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Dr. Giada Sorrentino
Forschungsprojekt – gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung
Kommunikation, Handlung und Figuren in Euripides’ Tragödie:
ein pragmatischer Ansatz
Das vorliegende Forschungsprojekt analysiert mit den Kategorien und Methoden der
Pragmatik den Dialog der Euripideischen Tragödie als Mittel zur Schaffung und Gliederung des Plots
sowie zur Charakterisierung der Figuren und ihrer Beziehungen.
Da die Pragmatik die Sprache als Form der Handlung betrachtet und sie ständig mit den
Sprechern und mit dem Äußerungskontext in Beziehung setzt, ist sie besonders dazu geeignet, über
die Fähigkeit der dramatischen Sprache, die Handlung direkt auf der Bühne durch die Worte der
Figuren zu schaffen, Aufschluß zu geben. Die Anwendung verschiedener Teilgebiete dieser Disziplin
auf den Dialog ermöglicht die Untersuchung der von den Figuren durch das Wort verwirklichten
Handlungen (besonders mit Hilfe der Sprechakttheorie), der von diesen angenommenen Formen (die
vor allem Gegenstand der politeness-Theorien sind), und des interaktionalen Kontexts, in den diese
eingebettet sind (z.B. durch die Gesprächsanalyse).
Auf diese Weise kommt ein tiefergreifendes Verständnis zustande, wie Phänomene und
Funktionsmechanismen der alltäglichen verbalen Interaktionen Teil des dramatischen Diskurses
werden, d.h. wie sie innerhalb der komplexen und in mancher Hinsicht starren Struktur des tragischen
Textes miteinander kombiniert werden, um verschiedene (dramatische, szenische, stilistische etc.)
Funktionen zu erfüllen. Vergleicht man die von den einzelnen Figuren der Dramen entwickelten
kommunikativen Verhaltensweisen mit ihren dramatischen Rollen sowie ihre gegenseitige Placierung
innerhalb einer Interaktion mit den Beziehungen, die sie unterhalten, kann man erkennen, wie die
innerhalb einer Tragödie durchgeführten kommunikativen Ereignisse die zwischenmenschlichen
Beziehungen begründen, aufrechterhalten oder ändern.
Die Untersuchung betrifft in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich, die Iphigenie in
Aulis und den Orestes. Ihre Handlungen, die zu demselben mythischen Zyklus gehören, bilden
erbitterte Konflikte und tiefe Risse in den familiären Beziehungen ab, die in den öffentlichen Rollen
einiger Protagonisten ihren Ursprung oder auf diese Auswirkungen haben. In beiden Fällen äußern
sich diese Konflikte besonders durch eine trügerische oder unwirksame Kommunikation zwischen
den Figuren. Der pragmatische Ansatz erlaubt es, gemäß einer neuen und umfassenderen Perspektive,
in deren Mittelpunkt gerade das kommunikative Verhalten steht, wichtige Interpretationsfragen in
Bezug auf den Charakter und die soziale und dramatische Rolle der Protagonisten sowie ihre
Kommunikations- und Beziehungsprobleme zu beleuchten.
Da dieses Projekt als eines der ersten pragmatische Phänomene im Altgriechischen unter die
Lupe nimmt, kann es darüber hinaus die bisher aus der traditionellen Grammatik und Stilistik
gewonnenen Erkenntnisse über die griechische Sprache erweitern und einen signifikanten Beitrag zur
Konstruktion einer “Pragmatik der altgriechischen Sprache” liefern.