Wie mussStrafesein? - Berufskolleg Ost der Stadt Essen

Isolation
vs.
Integration
Wie muss Strafe sein?
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Einleitung
Inhaltsverzeichnis
Liebe Leserin, lieber Leser,
Was sagen eure Mitbürger?
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Die Jugendvollzugsanstalt
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Damit´s erst gar nicht in den Knast geht
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Funktioniert das System?
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wir, die Mediengestalterklasse MG-M3 des Berufskollegs Ost der Stadt Essen, haben
uns im Rahmen der Projektarbeit mit folgender Frage auseinandergesetzt:
„Ab in den Knast – Wie muss Strafe sein?“
Hierbei haben wir den Knast und die alternativen Maßnahmen gegenübergestellt und
möchten Euch durch unsere Dokumentation aufklären um dieser Frage eine angemessene Antwort entgegenzustellen.
„Isolation vs. Integration“
Gefängnis, erzieherische Maßnahmen oder eine Kombination aus beidem?
Das deutsche Jugendstrafrecht möchte den Fokus auf den erzieherischen Auftrag legen
und gibt der Prävention Vorrang vor der Sanktion.
Wie sieht die Realität aus?
Sind die Strafen tatsächlich so sinnvoll und durchdacht, wie man es sich von einem
rationalen „Erziehungsberechtigten“ wünscht? Inwieweit ist von einer positiven
Wirkung auf den einzelnen Jugendlichen auszugehen?
Sind die alternativen Strafen, die es im Erwachsenenstrafrecht nicht gibt, sinnvoller
als Knast? Gibt es vielleicht noch andere Möglichkeiten zu „strafen“, um eine maximale
Resozialisierung zu erreichen?
Interview mit Passanten
Interview mit Jürgen Höfinghoff
Paidaia, Verein für sozialpädagogische Förderung
Jochen Witter, Jugendkontaktbeamter, Polizei Essen
Wie wär´s mit kreativen Strafen?
Die Arbeit des Jugendrichters Andreas Müller, Berlin
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Wie sieht die öffentliche Meinung aus, wie Jugendliche und Heranwachsende zu bestrafen sind?
Ihr seht, es sind weitaus mehr Fragen nötig um an dieses Thema heranzugehen.
Wir hoffen, Euch mit unserer Projektarbeit ein wenig Aufklärung verschaffen zu können.
Viel Spaß beim Lesen!
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Was sagen eure Mitbürger?
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Öffentliche Meinung
Wie sieht die Meinung der Öffentlichkeit zum Thema Strafen für jugendliche Kriminelle
aus? Um dies festzustellen, sind wir in die Essener Innenstadt gegangen und haben
Passanten verschiedene Fälle von Jugendkriminalität vorgestellt. Die Befragten sollten
raten, wie hoch die Strafe für die jeweilige Tat war. Die Reaktion auf das tatsächliche
Strafmaß war sehr unterschiedlich. Hier einige Ausschnitte.
„Jugendliche sollten erzogen
hat,
„Wer keine Arbeit
Doris, 70
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„Wegsperren ist nicht das Ric
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Jugendliche haben viel zu vie
l Freizeit!“ - Astrid, 68
4
„Nur Wegsperren ist zu wenig!“- Ludger, 51
„Die Stuhlkreissitzungen bringen gar nichts!“ - Fabian, 29
werden!“ - Javus, 23
„Lebenslänglich!“ - Felix, 19
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„Im Knast habe ich
- Ömer, 27
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und eine Aus
„Urteile sind zu lasch!“ - Serhan, 27
„Der Knast schreckt nicht ab
!“ - Kamal, 23
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Jugendvollzugsanstalt
Interview mit Jürgen Höfinghoff
Am Montag, den 14.10.2013, führten wir ein Interview mit Herrn Höfinghoff, einem Lehrer
aus der Jugendstrafanstalt in Iserlohn. Da sich jeder Jugendliche von dem anderen unterscheidet, antwortet Herr Höfinghoff allgemein und subjektiv auf unsere Fragen.
Außerdem besteht auch die Möglichkeit eines Berufsorientierungsjahres und eines
Berufsgrundschuljahres mit den Zielen eines Hauptschulabschlusses nach Klasse 9
oder nach Klasse 10 (Typ A) und einer Fachoberschulreife (FOR).
Wie sieht ein typischer Tag in der JVA für einen Jugendlichen aus?
Inwiefern werden die Weiterbildungsmöglichkeiten von den Jugendlichen wahrgenommen?
Die Jugendlichen werden um 6 Uhr geweckt. Der Schul- bzw. Ausbildungsbeginn ist dann
zwischen 7 und 7.45 Uhr. Von 11.15 bis 12.30 Uhr haben alle Mittagspause. Danach geht
die Schule/Ausbildung bis 15.30 Uhr weiter. Dann haben die Jugendlichen Freizeit. Diese
Freizeit wird entweder in organisierten Freizeitgruppen gestaltet oder in den Hafthäusern im sogenannten „Umschluss“, wobei sich die Jugendlichen mit anderen zusammen
in den Hafträumen einschließen lassen und so ihre Freizeit zusammen verbringen.
Spätestens um 20.30 Uhr ist dann Nachtverschluss.
Gibt es besondere gesellschaftliche Strukturen unter den
Häftlingen?
Ja, gelegentlich kommt es zu Gruppenbildungen, die politisch oder national motiviert
sein können. Allerdings nicht in der Intensität, die gerne in amerikanischen „KnastFilmen“ breitgetreten wird, da wir solche Bestrebungen früh erkennen und unterbinden.
In der Regel handelt es sich bei Konflikten der Gefangenen um jugendtypische Findung
von Rangordnungen.
Wie beurteilen Sie die bessernde Wirkung, die eine Freiheitsstrafe
haben soll?
Auch das lässt sich schwer verallgemeinern. Meine subjektive Meinung ist, dass kurze
Strafen, also unter zwei Jahren, oft weniger nachhaltig wirken, als längere Haftstrafen.
Die längere Verweildauer führt zu Schul- oder Berufsabschlüssen – auch Therapien sind
langfristig angelegt.
Welche Weiterbildungsmaßnahmen können Jugendliche
wahrnehmen?
Es gibt die Möglichkeit, eine Ausbildung in verschiedenen Branchen, wie Bau, Metall,
Elektro, Garten- und Landschaftsbau und Maler/Lackierer abzuschließen.
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Individuell sehr verschieden. Zu Beginn oft widerwillig, nach einiger Zeit jedoch immer besser. Außerdem wissen die Jugendlichen, dass sie ohne Schul- oder Ausbildungsplatz nichts
zu tun haben, sie haben kein Taschengeld und eine frühere Entlassung ist unwahrscheinlich. Daher kann man nicht genau sagen, ob die Jugendlichen dieses Angebot wahrnehmen,
weil sie Spaß dran haben und wissen, dass sie wirklich etwas lernen, oder ob sie es nur des
Geldes wegen machen und aus der Hoffnung heraus, früher entlassen zu werden.
Sehen die Jugendlichen darin selber ihre Chance auf eine bessere
Zukunft?
Oberflächlich ist jedem klar, dass er mit Schul- oder Berufsausbildung besser da steht,
als ohne. Allerdings zweifeln viele an, ob das die Chance, in ein geordnetes Leben zu
finden, deutlich erhöht.
Würden Sie sich wünschen, dass es mehr alternative „Strafen“ in Form
von „Resozialisierungsprogrammen“ für die Jugendlichen gäbe?
In dem Bereich wird ständig neues versucht. Allerdings mit wenig Erfolg. Wenn Verwarnungen, Sozialstunden, Jugendarrest
oder Heimunterbringungen nicht gegriffen
haben, bleibt dem Richter irgendwann
nichts anderes mehr übrig als der Jugendstrafvollzug. Bei schweren Gewaltdelikten
schon aus Schutzgründen für die Gesellschaft. Intern sind wir schon ganz schön
alternativ: Es geht bei uns nicht um das
„stumpfe Absitzen“ sondern um Erziehung, Therapie, Betreuung und Freizeit.
Damit´s erst gar nicht in den Knast geht
Paidaia, Verein für sozialpädagogische Förderung
Gefängnisstrafe für Jugendliche soll laut Gesetzgeber keine sanktionelle, sondern eine
erzieherische Wirkung haben.
Doch gerade bei Wiederholungstätern stellt sich immer wieder die Frage, ob Knast
tatsächlich auch die Wirkung hat, die beabsichtigt wird. Schaut man sich Vereine
wie „Paidaia“ (griech. Erziehung und Bildung) aus Bochum an, scheint es alternative
Möglichkeiten zu geben, die wirkungsvoller sind.
Der 2009 durch Ibrahim Ismail gegründete Verein hat sich auf die Förderung und Weiterbildung sozial benachteiligter und verhaltensauffälliger Kinder und Jugendliche spezialisiert, um sie in ihrer Identitätsfindung zu unterstützen und in ihnen die
Bereitschaft zu entwickeln, sich als aktive und mündige Bürger in die Gesellschaft zu
integrieren.
Ibrahim Ismail zieht die Leitidee seiner Arbeit aus dem Prinzip des sowjetischen Pädagogen Anton Semjonowitsch Makarenko Anfang des 20. Jahrhunderts:
„Ich fordere Dich, weil ich Dich achte, und ich achte Dich, weil ich Dich
fordere.“
Verhaltensauffällige Jugendliche dürfen nicht von vornherein aufgegeben werden.
Man muss sich mit ihnen intensiv und individuell befassen, ihnen zeigen, dass man
an ihre Fähigkeiten glaubt und überzeugt davon ist, dass sie ihr eigenes Schicksal in
die Hand nehmen werden. Man muss ihnen verdeutlichen, dass sie „Berge versetzen“
können, wenn sie nur den Willen dazu haben und es nur ihre Willenskraft ist, welche
den Antrieb für ihren eigenen Weg bildet.
Laut Polizeiangaben ist die Jugendkriminalität seit Beginn des Projektes stark gesunken.
Über die immer wiederkehrenden Rufe nach einem verschärften Jugendstrafrecht
ärgert sich Ibrahim Ismail, denn er hält wenig davon, jugendliche Straftäter in Boxoder Bootcamps umerziehen zu wollen, in denen man vor allem auf Autorität und
Disziplin setzt.
„Paidaia“ arbeitet ebenfalls mit Druck, klaren Ansagen und Selbstverpflichtungen,
vor allem aber mit Achtung und Vertrauen.
Und die Erfolge sprechen für sich: Über 34 ehemalige „Paidaia“-Jugendliche aus dem
sozialen Brennpunkt in Wuppertal-Vohwinkel haben trotz aller widrigen Umstände ihr
Abitur geschafft und studieren mittlerweile. Die Straftaten einer Jugendgang von Intensivtätern, an der Jugendamt und Polizei scheiterten, sind dank „Paidaia“ auf nahezu
null gesunken.
Sind dies nicht genau die Ergebnisse, die man sich von einer pädagogischen Strafe
wünscht? Wäre es dann nicht sinnvoll, solche Programme nicht mehr nur als positive
Einzelfälle zu betrachten, sondern deutschlandweit gesetzlich eine Plattform zu schaffen, um jedem Jugendlichen, für den ein solches Programm geeignet ist, die Teilnahme
zu ermöglichen?
Das Projekt „Rückenwind“ beinhaltet die gezielte Einbindung der Jugendlichen in die
Projektstruktur und sichert somit kontinuierliche Aktivität aller Beteiligten innerhalb
dessen. Darüber hinaus wird eine Patenschaft für einen weiteren Jugendlichen übernommen, welche Verantwortungsbewusstsein und bedachtes Handeln erfordert.
Die Teamleiter eines Projektteams sind selbst Jugendliche bzw. junge Erwachsene,
die über das Projekt gefördert wurden bzw. werden, wodurch sie den anderen Jugendlichen als authentische, positive Rollenvorbilder dienen.
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Funktioniert das System?
Jochen Witter ist Jugendkontaktbeamter der Stadtbezirke 1 und 7 der Stadt Essen,
also Stadtmitte und Umgebung. Sein Fachgebiet sind straffällige Kinder, Jugendliche
und Heranwachsende, außerdem hat er es sich zur Aufgabe gemacht, in dieser Altersgruppe Aufklärungsarbeit zu leisten, um bei ihnen ein Verständnis dafür zu schaffen,
wie es zur Straftat kommt und was danach passiert.
Wir wollten gerne von ihm wissen, ob Freiheitsstrafen für Jugendliche und Heranwachsende wirklich Sinn machen. „Kennen Sie sich etwas mit dem Strafsystem aus?
Wissen Sie, wie so eine Strafe funktioniert?“ lautet seine Gegenfrage.
Gut, also erstmal ein paar Fakten:
Zunächst gibt es die Einstellung des Verfahrens, das dann zum Einsatz kommt, wenn
der Jugendliche eine geringe Straftat begangen hat, sich an alle Anweisungen gehalten
und gegenüber Polizei und Opfer Reue gezeigt hat, eventuell verbunden mit gewissen
Auflagen wie Coolnesstraining, Anti-Gewalttraining oder dem sogenannten „Klaukurs“,
in dem man NICHT lernt, wie man klaut, sondern in dem einem das Wesen eines
Warenhauses erklärt wird, damit man gegenüber dem Opfer Sensibilität entwickelt.
Der nächste Schritt wäre dann die Geldstrafe.
„Und, wozu haben sie Dich
diesmal verdonnert?!“
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„250 Euro Geldstrafe,
gib mal rüber!“
„Glauben Sie, dass es wirklich so läuft?
Nein, natürlich nicht!“
Der Jugendliche sollte das Geld aus seinem eigenen Bestand aufbringen. Er kann zum Beispiel einige Monate lang von seinen 40 Euro
Taschengeld 20 Euro abgeben, das merkt man sich dann schon.
Der nächste Schritt lautet mindestens fünf und höchstens 200 Arbeitsstunden. Stellt
man sich einen Schüler vor, der wegen vermehrtem Schwarzfahren 30 Stunden bekommen hat, bis 14 Uhr in der Schule sitzt und danach noch an zehn Nachmittagen von 15
bis 18 Uhr Laubfegen muss. „Da fragt der sich schon: Was mache ich eigentlich hier?
Warum bin ich in diese Situation gekommen? Und genau darauf setzt man auch.“
Nun kommen wir zu den ersten freiheitsentziehenden Maßnahmen: Der Freizeitarrest;
für Mädchen in Wetter an der Ruhr und für Jungs …
„Denn der schönste Platz auf Erden, ist der Jugendknast in Werden.“
„Samstags morgens um 8 Uhr Erscheinen, natürlich ohne Tabak, Handy,
iPhone und so weiter. Man wird natürlich körperlich durchsucht und
dann erfolgt erstmal der Einschluss in die Zelle. So eine Zelle hat mehrere Besonderheiten, zum einen ist da kein wirkliches Fenster drin,
das man öffnen kann, also müffelt sie ein bisschen, zum anderen ist
da drin ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett und ein Klotopf und das war
es so ziemlich. Dann geht die Tür zu, die wird verriegelt und
abgeschlossen und in dem Moment kommt es sicherlich dazu, dass so ausgewachsene Bratbären dann
mal ein Taschentuch brauchen, weil die sich sagen:
„Wow, was ist denn hier los?“ Dann sitzt man da
seine Zeit ab. Wer sich aufs Bett legt oder so, der
kriegt einen Anschiss. Das Bett wird dann entweder
rausgetragen oder an die Wand gekettet. Und man
kann sich im ersten Teil seines Aufenthalts schriftlich
Gedanken zur Tat machen. Wenn man sich vernünftig aufgeführt hat, kann man abends
vielleicht eine Stunde fernsehen. Aber nicht Sportschau oder so, sondern einen Film
zur Pflichtenmahnung und der ist nicht ohne. Um 22 Uhr wird das Licht ausgemacht,
Sonntags morgens wird man geweckt und dann kommt wie in einem schlechten Film eine
Stunde Hofgang. Im zweiten Teil seines Aufenthalts kriegt man dann wieder etwas zu
schreiben und dann darf man sich Gedanken zur Wiedergutmachung der Tat machen, in
schriftlicher Form. So vergeht dann der Sonntag.
Montagmorgen 5 Uhr erfolgt die Entlassung, damit auch jeder pünktlich in der Schule
oder bei der Arbeit erscheinen kann.“
Und, schreckt das ab?
Laut Jochen Witter ist das für diese Zielgruppe genau das richtige. Diese Strafe ist vor
allem für Jugendliche, die ihre Arbeitsstunden nicht abgeleistet haben. Natürlich gibt es
auch welche, für die das nur so eine Kerbe im Colt ist, die das auf einer Arschbacke absitzen. Aber angenehm ist so ein Freizeitarrest anscheinend nicht.
Nach dem Freizeitarrest kommt der Dauerarrest, mindestens eine und höchstens
vier Wochen. Da gibt es etwas mehr „Freiheit“, man darf auch mal eine rauchen und fernsehen. Jedoch wird diese Strafe natürlich in den Schulferien abgesessen. Schöne Herbstferien: Freitag ist der letzte Schultag, Knast von Samstag bis Samstag, Montag geht‘s
wieder zur Schule. Danach kommt die Jugendhaft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren,
die auch zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Hat denn so etwas einen positiven, einen bessernden Effekt auf die
Jugendlichen?
Jochen Witter meint dazu: „Wenn man glaubt eine Strafandrohung führt dazu, dass die
Leute weniger Blödsinn machen, der irrt. Wer glaubt das eine möglichst harte Strafe den
Menschen bessert, der irrt meiner Auffassung nach auch. Weil Strafe oder auch harte
Strafen machen die Menschen nur selten besser.“ Das Einzige, was man aus dem Jugendknast Positives mitnehmen kann, ist laut Jochen Witter eine abgeschlossene Berufsausbildung, die man ohne Freiheitsstrafe vielleicht nicht geschafft hätte. Das macht den
Jugendknast in seinen Augen allerdings keinesfalls sinnlos. Für 2 - 3% der jugendlichen
Straftäter gilt: Vor diesen jungen Menschen muss die Gesellschaft geschützt werden.
Hier hat der Strafanspruch des Staates Vorrang vor einem erzieherischen Auftrag, da
ist sozusagen der Spaß vorbei. Für die restlichen 97 - 98% gilt: Es müssen die Umstände des Einzelfalls beleuchtet werden, vor allem, wie einsichtig und kooperativ der
Täter ist. Knast kann seiner Meinung nach auf den Jugendlichen einen sehr negativen
Einfluss haben.
„Knast ist ein Kosmos für sich.“
„Wir müssen uns ja nichts vormachen, dass es im Knast sexuelle Gewalt gibt, ja das
ist so. Das da auch Rang- und Hackordnungen ausgeboxt werden, auch das ist so.
Lernt man dort, wie man später in Freiheit wieder ein vernünftiges, normales Leben
führen kann? Ich hab da so meine Zweifel. Aber wenn tatsächlich ein Mensch zu Tode
gekommen ist, weil ein anderer da aktiv dran mitgewirkt hat, was sollen wir machen?
Hilft da Kuschelpädagogik nach dem Motto: Nächstes Mal passt du ein bisschen auf?
Ich glaube nicht.“
Kinder
30.000
Jugendliche
Heranwachsende
25.000
20.000
15.000
10.000
5.000
0
2003
2005
2007
2009
2011
Daten Statistik:
© LKA BW, 2011
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Wie wär´s mit kreativen Strafen?
Die Arbeit des Jugendrichters Andreas Müller, Berlin
Man sagt von ihm, er sei der härteste Jugendrichter Deutschlands:
Andreas Müller, Jugendrichter in Bernau. Das klingt, als ob Herr Müller jeden straffälligen Jugendlichen sofort und solange wie möglich hinter schwedische Gardinen bringt.
Doch was steckt wirklich hinter diesem „Titel“? Andreas Müller verhängt die Strafen auf
eine sehr durchdachte Art und Weise, auf jeden Jugendlichen individuell zugeschnitten,
um die größtmögliche präventive Wirkung in Hinblick auf zukünftige Straftaten zu erzielen.
Neonazi wird zum Döneressen verdonnert
Ein Beispiel: Ein junger Mann ruft „Sieg Heil“ und „Ausländer raus“ in der Öffentlichkeit.
Das Urteil: Der Jugendliche muss, begleitet von einem Betreuer, nach Berlin Kreuzberg
reisen, um dort in Gesellschaft von jungen Ausländern einen Döner zu essen.
Das soll eine Strafe sein? Klingt doch eher nach einer Belohnung! Aber das ist hier nicht
der Punkt: Müller sieht die Tat als Reaktion von Angst vor dem Unbekannten. Wenn der
Straftäter keine Berührungspunkte mit ausländischen Jugendlichen hat,
kann sich eine Barriere aufbauen, die zu Gewalttätigkeiten führt.
Bei Ersttätern, gerade in der Neonazi-Szene, ist es seiner Meinung nach sinnvoll, harte
Strafen wie den sogenannten „Warnschussarrest“ zu verhängen, um die abschreckende
Wirkung zu maximieren. Er fordert, dass Strafen schneller verhängt werden sollten,
da der Jugendliche sonst für Straftaten, die er in der Zwischenzeit verübt, teilweise nicht
zur Rechenschaft gezogen werden kann. Außerdem fordert er kürzere Haftstrafen,
die er in vielen Fällen als besonders wirkungsvoll erachtet. Die verhängte Strafe soll auch
ein Signal an andere Jugendliche sein, um die Meinung „Es wird schon nichts passieren“
zu verhindern.
Ist sein Ansatz demnach der richtige?
Auf jeden Fall nimmt er den erzieherischen Auftrag, der im deutschen Jugendstrafrecht
verankert ist, quasi wortwörtlich. Wie ein „Erzieher“ durchleuchtet und analysiert er
die Umstände von Täter und Opfer und entscheidet nach Wirkungsweisen der angeordneten Strafen.
Ist jeder Jugendrichter im Stande, diesen Erziehungsauftrag zu erfüllen oder sehen wir
hier ein „Ausnahmetalent“? Sollte man Jugendrichtern einen noch größeren gesetzlichen Freiraum geben, wie zu strafen ist?
Eltern gehen auch nicht immer ihrem erzieherischen Auftrag in Perfektion nach, aber
hier handelt es sich um eine Form staatlicher Erziehung. Mit ein bisschen Optimismus
im Hinblick auf das Auswahlverfahren vor der Berufung zum Jugendrichter könnte die
Antwort durchaus „Ja“ lauten, denn letztendlich sieht man hier ein gut durchdachtes
und ausgewogenes Verhältnis von Isolation und Integration als Strafe.
Unser Fazit
Wie muss Strafe denn nun sein?
Es ist uns im Laufe des Projektes schnell klar geworden, dass die Antwort darauf, wie
Strafe sein muss, sehr davon abhängt, wem man die Frage stellt. Eine Antwort zu finden,
die jedem gefällt, ist demnach nicht möglich. Aber worauf es ankommt, ist, dass man
feststellt, ob der Auftrag, den das Jugendstrafrecht hat, erfüllt wird oder nicht. Und dies
konnten wir letztendlich mit gewissen Einschränkungen bejahen.
Es gibt kein Katalogstrafenregister für Jugendliche. Nicht jedem jugendlichen Straftäter
im selben Alter würde dieselbe Strafe für dieselbe Straftat verhängt werden. Der Staat
schaut auf die Einzelfälle, beurteilt jeden Jugendlichen mit Rücksicht auf die Umstände.
Die Beweggründe, Reue und Einsicht wären nur einige Beispiele, dass es nicht möglich ist
eine Strafe ohne eine individuelle Betrachtung zu verhängen.
Das gesetzlich vorgegebene System ist alles in allem NICHT fehlerhaft. Es gibt allen
Beteiligten die Instrumente an die Hand, die sie für eine Kontrolle von Jugendkriminalität
benötigen. Je näher man das Thema beleuchtet, desto mehr scheint es notwendig, ein
ausgewogenes Verhältnis von staatlicher Erziehung, Sanktion und alternativen Ansätzen
zu schaffen. Diese müssten allerdings stärker finanziell gefördert werden und zudem
Aufklärung in der Gesellschaft betrieben werden, damit die Allgemeinheit, die sich zumeist nicht mit der Täterorientiertheit des Jugendstrafrechts anfreunden kann.
Inwieweit solche Programme wirken, lässt sich schlecht in Zahlen festhalten, damit kann
man schlecht Politik betreiben. Das bedeutet, dass die Gesellschaft die Erfahrungswerte
der Menschen nutzen sollte, die tagtäglich mit Jugendkriminalität zu tun haben, um eine
Ausweitung der alternativen Programme zu erzielen.
Zudem sollte der Staat keinesfalls auf „kreative Köpfe“ wie Andreas Müller verzichten, die
letztendlich genau den Sinn unseres Jugendstrafrechts verstehen und perfektionieren.
Und wünscht man sich nicht gerade vom Staat,
dass dieser sich die Zeit nimmt, etwas differenzierter in die Lebensumstände des Einzelnen zu
schauen, statt alle über einen Kamm zu scheren?
Der Jugendrichter ist vor allem eines: Konsequent.
Die Verurteilten sollen kompromisslos dort getroffen werden, wo es wehtut. Viele jugendliche Verurteilte bedanken sich später bei ihm und schwärmen von der läuternden Wirkung, die die Strafe auf sie hatte. Die brandenburgische Stadt Bernau war in den 90ern
als Neonazi-Hochburg bekannt, nach Verurteilungen durch Andreas Müller wurden nach
kurzer Zeit keine Verbrechen mit rechtsextremem Hintergrund mehr verübt.
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Impressum
Diese illustrierte Dokumentation entstand im Zuge des Projektes „Schülerwettbewerb zur politischen Bildung 2013“.
Alle Inhalte wurden selbstständig erarbeitet und visuell umgesetzt.
Quellen
S. 7:Homepage Paidaia, www.paidaia.com
Zeitungsartikel „Der Freigeist“, DIE ZEIT, 20.05.2009
Zeitungsartikel „Was in ihnen steckt“, DIE ZEIT, 06.06.2013
S. 9: „Jugendkriminalität und Jugendgefährdung“ – Jahresbericht 2011, LKA BW
S. 10: Zeitungsartikel „Zur Strafe nach Kreuzberg zum Döneressen“, DIE WELT, 08.09.2013
Fotonachweise
S. 1: © Eky Studio/shutterstock.com
S. 4: © Maclatz/pixelio.de
S. 6: © www.jva-iserlohn.de
S. 7: © paidaia.com
© William Perugini/shutterstock.com
S. 10: © Worldofmillions.com - Norman Ermer/pixelio.de
© Carlo Schrodt/pixelio.de
© Amin Akhtar/welt.de
Alle weiteren Fotos wurden von der Klasse MG-M3 des Berufskollegs Ost der Stadt Essen aufgenommen.
Konzept und Visualisierung
Berufskolleg Ost der Stadt Essen
Knaudtstraße 25
45138 Essen
Telefon:0201-8840788
Telefax:0201-8840799
E-Mail:[email protected]
Klasse: MG-M3
Frau Ullner, Herr Kunze
Timo Böning, Liza Czinczoll, Michelle Di Stefano, Nina Gramlich, Eileen Hielscher, Nicole Karger, Naomi Kremski,
Marvin Lettmann, Britta Löns, Tim Müller, Olivia Olszewski, Ekaterini Paschalidou, Mark Plumhoff, Nik Reigle,
Timo Schibgilla, Lisa Schoppa, Gina Thiemann, Julian Timmer, Julien Wolf