Was tun bei Cyber-Mobbing? - FSF

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Was tun bei Cyber-Mobbing?
Der Internationale Safer Internet Day am 10. Februar 2009
500.000 Kinder und Jugendliche – so die
Mit zunehmendem Alter steigt vor allem die
Schätzungen von Wissenschaftlern – werden
Wahrscheinlichkeit, Opfer von Cyber-Mob-
in Deutschland pro Woche in der Schule
bing zu werden. Das bedeutet, dass über
gemobbt. Beginnend im Grundschulalter,
Instant Messaging wie etwa ICQ oder
wo überwiegend und für alle sichtbar belei-
Handy-SMS Gerüchte gestreut, peinliche
digt, geneckt oder ausgegrenzt wird, nimmt
Fotos auf Onlineportale gestellt oder syste-
Mobbing bis zur 8. Klasse nach und nach an
matisch Beleidigungen ausgesprochen wer-
Umfang und Art eine härtere Gangart an.
den. Knapp ein Fünftel von 2.000 befragten
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Die Direktoren der Landesmedienanstalten
Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen,
Manfred Helmes (links) und Prof. Dr. Norbert
Schneider (rechts), und Kulturstaatsminister
Bernd Neumann mit Schülern des John-LennonGymnasiums Berlin-Mitte bei der klicksafePresseveranstaltung am Safer Internet Day.
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Schülern gibt an, von Cyber-Mobbing
big viele Geräte oder jeden beliebigen Ort
betroffen zu sein, so das Ergebnis einer Stu-
im Internet geschickt werden können – auch
die des Zentrums für empirische pädagogi-
unerkannt. „Durch die Möglichkeit, als Nut-
sche Forschung der Universität KoblenzLandau1.
zer anonym zu bleiben, und durch die Kon-
„Das Thema Cyber-Mobbing wurde lange
vergenz der Medien entstehen viele neue
Probleme“, analysierte Stefanie Rack2,
unterschätzt“, sagte Jochen Pfeifer, Direktor
medienpädagogische Referentin des Pro-
des John-Lennon-Gymnasiums in Berlin, wo
jekts klicksafe, einer Initiative, die bundes-
die offizielle Pressekonferenz zum Safer
weit die Akteure im Bereich Internetsicher-
Internet Day 2009 stattfand. Das habe sich
heit vernetzt. „Beispielsweise ist über den
aber geändert, weil „die technischen Mög-
Nickname im Chat nicht die reale Identität
lichkeiten inzwischen besser geworden sind.
eines Nutzers erkennbar, oder Inhalte vom
Dadurch ist die Gefahr größer geworden –
Handy landen schnell im Internet und wer-
insbesondere durch die immer mehr ver-
den verbreitet.“
breiteten Handys mit Fotofunktion, die auch
Will Gardner von der Initiative Childnet
ein einfaches Überspielen ins Internet er-
International aus Großbritannien beklagte,
möglichen. Das hat natürlich dazu beigetra-
dass Cyber-Mobbing zu wenig ernst ge-
gen, dass diese technischen Möglichkeiten
nommen werde, „weil es nicht physisch ist“.
auch missbraucht werden“, erklärte Pfeifer.
Dabei sei es besonders brutal. „Das Ge-
Der Safer Internet Day wurde 2003 von der
schehen kann 24 Stunden am Tag auf den
Europäischen Union ins Leben gerufen und
Betroffenen einströmen. Und das über eine
setzt sich – nun bereits zum sechsten Mal –
lange Zeit. Die Technologie macht es mög-
für mehr Sicherheit im Internet ein. Mit dem
lich. Und wenn ein Opfer nicht weiß, wer es
diesjährigen Aktionstag sollte auf die
mobbt, steht es einem gesichtslosen Feind
Gefahren des Cyber-Mobbing aufmerksam
gegenüber.“ Auch Schauspieler Dirk Hein-
gemacht werden. In ganz Deutschland
richs, Gründer des Projekts „Sprache gegen
beteiligten sich zahlreiche Institutionen,
Gewalt“, mahnte in Richtung Erwachsene
Initiativen, Medien, Unternehmen, Online-
mehr Aufmerksamkeit für Cyber-Mobbing
communitys und Computernutzer mit Infor-
an. „Virtualität ist für Kinder eine Realität,
mationsveranstaltungen am Safer Internet
die für Erwachsene nicht existiert“, be-
Day. Die Bundesregierung unterstütze die-
schrieb er die unterschiedlichen Welten, in
ses Engagement, betonte Kulturstaatsminis-
denen sich die Generationen zuweilen
ter Bernd Neumann in Berlin.
bewegen. Allerdings habe er auch beob-
Cyber-Mobbing bringt eine neue Qualität
achtet, dass bei denen, die mobben, kein
ins Mobbing, das es an sich schon seit
Unrechtsbewusstsein vorhanden ist. „Das
Generationen in der Schule gibt. „Jeder von
schlimmste Schimpfwort, das ich in Schulen
uns hat das erlebt: Am Anfang einer Stunde
höre, ist: ‚Eh, du Opfer‘“, berichtete Hein-
klappt man die Tafel auf, und dann steht da:
richs. „Cyber-Mobbing ist oftmals nur der
‚Tina ist blöd‘ oder: ‚Tina liebt Klaus‘ oder
Ausgangspunkt für ganz andere Stufen, die
ähnliche kompromittierende Dinge“,
hinterher noch folgen – von der psychischen
erzählte Schulleiter Jochen Pfeifer. „Der
Gewalt hinein in die physische Gewalt“,
Unterschied zum Cyber-Mobbing ist, dass
warnte der Schauspieler. „Beispielsweise
man das mit einem Wisch wegwischen
das sogenannte Happy Slapping, das ist Teil
konnte. Da gab es vielleicht manchmal auch
des Cyber-Mobbing.“ Beim Happy Slap-
Tränen, aber in der Regel konnte das sofort
ping, auf Deutsch etwa „fröhliches Schla-
durch eine erfahrene Lehrkraft geklärt wer-
gen“, laufen die meist jugendlichen Angrei-
den, und es hatte relativ wenige Nachwir-
fer auf ihr Opfer zu und schlagen ihm z. B.
kungen. Bei Cyber-Mobbing ist das nicht so,
ins Gesicht. Anschließend flüchten die
weil das in einer anderen Dimension pas-
Angreifer, ohne sich um ihr Opfer zu küm-
siert und das Internet ein anderes Gedächt-
mern. Üblich ist, dass der Angriff von einem
nis hat als eine Tafel. Und dieser Unter-
weiteren Beteiligten mit einer Handy- oder
schied ist Jugendlichen selten bewusst.“
Videokamera gefilmt wird und die Aufnah-
Problematisch ist auch, dass durch die digi-
men im Internet veröffentlicht oder per
talen Medien Inhalte beliebig oft an belie-
Mobiltelefon verbreitet werden.
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Anmerkungen:
Den typischen Täter skizzierte Heinrichs als:
ist selten, dass die Opfer selber kommen.“
männlich, Schüler der 7. bis 10. Klasse.
„Auch Anbieter von Social Communitys
„Cyber-Mobbing ist eher etwas, was an
oder Chats, deren Angebote sich auch oder
Gymnasien vorfällt, weil es auch damit zu
speziell an Minderjährige wenden, tragen
tun hat, Dinge planen zu können. Ihre
eine große Verantwortung und haben be-
Triebbefriedigung, die können Gymnasiasten eher ein bisschen auf die lange Bank
sondere Sorgfaltspflichten“, spannte Birgit
Kimmel3, pädagogische Leiterin von klick-
schieben“, sagte der Experte. „Hauptschü-
safe, den Bogen weiter. Mit den „Safer Net-
lern unterstellt man eher, dass die sagen:
working Principles“, die am Safer Internet
Wenn ich Bock auf Gewalt habe, brauche
Day in Luxemburg von sozialen Netzwerken
ich die jetzt und nicht später. Man spricht
wie StudiVZ, MySpace oder Arto unterzeich-
auch davon, dass Jungs stärker mobben als
net wurden, wollen die Anbieter dieser Ver-
Frauen. Gerade, was das Happy Slapping
antwortung besser gerecht werden. Das
angeht, führen die Jungs die Ranglisten
Dokument enthält umfangreiche Ziele zu
an.“ Heinrichs forderte, man müsse die
einer jugendschutzkonformen Ausgestal-
Schüler dafür sensibilisieren, was sie an-
tung sozialer Netzwerke. Dazu zählen u. a.
richten. „Man muss ihnen auch deutlich
umfassende Einstellungen zum Schutz der
machen, dass sie mit Gesetzen in Konflikt
Privatsphäre, Aufklärungsmaterialien zum
geraten, dass Verleumdung, Nötigung und
sicheren Umgang im Netz, strenge Vorab-
Beleidigung Straftatbestände sind und dass
einstellungen für Nutzer unter 16 Jahren
Gesetze auch für Kinder gelten“, ergänzte
sowie die Bereitstellung von Meldefunktio-
Will Gardner. Das allerdings werde die Täter
nen für unerwünschte Inhalte.
kaum beeindrucken, hielt Dirk Heinrichs
Präsentiert wurde anlässlich des Aktionsta-
dagegen. „Ich halte es für wichtiger, die
ges auch der neue Kindermessenger, der
Mitläufer zu erschrecken. Das Phänomen
von Microsoft in Zusammenarbeit mit
wird dadurch möglich gemacht, dass wir
jugendschutz.net und der Freiwilligen
wegschauen, dass wir zu viele Mitläufer
Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter
haben.“
(FSM) entwickelt wurde. Ein Angebot, das
In einem sind sich alle Experten einig: Das
sich in erster Linie an die 6- bis 12-Jährigen
Thema Cyber-Mobbing gehört in der Schule
richtet. Die Eltern müssen hier jeden einzel-
auf den Lehrplan. Am John-Lennon-Gymna-
nen Kontakt ihrer Kinder freigeben. Proble-
sium in Berlin wird diesbezüglich zweigleisig
matische Dialoge können per E-Mail an die
gefahren. „Einerseits richten wir allgemein
Eltern weitergeleitet werden. Die Kinder
die Aufmerksamkeit auf das Thema in der
können sich auch über eine integrierte
Grundbildung im Computerunterricht in
Schnittstelle an eine Beratungshotline der
Klasse 7“, erklärte Direktor Jochen Pfeifer.
Johanniter-Unfall-Hilfe wenden. Super RTL
„Die zweite Schiene ist die, zu reagieren,
strahlte zum Safer Internet Day den klick-
wenn ein konkreter Vorfall passiert ist, dass
safe-Spot „Wo lebst du?“ in seinem Pro-
wir das in größtmöglicher Transparenz
gramm aus und bietet für die User der sen-
offenlegen und mit den betroffenen Schü-
dereigenen Homepage den Erwerb eines
lergruppen darüber sprechen. Wobei wir in
Internetführerscheins an. Insgesamt fanden
allererster Linie den Opferschutz in den
in 50 Ländern über 500 Einzelaktionen statt,
Vordergrund stellen. In Absprache mit den
vermeldete die EU-Kommission.
1
http://www.medizinaspekte.de/07/10/psychologie/mobbing.html
2
Dieses Zitat ist einer Pressemitteilung von klicksafe zum
Safer Internet Day entnommen.
3
S. Anm. 2
Betroffenen machen wir das in der Klasse
dann öffentlich, damit eine Solidarität ent-
Vera Linß
steht und das Opfer weiß, es wird geschützt
und es ist nicht o.k., was dort passiert ist.“
Allerdings, räumte Pfeifer ein, käme es selten vor, dass ein Fall von Cyber-Mobbing
bekannt wird. „Es kommt meistens eher
durch Zufall raus oder dadurch, dass jemand
sich zu Hause verplappert und die Eltern
sich melden oder dass sich ein eher Unbeteiligter meldet, der davon erfahren hat. Es
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