Blondinen bevorzugt - 6. Ludwigsburger Kurzkrimipreis 2015

6. Ludwigsburger Kurzkrimipreis 2015
Blondinen bevorzugt
Vivian Breitling
6. Ludwigsburger Kurzkrimipreis 2015
Blondinen bevorzugt
Es war Montagmorgen, und der Wind blies kühl über den Monrepossee. Es war kalt.
Ich atmete einmal tief ein und drehte mich dann wieder um. Aber der Anblick war
immer noch grauenhaft. Eine blonde Frau, das Gesicht aufgequollen und entstellt,
trotzdem konnte man erkennen, wie hübsch sie gewesen sein musste.
„Also noch einmal: Die Frau wurde am Sonntag erwürgt und dann in den See
geworfen, wo sie dann heute Morgen ans Ufer gespült wurde?“, fragte ich nach.
„Genau“, war die Antwort meiner jungen Kollegin Victoria Steiger. "Die Tatzeit lässt
sich leider nicht genau bestimmen, wegen der Wassertemperatur. Wie es aussieht,
wurde sie erwürgt. Allerdings gibt es noch keine Spuren vom Täter. Die Suche nach
Zeugen läuft bereits.“
„Ich war am Sonntag auch am Monrepos spazieren, aber mir ist nichts aufgefallen“,
sagte ich und atmete nochmals durch, bevor ich weiter redete: „Weiß man schon,
wer die Frau war?“ „Gerlinde Früh. Sie hatte ihren Geldbeutel mit allen Papieren in
der Hosentasche, deshalb konnten wir sie leicht identifizieren. Sie arbeitete als
Praktikantin bei der Kreissparkasse Ludwigsburg. Außerdem war sie verlobt, mit
einem Gerald Spät, Student an der Filmakademie," sagte Victoria und hielt ihr
Smartphone hoch. Sie war immer hervorragend vorbereitet, und wenn sie mit einem
Fall beschäftigt war, tippte sie ständig auf ihrem Smartphone herum. Diese Infos
hatte sie alle von Facebook.
„In Ordnung. Dann lass uns den Mann besuchen. Vielleicht kann er uns helfen,
während die Spurensicherung hier weitermacht.“
Eine halbe Stunde später trafen wir bei Gerald Späts Wohnung ein. Er war freundlich
und zuvorkommend, auch wenn man ihm Schock und Trauer über den Tod seiner
Freundin deutlich anmerkte.
„Wer macht denn so etwas?“, fragte Herr Spät mit leicht gebrochener Stimme.
„Das wissen wir leider noch nicht. Deshalb sind wir hier. Hat ihre Verlobte Ihnen
etwas erzählt? Wollte sie sich am Sonntagabend vielleicht mit jemandem treffen?“,
probierte ich zwar einfühlsam, aber mit genügend Distanz zu fragen.
„Sie wollte spazieren gehen. Das macht sie öfters, da hab ich mir keine Gedanken
drüber gemacht. Als sie nicht wieder kam, dachte ich, dass sie bei einer Freundin sei
um sich abzuregen, aber keine der Freundinnen, die ich anrief, wusste wo sie war.
Jetzt weiß ich auch warum, weil sie jemand...“, mit einem Schluchzen brach er ab.
Ich wartete eine Sekunde um zu sehen, ob er seinen Fehler bemerkt hatte, dann
hakte ich ein: "Um sich abzuregen? Wovon denn abregen?".
Gerald Spät zuckte zusammen. "Wie kommen Sie darauf?"
"Das waren Ihre eigenen Worte."
Er setzte sich und schlug die Hände vors Gesicht. "Na gut, wir hatten uns gestritten.
Nichts Schlimmes. Sie hat mir wieder einmal vorgehalten, wie sehr meine Mutter sie
nervt. Dass ich ein Muttersöhnchen sei und so weiter. Aber das kommt jeden
zweiten Tag vor. Nur - jetzt kann sie niemand mehr nerven!" Er brach in heftiges
Schluchzen aus.
Victoria gab ihm die Visitenkarte eines Psychotherapeuten, an den er sich wenden
sollte, und eine Karte mit unseren Handynummern - "... falls Ihnen noch etwas
einfällt." Wie ich diesen Satz hasste! Den hatte sie bestimmt aus dem FernsehTatort.
6. Ludwigsburger Kurzkrimipreis 2015
„Glaubst du, dass er die Wahrheit sagt?", fragte sie, während wir ins Präsidium in
der Friedrich-Ebert-Straße fuhren. "Warum hätte er sie auch umbringen sollen? So
ein Streit ist doch kein Motiv. Und er schien mir richtig geschockt. Also ich denke ..."
„Überschlag dich nicht in deinen Gedanken“, unterbrach ich sie. „Vielleicht ist er auch
nur ein guter Schauspieler, als Student an der Filmakademie wird er ja etwas davon
verstehen. In meiner Laufbahn habe ich gelernt, dass man zwar auf sein Gefühl
achten sollte, sich aber nie ganz darauf verlassen darf. Manchmal machen
Menschen aus unverständlichen Gründen etwas, was sich andere nicht vorstellen
können.“
Victoria fixierte mich mit ihrem Blick und sagte nur: „In meinen bisherigen Fällen
konnte ich mich immer gut auf mein Gefühl verlassen.“
Ich erwiderte nur: „Du bist noch jung, du wirst noch begreifen, was ich meine.“ Das
würde sie, dessen war ich mir sicher.
Eine Woche lang gingen unsere Ermittlungen mit der üblichen Routine weiter.
Nachbarn, Freunde und Kollegen befragen, Akten mit vergleichbaren Fällen
studieren. Wir hatten immer wieder Anfragen der Lokalpresse, aber was hätten wir
ihnen schon melden können?
Am Ende der Woche hielt ich es nicht mehr aus. Es war Sonntag, und ich musste
dringend einen klaren Kopf bekommen. Ich ging joggen in den Favoritepark.
Die tote blonde Frau ließ mich nicht los.
Bisher hatten wir kein Motiv für den Mord gefunden.
Am verwirrendsten war das, was uns der Leiter der Spurensicherung, Dr. Robert
Bauer, zu erzählen wusste: "Wir haben praktisch keine Spuren gefunden, die vom
Mörder stammen könnten."
"Wieso das denn, da müssen doch jede Menge Spuren sein," wandte ich ein.
"Der See ist auch voll davon, Haare und Spuren von Menschen und Tieren, auch von
Hunden, die da spazieren gehen und so weiter. Sie wurde erwürgt, das heißt, der
Täter muss in Körperkontakt mit ihr gekommen sein. Aber trotzdem haben wir keine
Haut- oder Haarspuren gefunden, außer von uns, die wir die Leiche untersucht
haben. Als hätte der Täter einen Schutzanzug getragen."
Karin blieb stehen. Sie liebte diesen Ort, der am Sonntagabend so still und verlassen
war. Ihre Kommilitonen brauchten immer Geräusche, Klänge und Musik um sich.
Aber sie hörte die Stille. Das war ihr Geheimnis und das Geheimnis ihres Erfolges.
Deswegen hatte sie den Preis gewonnen. Hinter den Bäumen standen ein paar
Rehe. Karin strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Die Rehe starrten in
ihre Richtung. Dann hörte sie es auch. Sie drehte sich langsam um. Die lange Klinge
des Messers blitzte und spiegelte sich in ihren Augen..
Am Montag wollten wir uns gerade noch einmal den Tatort am Monrepossee
ansehen, da kam die grausame Mitteilung: Eine weitere Leiche. Diesmal im
Favoritepark, unter einem der alten Kastanienbäume.
Victoria und ich starrten die Leiche an. Eine wunderschöne Frau. Jung. Blond.
"Karin Merbold, 25 Jahre alt, studierte Filmmusik und Sounddesign an der
Filmakademie und wohnte noch bei ihren Eltern.“ Wieder einmal hatte meine
Kollegin alle Informationen parat. „Scheint ein besonders heller Stern gewesen zu
sein, eines ihrer Projekte wurde mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.“
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Dr. Bauer kam schon auf uns zu. "Die Frau wurde am Sonntagabend getötet.
Diesmal erstochen, aber die Waffe haben wir noch nicht. Wahrscheinlich ein Messer
mit einer langen Klinge oder etwas ähnliches."
Die Presse rannte uns die Türen ein, das Polizeipräsidium war in heller Aufregung.
Die Spurensicherung arbeitete auf Hochtouren, aber der Bericht von Dr. Bauer ließ
uns wieder hilflos und ratlos zurück: "Kein Blut, keine Hautpartikel, die da nicht
hingehören, nichts. Wir haben noch nicht einmal die Tatwaffe. Wer auch immer es
war, er oder sie hat ganze Arbeit geleistet.“
„Ein neuer Fall ohne jegliche Spur und ein alter, der sich ins Leere verläuft, toll.“ Der
Chef wirkte reichlich frustriert, als er unseren Zwischenbericht hörte.
„Denkst du, dass beide Fälle etwas miteinander zu tun haben?“. Victoria blickte mich
mit ihren leuchtend grünen Augen an, aber ich merkte ihr an, dass sie für sich schon
eine Antwort gefunden hatte.
Wir saßen im Besprechungszimmer zusammen, die Mitglieder der neu gegründeten
Soko "Sonntag": Herbert Müller, genannt "Herbie", der schon ewig bei der Kripo war,
Victoria, das Küken, Dr. Bauer und ich. Herbie hatte vorgeschlagen, der Soko den
Namen "Blondinen bevorzugt" zu geben, aber Victoria, selbst blond, hatte ihn nur
wütend angesehen.
"Offensichtlich hängen die Taten zusammen. Zum einen die Opfer, beide jung und
blond, und bei beiden ein Bezug zur Filmakademie. Die Tötung und die Tatorte
unterscheiden sich zwar, aber die Spurenlage ist bei beiden gleich, nämlich nichts.
Und es geschah beide Male an einem Sonntag. Wir sollten uns noch einmal diesen
Gerald Spät ansehen."
"Macht ihr das lieber," meinte Victoria. "Ich gehe solange nochmals in paar
Datenbanken durch und probiere ein Täterprofil zu erstellen."
Das war typisch. Die klassische Ermittlungsarbeit war unser Bereich. Victoria
gehörte der neuen hippen Ermittlergeneration an, mit Zusatzausbildung als Profiler in
den USA, Datenbanken, Tablet und was sonst noch. Das war nicht meine Welt, und
ich war froh, nach draußen gehen zu können.
Gerald Spät hatte sich inzwischen einigermaßen gefasst. Er kümmerte sich um die
Beerdigung seiner Freundin. Aber er sagte, er habe Karin Merbold, das zweite
Opfer, gar nicht gekannt. "Nicht alle Studenten kennen sich untereinander. Kennen
Sie denn alle Ihre Kollegen im Polizeipräsidium?", fragte er. In diesem Punkt musste
ich ihm Recht geben. Wir beschlossen aber dranzubleiben.
An diesem Sonntag wollte ich nichts mehr wissen. Ich schaltete mein Handy aus.
Vera schob ihr Fahrrad über den Schotterweg. Sie fuhr nie mit Helm, obwohl alle sie
dazu überreden wollten. "Als Blondine lebst du gefährlich" oder so ähnlich. Sie wollte
ihre Ruhe. An der FH ging es derzeit drunter und drüber. Die Hochschulleitung
verstritten, der gute Ruf dahin. Sie stellte das Fahrrad ab und setzte sich ans Ufer.
Ein paar Meter weiter wurde im flachen Wasser ein großer Stein aufgehoben.
Am nächsten Montag wurde in den Zugwiesen eine dritte Tote gefunden. Jung,
blond. Herbie und ich beugten uns über sie.
"Vera Schmidt, 24 Jahre. Studentin an der HS Ludwigsburg, der Hochschule für
Finanzen". Victoria klang schon verzweifelt.
Vera war erschlagen worden. Diesmal wurde das Tatwerkzeug gefunden: Ein Stein,
den der Täter offensichtlich aus dem flachen Neckar geholt hatte. Aber außer dem
Blut des Opfers, das noch am Stein klebte, gab es wieder keine Spuren eines Dritten.
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"Serienmörder tötet blonde Frauen" - nicht nur die LKZ hatte dieses Thema, auch alle
anderen Regionalzeitungen und auch die Stuttgarter, sogar die "Bild". Sie lagen auf
meinem Schreibtisch. Mehrmals am Tag kam Peter Widenhorn, der PolizeiPressesprecher, herein um sich zu erkundigen, ob es etwas Neues gäbe. Der arme
Kerl wurde von der Presse ziemlich genervt.
Während Herbie und ich die Zeitungen durchblätterten, kam Dr. Bauer herein.
„Wie es aussieht, habt ihr diesmal eine ziemlich harte Nuss.“
„Da muss ich leider zustimmen“, gab ich mehr oder weniger mürrisch zu, „Hat sich in
der Pathologie etwas ergeben?“
„Nein, nichts“, gab er geknickt zu. Er wollte mir nicht direkt in die Augen schauen,
und so fiel sein Blick auf die Wand hinter mir. Dort hingen Zeitungsausschnitte und
Urkunden. Es waren viele von mir und ein paar von Herbie, was sich eben in 25
Jahren so ansammelt. Aber auch viele von Victoria, obwohl sie erst seit kurzem
dabei war.
„Du und Victoria, ihr werdet den Mörder finden. Du mit deiner Erfahrung und Victoria
mit ihrer Cleverness. Sie ist zwar jung, aber ihr Fleiß und ihr Ehrgeiz sind
unübersehbar!", ermutigte er mich. „Wahrscheinlich hast du Recht", antwortete ich,
während der Chef und der Rest der Soko hereinkamen.
"Also, wie ist der Stand?", fragte der Chef.
Victoria mit ihren Datenbanken und dem Tablet in der Hand begann zu berichten:
"Drei tote Frauen, jede an einem anderen Tatort, jede auf eine andere Art getötet.
Alle sind blond und jung. Alle drei hatten eine große Karriere vor sich. Zwischen den
Opfern scheint es keine Verbindung zu geben."
"Was ist mit der Filmakademie?"
"Der Freund des ersten Opfers studiert dort, genau wie das zweite Opfer. Das
scheint aber ein Zufall gewesen zu sein, denn eine Verbindung ist nicht zu
erkennen."
"Die Opfer wurden also willkürlich ausgewählt?"
Nun war Victoria wieder in ihrem Element. "Ich habe ein Täterprofil erstellt. Ihr wisst
ja, dass ich eine Sonderausbildung darin habe. Der Täter sucht seine Opfer wohl
zufällig aus. Die Spurensicherung hat keine DNA eines möglichen Täters gefunden.
Wir haben schon überlegt, ob er wohl einen Schutzanzug getragen hat. Den einzigen
Rückschluss auf den Täter können wir anhand der Opfer ziehen. Alle jung und
blond. Er scheint auf diesen Frauentyp zu stehen."
Victoria machte eine Pause und warf ihre blonden Haare nach hinten.
Alle sahen sie an. Sie blickte zurück.
Alle dachten dasselbe, aber keiner traute sich es auszusprechen.
Nach einer Pause fuhr sie fort:
"Ich lasse eine Handyüberprüfung machen. Heutzutage hat doch fast jeder ein
Handy, nicht war?“, fragte sie, ohne eine Antwort abzuwarten. „Über das GPS kann
man sie orten. Wir vergleichen die Handynummern, die in der Nähe der Tatorte
eingeloggt waren", erklärte sie mit einem zufriedenen Lächeln.
Das war einer der Gründe, warum Victoria so gut war: Sie war stets auf dem
neuesten Stand der Technik. Selbstverständlich, weil sie in ihrem Alter auch selbst all
diese Dinge permanent nutzte.
Eine Stunde später wedelte sie mit ein paar Papieren: "Ich habe alle
Verbindungsdaten!"
"Das sieht nach einem Haufen Arbeit aus", stellte ich fest und griff nach einer der
Listen. "Ich nehme mir mal die Nummern vom Favoritepark vor."
6. Ludwigsburger Kurzkrimipreis 2015
"Nicht nötig. Ich hab ein Programm, das ich drüber laufen lassen kann."
Natürlich. Victoria und ihre Hilfsmittel.
"Eines Tages werden wir noch überflüssig", bemerkte Herbie.
Es war kurz vor Feierabend, als sie das Ergebnis hatte: Eine halbe Seite
Handynummern, ein Teil davon Prepaid, bei anderen gab es Namen dazu.
Victoria drehte sich lachend zu mir: "Deine Handynummer ist auch zweimal dabei!"
„Ich hab dir doch erzählt, dass ich am Monrepos war. Und im Park bin ich gejoggt,
wie immer."
"Na immerhin taucht deine Nummer nicht in den Zugwiesen auf", grinste Herbie. "Wir
müssen ein Bewegungsprofil von allen Nutzern erstellen."
Wir saßen wieder im Besprechungszimmer.
„Ich fühle, dass der Mörder wieder zuschlagen wird“, prophezeite ich.
Herbie sprach es aus: "Victoria, du solltest am Wochenende nicht ausgehen!"
"Das meint ihr doch nicht im Ernst!", erwiderte sie. "Andere sind auch blond!"
Aber in ihrer Stimme klang Verunsicherung.
Am Samstagabend saß ich allein vor dem Fernseher, konnte aber nicht abschalten.
Morgen würde der Mörder erneut zuschlagen. Ich dachte nochmals alles durch. Alle
Tatorte, die Mordmethoden, die Opfer. Wo könnte der Mörder das nächste Mal
zuschlagen? Auf einmal wusste ich es. Ich wusste, was ich zu tun hatte.
Am Morgen rief ich Victoria an um ihr zu sagen, dass ich sie am Abend abholen
würde.
"Ich weiß wo der Mörder das nächste Mal zuschlagen wird."
„Ehrlich, woher weißt du das?“, fragte sie ungläubig.
„Vertrau mir. Ich werde dir heute Abend alles erklären. Ich verständige auch die
anderen.
Ich parkte am Salonwald. Es wurde schon dunkel, als wir hineingingen. Ich griff in
meine Manteltasche und versicherte mich, dass die Pistole da war.
"Wo sind denn die anderen? Du hast ihnen doch Bescheid gegeben."
"Wart's nur ab," antwortete ich.
Es würde niemand kommen. Das wusste ich, denn ich hatte niemandem Bescheid
gegeben.
„Also erzähl mal, was du herausgefunden hast." Sie konnte es kaum erwarten.
„Fassen wir nochmals zusammen: Es waren immer blonde, junge Frauen“, fing ich
an.
„Ein Serienmörder, der auf blonde Karrierefrauen steht. Und wie kommst du drauf,
dass hier der nächste Mord stattfindet?" unterbrach mich Victoria, während sie sich
umschaute und mir dabei den Rücken zudrehte.
"Weil du das nächste Opfer bist."
Victoria erstarrte. "Was willst du damit sagen?"
"Du und dein Ehrgeiz und dein Können. Du verdrängst uns alle!"
Zuerst schien ihr Verstand sich zu weigern, die brutale Wahrheit zu begreifen.
Aber dann fragte sie leise: "Und deshalb rächst du dich an blonden Frauen?"
"Ach was. Die anderen drei tun mir Leid. Sie waren zufällige Opfer, die das Pech
hatten, ins Schema zu passen."
"Was willst du damit sagen?" Victoria klang entsetzt.
"Vier Frauen, alle blond, alle jung. Jeder vermutet einen Serienmörder. Niemand
sucht mehr nach einem Motiv im Einzelfall."
"Vier Frauen?", fragte sie mit zitternder Stimme nach. "Vier!" wiederholte ich.
Victoria versuchte Zeit zu gewinnen. "Wieso gab es keine Spuren an den Tatorten?"
6. Ludwigsburger Kurzkrimipreis 2015
"Du hast dich zu sehr in deine Daten vergraben, um das Wesentliche
herauszuhören," erwiderte ich grinsend. "Wenn du genau hingehört hättest, wüsstest
du es: Es waren keine Spuren von anderen Personen da. Natürlich war meine DNA
an allen Tatorten, genau wie deine. Ich habe mich ja über alle Opfer gebeugt. Nur
wusste keiner, dass meine DNA schon davor da war."
"Du tötest drei Frauen, um eine Serie vorzutäuschen, aber willst eigentlich nur mich
aus dem Weg räumen?" Victoria schien es immer noch nicht zu glauben. Aber gleich
würde sie es glauben.
Ich zog die Pistole aus der Tasche. Natürlich war es nicht meine Dienstpistole. Diese
hatte ich bei einer Razzia in einer Spielhalle mitgehen lassen.
„Du bist doch krank! Ich mache nur meinen Job!“, schrie Victoria in Panik.
„Diesen Job musst du aber nicht mehr lange machen“, sagte ich trocken und hob die
Waffe.
"Aber du bist doch Polizist!!", schrie sie mich an.
"Und zwar ein sehr guter. Und demnächst werde ich wieder der beste des Reviers
sein."
Plötzlich wurde sie ganz ruhig.
Stille. Eine Stille, in der ich merkte, wie ich selbst zitterte.
Eine Stille, in der ich merkte, dass in Victorias Augen nicht nur Angst, Trauer und
Verzweiflung lagen, sondern auch eine unglaubliche Stärke. Ihre Augen, die selbst in
der Dunkelheit grün glänzten. Grün wie die Farbe des Neides.
"Weißt du, Herbie hat mich echt zum Nachdenken gebracht mit seiner Warnung, ich
solle nicht alleine hinausgehen," meinte sie. "Auch ich habe mich vorbereitet."
Dann zog sie ihre Hand aus der Tasche. Ich blickte direkt in den Lauf ihrer Pistole.
"Es wird eine vierte Leiche geben," stimmte mir Victoria zu, als sie die Waffe auf mich
richtete.
Dann gab es einen Knall, der die Nacht durchdrang und eine bedrückende
Dunkelheit still zurückließ.