Gesprächsforum 1: Unternehmen und Azubis – wie finden die einen zu

 Gesprächsforum 1: Unternehmen und Azubis – wie finden die einen zu den anderen?
Moderation: Klemens Lühr (IKU_DIE DIALOGGESTALTER)
Im Mittelpunkt dieses Gesprächsforums stand der intensive Austausch zwischen Unternehmensvertretern auf der einen und Azubis auf der anderen Seite. Folgende Fragen wurden u.a. diskutiert:
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Wie gelingt es den Unternehmen in Zeiten zurückgehender Bewerberzahlen geeignete Auszubildende zu gewinnen und zu halten?
Wie müssen sich Unternehmen als attraktiver Ausbildungsbetrieb aufstellen und präsentieren?
Wie sieht aus Sicht der Jugendlichen ein idealer Ausbildungsbetrieb aus?
Welche Erfahrungen machen Azubis im Ausbildungsbetrieb? Was ist positiv, woran mangelt es?
Das Gesprächsforum wurde eingeleitet von einem Bühnengespräch mit dem Auszubildenden Tom
Hendlmeier, der während seiner Ausbildung aufgrund schlechter Erfahrungen seinen Ausbildungsplatz
wechselte, sowie dem Unternehmensvertreter der ERGO Versicherungsgruppe, Michael Popp, der 45
Auszubildende betreut und sowohl für deren Gewinnung als auch überregionale Koordinationsthemen
zuständig ist.
Thematisiert wurde unter anderem das Suchen und Finden geeigneter Ausbildungsplätze und Azubis.
Tom Hendlmeier beklagte dabei lange, standardisierte Bewerbungsverfahren großer Unternehmen, deren Ausgang selten transparent für den Betroffenen sei. Seine aktuelle Ausbildungsstelle in einem KMU
habe er schließlich über eine einfache Zeitungsanzeige gefunden.
Die ERGO Versicherungsgruppe arbeitet erfolgreich mit der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit zusammen und veranstaltet inzwischen gezielt Informationsveranstaltungen zur Unternehmensphilosophie
und Berufsbildern. Die Zahl eingehender Bewerbungen konnte durch dieses Instrument deutlich erhöht
werden. Beklagenswert, so Michael Popp, sei allerdings die hohe Nichterscheinungsrate der Jugendlichen zu Informations- und Bewerbungsterminen sowie zum festgelegten Ausbildungsbeginn. Dadurch
sinke die Bereitschaft kleinerer Unternehmen, auszubilden. Im eigenen Unternehmen beobachtet Michael Popp fehlendes (soziales) Engagement der Azubis. Zugleich sieht er die gestiegene Verantwortung bei Ausbildern und Betrieben, die Jugendlichen bei der Entwicklung nicht nur fachlicher Kompetenzen zu fördern.
Tom Hendlmeier beklagt das fehlende Engagement vieler Gesellen bei der Ausbildung. Es gebe kaum
fachliche Anleitung, „learning by doing“ sei an der Tagesordnung. Es fehle oft an der Unterstützung
durch die Geschäftsführung, die Gesellen würden beispielsweise nach Leistung bezahlt – worunter Lehre und Anleitung nicht fielen. Zudem würden Auszubildende als billige Arbeitskräfte missverstanden.
Angeregt durch diese Praxisbeispiele, bearbeiteten die Arbeitsgruppen im Rahmen eines World Cafés
die Leitfragen, die in die Themenkomplexe „VOR der Ausbildung“ und „IN der Ausbildung“ untergliedert
waren. Schon die Wortmeldungen während des Gesprächsforums ließen Forderungen nach einer besseren und einheitlicheren Bezahlung der Azubis sowie einer besseren Zusammenarbeit zwischen
(Handwerks-)kammern, Betrieben und Schulen laut werden. Zudem gebe es zahlreiche Initiativen zur
Berufsfindung und –begleitung, die bei Schülerinnen und Schülern nicht bekannt seien. Vorhandene
Angebote und existierende moderne Kommunikationsmittel wie Apps müssten bei den Jugendlichen
bekannter gemacht werden.
Die Anwesenden konnten sich auf den Slogan „Ausbildung ist Chefsache“ einigen – nur durch Unterstützung von ganz oben und zusätzliche Paten oder professionelle Ausbilder können erfolgreiche und zufriedenstellende Abschlüsse erreicht werden.
Konkret erarbeitet haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gesprächsforums folgende Empfehlungen an die betreffenden Zielgruppen:
VOR der Ausbildung
UNTERNEHMEN
- Vermittlung aller wichtigen Informationen an die Interessenten/Bewerber z. B. durch einen Tag der
offenen Tür
- Erzeugung von Interesse und Vertrauen
- Angebot von Verbundausbildung
- Angebot von Ferienjobs und Patenschaften mit Schulen/Klassen
- Bewerbungsverfahren persönlicher gestalten
- Aktiv werben und soziale Netzwerke nutzen
- Prüfung von Anforderungen, Zielen und Ausbildungsqualität
- Auszubildende als wertvolle Investition für das Unternehmen erkennen
(BERUFS-)SCHULEN
- Praxisbezug der Lehrer für Berufsorientierung erhöhen - mehr Praxiserfahrungen vorweisen
- Lehrer für Berufsorientierung sollten „Vertrauenspersonen“ sein
- Entscheidung für Bildungsweg sollte später erfolgen
- Einsatz einer Infrastruktur für nachhaltige Lernmotivation und Leistungssteigerung
- Vorab-Prüfung und –einsatz bei den Praxisbetrieben
- Informationen zu Berufsbildern an Schüler und Eltern
- Berufswahlpass
- Rechtzeitige Vorbereitung und Berufsorientierung
- Einblicke in die Unternehmenspraxis ermöglichen
- Infotafel mit Adressen von Lehrstellenbörsen
POLITIK/VERWALTUNG
- Klassengröße anpassen, um individuell auf Schüler eingehen zu können
- Lehrerausbildung regelmäßig prüfen
- Praxisbezug der Berufsberater erhöhen
- Reduzierung der Ausbildungsberufe und Vereinfachung der Berufsbezeichnungen
- Überlegung, ob Zusammenlegung von Berufsschulen im ländlichen Raum sinnvoll ist
- Sicherung der Mobilität inkl. finanzieller Unterstützung
- Vermehrte Integration verbindlicher Praktika
- Einfache und kontinuierliche Finanzierung ( Berufsorientierung weg von Projektförderung hin zu
Regelförderung)
- Höhere Lehrlingsvergütung
- Mehr Transparenz und Übersichtlichkeit bei Angeboten und Ausbildungsmöglichkeiten
AUSBILDUNGSSUCHENDE/AUSZUBILDENDE
- Frühzeitig und hinreichend Informationen einholen  u.a. Informationsveranstaltungen nutzen
(Ausbildungsmessen, Tag der offenen Tür, etc.)
- eigene Stärken und Schwächen kennen
- gute Vorbereitung und soziale Kernkompetenzen (Pünktlichkeit, Zuverlässlichkeit)
- Eigeninitiative zeigen, freiwillige Praktika oder Ferienjobs annehmen
- Offen sein, Alternativen in Betracht ziehen
SONSTIGE
- regionale Zusammenarbeit von Personen, Organisationen und Institutionen für Berufsorientierung
- Übergeordneten Koordinierungsstellen prüfen
-
Mehr (kommunale) Berufsorientierungsmessen
Eltern informieren und mit einbeziehen, z. B. mit Erfahrungsaustausch zu eigenen Jobs
IN der Ausbildung
UNTERNEHMEN
- Expertentum der Azubis besser nutzen
- Mehr Wertschätzung und Respekt gegenüber Azubis
- Ausbildungsqualität regelmäßig überprüfen
- Intensivere Betreuung und Einweisung
- Ausbildung soll Chefsache im Unternehmen sein
- Erlernen von Praktiken im Unternehmen entsprechend der theoretisch vermittelten Lerninhalte
- Schulung und Übung von firmenspezifischen Programmen/Techniken
- Betreuung durch einen festen Mentor, der dem Azubi zur Seite steht (keine ständigen Wechsel)
- Einhaltung der Ausbildungsrahmenverträge
- Fachlicher Austausch mit Berufsschulen
- Beachtung der Persönlichkeits- und fachlichen Entwicklung des Azubis
- Klare Perspektiven auf Übernahme nach der Ausbildung
(BERUFS-)SCHULEN
- Azubis müssen Lehrplan kennen
- Finanzierung/Budgetierung nicht auf dem Rücken der Schüler austragen
- Standards für jede Schule
- Mehr Praxisphasen für die Ausbildung
- Umsetzung der Lernmittelfreiheit
- Beachtung von Klassenstärken
- Förderung von Teamarbeit
- Zusammenarbeit von Kammern, Berufsschulen, Ausbildungsbetrieben und Gewerkschaften
- Lernortkooperationen anbieten
- Mehr Zeit für wichtige Themenbereiche einplanen, teilweise nicht tiefgründig genug
- Engere Zusammenarbeit mit Firmen, da die Inhalte teilweise stark abweichen
POLITIK/VERWALTUNG
- Einhaltung gesetzlicher Vorgaben sicher stellen
- Überwachung der Ausbildung in Unternehmen durch zuständige Stellen
- Stärkere Netzwerkarbeit
- Lehrlingsbefragungen
- Förderung von Verbundausbildung
- Ausbau der beruflichen Schulzentren zu regionalen Kompetenzzentren
- Zielgerichtete Berufsberatung, da diese teilweise als zu allgemein empfunden wurde
- Personal und Ausstattung der Berufsschulen sichern
- Niveau, Qualität und Standards regelmäßig überprüfen
AUSBILDUNGSSUCHENDE/AUSZUBILDENDE
- Durchhaltevermögen, Pünktlichkeit, Eigeninitiative zeigen
- Kommunikation mit dem Unternehmen bei Gesprächsbedarf
- Ältere Azubis als „Mentoren“ für jüngere Azubis