P O L I T I K MEDIZINREPORT Apoptose durch Zytostatika Selbst- und Brudermord von Tumorzellen Zytotoxische Medikamente, die in der Krebstherapie eingesetzt werden, lösen bei Tumorzellen den programmierten Zelltod (die Apoptose) aus. Wie das geschieht, wußte man bisher nicht genau. Heidelberger Wissenschaftler von der UniversitätsKinderklinik sowie Professor Peter Krammer vom Deutschen Krebsforschungszentrum haben jetzt einen Teil der Vorgänge aufgeklärt. Sie konnten zeigen, daß die Medikamente Doxorubizin und Methotrexat in verschiedenen Tumorzellinien ein genetisches Programm auslösen, das zum Zelltod führt (Nature Medicine 5, 574–577, 1996). Die Zytostatika starten die Apoptose, indem sie die Produktion des Proteins CD95-L (kurz für CD95-Ligand) anschalten. CD95-L bindet dann an das Rezeptorprotein CD95, das aus der Oberfläche vieler Zellen – auch der Tumorzellen – herausragt. CD95 gehört zur Familie der TNF/NGF-Rezeptoren (TNF = Tumornekrosefaktor, NGF = Nervenwachstumsfaktor). weise von Zytostatika ermöglicht es, gezielter zu untersuchen, warum manche Krebsarten von Anfang an, andere erst bei Rückfällen unempfindlich gegen diese Medikamente sind oder sich nur schlecht durch sie bekämpfen lassen. So kommt es bei rund einem Drittel der behandelten Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie (ALL), der häufigsten bösartigen Erkrankung bei Kindern, zu Rückfällen. Bei etwa der Hälfte dieser Fälle sind die Krebszellen viel schwerer zu bekämpfen als bei ihrem ersten Auftreten, da sich Resistenzen gebildet haben. Störungen im Signalweg der durch CD95-L ausgelösten Apoptose, Veränderungen im CD95-L- oder CD95-Molekül oder antiapoptotische Programme der Zelle könnten hierfür unter anderem die Gründe sein. Die Wissenschaftler selbst bewerten ihre Erkenntnisse so: „Da CD95 und CD95-L in vivo auf verschiedenen Tumoren und Geweben exprimiert werden, könnten unsere Ergebnisse für die Tumortherapie und für die Nebenwirkungen von zytotoxischen Medikamenten auf normale Gewebe von weitreichender Bedeutung sein.“ Dr. Ingrid Glomp Was tun bei Stich mit HIV-kontaminierter Nadel? Das Risiko einer HIV-Infektion durch eine Verletzung mit kontaminierten Instrumenten ist nach einer Übersicht des Berliner Robert Koch- Nach einer Ende letzten Jahres veröffentlichten US-Studie läßt sich das Risiko der HIV-Ansteckung durch eine schnelle Behandlung mit AIDS weltweit p53 sammelt sich in Tumorzellen an Der Kontakt von CD95-L mit CD95 löst eine Kette von Ereignissen aus, die zur Selbstvernichtung der Zelle führt. Auch die sterbende Zelle produziert CD95-L und leitet so zusätzlich die Apoptose in Nachbarzellen ein. Wie die zytotoxischen Medikamente die Expression von CD95-L bewirken, weiß man nicht genau. Es ist jedoch bekannt, daß das Tumorsuppressorgen p53 bei Apoptosevorgängen eine Rolle spielt. Die Autoren vermuten, daß sich nach der Verabreichung der Zytostatika das Protein p53 in den Tumorzellen ansammelt und die Transkription weiterer Gene – vielleicht auch desjenigen von CD95-L – anschaltet. Die teilweise Aufklärung der Wirkungs- Institutes nicht allzu hoch: Unfälle beispielsweise mit HIV-kontaminierten Injektionsnadeln, Skalpellen oder Scheren führen nur in etwa einem von 300 Fällen zur Ansteckung. Dem Robert Koch-Institut (RKI) wurden in Deutschland in den letzten 15 Jahren 18 (sicher oder wahrscheinlich) solcher berufsbedingter HIV-Infektionen gemeldet. dem AIDS-Medikament AZT um weitere 40 bis 90 Prozent reduzieren. Da sich in den letzten Monaten durch die Zulassung neuer Medikamente die Behandlungsmöglichkeiten von AIDS-Patienten verbessert haben, geht das Amt davon aus, daß die neuen Kombinationstherapien auch die Wirksamkeit dieser „Postexpositionsprophylaxe“ steigern. Allerdings ver- Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 1–2, 6. Januar 1997 (25) A-25 P O L I T I K MEDIZINREPORT lange jeder Einzelfall eine sorgfältige Abschätzung des Nutzens gegen die Nebenwirkungen der medikamentösen Prophylaxemaßnahmen. Als Sofortmaßnahme rät das RKI zu einer möglichst raschen Reinigung und Desinfektion der Wunde, zunächst mit Seife unter fließendem Wasser, dann mit einem viruswirksamen Hautdesinfektionsmittel. Falls man sich für eine medikamentöse Prophylaxe entscheidet, sollte die Behandlung innerhalb von zwei Stun- den nach der Verletzung beginnen. Dieses enge Zeitfenster erfordert in Kliniken und Praxen mit beruflicher HIV-Exposition eine gewisse organisatorische Vorbereitung für den Notfall. Das RKI hat im „Epidemiologischen Bulletin 43/96“ die wichtigsten Empfehlungen und Verhaltensregeln zusammengetragen. Es wird auf Anfrage kostenlos verschickt: Robert Koch-Institut, Nordufer 20, 13353 Berlin. kch Therapie von Karzinomen Wie Resistenzen gegen Antihormone entstehen Zwei unterschiedliche Rezeptorformen und ihr Verhältnis in den verschiedenen steroidhormongesteuerten Organen entscheiden über die Wirkung von Hormonen und Antihormonen. Dieser „Dualismus“ liefert die Erklärung dafür, warum manche Karzinome resistent gegen Antihormone werden und warum ein und dasselbe Antihormon in einem Organ wachstumshemmend und in einem anderen wachstumsfördernd sein kann. Bei der Behandlung des Mammakarzinoms mit Tamoxifen wirkt der Antagonist anfänglich hemmend auf das Karzinomwachstum; ab einem bestimmten Zeitpunkt jedoch kehren sich die Verhältnisse um, und dieselbe Substanz stimuliert den Tumor. Dieses „Umschalten“ von der antagonistischen zur agonistischen Wirkung unterliegt verschiedenen Regelmechanismen, die Prof. Kathryn Horwitz (Denver) beim 40. EndokrinologenKongreß in Marburg darlegte. Am besten untersucht sind dabei Gestagene und Antigestagene, wobei es sich jedoch wahrscheinlich um einen generellen Mechanismus für die Modulation aller Steroidhormone handeln dürfte. Die Basis für alle Hormonwirkungen ist der Rezeptor – der im Fall des Progesterons in zwei verschiedenen Isoformen vorliegt: Eine verA-26 kürzte A-Form und eine große BForm. Beide unterscheiden sich in ihrer Funktion. So wirken synthetische Antigestagene wie RU 486 am B-Rezeptor als Agonisten, am A-Rezeptor als Antagonisten. Werden sie mit Agonisten besetzt, erfüllen beide Formen ihre Aufgaben unterschiedlich „effizient“ und gewebespezifisch. Die A-Form des ProgesteronRezeptors ist der einzige Hemmstoff für den B-Rezeptor und andere Steroidrezeptoren inklusive der Östrogenrezeptoren. Und nur A-Rezeptoren können die Transkription hemmen, wobei sie an Elemente binden, die normal für GlukokortikoidRezeptoren reserviert sind. Horwitz konzedierte, daß mit diesen Erkenntnissen zwar die gewebespezifische Wirkung von Steroidhormonen verständlich wird, „aber leider wissen wir bis heute nur sehr wenig über die Verteilung der beiden Rezeptorformen in Brust und Gebärmutter“. Für Tamoxifen ist das „Umschalten“ des Tumorwachstums – und seine wachstumssteigernde Wirkung im Endometrium – jedoch über diese Regelmechanismen verständlich geworden: Tamoxifen wirkt wahrscheinlich ebenso unterschiedlich auf die Isoformen des Östrogen-Rezeptors. Die Substanz wirkt antiöstrogen bei Brusttumoren, kann aber über ih- (26) Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 1–2, 6. Januar 1997 re östrogenartige Wirkung in der Gebärmutter ein Endometriumkarzinom fördern. Vermutlich wird der antiöstrogene Effekt im Mammakarzinom-Gewebe im Lauf der Zeit durch eine Rezeptor-Umstellung „geringer“, es bleibt dann nur der östrogene Effekt, der wiederum das Tumorwachstum stimuliert. Durch das Absetzen wird ein „Östrogenentzug“ bewirkt, was dann wieder hemmend auf den Tumor wirkt. Für Antigestagene konnte Horwitz nachweisen, daß sich unter einer Therapie mit RU 486 das Verhältnis der Rezeptorformen im Gewebe ändert; dies wiederum entscheidet, ob die Substanz wie ein Agonist oder wie ein Antagonist wirkt. Vermutlich handelt es sich dabei um einen grundlegenden Mechanismus, wie die Wirkung von Steroidhormonen vom Körper moduliert wird. Denn eine andere Arbeitsgruppe berichtete über ähnliche Rezeptorformen bei den Glukokortikoid-Rezeptoren. Die Beta-Form kann das Hormon nicht binden, behindert aber die Alpha-Form in der Wirkung, quasi wie ein Anti-Glukokortikoid. Das wiederum erlaubt die Spekulation, daß ein Asthma-Patient, der nicht mehr auf Kortison anspricht, sehr viel von diesen Beta-Rezeptoren bildet, die die Wirkung des Kortisons blokkieren. Erste Daten dazu liegen aus den USA vor. Unterschiedliche Organwirkung Insgesamt, so Prof. Bruno Allolio (Würzburg), sind Hormon- und Antihormonwirkung eng miteinander gekoppelt. Dies erlaubt dem Körper, darüber zu entscheiden, was in der einzelnen Zelle abläuft – bei Tamoxifen dominiert an der Brust die antiöstrogene, am Knochen und in der Gebärmutter die östrogene Wirkung. Die WHO-Einstufung von Tamoxifen als kanzerogene Substanz sieht Allolio als eine unglückliche Bezeichnung an – denn in letzter Konsequenz müßten dann auch Östrogene als Kanzerogene eingestuft werden. Die Äußerung in dieser Form habe sicherlich mehr Schaden als Nutzen angerichtet, meinte Allolio. Dr. Renate Leinmüller
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