BERICHT Sonne oder Regen – Wie zuverlässig ist die Wettervorhersage? Thomas Kratzsch, Deutscher Wetterdienst, Geschäftsbereich Basisdienste, Offenbach E s sind erst gut 30 Jahre vergangen, dass der Deutsche Wetterdienst (DWD) mit der täglichen Berechnung von Wetterkarten begann. Anfangs bestand das mit mathematisch-physikalischen Modellen per Computer simulierte „Wetter“ nur aus Druckfeldern und Isobaren, Hochs und Tiefs. Selbst Regen oder Schneefall, Bodenfrost oder Sturm, nicht einmal Warm- oder Kaltfronten konnten damals vorhergesagt werden. Die Aufgabe des Vorhersagemeteorologen (Synoptikers) von vor 30 Jahren lag in der Interpretation der Vorhersagekarten, d.h. der Transformation der großräumigen Wetterlage in lokales Wetter. Schon bald wurde diese Interpretationsarbeit mit Hilfe von statistisch gewonnenen Umrechnungsverfahren objektiviert und automatisiert. Heute ist der Deutsche Wetterdienst weltweit mit einer Vielzahl von Stationen über Computer vernetzt, um das Wetter jederzeit für unterschiedliche Anforderungen möglichst genau vorhersagen zu können. Für die Vorhersage unterteilt die Meteorologie die „Zukunft“ in verschiedene Abschnitte: ■ Kürzestfristvorhersage: 0–12 Stunden im Voraus ■ Kurzfristvorhersage: 12 bis 72 Stunden im Voraus ■ Mittelfristvorhersage: 72 Stunden bis 10 Tage im Voraus ■ Langfristvorhersagen: mehr als 10 Tage im Voraus und ■ Jahreszeitenvorhersagen mit Vorhersagezeiträumen von mindestens 3 Monaten. Je langfristiger eine Vorhersage ist, desto ungenauer werden die Angaben. Wie wir später noch sehen werden, lässt sich mit den derzeitigen Computer-Modellen lediglich ein Zeitraum von bis zu 10 Tagen voraussagen. Die Langfrist- und Jahreszeitenvorhersagen stecken noch in den Kinderschuhen. Die hier verwendeten statistischen Ansätze liefern zur Zeit noch unbefriedigende Ergebnisse. Daher sind Schlagzeilen, die bereits im Winter einen Jahrhundert-Sommer vorhersagen, mit Vorsicht zu genießen. Wie werden kurz- und mittelfristige Vorhersagen erstellt? Beim Deutschen Wetterdienst wird für diese Aufgabe ein Globales Modell (GME) berechnet, das die Welt mit einem Gitternetz von ca. 60 km Maschenweite umspannt (Abb. 1). Hieraus sowie aus früheren Beobachtungswerten und früheren Vorhersagen schließt sich die Interpretation der Daten zu eiAbb. 1: Das Globale Modell (GME) umspannt die Welt mit einem Gitternetz von 60 km Maschenweite. Aus diesen Daten sowie weiteren Beobachtungswerten entsteht die Wettervorhersage ner Vorhersage an. Schon seit langem weiß man, dass die Vorhersage eines Modells nur eine mögliche Lösung ist bzw. der Wahrheit versucht einigermaßen nahe zu kommen. Um auch andere mögliche Lösungen (Wettervarianten) in den statistischen Betrachtungen zu berücksichtigen, werden insbesondere für die mittelfristige Wettervorhersage die Ergebnisse verschiedener meteorologischer Zentren benutzt. Die Kombination mehrerer Modellinformationen und deren statistischer Interpretationen haben sich als recht stabiles Vorhersagesystem bewährt. Diese ortsbezogenen Grundvorhersagen können darüber hinaus noch durch spezielle Beratungsverfahren, so auch für die Landwirtschaft, erweitert werden. Wie zuverlässig sind Wettervorhersagen heutzutage? Diese Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten, weil zunächst der Begriff zuverlässig oder gut definiert werden sollte. Landläufig hält sich die Aussage, dass der Wetterdienst eine „Trefferquote“ von 85 % für die Wettervorhersage des nächsten Tages erzielt. Manchmal erhöht sich diese Aussage auch auf 90 %. Der BeINNOVATION 4/2002 21 BERICHT Tab. 1: Welche Fehler sind im Mittel zu erwarten? rmse (Vorhersagefehler) Minimum-Temperatur (MIN) Maximum-Temperatur (MAX) Sonnenscheindauer (SD)1 Windrichtung (dd)2 Windgeschwindigkeit (ff) 2 1. FT 2. FT 3. FT 4. FT 5. FT 6. FT 7. FT 1.52 2.05 2.32 2.58 2.84 2.93 3.17 1.85 2.22 2.54 2.83 3.11 3.37 3.67 24.8 24.5 25.8 27.5 28.4 29.3 29.6 35.4 44.5 48.7 55.5 62.6 67.7 72.8 1.63 1.92 2.03 2.18 2.33 2.41 2.55 Mittlere Vorhersagefehler rmse im Jahr 2000 für fünf verschiedene Wetterelemente und bis zu sieben Tage im Voraus (FT = Folgetag). Es zeigt sich, dass die Prognosefehler monoton mit zunehmender Vorhersagedistanz wachsen. Gleichzeitig wird deutlich, dass beispielsweise die Vorhersage von MIN-Temperaturen deutlich einfacher und zuverlässiger ist als die Vorhersage der Windrichtung. (1 = Sonnenscheindauer in % der astronomisch möglichen, 2 = Windrichtung und -geschwindigkeit für mittags 12 UTC). griff „Treffer“ ist zwar anschaulich, aber subjektiv, denn man muss wie bei einer Schützenscheibe die Genauigkeit des Treffers (Anzahl der Ringe) festlegen. Je nachdem, was man als richtigen oder tolerierbaren Bereich bzw. Fehler ansieht, wird die Antwort auf die Frage nach der Güte der Vorhersage unterschiedlich ausfallen. Nehmen wir als Beispiel die Lufttemperatur. Etwa ein Viertel aller Prognosen liegen im Toleranzbereich von ±0.5 °C um den tatsächlichen Beobachtungswert. Im Toleranzbereich von ±1.5 °C finden sich bereits knapp 62 % aller Vorhersagen und bei noch „großzügiger" Prüfung von ±2.5 °C sind es 84 %. Problem: Bei Temperaturen um 15 °C kommt es vielen Landwirten nicht auf die genaueste Vorhersage an, aber nahe Null Grad erwarten sie präzise Angaben. Die Meteorologen benutzen als Fehlermaß nur ungern den Begriff Treffer, sondern lieber die aussagekräftigere Größe rmse (englisch für Root Mean Squared Error), den sogenannten Gründe: Die Vorhersagedistanz ist bei den Minimum-Temperaturen im Allgemeinen 12 h kürzer. Sie werden am frühen Morgen, also etwa 24 h nach Ausgabe einer (am Morgen erstellten) Prognose erreicht. Das Maximum beobachten wir am Nachmittag, also etwa 30–36 h nach Ausgabe der Vorhersage. Weiterhin verursacht die Einschätzung erster Warmlustvorstöße oder später Kaltlufteinbrüche im Frühjahr Probleme bei der Vorhersage der MaximumTemperaturen im Frühjahr ebenso im Herbst. Für die Vorhersage der Minimum-Temperaturen bereitet die relativ große räumliche Variabilität der Tiefstwerte in klaren Winternächten Vorhersageprobleme. Gleiches gilt auch für die Frage, ob sich Nebel bildet oder eine Wolkendecke bis zum Morgen hält. Dies kann den nächtlichen Temperaturrückgang im Allgemeinen deutlich reduzieren. mittleren quadratisch gewichteten Fehler. Große mittlere Fehler weisen auf relativ geringe Trefferzahlen hin, geringe mittlere Fehler auf hohe Trefferzahlen. Tab. 1 präsentiert eine Übersicht von verschiedenen Wetterparametern und deren rmse. Dabei zeigt sich sehr deutlich, dass mit zunehmender Vorhersagezeit die Genauigkeit der Vorhersage abnimmt, dass es aber auch für die einzelnen Parameter Unterschiede in der Güte der Vorhersageleistung gibt. So wird ebenfalls sichtbar, dass beispielsweise die Abb. 2: Jahresgang des Fehlers rmse bei der kurzfristigen Vorhersage der Vorhersage von MINmorgigen Tiefst- (MIN) und Höchsttemperatur (MAX); 14 deutsche Orte, Temperaturen deutlich 1/98–12/00 = 3 Jahre einfacher und zuverlässiger ist als die VorherWie weit im Voraus können sage der Windrichtung. wir vorhersagen? Die Genauigkeit der Vorhersage ist auch abhängig von der Jahreszeit Ein interessantes Ergebnis der Überprüfung meteorologischer Vorhersagen ist die Tatsache, dass die Vorhersagegenauigkeit nicht immer dieselbe ist, sondern im Verlauf eines Kalenderjahres klar erkennbare Höhen und Tiefen aufweist. Abb. 2 zeigt den Verlauf des Fehlers rmse im Laufe eines Jahres für Tiefst- (MIN = blaue Kurve) und Tageshöchsttemperaturen (MAX = rote Kurve). Besonders deutlich sind die Vorhersageprobleme – relativ große mittlere Fehler bei MAX im Frühjahr und MIN im Hochwinter. INNOVATION 4/2002 22 Kategorische Aussagen wie „Es gibt Regen“ (Niederschlag ja/nein) können heute auch unabhängig von Jahreszeiten über einen recht langen Zeitraum vorhergesagt werden. Abb. 3 gibt für dieses Ereignis eine Zeitspanne von 10,6 Tagen für die Vorhersagbarkeit im Jahr 2000 an. Gleiches gilt auch für andere kategorische Aussagen wie Windböen > 12 m/s, Gewitter ja/nein, Hagel ja/nein oder tiefste Nachtemperaturen. Einige Nutzer der Wetterdaten des DWD benötigen jedoch noch genauere Vorhersagen, da ihnen die Aussage ja/nein mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 zu 50 zu ungenau ist und falsche Vorhersagen möglicherweise teuer wären. Um ihr persönliches Risiko abschätzen BERICHT 10,6 Niederschlag: JA/NEIN 9,9 tiefste Nachtemperatur Verdunstung 9,6 Tageshöchsttemperatur 9,3 9,0 Windböen >12 m/s: JA/NEIN 8,8 Windrichtung 7,7 7,3 Sonnenscheindauer Wahrscheinlichkeit RR>0 mm/d 5,4 Windgeschwindigkeit 5,1 Wahrscheinlichkeit fx/d>12 m/s 0 2 4 6 8 Tage im Voraus 10 12 Abb. 3: Zeitspanne der Vorhersagbarkeit der wichtigsten Wetterparameter im Jahre 2000 zu können, interessiert sie die genaue Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Niederschlag (Wahrscheinlichkeit RR > 0 mm/d). Aussagen wie „Es regnet mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % oder 80 %“ sind über eine längere Zeitspanne deutlich schwerer vorhersagbar. Hier liegt der Wert nur bei 7,3 Tagen im Voraus im Vergleich zur kategorischen Aussage von 10,6 Tagen. Weiterhin gilt, dass seltene Ereignisse schwerer vorherzusagen sind als häufiger auftretende. In unseren geographischen Breiten bedeutet dies zum Beispiel, dass mit zunehmender Niederschlagsmenge das Ereignis „Überschreiten einer bestimmten Niederschlagsmenge von 5 oder 10 Litern in einem bestimmten Zeitraum“ seltener auftritt und damit schwerer vorherzusagen ist. Ein kräftiger Schauer oder ein unwetterartiges Gewitter lässt sich oft nur wenige Stunden im Voraus vorhersagen. Welcher Ortsteil dann am stärksten betroffen sein wird, das weiß man meist erst durch Beobachtungen. Sie haben sicher schon selbst erlebt, dass nach einem Schauer Teile einer Straße ganz nass, andere mit einem scharfen Rand nahezu trocken waren. Oder aber aus einem Nachbarort wird von kräftigem Regen berichtet, Sie selbst müssen Ihre Pflanzen wässern. Das kann man unmöglich mehrere Tage im Voraus prognostizieren! Diese in Abb. 3 dargestellten Zeitspannen der Vorhersagbarkeit sind Mittelwerte über das Jahr 2000. Tatsächlich sind viele Parameter genau genommen an manchen Tagen nur 3 oder 5 Tage vorhersagbar, an anderen 8 oder 10 Tage prognostizierbar. Bestimmte Wetterlagen und Abb. 4: Satellitenbild von Europa – Es zeigt den Nordwesten und Süden Deutschlands mit einigen Wolken. Der Osten Deutschlands wird von einem Regengebiet überzogen. Quelle: Deutscher Wetterdienst, Fernerkundung Regime haben eine höhere Erhaltungsneigung (sog. „stabile Hochdrucklagen“) als andere (z.B. Sturmtiefs), bestimmte Lagen sind für die Modelle leichter zu erfassen als andere. Unterschiede gibt es wie bereits erwähnt auch zwischen Sommer und Winter, Max und Min oder „skalige und konvektive“ Niederschläge. Oftmals weiß dies aber auch der beratende Meteorologe nicht im Voraus. Die Vorhersage der Vorhersagbarkeit bzw. des Vorhersagefehlers ist noch eine junge Disziplin, es ist noch ein weitgehend ungelöstes Problem. Ansätze dafür gibt es, in dem man beispielsweise untersucht, wie stark sich Prognosen unterschiedlicher meteorologischer Zentren für eine z.B. 5-tägige Vorhersage unterscheiden. Eine andere Methode ist es, die Startwerte des Vorhersagesystems zu verändern und zu beobachten, wie stark sich solche Änderungen auf die Vorhersage niederschlagen. Solche sog. „Ensemble“-Vorhersagen ermöglichen eine Einschätzung, wie sicher eine bestimmte Prognose ist. Die entsprechende Unsicherheit kann durch die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten der Prognosewerte oder durch Wahrscheinlichkeiten für das Über-/Unterschreiten bestimmter relevanter Schwellen ausgedrückt werden (Frostwahrscheinlichkeit, Gewitterwahrscheinlichkeit, Sturmwahrscheinlichkeit). Fazit Es gibt Parameter, Wetterlagen und Jahreszeiten, an denen die Vorhersagbarkeit 10 Tage erreicht, dies ist aber eher die Ausnahme. 5-Tages-Vorhersagen sind heute so gut wie vor 20 Jahren 2-Tages-Vorhersagen. Zu jeder wetterabhängigen Entscheidungsfindung sollte der Kunde die neueste verfügbare Prognoseinformation nutzen. Dazu ist es auch wichtig, die Fragestellung (nicht unbedingt das eigentliche Problem) aus Sicht des Kunden genau zu kennen, dann kann er auch mit der optimalen Information versorgt werden („kategorische“ oder Wahrscheinlichkeits-Vorhersagen). Der Deutsche Wetterdienst verfügt über die Vorhersagemodelle, die Interpretationsmethoden und die Meteorologen, um Sie geeignet zu beraten. Thomas Kratzsch Fon: 0 69/80 62 27 02 Fax: 0 69/ 80 62 36 76 E-Mail: [email protected] INNOVATION 4/2002 23
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