PREIS DEUTSCHLAND 4,20 € DIE ZEIT WOCHENZEITUNG FÜR POLITIK WIRTSCHAFT WISSEN UND KULTUR DIE ZEIT auf dem iPad www.zeit.de/apps 2. August 2012 DIE ZEIT No 32 Der coolste Teenager der Welt Ihr Mode-Blog machte sie berühmt. Da war sie elf. Jetzt ist Tavi Gevinson 16. Und Unternehmerin ZEITmagazin Seite 14 Wie Facebook, Google & Co. die Welt zensieren Sie wollten die Menschheit freier machen. Inzwischen aber bestimmen sie, was wir hören, sehen und sagen sollen. Und keiner regt sich auf Der Wert der Erfahrung WIRTSCHAFT SEITE 19–21 Wann ist ein Mensch erwachsen: Wenn er Gut und Böse kennt, geliebt hat, im Krieg war? Fragen an Helmut Schmidt ZEITmagazin Seite 24 Titelillustration: Mart Klein & Miriam Migliazzi für DIE ZEIT/www.dainz.net (nach einer Idee von Sina Giesecke) Her mit der Waffe! Weg mit der Waffe! Bevor man die Parlamente nötigt, neue Milliarden zu bewilligen, sollte die EZB Geld drucken – als letztes Mittel VON MARK SCHIERITZ Jetzt auch Katar: Deutsche Panzer gehen an Länder, die keine Verbündeten sind. Das ist durch nichts zu rechtfertigen VON JÖRG LAU W s zeichnet sich ein Bruch in der deutschen Außenpolitik ab – der zweite, seitdem in den Interventionen vom Balkan bis zum Hindukusch das Tabu gebrochen wurde, das bis dahin über dem militärischen Engagement lag: Deutschland exportiert immer mehr und immer offener Waffen. Nicht nur wie bisher überwiegend an Partner und Freunde, sondern häufiger auch in Krisengebiete. Dieser Politikwechsel wird nicht öffentlich begründet, weil die Regierung Entrüstungsstürme fürchtet. Er wirft eine Grundsatzfrage auf: Ist die Liberalisierung von Waffenexporten die richtige Strategie in einer zunehmend chaotischen Welt voller Konflikte und konkurrierender Mächte? Die Antwort kann nur Nein lauten. Doch die Bundesregierung sagt immer öfter Ja. Der erstaunliche Boom des Leopard-Panzers markiert diese Zeitenwende. Letztes Jahr genehmigte der Bundessicherheitsrat ein Geschäft mit Saudi-Arabien über 200 »Leos«. Nun bekundet der Nachbar Katar ebenfalls Interesse an 200 Panzern. Auch Indonesien, das größte muslimische Land der Welt, hat bestätigt, an 100 Leopard-Panzern interessiert zu sein. Die Chancen der Bewerber stehen gut, denn wer bereits an das autokratische Regime in Riad liefert, wird sich dem prowestlichen Emir nebenan in Doha oder dem moderat islamischen Präsidenten in Jakarta kaum verweigern. enn Hollywood den Auftrag erhielte, die Euro-Krise zu verfilmen, dann käme in diesem Film wahrscheinlich irgendwann Bruce Willis zum Einsatz. Er würde sich die beste aller Waffen greifen und damit die Angelegenheit ein für alle Mal beenden. Das finanzielle Äquivalent zur besten aller Waffen ist die Fähigkeit, möglichst viel Geld auszugeben. Diese Fähigkeit hat Mario Draghi. Wenn der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Geld braucht, dann drückt er auf einen Knopf, und schon ist es da. Damit fällt Draghi die Schlüsselrolle im Kampf gegen die Krise zu. Denn es wird immer offensichtlicher, dass die Rettungsschirme zu klein sind, um ein Übergreifen der Turbulenzen auf Spanien oder gar Italien zu verhindern. Und wenn Spanien oder Italien kippen, dann kippt auch der Euro. Doch für zusätzliche Hilfen gibt es in der schwarz-gelben Koalition keine Mehrheit. Es geht also um alles oder nichts. Europa ist in der Hand der Bank. Spanier und Italiener haben es seit Langem auf Draghis Geldmaschine abgesehen, die Erleichterung in höchster Not verspricht. In Deutschland hingegen löst die Vorstellung, zur Währungsrettung auf die Zentralbank zurückzugreifen, eher Entsetzen aus. Tatsächlich wird Geld allein eine Krise nicht beenden, die das Ergebnis realwirtschaftlicher Verwerfungen ist. Der Süden Europas ist nicht wettbewerbsfähig, er hat zu hohe Schulden. An einer Korrektur dieser Missstände führt kein Weg vorbei – und der Versuch, sie mit der Notenpresse durchzuführen, wäre zum Scheitern verurteilt und müsste in der Inflation enden. Wahr ist aber auch, dass fast alle Länder des Südens ehrgeizige Reformprogramme auf den Weg gebracht haben, gegen die sich die Agenda 2010 in Deutschland wie ein Spaziergang ausnimmt. Die Löhne sinken, die Staatsausgaben werden gekürzt, die Steuern erhöht. Die Anpassung läuft also. Obwohl der Süden reformiert, wird er von den Märkten abgestraft Trotzdem sind die Finanzmärkte nicht bereit, den Krisenländern zu annehmbaren Konditionen Geld zu leihen – weil Reformen erst mit Verzögerung wirken und die Sparmaßnahmen die Konjunktur kurzfristig sogar bremsen. Und weil die Investoren nicht wissen, wer in einem halben Jahr zur Währungsunion gehört und ob es den Euro dann überhaupt noch gibt. Anders gesagt: Das Misstrauen der Märkte ist eine direkte Folge des Versuchs, den Einsatz der Rettungsmittel zu begrenzen und Reformverweigerern mit dem Entzug der Mitgliedschaft im Währungsklub zu drohen. Die Aussage der Bundeskanzlerin, man werde alles tun, um den Euro zu erhalten, soll solche Zweifel zerstreuen. Und weil Angela Merkel die Hände gebunden sind, kommt Mario Draghi ins Spiel. Entscheidend für die Bewertung seiner Rolle ist, was er mit seiner Macht anzustellen gedenkt. Um noch einmal auf Bruce Willis zurückzukommen: welchen Feind er im Visier hat. Wenn der italienische Staat etwas mehr Zinsen bezahlt als der deutsche, dann hält das den Reformdruck auf die Regierung in Rom aufrecht. Dann ist der Finanzmarkt Komplize im Reformgeschäft, und es wäre falsch, ihn durch Notenbankhilfen außer Kraft zu setzen. Wenn aber ein Unternehmen in Italien fast doppelt so viel für einen Kredit aufwenden muss wie ein Betrieb in Deutschland, dann macht das jede Hoffnung auf Besserung im Süden zunichte. Dann ist der Finanzmarkt ein Gegner, der in die Schranken gewiesen werden muss. Ein mögliches Szenario sieht dann ungefähr so aus: Wenn sich die Lage weiter zuspitzt, drückt die EZB für einige Zeit die Zinsen in den Krisenländern nach unten und verschafft diesen damit mehr Zeit für die Sanierung ihrer Wirtschaft. Damit die Aktion nicht den Reformwillen lähmt, kauft die Notenbank aber nur die Anleihen jener Staaten, die ihre Fortschritte überwachen lassen. Dann besteht auch keine Inflationsgefahr, weil das zusätzliche Geld wegen der allgemeinen Verunsicherung ohnehin nicht für den Kauf von Waren ausgegeben wird und deshalb auch nicht die Preise treiben kann. Keine Frage: Wenn die Rettung misslingt, landen die Kosten doch wieder beim Steuerzahler, weil auch die Zentralbank Teil des Staatsapparats ist. Aber wer liest schon Notenbankbilanzen? Innenpolitisch jedenfalls ist ein Hilfspaket der EZB erheblich leichter zu vermitteln als eine Aufstockung des Rettungsfonds, die im Bundestag keine Mehrheit finden würde. Die Zentralbank gibt damit also Geld aus, das das Parlament explizit nicht ausgeben will. Ist das durch ihr Mandat gedeckt? Oder setzt sie sich damit über den demokratisch artikulierten Willen der Bürger hinweg? Es gibt keine einfachen Antworten auf diese Fragen. Es reicht nicht aus, auf die katastrophalen Folgen zu verweisen, die ein Scheitern des Euro hätte. Demokratie bedeutet, dass die Menschen sich auch gegen den Rat der Experten entscheiden können. Man kann den Standpunkt vertreten, dass der Euro eben gescheitert ist, wenn die Bürger nicht mehr bereit sind, für ihn zu bezahlen. Man kann aber auch argumentieren, dass politisch unabhängige Notenbanken geschaffen wurden, um in einer Krise unpopuläre Maßnahmen ergreifen zu können, weil sich aufgeklärte Demokratien ihrer Grenzen bewusst sind. Klar ist: Wenn die Politik tatsächlich mit ihrer Kraft am Ende ist, dann bedeutet der Verzicht auf den Einsatz der EZB den Untergang der Währungsunion. Her also mit der Waffe! www.zeit.de/audio E Deutschland ist auf Waffengeschäfte wirtschaftlich nicht angewiesen »Der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern wird restriktiv gehandhabt.« So steht es in den »Politischen Grundsätzen« der Bundesregierung. Dass die Regierung diese Grundsätze mit Füßen tritt, kann aber die Opposition nicht allzu laut kritisieren. Sie hat es nämlich selbst auch getan: Den Bekenntnissen zur »Restriktion« zum Hohn hat sich der Gesamtwert der deutschen Waffenexporte im letzten Jahrzehnt verdreifacht, und Deutschland ist zum drittgrößten Waffenhändler weltweit aufgestiegen – nach den USA und Russland. Jedes Jahr verzeichnen die Rüstungsexportberichte Zuwächse, während Zurückhaltung offizielles Ziel bleibt. Es ist vielleicht kein Schaden, wenn diese Heuchelei zu Ende geht. Was aber ist der Grund für den Bruch? Um Wirtschaft geht es nicht: Rüstungsexporte sind zwar ein lukratives Geschäft. Doch die Bedeutung der Waffenindustrie für den Standort Deutschland wird von Lobbyisten ebenso wie von manchen Pazifisten übertrieben: 2010, im letzten dokumentierten Jahr – im erfolgreichsten bisher –, betrug der Anteil von Waffen am Gesamtexport schmale 0,2 Prozent. Deutschland ist wirtschaftlich – auch in der Krise – nicht angewiesen auf Waffengeschäfte. Das Ja kommt nicht aus Not oder Profitgier. Ein Grund liegt in der politischen Lage des Westens. Die zunehmende Offenheit für Waffenexporte entspringt den Schlüssen, die die Kanzlerin aus den Erfahrungen mit Kampfeinsätzen gezogen hat: Militärisches Eingreifen hat sich in Afghanistan und im Irak als Mittel der Politik diskreditiert. Wir sind in Afghanistan gescheitert, die Amerikaner im Irak. Deutsche Soldaten sollen möglichst nicht in fremden Konflikten eingesetzt werden. Wenn die Deutschen, so Merkel, dennoch weiter an der Stabilisierung gefährdeter Regionen mitarbeiten wollten, müssten sie Waffen in die Hände derer geben, die dort für Stabilität stehen: Weil wir Deutschen kriegsmüde sind, schicken wir euch Panzer. Aus der Zurückhaltung bei Interventionen folgt in dieser Logik das Ende der Zurückhaltung bei Waffengeschäften. Das ist die Rechtfertigung dafür, dass Saudis und Katarer Panzer bekommen sollen. Beide Länder gelten als »Stabilitätsanker« in ihrer Region. Doch im Nahen Osten immer noch auf Stabilität zu setzen ist kühn. Katar ist wie SaudiArabien eine Autokratie. Auch hier könnten Panzer eines Tages zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden. Und: Das kleine Scheichtum Katar mag derzeit intern stabil wirken, doch agiert es in der Region als revolutionäre Macht, die erst Gaddafi wegzufegen half und nun das Gleiche mit dem Regime Assad erreichen möchte. Es unterstützt die Rebellen in Syrien mit Waffen. Katar bildet mit den Saudis eine sunnitische Achse gegen den Iran, der als Vormacht der Schiiten Assad stützt. Wenn Deutschland Irans Feinde bewaffnet, nimmt es indirekt eine Position im sunnitisch-schiitischen Stellvertreterkrieg ein, der zurzeit in Syrien ausgetragen wird. Stabilität schaffen mit immer mehr Waffen – das hat seit dem Kalten Krieg und dem »Gleichgewicht des Schreckens« nirgends mehr funktioniert. Da wirkt die Idee, Deutschland könnte punktgenau mit großzügigen Waffenlieferungen die Guten fördern und die Bösen in Schach halten, bizarr und wie aus der Zeit gefallen. Die jüngere Geschichte der Kriege im Iran, im Irak und in Afghanistan ist voller Beispiele dafür, dass die Waffen der Guten in den Händen der Bösen landen – oder die Guten von gestern sich als die Bösen von heute erweisen. Es geht nicht darum, alle Rüstungsgeschäfte zu verteufeln. Die Krux ist, dass großes Unheil schon aus einigen wenigen Exporten entstehen kann. Deutschland hat auf dem Papier ein ebenso einfaches wie kluges Prinzip: Unsere Freunde in EU und Nato (plus Schweiz, Australien, Japan und Israel) bekommen, was sie wollen. Alle anderen: so wenig wie möglich. Länder in Spannungsgebieten: gar nichts. Das ist ein guter Maßstab für bewegte, umkämpfte Zeiten wie diese. Statt den Maßstab immer weiter aufzuweichen, muss er nur endlich angewendet werden. www.zeit.de/audio Europas Weltliteratur Unser Literatur-Kanon, vierte Folge: Die 1970er Jahre – u. a. mit Ingeborg Bachmann und Alexander Solschenizyn Feuilleton Seite 45–48 PROMINENT IGNORIERT Ein Traum wird wahr Die Deutschland, Schauplatz der Traumschiff-Serie, liegt derzeit in London, wo Joachim Gauck sie besuchte. Der Reeder, der ihr die maltesische Flagge verpassen wollte, um die Löhne zu senken, hat sich jetzt dem allgemeinen Protest gebeugt: Das Schiff bleibe deutsch, aber man erwarte staatliche Hilfe. Vorschlag: Der Bundespräsident nimmt die Deutschland als Staatsschiff in Dienst. So endlich gehen die Staatsaffären gut aus. GRN. Kleine Fotos (v.o.n.u.): Olivia Bee für ZM; Vera Tammen für DZ; Piper Verlag/dapd/ddp; Public Address Presseagentur ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de; ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. 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