätigte, dass ihm bei den ersten Begegnungen führende Vertreter der SPÖ
gesagt hätten: „Wir kommen, aber erst nach Einbruch der Dunkelheit.“ Die Gruppe bestand aus dem
SPÖ-Vorsitzenden Bruno Pittermann, Justizminister Otto Tschadek, dem niederösterreichischen
Landeshauptmannstellvertreter Franz Popp, dem Wiener Vizebürgermeister Felix Slavik und Franz
Olah. „Wir bekräftigten gegenüber König und seinem Weihbischof, damals noch Dr. Josef Streidt,
dass auch wir an einer dauernden, für beide Seiten zufriedenstellenden Regelung des Verhältnisses
von Kirche und Staat interessiert seien.“ Man wolle das Konkordat anerkennen, wenn gewisse
„Retuschen“ vorgenommen würden. In weiteren Einzelgesprächen wurde auch die nächste Wahl
angesprochen. „Wenn die Sozialisten eine Gewähr dafür hätten, dass die Kirche sich neutral
verhielte, dann fiele es ihnen auch leichter, der Kirche jenen Respekt zukommen zu lassen, den sie
verlangte und der ihr zustehe.“ Kardinal König versicherte daraufhin: „Für den letzten Kaplan oder
das letzte Mitglied der Katholischen Aktion kann auch ich nicht garantieren. Aber wir Bischöfe
werden dafür sorgen, dass kein aktives oder gar aggressives Eingreifen in den Wahlkampfstattfindet.“
Durch die Kardinalsernennung Franz Königs kam Bewegung in die Konkordats Verhandlungen, um die
Jahreswende 1959/60 wurden die Vorgespräche abgeschlossen und 1960 wurde der
Staatskirchenvertag von Nuntius Dellepiane, Außenminister Kreisky und Unterrichtsminister Heinrich
Drimmel unterzeichnet. Die erste große Mission von Johannes XXIII. hatte Kardinal König erfolgreich
erfüllt.
Geheimtreffen zur Fristenlösung.
Bis zu seinem Tod bezeichnete Kardinal Franz König die „Fristenregelung“ als „offene Wunde“. „Das
hat ihn bis zum Schluss bewegt, und da hat er gewusst, dass das nicht so gelaufen ist, wie er es
eigentlich erhofft hat“, ist ÖVP-Seniorenbundobmann Andreas Khol überzeugt.
Als Folge der Pillenenzyklika „Humanae vitae“ aus dem Jahr 1968, aber auch aufgrund der
gesellschaftlichen Veränderungen begann europaweit eine Diskussion über Empfängnisverhütung
und Schwangerschaftsabbruch, die in Österreich mit dem Antrag der SPÖ-Frauen beim
Bundesparteitag 1972 in Villach ihren Höhepunkt fand. Die SPÖ-Frauen forderten nicht mehr nur
eine weitgehende Indikationenlösung, also die Straffreiheit für Abtreibungen in bestimmten
4
Thomas J. Nagy, König – Kaiser – Kardinal
Ausnahmefällen, sondern auch eine Fristenlösung, die als Kompromiss zwischen Streichung des § 144
und Indikationenlösung präsentiert wurde und einen Schwangerschaftsabbruch bis zum dritten
Monat nach der Empfängnis.
Am 31. Januar 1973 schrieben die österreichischen Bischöfe Bundeskanzler Kreisky einen Brief, in
dem sie daran erinnerten, dass sie der „Preisgabe des Schutzes des ungeborenen Lebens“ nicht
zustimmen könnten. Am 16. Februar 1973 antwortete Bundeskanzler Kreisky: „Auch wir sehen im
Schwangerschaftsabbruch weder eine gesellschaftlich wünschenswerte noch eine medizinisch
empfehlenswerte Methode der Geburtenregelung. Wir sehen aber auch in der Verhängung
gerichtlicher Strafen kein Mittel zur Lösung menschlicher Konfliktsituationen.“ Kardinal König sprach
sich wiederholt in Reden und öffentlichen Auftritten, aber auch bei Demonstrationen gegen die
Fristenlösung aus, und Bundeskanzler Kreisky wollte das gute Verhältnis zur Kirche dadurch nicht
gefährden.
„In der ÖVP hat es 90 Prozent Gegner der Fristenregelung gegeben“, glaubt Andreas Khol, und der
ehemalige Bundesratspräsident Herbert Schambeck meint: „Wenn Sie einmal analysieren, wann die
katholische Kirche wegen der Strafrechtsreform protestiert hat, kann ich Ihnen sagen, immer zu spät.
Das waren zum Großteil Alibi-Handlungen!“
Erich Leitenberger, ehemaliger Kath-Presschef, bringt einen völlig neuen Aspekt ins Spiel: „Im Jahr
’74 gab es ein Gespräch in Klosterneuburg, zu dem Stephan Koren einlud und wo man Kardinal König
seitens der ÖVP bestürmt hat, keine zu starke öffentliche Präsenz in Sachen Fristenregelung zu
zeigen, weil es dann die Partei zerreißen würde, weil die Haltung zur Abtreibung innerhalb der ÖVP
überaus vielfältig sei und es natürlich auch viele Anhänger der Fristenregelung gegeben hat.“ Darauf
angesprochen meint Erhard Busek: „Koren war keiner, der die katholische Karte spielen konnte.“
Andreas Khol kann sich ein Geheimtreffen nicht vorstellen, denn „der Stephan Koren war kein
Kerzerlschlucker“. Das kann Bischof Helmut Krätzl zwar bestätigen, denn „das wollen wir auch nicht
haben“, aber „Stephan Koren war in Dornbach immer aktiv in den Messen tätig und die Familie
Koren war eine zutiefst katholische Familie. Der hat sehr viel mit der Kirche zu tun gehabt.“
Karl Blecha ist das Geheimtreffen im Stift Klosterneuburg nicht bekannt gewesen, aber: „Von
Klubobmann Koren wurde mir damals in einem persönlichen Gespräch bestätigt, dass es in der ÖVP
Kreise gäbe, die eine Fristenlösung mit flankierenden Maßnahmen akzeptieren würden, aber eine
Minderheit wären.“ Heinz Nußbaumer, von 1971 bis 1990 Außenpolitik-Ressortleiter der
Tageszeitung „Kurier“ und danach Sprecher der beiden Bundespräsidenten Kurt Waldheim und
Thomas Klestil, weiß: „In der heißen Phase der Fristenlösungsdiskussion gab es ein Abendessen im
Stift Klosterneuburg, an dem König und Krätzl und von VP-Seite in erster Linie Stephan Koren
teilgenommen haben. Händeringend wurde dort Kardinal König gebeten, sich in der
Fristenlösungsfrage nur ja nicht allzu sehr im Wahlkampf zu exponieren, weil das die ÖVP zerrissen
hätte.“ Er weiß darüber, weil „das ist dann einmal von Bischof Krätzl öffentlich dargelegt worden“.
Bischof Krätzl kann für die damalige Zeit nicht nur ein, sondern mehrere Treffen in Klosterneuburg
bestätigen: „Das stimmt, in Klosterneuburg waren damals verschiedene Treffen mit der ÖVP und das
Thema Fristenlösung war ein Thema.“ Es waren damals keine Verhandlungen, sondern, so Krätzl,
„informelle Gespräche im geschützten Rahmen, die beim Prälaten stattgefunden haben“. Waren es
Geheimtreffen? „In dieser Schärfe habe ich es gar nicht in Erinnerung“, dennoch: „Sicher, in die
Öffentlichkeit ist nichts gekommen, und das hat sicher auch einen Vorteil gehabt.“
Ein Stillhalteabkommen sei damals zentrales Interesse der ÖVP gewesen, auch wenn es heute anders
dargestellt werde, meint Heinz Nußbaumer: „Das ist eine der großen politischen Lügen der Zweiten
Republik, dass die Kirche da die Volkspartei im Stich gelassen hätte.“
5
Thomas J. Nagy, König – Kaiser – Kardinal
Helmut Schmidt: „Für mich war das ein wunderbarer Kerl.“
Helmut Schmidt: Ihre erste Frage ist, seit wann ich ihn gekannt habe. Aus den späten 80er-Jahren,
mindestens ein Vierteljahrhundert, möglicherweise seit 30 Jahren.
Thomas J. Nagy: Erinnern Sie sich noch an die erste Begegnung, die Sie hatten?
Die erste Begegnung war in Rom. Es handelte sich um eine Tagung des damals noch existierenden
InterAction Councils, ich war damals der Vorsitzende. Aber der Spiritus Rector war der Japaner
Fukuda. Und auf entweder Fukudas Idee oder meine – das weiß ich nicht mehr – beriefen wir eine
Tagung ein in Rom von Leutenaus allen drei monotheistischen Religionen – Judentum, Islam und
Christentum – und einigen Politiker. Daran hat König von Anfang an sehr aktiv mitgewirkt. Er war ein
Spezialist für den Mittleren und Nahen Osten und für den Koran und war sowieso ein Mann, dem das
Prinzip der Toleranz außerordentlich wichtig war. Ganzanders als manche andere, die ich für
deutschnationale Verrückte gehalten habe – in derselben Kirche. Die gibt’s heute noch. Jetzt
spüren sie im Augenblick eine Flut von Sympathie wegen des relativweitherzigen gegenwärtigen
Papstes. Unter seinem unmittelbaren Vorgänger herrschte eher Ebbe.
Wie würden Sie Kardinal König in seinen Eigenschaften beschreiben? Wie war er?
Für mich war das ein wunderbarer Kerl. Er war von der Notwendigkeit des Prinzips der Toleranz voll
überzeugt. Er brauchte dazu nicht angestoßen werden. Ganz anders als manche andere
Religionsführer, ganz anders als manche Juden und ganz anders als manche Koran-Angehörige, die
Islamisten. Und ganz anders als zum Beispiel der vorige Papst. Für den gab es nur eine einzige
Religion, eine einzige Kirche...
Wann war Ihre letzte persönliche Begegnung mit Kardinal König?
Das muss gewesen sein vielleicht zwei Jahre vor seinem Tod. Nein, 2002 habe ich eine schwere
Herzoperation hinter mich bringen müssen. Vielleicht war es 2003.
Wie war dieses letzte Treffen mit ihm?
Sehr berührend. Er hat zu mir gesagt, als wir schon standen und uns die Hände gaben – vorher haben
wir im Sitzen eine Stunde miteinander geredet, als wir schon aufgestanden waren und uns die Hände
gaben, sagte er zu mir: „Vergessen Sie nicht die Kraft des persönlichen Gebetes.“ Ich habe nie in
meinem Leben gebetet, das muss ich bekennen. Das habe ich aber damals nicht eingewandt.
Das hat er mir als ein persönliches Vermächtnis gesagt und ich habe das Vermächtnis in Wirklichkeit
nicht angenommen, aber es hat mich sehr berührt und ich bin König wirklich dankbar...
Ich bin weder Protestant, noch bin ich Katholik. Ich bin überhaupt ein areligiöser Mensch. Ich bin
zwar als Protestant getauft und habe meine Ehe kirchlich geschlossen, heute vor mehr als beinahe 70
Jahren. Aber in Wirklichkeit bin ich ein areligiöser Mensch. Und die Streitigkeiten unter katholischen
Theologen habe ich immer mit einem negativen Interesse begleitet. Mir ist geläufig, dass die Wiener
Pech gehabt haben mit dem Nachfolger von König als Erzbischof.
Haben Sie mit dem Kardinal jemals über die Nachfolge gesprochen?
Glaube ich nicht. Weiß ich nicht. Andeutungsweise vielleicht.
6
Thomas J. Nagy, König – Kaiser – Kardinal
In Ihrem Buch „Außer Dienst“ schreiben Sie über Ihre letzte Begegnung nach seinem Tod, als Sie ihn in
der Krypta besucht haben. Wie war das?
Das habe ich aus Respekt für den Mann gemacht. Irgendein Monsignore hat mich da geführt im
Stephansdom. Da ging man eine Treppe runter und da unten waren alle die Särge der Wiener
Erzbischöfe aufgestapelt. Jedenfalls hat mich dieser Besuch sehr bewegt, und ich erinnere mich, dass
ich eine sehr burschikose Bemerkung, deren Inhalt mir nicht mehr geläufig ist, zu dem Monsignore
gemacht habe, um meine Rührung zu verbergen. Ja, Sie haben ganz Recht, mich daran zu erinnern.
Gibt es noch etwas, das Sie über Kardinal König sagen wollen?
Nein. Ich will nur sagen, für mich war er ein großer Mann ... Ich überlege eine Bemerkung, die ich
vielleicht noch machen sollte ... Es ist eines der wenigen Gräber, die ich in meinem Leben besucht
habe. Ab und zu fahre ich an dem Grab meiner Frau vorbei. Wir waren 68 und ein halbes Jahr
verheiratet. – Aber im Falle von König habe ich sein Grab besucht.
Eine große Wertschätzung – sehr, sehr wichtig.
Ja.
Über alle Grenzen
Am 3. August 2015 wird der 110. Geburtstag von Kardinal Franz König gefeiert, der gemeinsam mit
seinen deutschen Amtskollegen Julius Döpfner und Joseph Frings das Zweite Vatikanische Konzil
entscheidend geprägt haben. Erst durch die couragierten Forderungen der drei wurde der
vorprogrammierte Ablauf des Konzils verändert und der freie Diskurs konnte entstehen, der zur
Erneuerung der Katholischen Kirche führte.
Später dann, im Konklave 1963 und besonders 1978, galt der Wiener Kardinal als „papabile. Daran
erinnert sich auch der deutsche Alt-Kanzler Helmut Schmidt: „Wohl aber meine ich zu wissen, dass
nach Paul VI. König einer der „Papabile“ war, aber dass er das abgelehnt hat. Das meine ich zu
erinnern.“ Bei seiner Huldigung soll der frühere Patriarch Albino Luciani zu König gesagt haben:
„Eigentlich sollten Sie jetzt da sitzen.“ Darauf angesprochen schmunzelte Kardinal König als
80jähriger und antwortete: „Ja, man sagt das, man erzählt das.“
Nach dem plötzlichen Tod Johannes Pauls I. war es wieder Kardinal König, der sich für den Krakauer
Kardinal Karol Wojtyla einsetzte. „Es war damals die große Frage, soll ein Italiener wiedergewählt
werden, wie früher, oder soll es ein Nichtitaliener werden?“ Kardinal König zählte sich zu jenen, die
der Meinung waren, die Kirche sei eine Weltkirche. Deshalb setzte er sich auch für einen
Nichtitaliener ein, um die Internationalität dadurch sichtbar zu machen. „Und so ergab sich dann die
Frage, da wäre ein junger Mann aus dem Ostblock.“ Dieser Mann wurde Papst Johannes Paul II.
Als Leiter des Sekretariates für Nichtgläubige war König wichtigster Verbindungsmann in den Osten.
Zur Zeit des Eisernen Vorhanges mussten die Kardinäle aus Polen oder Ungarn Station in Wien
machen. Und König selbst besuchte seine Kollegen Mindszenty in Budapest und Wyszinski in Polen.
Als Religionswissenschaftler war König nicht nur Experte der drei monotheistischen Religionen,
sondern auch Kenner des Mittleren und Nahen Ostens. In diesem Rahmen wurde er in den 1980erJaren auch zu einer Tagung des InterActionCouncils nach Rom eingeladen, wo er Helmut Schmidt
7
Thomas J. Nagy, König – Kaiser – Kardinal
traf, mit dem er bis zu seinem Tod eng verbunden blieb. „Für mich war das ein wunderbarer Kerl. Er
war von der Notwendigkeit des Prinzips der Toleranz voll überzeugt“, erinnert sich dieser.
Hans Küng, emeritierter Theologe in Tübingen, teilt die gute Meinung: „Kardinal Franz König war eine
außerordentliche Gestalt im Kardinalskollegium: Er verband seine pastorale Aufgabe mit einem
hohen Ausmaß an Gelehrsamkeit in Sachen Weltreligionen und diplomatischem Geschick.“ Küng
beschreibt den Wiener Kardinal als „liebenswürdig und zugleich zurückhaltend, klug und vorsichtig,
aber wenn es darauf ankam auch mutig und offen für moderne Entwicklungen.“ Helmut Schmidt
bringt seine Wertschätzung klar auf den Punkt: „Für mich war er ein großer Mann.“
Die Weltoffenheit dieses besonderen Kirchenvertreters wurde allerdings jäh zurechtgestutzt, als
Hans Hermann Groër zu seinem Nachfolger ernannt wurde. „Kardinal König hat von dem von ihm bei
der Papstwahl favorisierten Karol Wojtyla einen anderen Kurs erwartet. Die Wahl des völlig
ungeeigneten und moralisch belasteten Hermann Groer zu seinem Nachfolger war für ihn eine
bittere Enttäuschung, aber sie war typisch für die Personalpolitik des polnischen Papstes, zu der sich
Kardinal König freilich öffentlich kaum je kritisch geäußert hat“, erinnert sich Hans Küng. Helmut
Schmidt ist geläufig, „dass die Wiener Pech gehabt haben mit dem Nachfolger von König als
Erzbischof.“ Ob König mit Schmidt darüber gesprochen habe? „Andeutungsweise vielleicht.“
Die letzte Begegnung mit Franz König war für den sonst so kühl wirkenden Alt-Bundekanzler sehr
berührend. „Er hat zu mir gesagt, als wir schon standen und uns die Hände gaben – vorher haben wir
im Sitzen eine Stunde miteinander geredet, als wir schon aufgestanden waren und uns die Hände
gaben, sagte er zu mir: „Vergessen Sie nicht die Kraft des persönlichen Gebetes.“ Ich habe nie in
meinem Leben gebetet, das muss ich bekennen. Das habe ich aber damals nicht eingewandt. Das hat
er mir als ein persönliches Vermächtnis gesagt und ich habe das Vermächtnis in Wirklichkeit nicht
angenommen, aber es hat mich sehr berührt und ich bin König wirklich dankbar.“
Nach seinem Tod besuchte Schmidt noch einmal aus Respekt das Grab des Wiener Kardinals. „Da
ging man eine Treppe runter und da unten waren alle die Särge der Wiener Erzbischöfe aufgestapelt.
Jedenfalls hat mich dieser Besuch sehr bewegt, und ich erinnere mich, dass ich eine sehr burschikose
Bemerkung, deren Inhalt mir nicht mehr geläufig ist, zu dem Monsignore gemacht habe, um meine
Rührung zu verbergen.“
Ungewohnt emotional war Helmut Schmidt im Gespräch mit Thomas J. Nagy, dem Autor der neuen
Biografie über Franz König, und am Ende fügte er noch an: „Ich überlege eine Bemerkung, die ich
vielleicht noch machen sollte ... Es ist eines der wenigen Gräber, die ich in meinem Leben besucht
habe. Ab und zu fahre ich an dem Grab meiner Frau vorbei. Wir waren 68 und ein halbes Jahr
verheiratet. – Aber im Falle von König habe ich sein Grab besucht.“
8