VERKEHR

Sonderdruck aus:
VERKEHR
Mit Ideen und E r f a h r u n g in die Z u k u n f t
Festgabe
für Hans-Christoph Seebohm
zur Vollendung seines 60. Lebensjahres
am 4. August 1963
Herausgegeben von
Prof. Dr. A n d r e a s P r e d ö h l
Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft
an der Universität Münster
D T J N C K E R & H U M B L O T / B E R L I N 1963
: Im, H.: VcrkchrsproMcmc und Meteorologie. Verkehr. Fest.,, >e für H. Gh. Seebohm zur Vollendung seines 60. LebensJa'.ires. Herausg. A. Predöhl. Berlin 1963. S. 181—190.
Im Rahmen einer Festschrift, die den Jubilar würdigt und
aus den verschiedensten Zweigen des Verkehrs Ideen, Erfahruagen und Ausblicke in die Zukunft zusammenträgt, berichtet
der Verfasser über die Aufgaben, die der Meteorologie vor allen
Dingen in der Wettervorhersage erwachsen werden. Ein Überblick, der vor allen Dingen dem Nichtmeteorologen gute Einblicke vermitteln kann in Zusammenhänge, die man gern
übersieht.
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1/7/WV.
Inhalt
Würdigung
Hans-Christoph Seebohm — Persönlichkeit und "Wirken
Von Dr. Rudolf Fischer f
19
Mit Ideen
Verkehrspolitik — heute
Prolegomena zu einer soziologischen Studie über internationale
Verkehrsprobleme der Gegenwart
Von Professor Dr. Edgar Salin
31
Verkehr als Aufgabe
Von Professor Dr., Dr. h. c. Otto Most
45
Weltwirtschaft und Verkehr
Von Professor Dr. Andreas Predöhl
57
Verkehrstechnik heute und morgen
Von Professor Dr. Paul Koeßler
75
und
Erfahrung
Die Deutsche Bundesbahn und die Zukunft
Von Professor Dr. Heinz Maria. Oeftering,
l. Präsident und Vorsitzer des Vorstands der Deutschen Bundesbahn
99
Die Binnenschiffahrt im Umbruch
Von Dr. Wilhelm Geile,
Präsident des Zentralausschusses der deutschen Binnenschiffahrt e. V. • • 109
Der gewerbliche Straßenverkehr
Seine wirtschaftliche und technische Entwicklung
Von Georg Geiger, Präsident der
Zentralarbeitsgemeinschaft des Straßenverkehrsgewerbes e. V
Die Lage der deutschen Seeschiffahrt
Von Professor Dr. Rolf Städter,
Präsident des Verbandes Deutscher Reeder
119
. 129
Verkehrsprobleme und Meteorologie
Von Hermann Flohn
Ein Vierteljahrhundert, nachdem ein kühner Flieger das große Abenteuer wagte, mit einer einmotorigen Maschine in mehr als 30 Stunden den
Atlantik zu überqueren, war diese heroische Tat schon Routine geworden.
Im Jahre 1962 überquerten mehr als 2,5 Millionen Menschen auf dem
Luftwege den „großen Teich" in einer reinen Ozeanflugzeit von nur noch
4 bis 5 Stunden, meist in 11 bis 12 km Höhe in der unteren Stratosphäre
fliegend, also oberhalb der Troposphäre, in der allein sich Wolken und
Wetter sichtbar abspielen. Aber über 800 000 Menschen vertrauen sich
noch den großen Überseeschiffen an, in der Hoffnung, sich während einiger
Tage ruhiger Fahrt ausruhen und erholen zu können, und sind bitter enttäuscht, wenn Sturm und Seegang diese Hoffnung zunichte machen. Nur
wenige dieser vielen Nutznießer des Verkehrs denken an die Zeit der
großen Wanderwelle von Europa nach Nordamerika in der Mitte des
letzten Jahrhunderts zurück, wo die vollgepferchten Auswandererschiffe
noch einen Monat oder mehr unterwegs waren. Ebenso wenige wissen, wie
sehr nach wie vor der Verkehr abhängig ist von Wetter, Wind und Wellen, und wie groß der Aufwand ist, mit dem die Wetterdienste aller
Staaten der Welt zu der Sicherheit dieses Verkehrs beitragen.
Die folgenden Zeilen sollen nicht die vielseitige Tätigkeit schildern, wie
sie heute der Meteorologe für alle Zweige des Verkehrs — auch für
Schiene und Straße — ausübt. Glatteis und Nebel sind auch für den
Fahrer am Lenkrad, ja selbst für den Lokführer immer noch von Bedeutung, die mit der Steigerung der Geschwindigkeit und aller technischen
Leistungen nicht abnimmt, sondern wächst. Vielmehr sollen hier einige
jetzt aktuell werdende Verkehrsprobleme herausgegriffen werden, wie sie
der Meteorologe sieht, dessen Fach sich infolge der technischen Fortschritte
heute in einem kaum je geahnten Aufschwung befindet.
Diesen meteorologischen aktuellen Problemen des heutigen Verkehrs
wird gelegentlich der Flugpassagier im bequemen Sitz unmittelbar gegenübergestellt. So gab am 12. Mai 1963 der Flugkapitän einer amerikanischen Verkehrsmaschine über den Bordlautsprecher die Meldung: „Stand-
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ort südlich Halifax (Neu-Schottland), Flughöhe 11 800 m, Fluggeschwindigkeit 1150 km/h, Rückenwind 300 km/h, bitte anschnallen, wir erwarten
mittelschwere Turbulenz." Wenige Sekunden später tauchte das Flugzeug aus der Stratosphäre in die nach Osten ansteigende Eiswolkenschicht
hinein, und zahlreiche kurze, harte Stöße — entsprechend einem Durchmesser der Turbulenzkörper von 50 bis 60 m — erschütterten mehr als
10 Minuten lang die Maschine. Dann riß die Wolkendecke auf, die Turbulenz verschwand ebenso rasch wie sie gekommen war, aber zwischen den
hoch aufgequollenen Wolkentürmen mit ihren in der Windrichtung lang
ausgezogenen Ambossen sah man unten die aufgewühlte See. Trotz einer
Flughöhe von 12 km erkannte man die Bildung und Auflösung von
Schaumkronen bei unregelmäßiger Kreuzsee. Unten auf der vielbefahrenen
Schiffsroute tobte ein gewaltiger Orkan, und in der Tat meldete das auf
52 ° N, 20 ° W gelegene Wetterschiff zu diesem Zeitpunkt eine mittlere
Windgeschwindigkeit von 80 km/h und eine Wellenhöhe von 13 m. Da
unten würde das Mittagessen sicher weniger gut schmecken!
In diesem kleinen Erlebnis manifestieren sich gleichzeitig mehrere der
aktuellen meteorologischen Verkehrsprobleme: In dem interkontinentalen
Flugverkehr, der sich im Niveau maximaler Windgeschwindigkeiten abspielt, bestimmt die Vorhersage der Höhenwindkomponenten weitgehend
die Flugroute, die Flugdauer und die Größe der Nutzladung bzw. des
Treibstoffverbrauchs. In diesem gleichen Niveau tritt aber auch oft eine
starke Turbulenz ein, nicht selten im wolkenfreien Raum, deren Rolle für
die Flugsicherheit keinesfalls unterschätzt werden darf. Die hohen Fluggeschwindigkeiten machen dabei eine Beschleunigung des meteorologischen
Nachrichtenaustausches notwendig. Beim Schiffsverkehr dagegen ergibt
sich aus der geringen Reisegeschwindigkeit und der hohen Empfindlichkeit
gegenüber dem Seegang die Notwendigkeit einer Streckenberatung auf
3 bis 6 Tage im voraus (mittelfristig).
Die Fragen der zukünftigen Entwicklung des Verkehrs sind heute nicht
mehr allein Domäne des Tedinikers und des Wirtschaftlers; für einige
ihrer Aspekte ist auch die Meteorologie zuständig. Nachdem sich nunmehr
die führenden Luftverkehrsgesellschaften entschlossen haben, Verkehrsflugzeuge mit einer Geschwindigkeit von mindestens 2500 km/h (2 bis
3 Mach) in Auftrag zu geben, ergeben sich neue Aufgaben für die praktische Meteorologie, die sorgfältige Überlegung und Planung beanspruchen.
Welche Leistungen erwartet der Verkehr in den nächsten 5 Jahren von
der Meteorologie? Zunächst muß die Vorhersage des Höhenwindfeldes
Verkehrsprobleme und Meteorologie
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und der Temperatur weiter verbessert werden und von den heutigen Flughöhen von etwa 12 km bis 25 oder 30 km Höhe ausgedehnt werden. Zwar
schrumpft bei den hohen Fluggeschwindigkeiten die Vorhersagedauer auf
wenige Stunden zusammen, aber gerade das erzwingt eine noch viel größere Beschleunigung des Nachrichtenaustausches und der meteorologischen
Analyse, d. h. der dreidimensionalen Darstellung der meteorologischen
Feldgrößen zu einem gegebenen Zeitpunkt. Zur Flugplanung wird aber
doch immer wieder eine 24- bis 36stündige Vorhersage benötigt werden,
wie sie heute für alle übrigen Zweige der Wirtschaft, des öffentlichen und
privaten Lebens unentbehrlich ist. Andererseits steigern sich die Anforderungen der Flugsicherheit, auch bei Start und Landung auf den so oft
nebelgefährdeten europäischen Flughäfen. Hieraus ergibt sich die Forderung nach einer wirtschaftlich tragbaren Nebelbekämpfung. Außerdem
muß die bisher noch in den Anfängen steckende mittelfristige Vorhersage
räumlich und zeitlich erweitert und inhaltlich verbessert werden, daß sie
auch für die Streckenberatung des Seeverkehrs im laufenden Betrieb angewandt werden kann.
Zur Durchführung dieser Aufgaben sind technische und wissenschaftliche Voraussetzungen notwendig, die erst in den letzten Jahren geschaffen
worden sind und deren Erprobung und Einführung in den Betrieb des
praktischen Wetterdienstes erst seit kurzem im Gange ist. Zwei dieser
Voraussetzungen sind einer breiteren Öffentlichkeit schon vorgestellt
worden, zum Teil jedoch unter Erweckung weit übertriebener Hoffnungen:
elektronische Rechenautomaten höchster Geschwindigkeit und Wettersatelliten, Eine dritte Voraussetzung ist ebenso wichtig, aber in der Öffentlichkeit kaum bekannt: der Einsatz modernster technischer Verfahren zur
Beschleunigung des Austausches meteorologischer Nachrichten. Zweifellos
war es bereits eine gute organisatorische Leistung, wenn meteorologische — »-iT
Beobachtungsdaten aus 15 bis 30 km Höhe aus den entferntesten Teilen der
Erdkugel — von Eisschollen in der Nähe des Nordpols bis zu den einsamen Atollen der tropischen Ozeane — nach 4 bis 5 Stunden in allen
meteorologischen Zentralämtern der Nordhemisphäre verfügbar foarcn. h- Zih
Wenn aber die Flugzeit Frankfurt/Main—New York auf 21/a Stunden
zusammenschrumpft, dann muß die Geschwindigkeit des Nachrichtenaustausches entsprechend gesteigert werden. Das setzt eine weitgehende
Automation und ganz neue Fernmeldeverfahren voraus. Wir können erwarten, daß dieses anspruchsvolle technische Problem gelöst wird in der
ausgezeichneten sachlichen Zusammenarbeit, die die Wetterdienste der
ganzen Welt in der Weltorganisation für Meteorologie trotz aller bestehenden politischen Spannungen entwickelt haben.
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Hermann Flohn
Welche wissenschaftlichen und organisatorischen Leistungen ergeben
sich nun für die Meteorologie aus diesen von der Praxis des Verkehrs gestellten AufgabenPEs sind 5 Entwicklungsgebiete, die alle Fortschritte auf
dem Gebiet der Grundlagenforschung wie auf dem Gebiet der Anwendung
erfordern, und die hier der Reihe nach kurz erörtert werden sollen.
1. Der Einsatz elektronischer Rechenautomaten eröffnet der Meteorologie die Möglichkeit, die Lösung der Grundgleichungen der theoretischen
Meteorologie — insbesondere der hydrodynamischen Bewegungsgleichungen — für ein mindestens die ganze Nordhemisphäre umfassendes Gebiet
fortlaufend vorzunehmen. Diese Aufgabe stellt die höchsten Anforderungen an Rechengeschwindigkeit und Speicherkapazität, die bisher an solche
Rechenautomaten gestellt worden sind. In einem in der Forschungsabteilung des Deutschen Wetterdienstes von K. H. Hinkelmann und seinen
Mitarbeitern entwickelten Rechenmodell wird der Zustand der atmosphärischen Felder in 5 Schichten mit insgesamt 11 000 Gitternetzpunkten
dargestellt, und die Rechnung muß für einzelne Zeitschritte von wenigen
Minuten vorgenommen werden. Wenn eine 24stündige Vorhersage nach
einer für die Praxis tragbaren Zeitspanne von höchstens 2 bis 3 Stunden
herausgegeben werden soll, dann erfordert dies eine Rechengeschwindigkeit von mehreren hunderttausend Operationen pro Sekunde. Dabei ist
aber entscheidend — das wird in der Öffentlichkeit meistens übersehen —
die Eingabe der Beobachtungsdaten und die dreidimensionale Analyse
des aktuellen Zustands der Atmosphäre. Zusammen mit der Sammlung,
Prüfung und Verarbeitung aller eingehenden Beobachtungen benötigt
diese dreidimensionale Analyse zur Zeit 6 bis 8 Stunden nach dem „synoptischen" Beobachtungstermin; diese Zeit muß auf l bis 2 Stunden heruntergedrückt werden. Außerdem fordert die gesamte Rechnung in der
Maschine eine höhere Genauigkeit und Objektivierung der Analyse, wie sie
„von Hand" selbst von den erfahrensten Meteorologen nie erzielt werden
kann. Diese dreidimensionale Analyse der meteorologischen Felder von
Luftdruck, Temperatur und Wind setzt nämlich die Einhaltung gewisser
Verträglichkeitsbedingungen voraus, deren vollständige Berücksichtigung
in horizontaler und vertikaler Richtung durch den analysierenden Meteorologen einen ganz untragbaren Zeitaufwand nötig macht.
Die Voraussetzung des Einsatzes elektronischer Rechenautomaten für
die Vorhersage ist also eine vollständige Automation der Dateneingabe
und der Wetteranalyse, die die von der Praxis geforderte Beschleunigung
überhaupt erst möglich macht. Die von dem Verkehr der Zukunft gestellten Aufgaben sind mit den bisher üblichen empirischen Arbeitsmethoden
überhaupt nicht mehr lösbar.
Verkehrsprobleme und Meteorologie
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2. Für eine einwandfreie, fortlaufende Analyse in 20 bis 30 km Höhe
muß die Meßgenauigkeit der Radiosonden innerhalb der Stratosphäre
noch verbessert werden. In 30 km Höhe sind Luftdruck und -dichte auf
etwa l % des Bodenwertes gesunken. Die von R. Scherhag und Mitarbeitern an der Freien Universität Berlin laufend durchgeführten Analysen
erweisen ihre Möglichkeit, zeigen aber zugleich die heute noch bestehenden
Fehler einiger Radiosondentypen auf.
Noch wichtiger erscheint es dem Verfasser, künftig die mit den Verkehrsflugzeugen selbst gegebene Möglichkeit meteorologischer Messungen weit
besser als heute auszunutzen. Diese scheiterte bisher an der als unzumutbar
betrachteten Belastung des fliegenden Personals. Dieser Einwand ließe sich
durch den Einbau automatischer Meßgeräte entkräften, die z. B. in Abständen von 15 Minuten Messungen von Temperatur, Flughöhe (Luftdruck) und Wind (mit dem Doppg^Radar) durchführen und verschlüsseln. /£_ /€r
Der Kostenaufwand beträgt nur einen sehr kleinen Bruchteil der Gesamtkosten einer modernen Verkehrsmaschine, der im Interesse der Flugsicherheit durchaus zu verantworten ist. Bisher konnten solche „nichtsynoptischen" Meldungen — z. B. Wind und Temperatur in 233 Millibar, gemessen um 22 h 17 min in 59,7 ° Nord, 28,3 ° West — nicht vollständig
ausgewertet werden, da man sie erst auf die üblichen Standardflächen und
Termine projizieren mußte. Die volle Automation der Wetteranalyse und
Vorhersage macht es möglich, diese „nicht-synoptischen" Meldungen mit
ihrem vollen Gewicht und mit geringstem Zeitaufwand bei der Analyse
und Vorhersage zu berücksichtigen.
3. Nachdem die ersten amerikanischen Wettersatelliten TIROS I bis IV
inzwischen etwa 250000 Wolkenaufnahmen und eine fast unübersehbare
Zahl von Strahlungsmessungen in verschiedenen Spektralbereichen geliefert haben, zeigen sich auch für den größten Skeptiker die kaum zu überschätzenden Möglichkeiten dieser Daten zur Verbesserung der Wetteranalyse. Während man vom Boden aus nur in wenigen Fällen die räumliche Verteilung der Wolken in Form von Wolkenstraßen und Bändern
richtig auffassen kann, ist diese Struktur schon für den Flugpassagier in
12 km Höhe — ganz besonders in subtropischen und tropischen Regionen
— leicht zu erkennen. Aus 700 km Höhe überschaut die Video-Kamera des
Satelliten mit einem Blick ein Gebiet von mehreren Millionen Quadratkilometern und sieht die Zuordnung der Wolkenstraßen zu den großräumigen Wirbel- und Wellenbewegungen der Troposphäre. Zwar ist es
nicht möglich, auf den Wolkenaufnahmen unmittelbar die Höhe der
Wolkenoberflächen abzuschätzen. Messungen im Bereich der infraroten
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•
Hermann'Flohn
'Wärmestrahlung liefern aber, wie in den letzten Monaten gezeigt worden
ist, ein sehr detailreiches Bild der Verteilung der .Oberflächentemperaturen: der Wolken und damit ihre Höhe. Bereits jetzt hat sich im praktischen Wetterdienst der große Nutzen der Wettersatelliten für die Erkennung und Lokalisierung der tropischen Zyklonen und von Neubildungen
in den Ozeanräumen der mittleren Breiten erwiesen. .
Schon die ersten Wettersatelliten haben — abgesehen von den erstaunlich geringfügigen Kinderkrankheiten — ausgezeichnete Ergebnisse geliefert. Doch ist das Problem ihrer fortlaufenden Verwendung in dem
gehetzten Betrieb des normalen Wetterdienstes, insbesondere auch im
Zusammenhang mit der objektiven Analyse, noch nicht in allen Einzelheiten als gelöst zu betrachten. Die von dem Wetterbüro der USA seit 1962
verbreiteten Analysen der TIROS-Wolkenaufnahmen zeigen einige schöne .
Möglichkeiten auf, liefern aber noch längst nicht genügend Einzelheiten..
Gerade hier werden neue Wege der Nachrichtenübermittlung beschritten
werden müssen.
•
4. Die mittel- und langfristige Wettervorhersage gehört zweifellos zu
den schwierigsten Aufgaben der Meteorologie. Zur Zeit beruht die mittelfristige Vorhersage im wesentlichen auf einer statistisch fundierten Extrapolation des augenblicklichen Zustandes, die langfristige Vorhersage auf
einfachen statistischen und Analogieschlüssen.
Es liegt nahe, auch auf diesen Gebieten das Heil von den eindrucksvollen technischen Fortschritten unserer Zeit zu erwarten, und phantasievolle Journalisten erwecken immer wieder unbegründete Hoffnungen auf
eine absolut zuverlässige Langfristvorhersage mittels Rechenmaschinen
und Satelliten. Zweifellos ist eine für alle praktischen Zwecke ausreichende
und allgemein einsatzfähige mittel- und langfristige Vorhersage mit den
heute verwendeten empirisch-statistischen Methoden nicht möglich. Einzelne schöne Erfolge bei zeitlich begrenzten Langfristvorhersagen können
nicht über 'ebenso spektakuläre Mißerfolge hinwegtäuschen.
Jede nähere Beschäftigung mit diesem Problem läßt rasch erkennen, daß
die physikalischen Voraussetzungen für eine wissenschaftlich einwandfreie
Lösung heute noch gar nicht gegeben sind. Das vor beinahe 100 Jahren
von Helmholtz geahnte, 1904 von V. Bjerknes klar umrissene Problem"
einer exakten Wettervorhersage setzt außer den jetzt bekannten Meßgrößen der Meteorologie noch eine vollständige Kenntnis des Strahlungsund Wärmeumsatzes an der Erdoberfläche und innerhalb der Atmosphäre
voraus. Diese Meßgrößen lagen bisher — von einigen Observatorien an
der Erdoberfläche und wenigen Versuchsaufstiegen mit Strahlungssonden
Verkehrsprobleme und Meteorologie
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abgesehen — noch gar nicht vor. Erst die Satelliten geben die Möglichkeit,
einige besondere wichtige Größen des Strahlungs- und Wärmehaushalts
von oben zu messen. Die heute in Entwicklung befindlichen Methoden der
mathematisch-physikalischen Vorhersage mit Rechenautomaten vernachlässigen diese Vorgänge absichtlich, um den Rechenaufwand nicht gar zu
sehr anschwellen zu lassen; das verursacht für die Vorhersage von 24 bis
48 Stunden anscheinend keine allzu großen Fehler. Diese Vernachlässigung
von Heizung und Abkühlung ist aber — wie F. Baur bereits 1936 festgestellt hat — bei der längerfristigen Vorhersage nicht mehr erlaubt. Die
Einbeziehung dieser Effekte erhöht aber die Kompliziertheit und den Zeitaufwand der mathematischen Rechenmethoden gleich um einige Zehnerpotenzen. Das Problem der langfristigen Witterungsvorhersage bezeichnete einer der größten Mathematiker unseres Zeitalters, der vor wenigen
Jahren verstorbene John von Neumann, einmal als das zweitschwierigste,
einem Rechenautomaten zugängliche Problem für den menschlichen
Intellekt. Mit dem ansteckenden Optimismus der großen Theoretiker
beantwortete er dann die naheliegende Frage nach dem schwierigsten dieser
Probleme mit dem Hinweis auf „human behaviour". Die Schwierigkeiten
einer rationalen, physikalisch-mathematischen Behandlung des LangfristProblems sind so groß, fast unüberwindlich, daß bisher nur ganz wenige
Arbeitsgruppen in der ganzen Welt sich an Versuche in dieser Richtung
gewagt haben.
Bei diesen Versuchen spielt aber ein grundsätzlicher Einwand eine Rolle,
der bisher noch nicht entkräftet werden konnte. Im Gegensatz zur Punktmechanik der Himmelskörper, wie sie etwa der Vorhersage einer Mondfinsternis zugrunde liegt, ist die Atmosphäre eine von Energiequellen und
-senken durchsetzte Gashülle, in der Instabilitäten verschiedener Art und
verschiedener Größenordnung auftreten. Drei von diesen Instabilitäten
seien genannt:
a) die kleinräumige kolloidale Instabilität von Eisteilchen und Wassertröpfchen in der Wolkenluft, die — mindestens außerhalb der Tropen
— bei der Entstehung von Niederschlag eine ausschlaggebende Rolle
spielt;
b) die thermodynamische Instabilität der Atmosphäre in vertikaler Richtung, die in Wolkenluft häufig zu einer von lokalen Zufälligkeiten abhängigen Auslösung von hochgetürmten Quellwolken, Schauern und
Gewittern führt;
c) die hydrodynamische Instabilität des großräumigen Windfeldes, die
beim Überschreiten gewisser Grenzbedingungen das horizontale Ne-
**- f
188
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beneinander der Windströmungen unstabil werden läßt, so daß eine
zufällige Störung des Gleichgewichts — durch hochreichende Gebirge
oder durch aufschießende Quellbewölkung — zu weitreichenden Umgestaltungen führen kann.
Es ist bisher noch nicht bekannt, ob und inwieweit diese Instabilitäten
mit den von ihnen bewirkten Energieumsetzungen die Brauchbarkeit der
mit den einfachen hydrodynamischen Gleichungen erzielten Vorhersagen
in Frage stellen. Es steht aber bereits fest, daß die jetzigen Methoden der
mathematisch-physikalischen Vorhersage gerade in den Gebieten die stärksten Abweichungen ergeben, in denen der Einfluß der Gebirge und die
Häufigkeit maximaler Konvektion (Quellwolkenbildung mit Niederschlag) am größten ist. Diese Fehlerquellen summieren sich natürlich mit
der Länge des Vorhersagezeitraumes.
Überblicken wir die jetzige Entwicklung des Vorhersageproblems, dann
müssen wir sagen, daß die potentiellen Möglichkeiten einer befriedigenden
Lösung noch nie so gut gewesen sind wie heute. Ob aber der Einfluß dieser
verschiedenen Instabilitäten überhaupt vorhersagbar ist, kann nur die zukünftige Entwicklung entscheiden. Wenn man immer wieder erlebt, wie
etwa eine plötzliche, geradezu explosionsartige Neubildung schwerster
Sturmzyklonen im Bereich des Golfstroms — wo die drei eben erörterten
Instabilitäten zusammenwirken — das Druck- und Windfeld der ganzen
Nordhemisphäre auf Wochen hinaus umstellen kann, dann wird man
sich bewußt, daß auch den heute gegebenen Möglichkeiten gewisse Grenzen
gesetzt sind, selbst wenn wir die genaue Position dieser Grenzen heute
noch nicht fixieren können.
5. Noch größere Hoffnungen sind auf dem Gebiet der künstlichen
Wetterbeeinflussung erweckt worden. Dies gilt vor allem für das spezielle
Gebiet der Physik der Wolken und der Niederschlagsbildung, auf dem
jedoch die sehr gründlichen und umfangreichen Untersuchungen der letzten 6 bis 8 Jahre ebenfalls recht enge naturgegebene Grenzen aufgezeigt
haben. Zweifellos ist eine Beeinflussung des Wetters — die Auflösung des
Nebels, die Auslösung von Niederschlag und vielleicht sogar die Bekämpfung des Hagels — möglich, aber nur unter ganz speziellen, sehr selten
verwirklichten Bedingungen und mit einem oft unwirtschaftlichen Aufwand. Untersuchungen zur Nebelbekämpfung haben gezeigt, daß der (in
Mitteleuropa verhältnismäßig selten auftretende) unterkühlte Nebel, der
aus Wassertröpfchen bei Temperaturen unter 0 ° besteht, durch Ausstreuen
entsprechender Partikel vom Flugzeug aus aufgelöst werden kann. Für
den viel häufigeren Fall von Nebel bei Temperaturen über 0 ° gilt dies aber
Verkehrsprobleme und Meteorologie
189
nicht. In der letzten Phase des zweiten Weltkrieges wurde in England die
Nebelbekämpfung in großem Stil durch Heizung des Flugfeldes erprobt.
Das ist anscheinend heute noch das einzige Verfahren mit ausreichender
Wirksamkeit, das aber wegen des zu großen Energieaufwandes für den
zivilen Verkehr kaum in Frage kommt. Wenn man erlebt, wie ein großer
Flughafen binnen weniger Minuten durch einen Nebeleinbruch aus der
unmittelbaren Umgebung stillgelegt wird, dann erkennt man schon die
Schwierigkeit einer Prognose, die ein heute gar nicht existierendes Netz
lokaler Stationen mit Meßgeräten voraussetzt. Vom Standpunkt des künftigen Flugverkehrs aus ist eine derartige Prognose aber überhaupt unzureichend: hier benötigen wir ein einsatzfähiges Verfahren zur Nebelbekämpfung, zumal die z. 2. in Entwicklung befindlichen Methoden der
Allwetterlandung auch nicht frei von meteorologischen Störungen sind.
Ganz im Gegensatz zu den vielfach gehegten Erwartungen macht die Entwicklung der Technik in der Verkehrsfliegerei diese nicht unabhängiger,
sondern abhängiger vom Wetter als vorher.
Dies sind nur einige Probleme der heutigen Meteorologie, die sich infolge
der oben charakterisierten technischen Möglichkeiten in einem erstaunlich raschen Aufschwung befindet. Viele andere müßten noch genannt
werden, die für die praktischen Anwendungen von ausschlaggebender Bedeutung sind, aber die Fragen des Verkehrs doch mehr am Rande berühren. Hierzu zählt das Problem der künstlichen Auslösung von Niederschlag und der Bekämpfung von Hagel, dazu gehört vor allem das sehr
weittragende Problem der künstlichen Modifikation des Klimas, die —
jedenfalls in den Tropen — sehr viel größere Möglichkeiten enthält, als
viele Wissenschaftler heute noch annehmen. Wenn man diese Vielzahl
neuer Möglichkeiten überschaut, wie sie sich insbesondere durch die Meßtechnik von Raketen und Satelliten her ergibt, dann mag man es bedauern,
daß die großen Weltmächte zunächst die spektakulären Möglichkeiten der
eigentlichen Weltraumforschung in Angriff nehmen, anstatt sich auf die
Entwicklung der meteorologischen Forschung in wirklich großem Stil zu
konzentrieren, die nur einen Bruchteil des Aufwands erfordert. Der amerikanische Präsident J. F. Kennedy ist — in seiner Regierungserklärung vom
Januar 1961 — auf diese Entwicklungsmöglichkeiten der Meteorologie
eingegangen und hat alle Länder aufgefordert, gemeinsam mit den USA
ein Programm zur Förderung der Wettervorhersage aufzustellen.
Zweifellos kann heute keine Nation von Rang mehr sich einer ernsthaften Beteiligung an der Weltraumforschung entziehen. Liegt uns aber
nicht das Hemd näher als der Rock? Die vollständige Erfassung aller Meß-
190
Hermann Flohn
großen des Strahlungs- und Wärmehaushalts der Erdoberfläche und der
Atmosphäre mit modernen Meßmethoden und die vollständige Auswertung dieser Daten mit den heutigen Einrichtungen zur Datenverarbeitung
versprechen für die Menschheit einen mindestens ebenso großen Gewinn
wie die Erforschung der Rückseite des Mondes.
"V
^
••
Die deutsche Luftfahrt
Gedanken zu ihren gegenwärtigen und zukünftigen wirtschaftlichen
und technischen Problemen
Von Dr. h. c. Hermann ]. Abs,
Vorsitzender des Aufsichtsrates der Deutschen Lufthansa A. G
137
Die Rationalisierungsbewegung im Speditions- und Lagereigewerbe
Von "Willy Max Rademacber, MdB,
Präsident der Arbeitsgemeinschaft Spedition und Lagerei e. V
145
in die Z u k u n f t
Technische Probleme des modernen Straßenbaus
Von Professor Alfred Böhringer
155
Die Binnenwasserstraßen in der Bundesrepublik Deutschland
Von Professor Dr. Karl Förster
169
Verkehrsprobleme und Meteorologie
Von Professor Dr. Hermann Flobn
181
Die Eisenbahn heute und morgen (mit zehn Abbildungen)
Von Professor Dr. Ewald Graßmann
'
191
Nicht im Handel!