«Wir sind noch immer wie gelähmt» - Swiss Press Photo

Zug
Samstag, 9. Juli 2011 / Nr. 157
Zentralschweiz
NEUE LUZERNER ZEITUNG
NEUE URNER ZEITUNG
NEUE SCHWYZER ZEITUNG
NEUE OBWALDNER ZEITUNG
NEUE NIDWALDNER ZEITUNG
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NEUE ZUGER ZEITUNG
«Wir sind noch immer wie gelähmt»
Care-Team betreut. «Es war den Mit- den im Spital», so Schlatter. Sie habe Unglück ereignete sich, wie gestern beRISCH-ROTKREUZ Die
arbeiterinnen und Mitarbeitern frei- Kopfverletzungen und Knochenbrüche richtet, während des Sommerfests der
Mitarbeiter von Roche wurden gestellt, ob sie gestern zum Arbeiten erlitten. Ihr Gesundheitszustand sei je- Roche-Mitarbeiter in Risch. Wobei dieses
oder nicht», so Rupp. Manche doch stabil. Die vierte betroffene Person, noch gar nicht richtig begonnen hatte,
nach dem Tod zweier Kollegen kamen
seien einfach erschienen, um sich über eine 40-jährige Schweizerin aus dem als die Katastrophe passierte.
das furchtbare Ereignis auszutauschen. Kanton Zug, brach sich den Arm. «Sie
gestern weiter betreut.
«Nach so etwas kann man nicht einfach befindet sich nicht mehr im Spital», Vor dem Hagel geflüchtet
Derweil sind die Todesopfer
‹business as usual› machen.»
berichtet der Polizeisprecher.
«Die 1000 geladenen Gäste begannen
sich zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags
identifiziert worden.
Brasilianer und Schweizerin tot
150-jährige Eiche stürzte um
auf dem Gelände des AusbildungsWOLFGANG HOLZ
[email protected]
Gestern, einen Tag nach dem schrecklichen Unglück am Sommerfest von
Roche auf der Halbinsel Buonas, waren
noch viele Mitarbeiter betroffen und
schockiert. «Wir sind noch immer wie
gelähmt», sagt Martina Rupp, Leiterin
der Standortkommunikation für Roche
Diagnostics in Rotkreuz. Deshalb wurden noch zahlreiche Angestellte vom
Inzwischen hat die Zuger Polizei die
Identität der beiden Todesopfer geklärt,
die am Donnerstagnachmittag beim
Hagelsturm durch den umstürzenden
Baum ums Leben gekommen sind. Wie
Marcel Schlatter, Mediensprecher der
Zuger Strafverfolgungsbehörden, erklärt,
handelt es sich bei den verstorbenen
Personen um einen 35-jährigen Brasilianer und um eine 27-jährige Schweizerin.
Beide waren im Kanton Luzern wohnhaft. «Schwer verletzt liegt eine 26-jährige Schweizerin aus dem Kanton Nidwal-
Zum genauen Hergang des Unglücks hat
die Zuger Polizei inzwischen herausgefunden, dass mehrere Mitarbeiter von
Roche unter einer rund 150-jährigen und
etwa 25 Meter hohen Eiche Schutz
suchten, als das Unwetter einsetzte. «Die
Eiche knickte dann plötzlich um und
begrub die Betroffenen unter sich», beschreibt Schlatter das weitere Geschehen. Der umgestürzte Baumriese sei für
weitere Abklärungen sichergestellt worden. «Spuren oder Hinweise auf einen
Blitzeinschlag liegen nicht vor.» Das
centers von Roche einzufinden», erzählt
Martina Rupp. Viele seien auf dem
weitläufigen Gelände, das für die Öffentlichkeit bekanntlich nicht zugänglich ist,
spazieren gegangen. Sie selbst habe am
Eingang gerade Programme verteilt, als
das Unwetter urplötzlich hereingebrochen sei. Einige schützten sich dann mit
Regenschirmen vor den grossen Hagelkörnern. Andere flüchteten in die Tiefgarage des Ausbildungscenters. Wieder
andere nahmen Zuflucht unter Bäumen.
Einer stürzte um.
Stattliche Bäume knickten um wie Zündhölzer
ÄGERITAL «Es sieht aus, als ob eine
Bombe eingeschlagen hätte.» Yvette
Blattmann kann das Ausmass der
Zerstörung auch am Tag danach kaum
fassen. Zehn stattliche Bäume, alle
gegen 15 Meter hoch, hat der Sturm
vom Donnerstagnachmittag im Oberägerer Strandbad Lido gefällt. «Es tut
weh», sagt Blattmann, deren Familie
seit 43 Jahren Besitzerin und Betreiberin der Badi ist. Die Bäume seien ihr
ganzer Stolz gewesen. Und gerade
wegen dieser nun am Boden liegenden Schattenspender würden viele
Gäste gerne hierherkommen. An Gäste ist derzeit aber nicht zu denken.
«Noch können wir mit keinen schweren Maschinen auf den Platz fahren»,
erklärt Blattmann. Denn zuerst müssten die im Weg liegenden Bäume
zersägt werden; am Montag beginne
die Korporation Oberägeri mit den
Aufräumarbeiten. Blattmann: «Sicher
bis am Mittwoch wird die Badi geschlossen bleiben.» Es könne aber
auch länger dauern, je nachdem, wie
viel Schaden die Wiese genommen
habe. Personen seien beim Sturm mit
Böen bis zu 132 Stundenkilometern
keine zu Schaden gekommen. «Wir
konnten die Badi rechtzeitig räumen»,
erklärt sie. Beschädigt wurde lediglich
das Dach einer Umkleidekabine.
VERHALTEN red. In den vergange-
nen Tagen ist das Zugerland gleich
zwei Mal von heftigen Unwettern
heimgesucht worden. Nachdem bereits Ende Juni starker Regen unter
anderem im Ägerital eine Spur der
Verwüstung hinterlassen hatte, entlud sich auch vorgestern ein stürmisches Gewitter über der Region.
Welche Vorsichtsmassnahmen sind
eigentlich zu treffen, wenn es gewittert und stürmt?
Bei starkem Wind
Gefährdete Gegenstände vor dem
Sturm sichern.
● Autofahrten auf das Notwendigste
beschränken.
● Waldränder,
exponierte Bäume
und den Aufenthalt im Wald sowie
an Ufern von Seen meiden.
● Exponierte Orte wie Dächer, Gebäude- und Felsvorsprünge usw.
meiden.
● Vorsicht
vor herunterfallenden
Gegenständen.
●
Bei starkem Regen
Überflutete
Strassenabschnitte
nicht oder nur langsam befahren.
● Stark geneigte Hangpartien möglichst meiden.
● Dasselbe gilt für den Aufenthalt an
Bachbetten, See- und Flussufern.
● Räume im Unter-/Kellergeschoss
bei bereits erfolgter oder drohender
Überflutung meiden.
●
Bei Blitzschlag
Exponierte Bäume und Baumgruppen meiden.
● Benutzung von Telefonen und
elektrischen Geräten einschränken.
● Bergtouren oder Spaziergänge im
Wald unterlassen.
● Falls Sie auf einer Wanderung vom
Gewitter überrascht werden: Nicht
am Waldrand bleiben, sondern in
den Wald hineingehen.
● Offene Wasserflächen meiden.
● Gebäude mit Blitzschutzanlagen
sowie Fahrzeuge bieten Schutz.
● Befindet man sich in einem Haus
ohne Blitzschutzanlage, sollte man
sich im Zentrum des Raumes aufhalten.
● Velo oder Motorrad mindestens 10
Meter entfernt stehen lassen.
● Regenschirme und metallene Gegenstände nicht mit sich tragen.
● Duschen und Baden vermeiden.
● Alle elektrischen Geräte, die am
Leitungsnetz des Hauses angeschlossen sind, ausstecken.
●
Komplettes Dach weggeweht
Schwer getroffen hat es auch Pius
Imfeld. Seine Schreinerei an der Höfnerstrasse 96 in Unterägeri wurde vom
Sturm arg in Mitleidenschaft gezogen.
Das komplette Dach wurde von den
Böen weggerissen. «Einige Bruchstücke wurden bis auf den rund einen
Kilometer entfernten Campingplatz
geweht», sagt Imfeld. Und Balken, die
von zwei Männern kaum getragen
werden können, seien bis 500 Meter
weit geflogen. Das Unwetter sei wie
Was tun,
wenns gewittert?
Der Oberägerer Feuerwehrkommandant Franz-Josef
Wyss begutachtet die entwurzelten Bäume in der Badi.
Bild Werner Schelbert
eine Walze auf sie zugekommen. Mit
seinem Lehrling hat sich Imfeld in
einem Türrahmen in Schutz gebracht.
Heute hat eine Zimmerei ein Notdach errichtet, damit das Inventar der
Schreinerei nicht weiteren Schaden
nimmt. Das Holz und die Maschinen
seien alle durchnässt. Wie hoch der
Materialschaden ist, kann Imfeld noch
nicht beziffern.
Hänge halten
Entwarnung geben konnte dafür der
Oberägerer
Gemeindeführungsstab.
Nach dem schweren Unwetter von
vergangener Woche hatte der Zivil-
schutz instabile Hänge mit Plastik
abgedeckt, um weitere Rutschungen
zu verhindern. Mit Erfolg, wie Oberägeris Gemeindeschreiber Jürg Meier
sagt: «Unsere Sicherungsmassnahmen haben gehalten.»
SILVAN MEIER
[email protected]
www...
Die offiziellen Verhaltensregeln
des Bundesamtes für Meteorologie finden sie
auf www.zugerzeitung.ch/bonus
Ein Richter erhält überraschenden Besuch
KANTON ZUG Ein Bodenleger möchte eigentlich nur
arbeiten und ein normales
Leben führen. Aber immer
wieder landet er vor Gericht.
Das war auch für Einzelrichter Marc
Siegwart eine Überraschung. Zweimal
war ein 32-jähriger Iraker im Amtsblatt
zu seiner Verhandlung ausgeschrieben
worden – so es das Gesetz bestimmt.
Doch der Mann war am 1. März 2010 in
seine Heimat zurückgekehrt und wurde
daher nicht im Gerichtssaal erwartet.
Doch es kam anders: Seit der ersten
Ansetzung am 18. Mai war der Mann in
die Schweiz zurückgekehrt, im Thurgau
aufgegriffen und von der dortigen
Staatsanwaltschaft wegen illegaler Einreise bereits zu 90 Tagen Freiheitsentzug
verurteilt worden. Diesen Mittwoch
brachte man ihn nun zur Verhandlung
nach Zug. «Ich ging wegen der Finanzen
in den Irak. Dort war es aber noch
schlimmer als hier, und ich erhielt
keine Hilfe für meine psychischen Probleme», erklärte der Iraker.
Mit Alkohol und Koks am Steuer
Vorgeworfen wurde dem Bodenleger,
trotz Ausgrenzungsverfügung zu seiner
damaligen Ehefrau nach Zug zurückgekehrt zu sein. Zuvor hatte er ein Gramm
Kokain gesnifft. Hier angekommen,
nahm er dann noch anderthalb Schlaftabletten zu sich. Trotzdem konnte er
nicht einschlafen, weshalb er sich ans
Steuer setzte und in einen Club fuhr. Am
andern Morgen landete er mit seinem
Audi in einer Sackgasse im Chamer
Hirsgarten, wo er Schutzpfosten überfuhr. Das Auto kam aufgrund eines
abgeknickten Rades kurz nach der Kollision zum Stillstand. Der Lenker hatte
1,33 Promille Alkohol im Blut.
Alles nicht seine Schuld, behauptete
der Iraker vor dem Einzelrichter. Man
habe ihm in der Bar etwas ins Bier
geschüttet und ihn dann in sein Auto
verfrachtet. Irgendwer habe dann den
Unfall in Cham inszeniert, gab er zu
Protokoll. Er forderte, die Überwachungskamera sei zu konsultieren und
der Sicherheitsmann zu befragen. Dieser habe den Vorfall nicht gesehen, und
die Bilder seien schon lange gelöscht,
sagte dazu der Einzelrichter und lehnte
die Begehren ab. Der Beschuldigte habe
wohl mehr als das zugestandene Bier
konsumiert, sonst hätte er nicht 1,33
Promille intus gehabt.
Unbedingte Strafe
Staatsanwältin Gaby Alther forderte
eine bedingte Geldstrafe von 100 Tages-
sätzen zu 30 Franken und eine Busse
von 750 Franken. Angesichts der vielen
Vorstrafen kam für Einzelrichter Siegwart eine bedingte Strafe nicht mehr in
Frage. Und eine unbedingte Geldstrafe
sei wegen der Mittellosigkeit nicht
möglich. Aufgrund des Thurgauer Urteils war eine Zusatzstrafe auszusprechen. Diese setzte der Richter auf 80
Tage fest und sprach zudem eine Busse
von 100 Franken aus.
Der Iraker möchte nicht nur im Gefängnis arbeiten, sondern auch nachher
«ein normales Leben hier führen». Dies
wird wohl kaum möglich sein.
JÜRG J. AREGGER
[email protected]