Predigt Karfreitag 2014 „Karsamstag – Wenn der Himmel schweigt“ Weltweit gedenken die Christen an Karfreitag des Todes Jesu. Weltweit feiern die Christen an Ostersonntag die Auferstehung Jesu. Nur an Karsamstag sind weltweit die Kirchen leer und schweigen. In vielen römisch-katholischen Kirchen ist der Altar an Karsamstag völlig nackt – entkleidet quasi. Karsamstag ist der Tag der schweigenden Kirchen. Und das macht Sinn. Denn Karsamstag ist zugleich der Tag des schweigenden Gottes. Die Bibel erzählt uns so gut wie nichts über diesen Tag, der zwischen Kreuzigung und Auferstehung liegt und an dem von Gott her nichts passiert. Kein rettendes Handeln und kein tröstendes Reden. Karsamstag ist der Tag, an dem Gott der gesamten Schöpfung zumutet, ohne Antworten zu leben. Und damit beschreibt der Karsamstag einen Ort, an dem viele von uns immer wieder leben. Leben müssen. Im Warten darauf, dass Gott eingreift. Im Warten darauf, dass Gott rettet, handelt, tröstet, heilt oder redet. Dass Gott sich meldet. Gott aber … schweigt. Wir beten und flehen, wir vertrauen, glauben und hoffen – aber Gott schweigt sich aus. Wir versuchen zu verstehen, was bei uns vor sich geht, aber da ist nichts. Keine Erklärung, keine Offenbarung, nicht einmal eine Andeutung. Wenn Sie solche Karsamstags-Zeiten kennen oder vielleicht sogar im Moment einen solchen Karsamstag erleben, dann möchte ich Ihnen zuerst einmal sagen: Diese Erfahrung von Gottes Schweigen ist nichts Ungewöhnliches im christlichen Leben. Es ist eine Erfahrung, die schon in der Bibel immer und immer wieder berichtet wird. Zwei kurze Beispiele: - Das ist zum Beispiel Noah. Er erlebt, wie Gott deutlich zu ihm redet, ihm genaue Anweisungen zum Bau der Arche gibt, ihm erklärt, welche Menschen und Tiere zu wievielen auf das Schiff dürfen … und dann beginnt der Regen. 150 Tage lang – eingesperrt in einen engen, dunklen Kasten – hört Noah ausschließlich das dumpfe Prasseln des Regens, die zunehmend missmutigen Stimmen seiner Familie und natürlich die Geräusche all der Tiere, die mit ihm in dieser Arche sind. Dann … endlich, hört der Regen auf. Das Wasser fällt und eine Erschütterung im Schiff zeigt an, dass die Arche auf einen Berg aufgelaufen ist. Noah spürt, dass die furchtbare Notzeit nun zu Ende geht. Aber dann geschieht erst einmal nichts. Insgesamt dauert es fast noch einmal 200 Tage, bis Gott endlich zu Noah spricht: „Gehe aus dem Kasten!“ 200 Tage voller Ungewissheit, Gestank, Enge, Dunkelheit, Ratlosigkeit und Ungeduld. Insgesamt dauert das Schweigen Gottes in dieser vermutlich notvollsten Zeit Noahs knapp 350 Tage. Man kann dem biblischen Bericht regelrecht abspüren, wie endlos sich die Zeit für Noah dehnt. Noah erlebt den längsten Karsamstag seines Lebens. - Oder da ist das Volk Israel in Ägypten. Als die Israeliten von den Ägyptern versklavt werden, beginnen sie zu ihrem Gott zu schreien. Sie beten, flehen um Erlösung und um Beistand. Menschen brechen unter der Last der Arbeiten zusammen, sterben, neue Kinder werden in das Elend hinein geboren – aber es ändert sich nichts. Erst Jahrzehnte (!) später erscheint Gott einem Mann namens Mose und teilt Mose mit: „Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.“ (Ex 3,7). Jahrzehnte nach den ersten Gebeten um Erlösung und Beistand! Der Prophet Jeremia beschreibt diese Erfahrung des Schweigens Gottes in einem anderen Kontext einmal mit den Worten: „Du hast dich in dichte Wolken gehüllt, kein Gebet ist zu dir durchgedrungen.“ (Klgl 3,44). Warum hüllt sich Gott in diese Wolke? Warum zieht er sich zurück, wenn wir ihn brauchen? Und wie geht das zusammen mit den vielen Stellen der Bibel, die uns versichern, dass Gott uns auf gar keinen Fall verlässt - niemals nie nicht und unter keinen Umständen? Wie geht das zusammen mit dem Wort Jesu, der zu uns sagt: „Siehe, ich bin bei Euch alle Tage, bis an der Welt Ende!“ (Mt 28,20). Oder mit dem Wort des Apostels Paulus, der schreibt: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, (…) noch irgendetwas sonst uns scheiden kann von der Liebe Gottes.“? (Röm 8,38ff.) Vielleicht kann man es ja so verstehen: Karsamstag bedeutet nicht die Abwesenheit Gottes, sondern wirklich nur sein Schweigen. Es scheint Zeiten zu geben, in denen Gott absichtsvoll schweigt. Zeiten, in denen sein Interesse für uns zwar um keinen Deut abgenommen hat, Zeiten, in denen seine Liebe für uns immer noch genauso groß ist wie früher, Zeiten, in denen Gott immer noch genauso gegenwärtig ist, wie sonst auch – aber in denen er beschlossen hat zu schweigen. Zeiten, in denen wir sein Interesse, seine Liebe und seine Gegenwart nicht wahrnehmen können. Die christliche Mystik bezeichnet solche Zeiten als die „dunkle Nacht der Seele“. Wenn Gott das mit Absicht tut: welche Absicht könnte er dabei haben? Eine lange christliche Tradition sieht die Erfahrung des Schweigens Gottes nicht als den Feind des Glaubens, sondern geradezu als das Wesen eines vertieften Glaubens und größerer Gottesnähe. Martin Luther beispielsweise war der Ansicht, dass Gott schweigsam wird, um uns in eine tiefere Beziehung mit ihm hineinzuziehen. Es sind Zeiten, in denen der Egoismus unseres Glaubens einen heilsamen Bruch erfahren kann. Denn wie oft glauben wir letztlich aus egoistischen Gründen?! Wir glauben an Gott, weil wir von ihm Hilfe, Trost, Rat, Sinn, Heilung, Vergebung oder ähnliches erhoffen. Und immer wieder dürfen wir das tatsächlich auch erfahren. Gott hilft, tröstet, heilt, vergibt, stiftet Sinn und vieles mehr. Gott beschenkt uns nach Kräften! Unser Gott ist ein guter und wunderbarer Gott, der gerne hilft und der es liebt, uns zu beschenken! Aber damit verfestigt sich natürlich auch der Egoismus unseres Glaubens. Wie lieben Gott und glauben an ihn, weil er funktioniert. Weil er uns hilft. Weil wir davon profitieren. Bis Gott auf einmal schweigt – und der Egoismus unseres Glaubens ins Leere läuft. Der Profit ist dahin und wir stehen vor der Wahl: Dranbleiben an Gott und versuchen, ihn trotzdem zu lieben, einfach um seiner selbst willen. Oder irre werden und uns abwenden von diesem enttäuschenden Gott. Solche Karsamstags-Zeiten sind vermutlich die schmerzvollsten und zermürbendsten Zeiten unseres Glaubenslebens – aber zugleich sind sie Zeiten, in denen unser Glaube die Chance hat, sich zu verändern und in die Tiefe zu wachsen. Wenn, ja wenn wir diese Zeiten auch tatsächlich annehmen und an Gott dranbleiben. Wie aber kann das gehen? Wie kann man an Gott dranbleiben, wenn er sich verbirgt, wenn er schweigt? Wie ist es möglich, in diesen Zeiten nicht irre zu werden an Gott? Ich möchte Ihnen gerne in aller Kürze drei Wege vorstellen, auf denen das möglicherweise gelingen kann: 1. Der erste Weg sieht so aus, dass Sie beginnen, wieder intensiver in der Bibel zu lesen und sich auf die Suche nach Gottes Verheißungen begeben. Verheißungen sind Versprechen Gottes, die er uns gemacht hat. Zum Beispiel: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen!“ (Jer 29,13f.). Oder das Psalmwort: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln (…) Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn Du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.“ (aus Ps 23). Oder das Wort von Paulus: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“ (Röm 8,28). Und wenn Sie solche Versprechen finden, dann klammern Sie sich an diese Versprechen. Machen Sie sich klar, dass Gott diese Versprechen einlösen MUSS. Sie stehen schließlich in seiner Heiligen Schrift. Hauen Sie Gott seine eigenen Verheißungen um die Ohren, nageln Sie ihn darauf fest und lassen Sie ihn und seine Verheißungen nicht eher los, als bis Gott eingreift und sie erfüllt. Wenn Gott Sie im Moment nicht hält, dann klammern Sie sich eben an seine Verheißungen. 2. Der zweite Weg ist der Weg der Erinnerung. Versuchen Sie sich an Zeiten zu erinnern, als Gott für Sie noch ganz greifbar war. Was hat er da zu Ihnen gesagt? Was haben Sie schon gemeinsam mit ihm erlebt? Versuchen Sie sich an Zeiten zu erinnern, in denen Gott zu Ihnen gesprochen hat, in denen er durch Sie gehandelt hat und in denen er Ihre Gebete beantwortet hat. Gerade für solche Zeiten ist es so unglaublich kostbar, wenn wir ein geistliches Tagebuch führen oder wichtige Erlebnisse mit Gott schriftlich in einem kleinen geistlichen Schatzkästlein aufbewahren. Denn wir neigen leider vor allem bei den guten Dingen zur Vergesslichkeit. Wenn Sie also im Moment keine Karsamstags-Zeit erleben, dann tun Sie sich und Ihrem Glauben etwas Gutes und beginnen Sie, Ihre Erlebnisse mit Gott aufzuschreiben. Und wenn Sie gerade eine Karsamstags-Zeit erleben, dann versuchen Sie sich zu erinnern: Was haben Sie schon alles mit Gott erlebt? Wo haben Sie seine Stimme gehört? Wann hat er durch Sie gehandelt? Welche Gebete hat er schon beantwortet? Nehmen Sie sich Zeit und machen Sie sich eine Liste mit alldem. Und dann halten Sie sich an diese Erinnerungen. 3. Suchen Sie sich Menschen, die gerade keinen Karsamstag erleben, zu denen Gott momentan spricht, die etwas mit Gott erleben und deren Glauben kraftvoll und lebendig ist. Suchen Sie sich Menschen, durch die die Gegenwart Gottes und seine Kraft für Sie real wird. Es gibt so Menschen. Menschen, an denen man schmecken, spüren, riechen kann, dass Gott tatsächlich existiert und dass er sich nicht zurückgezogen hat. Lassen Sie sich vom Glauben dieser Menschen ein Stück weit tragen oder sogar anstecken. Das Wichtigste aber ist: Machen Sie sich klar, dass Karsamstag nicht das Ende der Welt war. Karsamstag war nur eine Durchgangsstation. Karsamstag ist die Türschwelle zum Neuanfang. Der Ostersonntag steht schon vor der Tür! Es mag sein, dass Gott schweigt, es mag sein, dass wir sehnsüchtig auf eine Veränderung warten, auf eine Veränderung in unserem Beruf, in unserer Ehe, in unserer Gesundheit, auf unserem Konto oder vielleicht noch auf einem ganz anderen Gebiet – ich weiß es nicht. Aber eines dürfen wir dabei nicht vergessen: Wir werden nicht für immer warten! Gott wird nicht für immer schweigen! Ostersonntag ist nahe! Amen.
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