Wie die Arche Noah auf den Napf kam - Die Onleihe

2. Auflage 2011
2978-3-85869-457-7
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Al Imfeld
Al Imfeld, geboren 1935, aufgewachsen
im Luzernischen. Studium der
Theologie, Philosophie, Soziologie,
dann Journalismus und Agrarwissenschaften. Nach Aufenthalten in
afrikanischen Ländern, wo er u.a.
Agrarwissenschaften unterrichtete,
lebt er heute in Zürich. Entwicklungsexperte, Mitarbeit bei Radio und
Zeitungen. Geschichtenerzähler. Zahlreiche Buchveröffentlichungen.
»Heute nenne ich es die gute
alte Zeit und werde aus der
Ferne gar nostalgisch, denn
es ist der Ort meiner Kindheit.
Und als Kinder hatten wir
wenig von der Zänkerei und
dem gegenseitigen Futterneid
mitbekommen. Doch heute
höre ich bei jedem Besuch
Geschichten darüber, wie man
sich damals gehasst habe
und am liebsten ab und zu dem
anderen die Bude angezündet
oder ihn oder auch sie gar
umgebracht hätte.«
Wie die Arche Noah auf den Napf kam
Rotpunktverlag.
Rotpunktverlag.
Al Imfeld
In einem Mosaik von Geschichten
lässt Al Imfeld das Luzerner
Hinterland der Dreißiger- und
Vierzigerjahre des letzten Jahrhunderts aufleben. Humor und
Wehmut halten sich die Waage im
Gang durch die Welt von einst,
als links und rechts der Kreuzstiege, in Hergiswil und Luthern,
noch zwei verschiedene Zeiten
eingeläutet wurden.
Imfeld erzählt, wie die Käserei
in Buttisholz einging, wie die
Wirtshäuser der Roten und der
Schwarzen verschwanden und
wie aus seinem Dorf eine bloße
Ortschaft wurde. Aber er verklärt
die Vergangenheit nicht: In seinen Geschichten kommen auch
Dürren vor, es gibt Kinderarbeit,
die Armenküche der Bettelmönche und die abgeschlossene
Welt der Feudalherren. Und die
Kleinbauern und Pächter spielen
»Armenseelenlotto«.
Wie die Arche Noah
auf den Napf kam
Kindheitsgeschichten
aus dem Luzerner Hinterland
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Inhalt
7 Mein Dorf
13 Der Landessender Beromünster
18 Von Pfyffers Gnaden
25 Die Mission des Sonntagsbratens
30 Geweihte Wasser
35 Das Geheimnis der Kapuzinerkutte
42 Das Jahr der Engerlinge
46 Gegrüßt seist du, Maria
52 Aloisius-Bruderschaft und Seppi-Verein
56 Unser Domherr und Dekan
64 Ein schräger Himmel
67 Die Gut-Wetter-Kapelle
73 Der Opferknopf
76 Aufs Grab gehen
81 Das letzte Geleit
87 Armenseelen-Lotto
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91 Geisterstunde
96 Kindliche Sterbebegleitung
99 Ähren lesen
103 Vogelheu
106 Napf-Merängge mit Nidle
112 Requiem für einen Schulweg
117 Der Gang zur Hütte
125 Beizenschluss
131 Die Kunst des Holzens
138 Ahorn mit Fernsicht
141 Andere Zeiten einläuten
146 Napf statt Rütli
149 Wie die Arche Noah auf den Napf kam
154 Glossar
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Die Mission des Sonntagsbratens
Zu meiner Kindheit gehörten so selbstverständlich wie
Langnau und Bern auch China und Tanganjika. Ich bin
in einer eigenartigen Welt groß geworden, einer engen
Welt, die wie ein Emmentaler Käse durchlöchert war und
deshalb von Kindheit an global. Gleich hinter dem Napf
im Süden befand sich dank reger Missionstätigkeit der katholischen Kirche der Kontinent Afrika, und auch Asien
war nicht weit.
Ich wollte, solange ich mich erinnern kann, zweierlei
in dieser Welt, nämlich Menschen helfen und sie überzeugen, dass wir es schön haben und es andere auch so schön
haben könnten. Doch bereits als Kind begriff ich, dass das
nicht so einfach war. Und so betete ich immer wieder zu
Gott, dass er alle Menschen so glücklich mache, wie wir
rund um den Napf-Berg es waren. Man stelle sich das heute vor: Wir waren zufrieden, obwohl wir sehr karg lebten,
ja eigentlich – wenn ich an die Weltbankkriterien von
heute denke – sehr arm waren. Doch wir hatten unseren
Lebensrhythmus und einen Ablauf von Samstag zu Samstag, mit dem Sonntag als Einschnitt und Unterbruch dazwischen. Am Sonntag ging es zuerst in den ewig langen
Gottesdienst, gefolgt von einem Mittagessen mit Kartof25
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felstock und viel, viel Soße. Danach kam es zum Sonntagsjass, bis es wieder in den Stall ging.
Bekehren wollte ich die Menschen nicht im traditionellen Sinn. Mission war für mich der Wunsch, dass unser
schöner Kirchweg, die barocke Kirche, der Sonntagsbraten und sogar der Jass für alle Menschen auf dieser Welt
zugänglich würden. Die Asiaten könnten endlich vom
Reis wegkommen, denn mein Vater vertrug Reis nicht
und gab stets vor, Reis würde ihn im Halse reizen und
zum Ersticken bringen. Auch Fisch vertrug Vater nicht.
Vielleicht lag der Grund für diese Abneigung darin, dass
wir nicht am Meer wohnten und dass die Fische der zwei
Bäche den von Pfyffers gehörten, den ehemaligen Zulieferern von Reisläufern für den König nach Paris.
Die Afrikaner mit Mais und Grieß standen uns näher.
Außerdem gaben wir nichts auf Weißbrot, sondern stellten selber ein dunkles Brot her, das wenigstens eine Woche lang hielt – machte uns dieses Schwarzbrot nicht mit
den Afrikanern verwandt?
Was wollte ich in dieser Welt? Reisen, hinausgehen und
verkünden, wie gut wir es hatten. Wir dachten nicht da­ran,
dass wir mausarm waren. Hinausgehen – aber nicht zum
Bekehren. Vielleicht konnten wir Menschen uns gegenseitig etwas abschauen? So wie meine zwei Großonkel Toni
und Roman, beide Hoteliers in London, oder wie Familie
Linder aus Milwaukee, die alle zu Besuch kamen und sagten, wie schön wir es hätten. Die Besucher sagten jedoch
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auch, dass sie gerne wieder gingen, da das Napfgebiet einfach zu eng und löchrig sei. Zurückgekehrt, ließ die amerikanische Familie uns monatlich Die Hausfrau zukommen,
eine deutsch-amerikanische Zeitschrift voller sentimentaler Geschichten, die sogar Vater ums Leben gerne las und
die Mutter stets zu Tränen rührten. Uns Kinder machte
das Heft, obwohl wir es nicht lasen, einfach stolz, da wir
etwas aus Amerika im engen Haus hatten.
Man ging also hinaus in die Weite, nicht um andere
einzuengen, sondern um selber von den Ritzen und
Schratten, den Schluchten und Tälern dieses sonderbaren
Berges los- und wegzukommen. Es ging nicht um das
Schöne, sondern um die Weite. Wie sehnlichst wünschte
ich diese Erweiterung! Es war der Glaube an einen weltweiten Gott, an die Mission, der uns aus dieser Enge he­
rausriss. Mission geschah jenseits des Berges, in den weiten Ebenen. Mission hieß wegkommen von diesen
stotzigen Hügeln, die ineinandergeschachtelt den Napf
ausmachen.
Ich wollte, dass man sich aushilft, etwas austauscht,
sich zum Kafi trifft oder sich auf einen zünftigen Jass am
Sonntag freut. Das war für mich in der Jugend Mission.
Das alles klingt wie ein Durcheinander. Aber alles ging
eben durcheinander, um ineinanderzukommen. Daran
glaubten wir als Kinder.
Etwas darf ich nicht auslassen: Wir lebten damals im
Krieg. Um unser Land herum standen Feinde. Wenn wir
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Kinder an fremde Heiden dachten, stellten wir uns Feinde vor. Warum wurden Menschen zu Feinden? Etwa weil
sie keinen Bruder Klaus oder keinen General Guisan hatten? Weil sie keinen Sonntagsbraten aßen, denn ihnen
fehlte doch der Sonntag? Oder weil sie das Vogelheu nicht
kannten?
Man dachte als Kind viel enger und kleiner und stand
dennoch dem Wirklichen oft näher als die Erwachsenen,
die mit der Zeit alles aufblasen und theologisieren. Die
Erwachsenen, die alles trennen, auseinandernehmen und
in große Begriffe gießen. Ich denke an das Beispiel der
Taufe. Für uns Kinder war die Taufe zuerst ein großes Fest,
an dem Familie und Gemeinde Anteil nahmen. Es war
Ausdruck der Freude an der Geburt eines Kindes. Es folgte nach der Kirche daheim ein Festschmaus. Man freute
sich. Und was machten die Erwachsenen daraus? Ein Gebot. Einen kontrollierten Zugang zur Glückseligkeit. Einen Tauf-Schein statt eines Tauf-Fests.
Für uns Kinder gab es Verschiedenheiten, die aber
nicht trennend sein mussten. Wir Katholiken am Napf
hatten Braunvieh; die Bärner, unser Wort für die Protestanten aus dem Emmental, hatten Fleckvieh. An eine Diskriminierung hätten wir nie gedacht. Es gab eben Unterschiede, und diese waren auch mit etwas Charakterlichem
verbunden. Für uns Katholiken waren Protestanten so etwas wie Mischlinge, und so passte eben das Fleckvieh zu
ihnen.
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Ein guter Käser musste im Luzerner Hinterland ein
Bärner sein, einer aus dem Emmental, denn die hatten das
richtige Käsen erfunden, und sie hatten es von Jugend an
mitbekommen. Vater behauptete stets, wer etwas von Jugend an mitbekomme, der habe das viel tiefer und sicherer
in sich als einer, der es später erst gelernt habe. Wir hatten
ein lebendiges Beispiel am Vater. Er war von Jugend an
auf der Alp gewesen und konnte käsen. Und so war es
selbstverständlich auch mit den Emmentalern. Doch Vater käste anders als diese. Der Emmentaler Käse war
durchlöchert, für uns Kinder somit verdächtig. Der Emmentaler war ein mächtiger und aufgeblasener Käse; Vaters Käse war klein und bescheiden.
Und so ging es eben. Ineinander, miteinander, nebeneinander, verschieden und dennoch gleich – in die Kinderlogik passte alles gleichzeitig hinein. Man musste nicht
alles erklären, man konnte es auch einmal so stehen lassen.
Erst die Schule und der Religionsunterricht machten alles
kompliziert. Dort wurde man eingeteilt, man gehörte
nicht mehr zusammen, alles wurde eindeutig und damit
auch streitbar gemacht. Erst jetzt begann die offizielle
Mission.
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