MS-aktuell - Marienschule Fulda

Jasmin Holbein (Ende HGGS Mitgschaft: 2014)
Neuphilologische Fakultät
Literarischer Raum als narratives Element:
Exemplarische Analysen zum englischen Roman des Viktorianismus, Ästhetizismus und
Modernismus
In der Literatur zählt der Raum neben den Figuren, der Handlung und der Zeit zu den zentralen Komponenten fiktionaler Wirklichkeitsdarstellung. Unter dem Begriff Raum ist die
gesamte materielle Umwelt der Figuren zu verstehen, d. h. Schauplätze wie Städte, Landschaften und Häuser bis hin zu einzelnen Zimmern und Gegenständen, zugleich jedoch auch
Naturerscheinungen wie die Jahreszeiten oder das Wetter. Der literarische Raum ist weitaus
mehr als eine notwendige Kulisse, vor der die Figuren agieren: Er ist in vielfältiger Weise auf
Charaktere und Handlung hin funktionalisiert und erfüllt damit eine wichtige Erzählfunktion
bzw. besitzt Zeichencharakter. Ein wichtiger Teilaspekt der Kategorie Raum ist dabei die
Bewegung, etwa in Form von Wegestrukturen und Grenzüberschreitungen der Figuren. Wird
der Raum im 18. Jahrhundert noch primär zur geographischen und sozialen Verortung der
Figuren genutzt, so ist er ab dem 19. Jahrhundert oftmals als komplexes Zeichensystem
angelegt, das weit über eine rein mimetische Funktion hinausgeht und eine Vielzahl von Aussagen transportieren kann. Ziel meines Dissertationsprojekts ist, anhand von fünf bedeutenden Romanen aus den Epochen Viktorianismus, Ästhetizismus und Modernismus exemplarisch aufzuzeigen, wie mittels des Raumes Bedeutungen generiert werden bzw. welche dies
konkret sind. Neben der jeweiligen romanspezifischen Semantisierung des Raumes soll im
Rahmen eines diachronen Vergleichs untersucht werden, ob über den ausgewählten Untersuchungszeitraum von 1850 bis 1930 generelle narratologische Konstanten oder Entwicklungen in der Funktionalisierung des Raumes festzustellen sind.
Analysemethode
Meinem Dissertationsprojekt liegt eine textbezogene Analysemethode zugrunde. Kern des
narratologischen Interpretationsansatzes ist eine strukturalistisch ausgerichtete, d. h. textgenaue und detailbezogene Lektüre und Analyse eines literarischen Textes in Form eines
klassischen close readings. Wie in der postklassischen Narratologie üblich, wird jedoch auch
der historische Kontext bzw. die kulturelle Verortung eines Textes zu dessen Interpretation
herangezogen. Zur Analyse des literarischen Raumes ist folgenden Leitfragen nachzugehen:
Welche Schauplätze sind in einem Erzähltext bzw. Roman angelegt, welche spezifischen
Merkmale zeichnen sie aus und in welchen Relationen stehen sie untereinander? Welcher
Art von Raum bzw. Schauplatz wird eine Figur zugeordnet? Wird sie z. B. mit dem offenen
oder geschlossenen Raum bzw. mit dem Natur- oder architektonischen Raum assoziiert?
Was sagt die spezifische Beschaffenheit eines Schauplatzes über die ihm zugeordnete Figur
oder über die Handlung aus? Ergibt sich z. B. eine Analogie zwischen dem geschilderten
Raum und den Emotionen einer Figur oder den aktuellen Entwicklungen in der Handlung?
Zeichnet sich eine Figur durch Bewegung oder Stillstand im Raum aus? Agiert sie innerhalb
räumlicher Grenzen oder sind Grenzüberschreitungen festzustellen? Welche Bedeutungen
hinsichtlich der inner- und außerfiktionalen Welt ergeben sich daraus?
Schlüsselbegriffe: (englische) Literatur, (literarischer) Raum, Bewegung, narrative Funktion
des Raumes, text-bezogene Analysemethode, narratologischer Interpretationsansatz, close
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