Was nun, Herr Bundesrat Maurer?

ZO/AvU
MONTAG, 19. MAI 2014
GRIPEN
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TAGESTHEMA 23
Was nun, Herr Bundesrat Maurer?
BERN. Verteidigungsminister Ueli Maurer ist der grosse Verlierer
der Gripen-Abstimmung. Und das, obwohl er ursprünglich nicht
die treibende Kraft hinter der Beschaffung des Kampfjets war.
MICHAEL BRUNNER
Sichtlich niedergeschlagen. So trat
SVP-Bundesrat Ueli Maurer gestern
nach dem Volks-Nein zur Beschaffung
des Kampfjets Gripen vor die Medien.
«Ja, ich nehme das Resultat durchaus
etwas persönlich», bekannte er frei­
mütig. Und dies, nachdem er schon vier
Stunden auf dem Velo unterwegs gewesen war, um den Frust wegzustrampeln.
Diese Emotionen sind ein Stück weit
erstaunlich: Schliesslich war Maurer
ursprünglich gegen die rasche Beschaffung neuer Kampfjets. Ihm liegen andere Teile der Armee mehr am Herzen
als die Luftwaffe, das ist ein offenes
Geheimnis. Erst als das Parlament
mehr Geld für die Armee gesprochen
hatte, konnte er sich für ein neues
Kampfflugzeug begeistern. Wobei begeistern ein grosses Wort ist. Lange war
kaum zu erkennen, dass Maurer wirklich ein neues Flugzeug will.
Der Skandinavien-Fan
Doch das änderte sich mit der Zeit.
Dem bekennenden Skandinavien-Fan
kam entgegen, dass es sich beim Gripen
um ein schwedisches Flugzeug handelt.
Je näher die Abstimmung rückte, desto
klarer stand Maurer hinter dem neuen
Flieger. Argumentativ griff er dabei auf
ein bewährtes Muster zurück: Wer für
die Armee ist, der muss auch dieser
Vorlage zustimmen.
Aber die einfache Argumentation
funktionierte dieses Mal nicht. Der
Grund: In einer frühen Phase hatten
viele massgebende bürgerliche Politiker den Gripen kritisiert. Da war es unglaubwürdig, wenn Maurer nun plötzlich alle Gegner zu Armeeabschaffern
machen wollte. «Ganz besonders, weil
Bundesrat Maurer ursprünglich selber
nicht einmal hinter der Beschaffung
stand», sagt der grüne Vizepräsident Jo
Lang.
Dann wurde alles noch schlimmer:
«Bundesrat Maurer merkte selber auch,
dass sein einfaches Muster Armee Ja/
Nein zu wenig verfing», sagt Lang. Das
habe ihn zu Fehlern verleitet. Maurer
habe die Waffenschutzin­itia­ti­ve im
Hinterkopf gehabt. Diese wurde 2011
dank der konservativen Landbevölkerung klar abgelehnt, obwohl der Ausgang lange offen schien. «Maurer setzte
alles daran, die damaligen Gefolgsleute
wieder für sich zu gewinnen.» Er sei
wohl überzeugt gewesen, so die Abstimmung erneut gewinnen zu können.
Nur deshalb habe er frauenfeindliche
Witze erzählt.
Doch auch das funktionierte nicht.
Und nun wird Maurer gar von Verbündeten wie der FDP für seine Kommunikation im Abstimmungskampf kritisiert. Zudem hat er die unangenehme
Aufgabe, kommunikativ zurückzurudern. «Das war kein Nein zur Armee»,
sagte er gestern zerknirscht. Er weiss,
dass er nun mit Gegenwind rechnen
muss. Er, der früher als SVP-Präsident
kräftig austeilte, bekommt nun sein
Fett ab. In den Medien, aber natürlich
auch von der politischen Konkurrenz.
Besonders bitter ist die Niederlage
für ihn, weil er sich als Bundesrat im
Verteidigungsdepartement (VBS) recht
behaglich eingerichtet hatte. Als einziger SVP-Vertreter ist er im Bundesrat
oft isoliert. Deshalb kon­
zen­
triert er
sich meist ganz auf die Geschäfte des
eigenen Departements. Und da gelang
es ihm nicht selten, eine bürgerliche
Mehrheit zu erhalten. Doch jetzt steht
er vor einem Scherbenhaufen, und das
über die Frage eines neuen Kampfjets
hinaus. Die Diskussion, welche Armee
die Schweiz will, dürfte wieder intensiver werden. Das sieht auch die SP so.
Für die Sozialdemokraten ist das Resultat der Abstimmung «ein deutliches
Nein zur Armee von Ueli Maurer».
«Jetzt erst recht»
Maurer räumt ein, dass es nun zuerst
eine vertiefte Analyse braucht. Doch
hat er überhaupt noch Lust, diese zu
machen? Oder denkt er an einen
­Departementswechsel, einen Rücktritt
gar? Bei solchen Fragen kehrt Ueli
Maurers Kämpfernatur zurück. Er
habe in seinem politischen Leben weit
mehr Niederlagen erlebt als Siege gefeiert. Kein Grund zum Verzagen also.
«Das VBS ist und bleibt mein Lieb­
lingsdepartement. Jetzt packen wir es
erst recht an.»
Für Verteidigungsminister Ueli Maurer ist diese erste Schlappe seiner Amtszeit eine herbe Niederlage, die dereinst seine Bilanz trüben dürfte. Persönliche Konsequenzen zieht der Bundesrat aber nicht in Betracht. Bild: key
Erster Vollerfolg
der GSoA
BERN. Die Gruppe für eine Schweiz
ohne Armee (GSoA) hat in über 30
Jahren immer wieder sicherheitspolitische Diskussionen ausgelöst und Druck
für Reformen gemacht. Mit dem Nein
zum Gripen gelang ihr nun erstmals ein
direkter Vollerfolg. Das erste Volks­
begehren der 1982 gegründeten GSoA,
die Initiative «Schweiz ohne Armee»,
wirkte noch wie ein Schock: 35,6 Prozent sagten damals Ja zur Armeeabschaffung, in Genf und Jura gab es sogar Ja-Mehrheiten. Mit ihren weiteren
Vorstössen, die auf die Grundfesten
der Landesverteidigung zielten, scheiterte die GSoA dagegen kläglich. Die
zweite
Armeeabschaffungsinitiative
wurde 2001 mit 78,1 Prozent Nein gebodigt, die Initiative «Ja zur Aufhebung
der Wehrpflicht» im Jahr 2013 mit 73,2
Prozent. Von den übrigen Volksbegehren der GSoA erreichte jenes gegen den
Kauf von 34 F/A-18-Kampfflugzeugen
zwar innert eines Monats die Rekordzahl von über 500 000 Unterschriften.
An der Urne stimmten 1993 aber nur
noch 42,8 Prozent zu. Noch etwas besser schnitt 2011 mit 43,7 Prozent Zustimmung die von der GSoA mitlancierte Initiative «Für den Schutz vor
Waffengewalt» ab. (sda)
Saab hofft, dass Schweizer Gripen mieten
STOCKHOLM. Gripen-Hersteller
Saab setzt nach dem Schweizer
Nein auf Brasilien und die
eigene Regierung. Ausserdem
liegt das Angebot an die Schweiz
auf dem Tisch, die Gripen zu
mieten statt zu kaufen.
ANDRÉ ANWAR
Es ist ein herber Schlag für Saab. Aber
der schwedische Rüstungskonzern
kann die Ablehnung des Kaufs von 22
neuen Gripen durch die Schweizer
Stimmbürgerinnen und Stimmbürger
verkraften. «Wir haben keinen Plan B»,
sagte Konzernchef Hakan Buskhe
schon vor der Volksabstimmung der
schwedischen Zeitung «Svenska Dagbladet». «Aber wir rechnen trotz allem
damit, in den nächsten 20 Jahren 400
Gripen-Kampfflugzeuge zu verkaufen.»
Dementsprechend
zurückhaltend
hiess es denn auch in einer spät am
Sonntag verlauteten offiziellen Erklärung von Saab: «Wir respektieren den
Schweizer Prozess und kommentieren
deshalb nicht das Resultat der Volksab-
stimmung vom Sonntag.» Schwedens
bürgerliche
Verteidigungsministerin
Karin Engström dagegen gab sich offen
enttäuscht: «Das ist traurig. Wir haben
grosse Vorteile in der Zusammenarbeit
mit der Schweiz gesehen. Diese Zusammenarbeit wäre für beide vorteilhaft
gewesen, die Schweiz und Schweden.»
Doch auch sie akzeptiert das Ergebnis.
«Ich respektiere die Entscheidung des
Schweizervolkes. Es hat Nein zum Finanzierungsmodell gesagt.»
Saab selber ist nicht gefährdet. «Das
Nein beim Schweizer Volksentscheid
ist ein herber wirtschaftlicher und pres-
«Das Nein des Schweizervolkes ist ein herber
wirtschaftlicher
Rückschlag für Saab»
Tomas Augustsson, Saab-Experte
tigemässiger Rückschlag für Saab, aber
einer, den der Rüstungskonzern verkraften kann», sagt Tomas Augustsson,
Saab-Experte der «Svenska Dagbla-
det», ge­gen­über dieser Zeitung. «Saab
ist inzwischen mittelfristig gut aufgestellt, also für die nächsten 20 bis 25
Jahre.» Das schwedische Parlament
hatte für eine weitere finanzielle Unterstützung der einst von der Stilllegung
bedrohten Kampfflugzeugsparte zur
Grundbedingung gemacht, dass mindestens ein weiteres Land den Gripen
kauft. Das wird nun höchstwahrscheinlich Brasilien sein. Das Geschäft mit
den Brasilianern, denen man auch
Knowhow im Bau von Kampfflugzeugen in Brasilien selbst angeboten hat,
ist mit bislang 36 Fliegern grösser und
mittelfristig ausbaufähiger als das mit
den Schweizern. «Brasilien ist wichtiger
für Saab, als es die Schweiz ist», sagt
auch Augustsson. Zudem hat Schwedens Regierung mit 14 Milliarden Kronen (1,9 Milliarden Franken) bereits zu
grosse Summen in die Weiterentwicklung gesteckt, als dass sie sich jetzt noch
zurückziehen könnte. Eine Produkteinstellung würde selbst dann nicht
mehr Sinn machen, sollte sich auch
Brasilien aus dem Geschäft verabschieden, unterstrich Jan Andersson, Forscher am Aussenpolitischen In­sti­tut in
Stockholm, am Sonntag. Die schwedi-
sche Regierung hat im Zuge der Ukraine-Krise über die bereits bestellten 60
Saab-Kampfflieger 10 weitere geordert.
Tschechien mietet Gripen
Auch die Schweiz ist für Saab noch
nicht vom Tisch. In Schweden wurde
gestern spekuliert, ob die Schweizer
Regierung nun den Gripen mieten
könnte. Denn formell ging es beim
Referendum um die Kauffinanzierung, nicht aber um andere Nutzungsformen. «Wenn die Schweizer weiter
eine Luftwaffe haben wollen, brauchen sie neue Flugzeuge», sagt auch
Augustsson, der eine Vermietung an
die Schweiz für nicht ausgeschlossen
hält. Erst am Freitag hat Tschechien
seinen Mietvertrag für 14 Saab-Gripen vom Typ C/D um weitere 12 Jahre
verlängert.
Im Mischkonzern Saab, nicht zu verwechseln mit dem Autohersteller, ist
der Gripen derzeit der wichtigste strategische Umsatzposten. Saab ist zudem
Zulieferer für die zivile Luftfahrt etwa
für Boeing und Airbus. Daneben baut
Saab Antiterrorsicherheitssysteme für
den zivilen Bereich, etwa für Flugplätze und Seehäfen.