Was sie wirklich wollen - Deutsches Ärzteblatt

THEMEN DER ZEIT
PSYCHOTHERAPIE MIT MÄNNERN
Was sie wirklich wollen
Männer begeben sich weitaus seltener in Psychotherapie als Frauen.
Das liegt nicht nur am Widerstand der Männer,
sondern auch am psychotherapeutischen Angebot selbst.
änner nutzen psychotherapeutische Hilfsangebote weitaus seltener als Frauen. In den 90er
Jahren und Anfang des 21. Jahrhunderts beschäftigte man sich viel
mit den möglichen Gründen, und
in der einschlägigen Literatur dominierte die „neue Psychologie des
Mannes“. Es wurde davon ausgegangen, dass viele Probleme und
Störungen, die bei Männern häufiger auftreten als bei Frauen, wie
beispielsweise erhöhte Gewaltbereitschaft oder Alkoholabhängigkeit, (mit)verursacht werden durch
die Sozialisation und das traditionelle Geschlechtsrollenverständnis
von Jungen und Männern. Sie bewirken angeblich, dass das männliche Geschlecht sich leistungsund wettbewerbsorientiert, dominant, aggressiv und rational gibt,
wohingegen es Schwächen oder
Beschwerden verschweigt und Hilfe verweigert.
M
Foto: iStockphoto
Für Männer
scheint es schwieriger zu sein, ein
vertrauensvolles
Arbeitsbündnis in der
Therapie einzugehen.
Seit kurzem ändert sich diese
Meinung jedoch. Man sieht das
Problem nicht mehr nur bei den
Männern, sondern auch in den
Hilfsangeboten selbst. Zum Beispiel ist der amerikanische Psychologieprofessor Gary Brooks von der
Baylor University der Ansicht, dass
Psychotherapie für Männer ziemlich unattraktiv sei, weil sie eher auf
Frauen als auf Männer zugeschnitten sei. So sei die Mehrzahl der Psychotherapeuten weiblich, aber manche Männer wollten eben lieber
„von Mann zu Mann“ ihre Probleme besprechen; zudem würde man
in den Sitzungen hauptsächlich reden, viele Männer wollten aber lieber handeln. Herkömmliche Psychotherapie berücksichtige außerdem die männliche Gefühlswelt
und den geschlechtsspezifischen
Umgang mit Problemen zu wenig
und pathologisiere diese sogar, wohingegen sie das weibliche Empfin-
Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 9 | September 2011
den und Reagieren als „normal“ betrachte und es Männern als (allerdings unpassendes) Vorbild vorgebe.
Dass Männer über ganz eigene
Möglichkeiten und Ressourcen verfügten, würde hingegen verkannt.
Der Widerstand vieler Männer gegenüber Psychotherapie macht sie
(zumindest zu Beginn einer Therapie) zu schwierigen Patienten. Männer tun sich weitaus schwerer damit,
ein vertrauensvolles Arbeitsbündnis
mit dem Therapeuten einzugehen als
Frauen. Glenn Good, Psychologieprofessor an der University of Missouri, hat sich mit den Haltungen von
Männern beschäftigt, die die Zusammenarbeit im Rahmen einer Psychotherapie behindern. Er berichtet, dass
Männer glaubten, stets hart, unbeugsam und unabhängig sein und die
Kontrolle behalten zu müssen – sich
in Abhängigkeit zu einem Therapeuten zu begeben, um Rat zu bitten und
Schwächen zuzugeben, widerspreche
daher ihrem Selbstbild. Männer seien
es außerdem gewohnt, Probleme zu
verschweigen und allein klarzukommen. Sich helfen zu lassen, bedeute
für sie, an sich zu zweifeln und sich
verändern zu müssen, und das sei
möglicherweise schmerzhafter, als
mit den Problemen in irgendeiner
Weise weiterzuleben. Männer seien
außerdem misstrauisch gegenüber
Psychotherapie, hielten nicht viel
von dem „Psychogeschwafel“ und
glaubten nicht an die Wirksamkeit
psychotherapeutischer Verfahren.
Was Männer wirklich wollen und
brauchen, um Vertrauen zu fassen
und eine tragfähige Arbeitsbeziehung aufzubauen, haben die Psychologen Robinder Bedi und Mica Richards von der Western Washington
University untersucht. Sie befragten
37 männliche Psychotherapiepatienten, die sich wegen verschiedener
psychischer Störungen in Langzeit-
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therapien befanden, und fanden heraus, dass eine zielorientierte Gesprächsführung für die Befragten besonders wichtig war. Dazu zählen
unter anderem elementare psychotherapeutische Techniken wie zum
Beispiel: das Gesagte zusammenfassen; nach Gedanken und Gefühlen
des Patienten fragen, sie entpathologisieren und in eigenen Worten ausdrücken; Vorschläge machen; den
Patienten konfrontieren, fordern und
ermutigen; sich positiv äußern; nicht
nur über Probleme, sondern auch
über andere Lebensbereiche sprechen; als Therapeut ehrlich sein und
von eigenen Erfahrungen berichten;
beim Thema bleiben; den Patienten
entscheiden lassen, über was er sprechen will; als Therapeut das Hierarchiegefälle abbauen und sich als
Coach oder Mentor darstellen.
Wichtig waren den Männern außerdem Respekt seitens des Therapeuten (Beachtung, freundliche
Begrüßung und Höflichkeit), eigenes verantwortungsvolles Verhalten
(pünktlich zur Sitzung erscheinen)
sowie praktische Ratschläge und
Anleitungen.
Laut Good können Psychotherapeuten das Vertrauen von Männern
auch dadurch gewinnen, dass sie
sich auf Männerthemen spezialisieren und damit werben; potenziellen
Patienten vermittle das nämlich das
Gefühl, sich in die richtigen Hände
zu begeben. Um das Misstrauen von
Männern gegenüber Psychotherapie
abzubauen, sollten Psychotherapeuten ihren Patienten vorschlagen, es
zunächst einmal damit zu versuchen
und dann zu sehen, ob es sie weiterbringt. „Männer sollten außerdem
dort abgeholt werden, wo sie sich im
Hinblick auf ihre Einstellung gegenüber Psychotherapie gerade befinden“, meint Good. Zum Beispiel
sollten Therapeuten für die Vorurteile, Ängste und Widerstände von
Männern Verständnis zeigen und sie
nicht bagatellisieren oder verurteilen. Sie sollten sich wirklich auf die
Lebenswelt von Männern einlassen,
sie vorsichtig zur Kooperation bewegen und ihnen konkrete Ziele, Handlungsstrategien und Zukunftsperspektiven aufzeigen. Hierbei können
Techniken wie etwa die motivierende Gesprächsführung nützlich sein.
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liegen, sondern im Grunde in Ordnung zu sein. Die meisten Männer
können dann Vertrauen fassen und
sich öffnen für Gespräche über
ihre Gedanken und Gefühle und für
konkrete Handlungsvorschläge, zum
Beispiel für Erziehungstipps. Dadurch erfährt der Mann, dass er etwas
tun kann und nicht nur zum (aus seiner Sicht nutzlosen) Reden verdammt
ist. Indem ihm viel Mitbestimmung
eingeräumt wird (zum Beispiel über
das jeweilige Gesprächsthema oder
über die Therapieziele), werden seine Eigenständigkeit gefordert und
sein Bedürfnis nach Kontrolle zufriedengestellt. Gespräche über andere Lebensbereiche, die dem Mann
wichtig sind und aus denen er
Selbstbestätigung gewinnt,
Lob für Handlungen, die
uneigennützig waren oder
Männer sollten dort abgeholt werden,
die Mut erfordert haben,
wo sie sich im Hinblick auf ihre
sowie Humor sind weitere
Einstellung gegenüber
Möglichkeiten, um Männern
vorhandene Stärken aufzuPsychotherapie gerade befinden.
zeigen und sie für eine FortGlenn Good, Psychologieprofessor an der University of Missouri
setzung der Therapie zu
gewinnen.
„Die Einbindung Positiver Psyein destruktiver Ansatz, der Mänchologie und positiver Maskulininern jede Motivation nimmt, sich
tät steht nicht in Konkurrenz zu
um Änderungen zu bemühen. Im
herkömmlichen Methoden, sondern
Gegensatz dazu schlagen Kiselica
kann in andere Therapien integriert
und Englar-Carlson vor, Männer
werden“, sagen Kiselica und Englarnach den Grundsätzen der Positiven
Carlson. Sie verstehen ihr Konzept
Psychologie zu behandeln und eine
als Vorschlag für eine Verbesserung
„positive Maskulinität“ zu fördern.
des psychotherapeutischen Angebots
Männer haben nämlich viele gute
für Männer, das weiterer ErforSeiten, die als Ressourcen angeseschung bedarf und vielleicht bald
hen und in die Therapie eingebunschon auf Resonanz stoßen wird. ▄
den werden können. Dazu gehört
zum Beispiel, sich einzusetzen für
Dr. phil. Marion Sonnenmoser
andere, tapfer und mutig zu sein
und nicht so schnell aufzugeben, für
LITERATUR
das Wohlergehen anderer zu sorgen,
1. Bedi R, Richards M: What a man wants.
selbstständig zu handeln, mit andePsychotherapy: Theory Research, Practice,
ren zusammenzuarbeiten und etwas
Training, Online first publication, May 23,
2011, doi: 10.1037/a0022424.
erreichen zu wollen. Diese Facetten
2.
Brooks G: Beyond the crisis of masculinity.
des männlichen SelbstverständnisWashington, DC: APA 2010.
ses gilt es in der Therapie zu akti3. Good G, Robertson J: To accept a pilot?
vieren und für die Therapieziele
Psychotherapy: Theory Research, Practice,
einzusetzen. Wenn ein Mann beiTraining 2010; 47(3): 306–15.
spielsweise von Streitigkeiten mit
4. Kiselica M: Promoting positive masculinity
der pubertären Tochter berichtet,
while addressing gender role conflict. In:
Blazina C, Shen-Miller D: An international
dann sollte er nicht kritisiert, sonpsychology of men. New York: Routledge
dern dafür gelobt werden, dass er
2011, 127–56.
sich um seine Familie sorgt und
5. Kiselica M, Englar-Carlson M: Identifying,
sich ein friedliches Zusammenleben
affirming, and building upon male
wünscht. Dies gibt dem Mann die
strengths. Psychotherapy: Theory Research,
Bestätigung, nicht völlig falsch zu
Practice, Training 2010; 47(3): 276–87.
Männer sind nach Meinung der
Psychologen und Berater Mark Kiselica (College of New Jersey) und
Matt Englar-Carlson (California State
University-Fullerton) auch deshalb
„Psychotherapiemuffel“, weil sie in
Psychotherapien oft zu hören bekommen, was sie alles falsch machen und welche Defizite sie haben.
Ihnen wird zum Beispiel gesagt, dass
sie ihre Gefühle nicht zeigen könnten
oder sich deren nicht bewusst wären,
dass sie zu wenig Rücksicht nähmen
oder zu egoistisch seien. Begründet
werden solche Schwächen in der Regel mit der Sozialisation des männlichen Geschlechts.
Die Betonung von Defiziten ist
zwar ein verbreiteter, aber dennoch
„
“
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