Mag. Doris Täubel-Weinreich, Richterin am BG Innere Stadt Wien Die Rechtsentwicklung des HeimAufG anhand exemplarischer Judikatur oder Was man aus den Fällen anderer lernen kann 1. Einleitung 2. Gerichtliche Überprüfung §§ 11ff HeimAufG a) mündliche Verhandlung obligatorisch - gilt jedoch nicht im Rekursverfahren selbst bei Verfahrensergänzung 2 Ob 77/08z Entschließt sich das Rekursgericht zur Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens, das lediglich der Verdeutlichung oder Erläuterung der schon in erster Instanz mündlich erörterten Ergebnisse der Befundaufnahme dienen soll, so schließt die „sinngemäße" Anwendung der zitierten Verfahrensbestimmung die bloß schriftliche Ergänzung des Gutachtens nicht aus……. Zwecks Wahrung des rechtlichen Gehörs ist es jedenfalls geboten, den am Rechtsmittelverfahren beteiligten Parteien vom Inhalt eines im Rahmen der Verfahrensergänzung gemäß § 17 Abs 2 HeimAufG eingeholten des ergänzenden Gutachtens so rechtzeitig Kenntnis zu verschaffen, dass für sie noch vor der Sachentscheidung die Möglichkeit zu einer (schriftlichen) Äußerung besteht. b) Rechtsmittel § 16 HeimAufG Anmeldung des Rekurses in der mündl. Verhandlung 8 Ob 46/08k Ein Rekurs des Leiters der Einrichtung gegen eine Entscheidung, die eine freiheitsbeschränkende Maßnahme für unzulässig erklärt, ist nur zulässig, wenn das Rechtsmittel (in Anlehnung an die Vorbildbestimmung des § 28 iVm § 26 UbG) in der mündlichen Verhandlung angemeldet wurde. Grundsatz der Einseitigkeit des Rekursverfahrens 6 Ob 80/09x Die Zweiseitigkeit des Rekurses und des Revisionsrekurses ist in § 16 Abs 3 HeimAufG nur für den Fall vorgesehen, dass der Leiter der Einrichtung den Beschluss, mit dem eine Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt wird, bekämpft. In allen anderen Fällen ist das Rechtsmittel einseitig (2 Ob 77/08z). Diese Rechtslage steht im Einklang mit Art 6 MRK, werden doch civil rights im Sinne der zitierten Bestimmung anderer Personen durch die angefochtene Entscheidung nicht berührt. Kein Rekursrecht von Vertrauensperson und Betroffenen gegen die Unzulässigerklärung einer Freiheitsbeschränkung 43 R 374/09z LGZ Wien Wird eine Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt, ist kein Eingriff in dieses Grundrecht zu erkennen, sodass weder die BewohnerIn noch die Vertrauensperson, die ausschließlich die Interessen der BewohnerIn wahrnehmen kann, beschwert sind. c) Tod des Betroffenen im laufenden Verfahren 9 Ob 148/06i Der Bewohnervertreter gemäß § 8 HeimAufG macht kein eigenes Recht geltend, sondern ist (weiterer) Vertreter des Bewohners. Dieses Vertretungsrecht erlischt mit dem Tod des Vertretenen, sodass ein nach dem Todeszeitpunkt erhobener Revisionsrekurs des Bewohnervertreters unzulässig ist. d) Untersuchungsgrundsatz 1 Ob 21/09h Der Grundsatz, nach dem das Unterlassen einer gesetzmäßigen Verständigung des Bewohnervertreters schon für sich die Unzulässigkeit der freiheitsbeschränkenden Maßnahme bewirkt, ist insoweit einzuschränken, als dies für solche (kurzfristige) Maßnahmen (zum Beispiel „Einmalmedikationen") dann nicht gelten kann, wenn deren Folgen für den betreffenden Bewohner auch im Falle einer unverzüglichen Verständigung des Bewohnervertreters gemäß § 7 Abs 2 HeimAufG nicht mehr beeinflusst werden könnten. Soweit also eine unverzügliche Verständigung zwar unterblieben ist, eine solche aber auch nicht geeignet gewesen wäre, dem Bewohnervertreter eine Einflussnahme auf die durch die Maßnahme herbeigeführten Folgen zu ermöglichen, führt die bloße Tatsache der unterlassenen Verständigung nicht per se zu einer Unzulässigkeit der Maßnahme. In einem solchen Fall ist die Maßnahme nur dann für unzulässig zu erklären, wenn sie inhaltlich ungerechtfertigt war. e) Zustimmung eines Sachwalters 4 R 27/08z LG Klagenfurt Das Heim muss es sich grundsätzlich auch anrechnen lassen, wenn die die Freiheit der Bewegung einschränkende Maßnahme von dritter Seite, etwa dem Sachwalter, geduldet wird. 3. Anwendungsbereich des HeimAufG a) Anwendung des HeimAufG in Spitälern 3 Ob 246/06g Fraglich ist nach dieser Regelung, ob das Gesetz auch in Fällen wie dem vorliegenden anzuwenden ist, in dem bei - wovon ohne weiteres auszugehen ist - weiter bestehender Pflegebedürftigkeit wegen psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung ein Unfall oder eine körperliche Erkrankung zu einer stationären Behandlung in einer Krankenanstalt führt und dabei eine Freiheitsbeschränkung erfolgt. b) Willkürliche Bewegungen 2 R 264/06y LG Feldkirch Eine Prüfung der Zulässigkeit freiheitsbeschränkender Maßnahmen im Sinne der Bestimmungen des HeimAufG hat immer dann zu erfolgen hat, wenn der Bewohner noch zu willkürlichen, auf Ortsveränderung gerichtete Bewegungen grundsätzlich fähig ist. Dies gilt auch dann, wenn diese willkürlichen Bewegungen nur dazu geeignet sind, dass der Bewohner aus dem Bett oder aus dem Rollstuhl fällt und eine Fortbewegung im eigentlichen Sinn ohne fremde Hilfe gar nicht möglich ist. Nur dann, wenn unter Anlegung eines strengen Maßstabes willkürliche, auf Fortbewegung gerichtete Bewegungen des Bewohners auszuschließen sind und eine Ortsveränderung nur durch unwillkürliche Bewegungen erfolgen könnte, scheidet eine Freiheitsbeschränkung im Sinne des HeimAufG aus. 4.) Zum Begriff der Freiheitsbeschränkung a) Gestaltung der Fluchttüren 4 Ob 149/09d Eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des HeimAufG liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Dabei ist zunächst die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bereich wesentlich; der räumliche Umfang der Beschränkung spielt für die Freiheitsbeschränkung keine Rolle. Auch die Bewegungsbeschränkung auf die Einrichtung in ihrer Gesamtheit unter Wahrung freier Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des Areals der Einrichtung ist daher eine Freiheitsbeschränkung (8 Ob 121/06m mwN). Eine Freiheitsbeschränkung kann zwar nur an jemandem vorgenommen werden, der grundsätzlich (noch) über die Möglichkeit zur willkürlichen körperlichen Fortbewegung (mit Ortsveränderung) verfügt. Auf die Bildung eines (vernünftigen) Fortbewegungswillens und darauf, ob sich der betroffene Bewohner der Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit bewusst ist, kommt es dabei allerdings nicht an b) Freiheitsbeschränkung durch Verbot – 7 Ob 226/06w Eine Freiheitsbeschränkung im Verständnis dieses Gesetzes liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Dabei ist zunächst die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bereich wesentlich. ... Eine Freiheitsbeschränkung setzt nicht notwendigerweise die Anwendung physischen Zwangs voraus. Es genügt auch dessen Androhung. Der Begriff der Androhung ist im spezifischen Konnex der Pflege oder Betreuung des Betroffenen zu verstehen: Es ist nicht erforderlich, dass ihm von der anordnungsbefugten Person oder anderen Bediensteten konkret mit freiheitsentziehenden Maßnahmen 'gedroht' wird. Vielmehr reicht es aus, wenn er aus dem Gesamtbild des Geschehens den Eindruck gewinnen muss, dass er den Aufenthaltsort nicht mehr verlassen kann. ... c) Mechanische Maßnahme Gehhilfe RCN Walker 4 R 27/08z LG Klagenfurt Im Anlassfall ist der Bewohner ** allerdings aufgrund seiner fortgeschrittenen Demenz nicht in der Lage, den Bügel des Gehwagens zu öffnen und diesen selbständig zu verlassen, sodass er de facto eingeschlossen ist. Insofern ist seine Situation mit der eines Patienten vergleichbar, der seinen Rollstuhl wegen einer mechanischen Fixierung ebenfalls nicht verlassen kann. Dass ** dadurch in seiner Bewegungsfreiheit beschränkt wird, liegt schon deshalb auf der Hand, weil er - mit Ausnahme von Zeiten krankheitsbedingter Bettlägerigkeit - in der Lage ist, selbständig wie auch mit Hilfe des Pflegepersonals aufzustehen und sich gehend fortzubewegen. d) Medikamentöse Freiheitsbeschränkung 7 Ob 186/06p Zur demnach - auch nachträglich - erforderlichen Überprüfung der Medikation mit Psychopax wird das Erstgericht daher durch entsprechende Verbreiterung der Sachverhaltsbasis im aufgezeigten Sinn - therapeutischer Anwendungsbereich, Zusammensetzung (Wirkstoffkomponenten) und Wirkungsweise des Medikaments - zu klären haben, damit beurteilt werden kann, ob die Gabe von Psychopax eine (mangels Verständigung der Bewohnervertreterin gemäß § 7 Abs 2 HeimAufG unzulässige) freiheitsbeschränkende Maßnahme war oder nicht. 2 Ob 77/08z Hinsichtlich der Verabreichung des Narkotikums Nalbufine haben die Vorinstanzen das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Freiheitsbeschränkung bejaht. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht ist diese Beurteilung durch die in erster Instanz erhobene Tatsachengrundlage ausreichend gedeckt: Für die Beschränkung der Bewegungsfreiheit gelten die Prinzipien der Unerlässlichkeit und Verhältnismäßigkeit (RISJustiz RS0105729). Die Beschränkung muss zur Erreichung des angestrebten Ziels unerlässlich sein und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen; es gilt der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs (7 Ob 144/06m; 7 Ob 226/06w; 7 Ob 19/07f; Barth/Engel aaO § 4 HeimAufG Anm 9). Die Feststellungen des Erstgerichts sind bei verständiger Würdigung dahin zu verstehen, dass dem Bewohner das Narkotikum Nalbufine in Fällen verabreicht wird, in denen seine Aggressionsausbrüche zu einem derart hohen Grad der Gefährdung seiner Person führen, dass die freiheitsbeschränkende Maßnahme zur Gefahrenabwehr unerlässlich und geeignet und durch Gefährdung durch gelindere Maßnahmen nicht abwendbar ist. Dabei wird das Medikament nur angewendet, soweit dies zu Erreichung des gewünschten Ziels, „nämlich das Leid des Bewohners zu lindern und ihn zu beruhigen" tatsächlich erforderlich ist. Eingehenderer Feststellungen zu „Eignung, Dauer und Intensität der Verabreichung des Medikaments" bedarf es nicht. 1 Ob 21/09hm Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (2 Ob 77/08z) ist etwa eine Feststellung, der Einsatz der kombiniert verabreichten Medikamente sei „therapeutisch indiziert", nicht ausreichend. Vielmehr bedarf es einer Aussage darüber, welchen therapeutischen Zweck die Anwendung jedes einzelnen der zu überprüfenden Medikamente verfolgt, ob die Medikamente dieser Zweckbestimmung entsprechend eingesetzt wurden und welche konkrete Wirkung für den Bewohner mit dem Einsatz der Medikamente verbunden war. Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ist nur zu bejahen, wenn die Behandlung unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, welche sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele ergeben können. 5. Ausblick
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