Ewig gebettet wie Schneewittchen

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Resümee nach fünf Jahren Patent: Skepsis gegenüber Vakuum-Glassarg
Ewig gebettet wie Schneewittchen
Von Katharina Rilling / Kipa
Krummenau SG, 31.5.07 (Kipa) Die St. Galler Brüder Rechsteiner haben ihre Idee für
einen Vakuum-Glassarg im Jahr 2002 patentieren lassen. Bis jetzt ist noch keine
Bestellung eingegangen. In dem 100.000 bis 400.000 Franken teuren Sarg kann ein
Leichnam bis zu 10.000 Jahre erhalten bleiben, so Karl Rechsteiner in einem Interview
mit der Presseagentur Kipa. Willi Frey von einem Bestattungsinstitut in Bern und
Religionsforscher Tunger-Zanetti äussern sich kritisch zur Geschäftsidee.
Was haben Schneewittchen, Tutanchamun und eine Jesuspuppe aus Holz in Costa Rica
gemeinsam? Märchenhafte Schönheit in einem Glassarg zur Schau gestellt, einbalsamiert
für die Ewigkeit bei den Pharaonen oder symbolisch, als Puppe, im Glassarg verehrt. Diese
drei "Bestattungsmethoden" bilden die Inspirationsquellen für die aktuellste
Grabkombination: Einen Vakuum-Glassarg mit einbalsamiertem Leichnam – patentiert von
den Schweizer Brüdern Rechsteiner.
Die Brüder haben nämlich die ultimative Lösung für alle, die - wenn auch nur rein
körperlich - nach ihrem Ableben noch ein wenig länger auf der Erde weilen möchten, um
weiterhin von Fans, Familienmitgliedern oder einfach Schaulustigen betrachtet zu werden.
Ein wenig länger? "Wenn man den Leichnam zwischendurch behandelt, wird die
Verwesung des Leichnams im Vakuumsarg unterbrochen. Und zwar für 5.000 bis 10.000
Jahre", erklärt Karl Rechsteiner, der Ältere der beiden Brüder aus dem sanktgallischen
Krummenau stolz.
Wobei die Bezeichnung "Sarg" nicht im herkömmlichen Sinne zu verstehen ist. Der
Verstorbene wird – gut sichtbar eben – über der Erde gebettet. Als geeigneten Ort, um die
Leiche auszustellen, schlägt Rechsteiner Mausoleen oder kleine Kapellen vor.
Bevor der tote Körper aber in den Sarg gelegt und luftdicht verschlossen werden kann,
muss er professionell einbalsamiert werden. Sensoren, Manometer, Pumpen, Ventile und
Vakuumschalter sorgen dann dafür, dass die Gestalt des Verblichenen erhalten bleibt.
Kaiser, Papst und Popstar
Wer schon zu Lebzeiten Freude am ungewöhnlichen Edelbestattungssarg haben will,
kann sich aber schon jetzt ein Modell ganz nach persönlichem Geschmack bauen lassen: Mit
reicher Holzverzierung, einer Goldschicht überzogen oder einfach nur in schlichtem Design.
Wobei der eigene Geldbeutel wohl den Geschmack massgeblich beeinflussen sollte – je
nach Modell muss man mit knapp 100.000 bis 400.000 Franken für eine solch exotische
Grabstätte rechnen. Betriebskosten nicht eingerechnet.
So verwundert es nicht, dass vor allem höhere Politiker, Kaiser, Firmenbosse und
Filmstars, Sportler oder Sänger zur Zielgruppe der Gebrüder gehören. Dabei schreiben sie
Presseagentur Kipa, Einzelmeldung aus dem Tagesdienst
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manch gut betuchten Star zu Werbezwecken an – auch den Papst haben die zwei
Geschäftsmänner schon kontaktiert.
Konfrontiert mit ihrem Tod reagiert die Prominenz unerwartet locker, meint Rechsteiner oder gar nicht. Vom Vatikan kam einzig die automatische Nachricht "erhalten" zurück.
Bis jetzt gebe es zwar Interessenten, Bestellungen seien aber noch keine eingegangen.
Neues brauche eben immer Zeit zum Erfolg, so der St. Galler.
"Skurrilität"
Wenig Erfolgschancen gibt Willi Frey dem exklusiven Sarg. Er ist Geschäftsführer des
Bestattungsinstituts Rudolf Egli AG in Bern und ausserdem Spezialist für Internationale
Überführungen im Bestattungswesen. Frey hat die Erfahrung gemacht, dass die Nachfrage
nach exklusiven Designersärgen eher gering ist. "Die Idee mag innovativ sein, entspricht
jedoch eher einem Bestattungswunsch, der voraussichtlich wenig zur Anwendung kommen
dürfte", schätzt der Bestatter die Chancen des Sarges gegenüber Kipa ein.
Auch Andreas Tunger-Zanetti vom Zentrum Religionsforschung (ZRF) der Universität
Luzern glaubt nicht an die Zukunft des Projekts. Höchstens als Skurrilität.
Er würde sich nach seinem Ableben keinesfalls zur Schau stellen. "Ich will die Nachwelt
nicht mit meiner körperlichen Hülle belästigen", erklärt der Religionsspezialist ernst. Die
Mumifizierung im Glassarg messe der körperlichen Hülle eine Bedeutung zu, die er für die
Zeit nach dem Tod für völlig übersteigert halte.
Der Werbetext auf der Glassarg-Homepage "In Zukunft wird man von einem geliebten
Menschen nicht mehr für immer Abschied nehmen müssen", nährt laut Tunger-Zanetti eine
Illusion: Die Anwesenheit des Toten und des Nicht-Loslassen-Müssens. "Das dürfte sich in
vielen Fällen als vergiftetes Geschenk erweisen. Die Erinnerung an den Verstorbenen lässt
sich ja eben gerade nicht auf sein Äusseres reduzieren".
Wenn ein Mensch in der Erinnerung anderer weiterlebe, dann wegen dem, was er
getan, gesagt oder vollbracht habe. Auch deshalb gebe es in den Religionen vielfältige,
bewährte Riten rund um den Tod. Es gehe dabei um Loslassen, Abschiednehmen,
Hinübergeleiten und Befreiung von irdischer Hülle sowie um das Gedenken, so der
Religionsforscher.
"Man trägt Verantwortung"
Der Verkäufer Rechsteiner kann die Zweifel an seinem Konzept nicht verstehen. "Man
muss doch auch an seine Nachkommen denken! Da trägt man Verantwortung!" schiesst es
aus ihm heraus.
Erstens sei der Sarg umweltschutztechnisch fortschrittlich, da die Leiche nicht unter der
Erde verwese und zweitens sichere er die Existenz der Nachkommen des Toten finanziell ab
– vorausgesetzt, der Glas-Vakuum-Sarkophag ist erst einmal abbezahlt.
Souvenirs und Eintritt
Auf ihrer Homepage geben die beiden Erfinder Tipps, wie man sich dann in der Gruft ein
Zubrot verdienen kann: Einfach Eintritt verlangen und Souvenirs, CD's oder Bibliografien des
Verstorbenen verkaufen.
Wenn man bedenkt, dass allein an die triviale Grabstätte von Elvis Presley jährlich rund
700.000 Besucher pilgern, kann man sich kaum vorstellen, wie viele kommen würden, wenn
der King of Rock'n'roll leibhaftig zu erblicken wäre – im Rechsteiner Glassarg.
Bestatter Frey ist skeptisch: "In einem Glassarg zu bestatten, würde den ökologischen
Grundsätzen eben nicht entsprechen." Bei der Ruhedauer von 20 Jahren würde keine
natürliche Zersetzung stattfinden können. Somit sei die Grundlage für eine Bestattung auf
den Friedhöfen nicht erfüllt, wie sie das Gesetz fordert.
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Und: "Je mehr es solche Anziehungspunkte gibt, desto weniger zieht der einzelne", gibt
Tunger-Zanetti in Bezug auf die "finanzielle Absicherung" zu bedenken.
Allerdings sei der Vakuum-Glassarg nur im Christentum möglich. Im Islam, Buddhismus
und Hinduismus seien die Bestattungsbräuche strenger geregelt. "Aber das Angebot richtet
sich wohl ohnehin an Menschen, die religiös kaum verwurzelt sind und angesichts des Todes
aus Äusserlichem und Materiellem noch die meiste Befriedigung ziehen oder für andere zu
schaffen meinen", so der Mitarbeiter des ZRF.
Keine moralischen Bedenken
Auch wenn die Idee eines Souvenirshops neben einem sichtbaren Toten manch einem
Zartbesaiteten Magenschmerzen bescheren könnte – moralische Bedenken kamen bei dem
Geschäftsmann Rechsteiner nie auf. Im Gegenteil: "Einen Toten ehren kann man nur durch
seine Zurschaustellung. Das ist Denkmalsetzung." Der Gedanke an einen durchsichtigen
Sarg sei für ihn angenehmer als beispielsweise der an eine Urne. "Das Verbrennen einer
Leiche erinnert mich an Konzentrationslager wie Dachau."
Religionsforscher Tunger-Zanetti: "Wenn jemand zu Lebzeiten die Vermarktung seiner
Person nach seinem Tod vorbereitet, ist wenig dagegen zu sagen." Problematisch findet er
jedoch die Vermarktung, wenn sie der Geisteshaltung des Verstorbenen widerspricht.
Dennoch hätten religiöse und quasi-religiöse Organisationen in der Geschichte genau dies
immer wieder getan. An rechtliche Grenzen stosse eine allzu aggressive Vermarktung
wegen der Grundsätze der Würde des Toten und der Totenruhe.
Falls der Glassarg dauerhaft auf viel Skepsis stossen sollte, noch ein Hinweis der
Gebrüder Rechsteiner: Der Sarg eignet sich ebenfalls als Kulturgüterschrank für historisch
bedeutende Dokumente und Gegenstände oder als letzte Stätte für den besten Freund des
Menschen: den Hund.
Hinweis: www.glassarg.ch
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