Was vom Jordan übrig bleibt - Project Interchange

Was vom Jordan übrig bleibt
Von Michael Miersch 15. November 2008, 01:52 Uhr
Der Wassermangel ist Israels Umweltproblem Nummer eins. Doch es gibt Lösungen. Sogar
das Rote Meer soll angezapft werden
Dem Negev fehlen Juden und Wasser", verkündete einst Ben Gurion. An Menschen mangelt
es heute nicht mehr: Über sieben Millionen bevölkern das kleine Land. An Wasser mangelt
es mehr denn je. Mittlerweile nicht nur in der Wüste Negev, sondern fast überall.
Dabei hatten die Pioniere zu Ben Gurions Zeiten in manchen Landesteilen noch den
Eindruck, sie könnten aus dem Vollen schöpfen. Der See Genezareth und der Jordan boten
reichlich Süßwasser, und das Hula-Tal war so feucht, dass 1951 gewaltige Anstrengungen
unternommen wurden, um es für die Landwirtschaft trockenzulegen. Nach mehreren
Fehlschlägen gelang es tatsächlich, die Erde unter den Pflug zu nehmen. Doch der Sieg der
Ingenieure über die Natur war gleichzeitig die Geburtsstunde der israelischen
Umweltbewegung. Aus Protest gegen die Zerstörung des Vogelparadieses Hula-Tal wurde
die SPNI gegründet, die israelische Naturschutzgesellschaft. Schon damals war Wasser das
Umweltthema Nummer eins.
Wie schlecht der Zustand der Gewässer ist, wurde vielen Israelis aber erst 1997 klar. Bis
dahin hatten sich viele darauf verlassen, dass das wichtigste aller Lebensmittel für immer aus
der Leitung kommt oder als Mineralwasser billig im Laden gekauft werden kann. Doch dann
passierte ein Unfall bei der Makkabiade, dem internationalen Fest jüdischer Sportler. Als
eine Bücke brach, stürzten Athleten in das Flüsschen Yarkon, das durch Tel Aviv fließt. Vier
starben an giftigen Abwässern. "Jeder Fluss außer dem Jordan liegt trocken oder ist ein
Abwasserkanal", sagt Gidon Bromberg von der Organisation Freunde der Erde. Und auch
vom Jordan ist nicht mehr viel übrig. 90 Prozent seines Wassers zapfen Israel und Jordanien
ab. Der Rest ist schmutzig und voller Müll.
Das größte Süßwasserreservoir, der See Genezareth, schrumpft offensichtlich. Nach einer
Kette von trockenen Jahren ist er mit einem staubigen Uferstreifen umgeben, der bis vor
Kurzem noch Seeboden war. Und - so paradox es klingt - sogar das Tote Meer stirbt. Es zieht
sich pro Jahr um einen Meter zurück. Im Norden verringerte sich der Zufluss des übernutzten
Jordan innerhalb eines halben Jahrhunderts auf weniger als ein Zehntel der ursprünglichen
Wassermenge. Im Süden zapft die chemische Industrie das mineralstoffreiche Wasser ab.
Trotz der prekären Lage liegt der private Wasserverbrauch Israels auf europäischem Niveau.
In den palästinensischen Autonomiegebieten gehört der Mangel bereits zum Alltag. Bauern
behelfen sich, indem sie illegal Brunnen bohren.
Die Verschmutzung hat gefährliche Ausmaße angenommen. "Wir haben viel zu hohe Werte
an Colibakterien im Trinkwasser", sagt Mohammad Said al-Hmaidi, ehemaliger Direktor der
Umweltbehörde in den Autonomiegebieten. "Aber die Frage, ob wir es nutzen sollten, stellt
sich gar nicht, denn wir haben keine Alternative." Kommt der Krieg ums Wasser? Vor
wenigen Wochen veröffentlichte eine internationale Initiativgruppe, zu der auch Václav
Havel, André Glucksmann, Desmond Tutu und viele andere honorige Persönlichkeiten
gehören, ein Papier, das die politischen Chancen des Wasserproblems ausleuchtet. "Länder,
die in einen Konflikt um Wasser verstrickt waren, haben historisch eher einen Weg zur
Zusammenarbeit gefunden", heißt es darin.
Tatsächlich war in den 60 Jahren des Konflikts im Jordantal Wasser häufiger ein Grund zur
Kooperation als zum Kampf. Der jüdische Israeli Gidon Bromberg und der Palästinenser
Nader al-Khateeb leiten zusammen mit einem jordanischen Kollegen den nahöstlichen Zweig
der Freunde der Erde und haben vor einigen Jahren die Initiative Gute Wassernachbarn ins
Leben gerufen, die Partnerschaften zwischen arabischen und israelischen Dörfern am Jordan
organisiert.
Allen ist bewusst, dass der Wasserverbrauch gesenkt werden muss. Zuerst will die Regierung
der Landwirtschaft den Hahn zudrehen. Derzeit fließt die Hälfte des israelischen
Süßwasserverbrauchs auf Äcker und Plantagen. Zukünftig soll es nur noch ein Viertel sein.
Schon jetzt werden die Nutzpflanzen größtenteils mit geklärtem Abwasser versorgt. Damit es
zielgenau auf die Wurzeln der Pflanzen trifft und nicht verdunstet oder versickert, wurde die
Tröpfchenbewässerung entwickelt, das weltweit beste Verfahren zum Wassersparen in der
Landwirtschaft. Dabei werden dünne Schläuche auf den Feldern verlegt, aus denen
kontinuierlich Wasser in kleinsten Mengen direkt an die Wurzeln der Pflanzen abgegeben
wird.
Doch Sparen allein genügt nicht. Neue Wasserquellen müssen erschlossen werden. Und da
man alle Süßwasserressourcen des Landes bereits nutzt, bleibt nur das Meer. Bereits 1956
sah Staatsgründer Ben Gurion die Zukunft in der Entsalzung. "Die Wüste mit entsalztem
Meerwasser zu bewässern mag für viele vollkommen unrealistisch klingen, aber Israel sollte
keine Angst vor scheinbar unrealistischen Ideen haben, die durch die Macht von Visionen,
Wissenschaft und Pioniergeist die vorgegebene Ordnung verändern."
In dem Ort Aschkelon zwischen Gazastreifen und Tel Aviv wurde Ben Gurions Vision 50
Jahre später zur Wirklichkeit. Dort steht heute eine der größten und modernsten
Meerwasserentsalzungsanlagen der Welt. Sie pumpt täglich 370 000 Kubikmeter Wasser ins
Leitungsnetz, sechs Prozent des gesamten israelischen Bedarfs. Ein großer Nachteil der
Meerwasserentsalzung ist jedoch ihr immenser Stromverbrauch. Deshalb arbeiten Ingenieure
an solarbetriebenen Anlagen, die es bisher nur in viel kleineren Dimensionen gibt.
Auf der anderen Seite des schmalen Landes, nur 65 Kilometer von Aschkelon entfernt, steht
ein Stein, der eine Inschrift aus britischer Mandatszeit trägt. Die Engländer stellten ihn einst
am Ufer des Toten Meeres auf, um den tiefsten Punkt der Erde zu markieren. Das war in den
30er-Jahren. Heute steht der Stein mitten in der Wüste, nicht weit von einem verfallenen
Hotel, das ebenfalls einmal am Ufer lag. "Alle Probleme des Toten Meeres sind
menschengemacht", sagt der Geologe und Biologe Eli Raz, ein Kenner des Toten Meeres.
Eine der Folgen des rapide sinkenden Wasserstandes sind unterirdische Hohlräume, die unter
dem trockengefallenen Seeboden entstehen. Grundwasser gerät unter die Salzschichten im
Boden und spült sie aus. Dadurch entstehen Höhlen, doch oberirdisch ist nichts zu sehen.
Bis zu dem Moment, wo die Erde einbricht und sich ein Krater auftut. Manchmal sinken
dabei Dattelpalmen in den Boden, manchmal Hütten und manchmal ein Mensch. So wie Eli
Raz selbst, der einmal 14 Stunden in einem neun Meter tiefen Loch verbrachte. Es gibt
inzwischen Tausende dieser Höhlen und Krater um den See herum, und alles, was dort
gebaut wurde, ist gefährdet. "Darum kümmert sich die Industrie nicht", schimpft Raz.
Mit der Industrie meint er die chemischen Fabriken im Süden des Toten Meeres, deren
riesige Verdunstungsbecken fast ein Drittel so groß sind wie die Oberfläche des Sees. In
diesen flachen Becken werden Salz, Potasche, Magnesium, Phosphor, Brom und andere
Chemikalien gewonnen. Die Methode ist unschlagbar kostengünstig, man lässt einfach das
Wasser in die Becken laufen und wartet, bis es in der Wüstensonne verdunstet.
Bald schon könnte der Wasserspiegel des Toten Meeres wieder steigen. Durch eine Idee, die
schon Theodor Herzl in seinem utopische Roman "Altneuland" entwickelte. Ein Kanal soll
Wasser vom Roten Meer ins Tote Meer leiten. In Kooperation mit Israel und der
palästinensischen Autonomiebehörde will die jordanische Regierung das Projekt
verwirklichen. Es soll dreifachen Segen bringen: Das Wasser aus dem Roten Meer soll das
Tote Meer auffüllen, durch ein Kraftwerk Strom erzeugen und eine Entsalzungsanlage
speisen.
Das klingt verlockend, doch Eli Raz und mit ihm die meisten Umweltschutzgruppen Israels
sind dagegen. Sie fürchten ökologische Schäden für beide Gewässer. Einerseits für den Golf
von Elat am Roten Meer, einem der schönsten Korallenriffe der Welt, in dem sich eine bunte
Vielfalt tropischer Fische tummelt. Wie wird sich das Abzapfen solcher Wassermassen dort
auswirken? Aber auch im Toten Meer kann es zu unerwünschten Veränderungen kommen,
wenn das sulfatreiche Wasser aus dem Golf auf kalziumhaltiges Wasser trifft. Die chemische
Reaktion könnte gewaltige Mengen Gips hervorbringen. Doch das Projekt scheint kaum noch
aufzuhalten zu sein. In Jordanien gibt es nur eine schwache Opposition dagegen.
Eli Raz empfiehlt der israelischen Regierung, Landwirtschaft und Industrie konsequenter
zum Wassersparen anzuhalten. Zusätzlich könnte Süßwasser aus Flüssen der Türkei geholt
werden, die sich ins Mittelmeer ergießen. Transportiert in gigantischen aus Wassertanks
zusammengesetzten Flößen, die von Schleppern gezogen werden. Ebenfalls eine
großtechnologische Lösung - aber, sagt Raz, sie wäre ökologisch verträglicher und würde nur
wenig Transportenergie kosten. Doch die Regierung in Amman lehnt diese Idee ab, denn sie
hätte zur Folge, dass Jordanien Wasser aus Israel beziehen müsste. So wird der Kanal wohl
kommen und - wenn alles gut geht - die Wassernot in Jordanien, Israel und den
palästinensischen Autonomiegebieten lindern.
Das Austrocknen des Toten Meeres wäre gebremst, und vielleicht dürfte auch der Jordan
wieder ein richtiger Fluss werden. Dass manche Umweltschäden wieder rückgängig gemacht
werden können, beweist das Hula-Tal. Ein Teil des trockengelegten Gebietes wurde nach den
Protesten der Naturschützer wieder in seinen natürlichen Zustand versetzt. In den
Papyrussümpfen und Teichen tummeln sich heute Pelikane, Kraniche, Störche und andere
Vogelarten. Im Wasser wimmelt es von riesigen Welsen, die sich ihres Lebens sicher sind:
Erstens ist es ein Naturschutzgebiet, und zweitens sind Welse nicht koscher.