tv diskurs 48 SERVICE Was tun bei Cyber-Mobbing? Der Internationale Safer Internet Day am 10. Februar 2009 500.000 Kinder und Jugendliche – so die Mit zunehmendem Alter steigt vor allem die Schätzungen von Wissenschaftlern – werden Wahrscheinlichkeit, Opfer von Cyber-Mob- in Deutschland pro Woche in der Schule bing zu werden. Das bedeutet, dass über gemobbt. Beginnend im Grundschulalter, Instant Messaging wie etwa ICQ oder wo überwiegend und für alle sichtbar belei- Handy-SMS Gerüchte gestreut, peinliche digt, geneckt oder ausgegrenzt wird, nimmt Fotos auf Onlineportale gestellt oder syste- Mobbing bis zur 8. Klasse nach und nach an matisch Beleidigungen ausgesprochen wer- Umfang und Art eine härtere Gangart an. den. Knapp ein Fünftel von 2.000 befragten 2 | 2009 | 13. Jg. Die Direktoren der Landesmedienanstalten Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, Manfred Helmes (links) und Prof. Dr. Norbert Schneider (rechts), und Kulturstaatsminister Bernd Neumann mit Schülern des John-LennonGymnasiums Berlin-Mitte bei der klicksafePresseveranstaltung am Safer Internet Day. 103 104 tv diskurs 48 SERVICE Schülern gibt an, von Cyber-Mobbing big viele Geräte oder jeden beliebigen Ort betroffen zu sein, so das Ergebnis einer Stu- im Internet geschickt werden können – auch die des Zentrums für empirische pädagogi- unerkannt. „Durch die Möglichkeit, als Nut- sche Forschung der Universität KoblenzLandau1. zer anonym zu bleiben, und durch die Kon- „Das Thema Cyber-Mobbing wurde lange vergenz der Medien entstehen viele neue Probleme“, analysierte Stefanie Rack2, unterschätzt“, sagte Jochen Pfeifer, Direktor medienpädagogische Referentin des Pro- des John-Lennon-Gymnasiums in Berlin, wo jekts klicksafe, einer Initiative, die bundes- die offizielle Pressekonferenz zum Safer weit die Akteure im Bereich Internetsicher- Internet Day 2009 stattfand. Das habe sich heit vernetzt. „Beispielsweise ist über den aber geändert, weil „die technischen Mög- Nickname im Chat nicht die reale Identität lichkeiten inzwischen besser geworden sind. eines Nutzers erkennbar, oder Inhalte vom Dadurch ist die Gefahr größer geworden – Handy landen schnell im Internet und wer- insbesondere durch die immer mehr ver- den verbreitet.“ breiteten Handys mit Fotofunktion, die auch Will Gardner von der Initiative Childnet ein einfaches Überspielen ins Internet er- International aus Großbritannien beklagte, möglichen. Das hat natürlich dazu beigetra- dass Cyber-Mobbing zu wenig ernst ge- gen, dass diese technischen Möglichkeiten nommen werde, „weil es nicht physisch ist“. auch missbraucht werden“, erklärte Pfeifer. Dabei sei es besonders brutal. „Das Ge- Der Safer Internet Day wurde 2003 von der schehen kann 24 Stunden am Tag auf den Europäischen Union ins Leben gerufen und Betroffenen einströmen. Und das über eine setzt sich – nun bereits zum sechsten Mal – lange Zeit. Die Technologie macht es mög- für mehr Sicherheit im Internet ein. Mit dem lich. Und wenn ein Opfer nicht weiß, wer es diesjährigen Aktionstag sollte auf die mobbt, steht es einem gesichtslosen Feind Gefahren des Cyber-Mobbing aufmerksam gegenüber.“ Auch Schauspieler Dirk Hein- gemacht werden. In ganz Deutschland richs, Gründer des Projekts „Sprache gegen beteiligten sich zahlreiche Institutionen, Gewalt“, mahnte in Richtung Erwachsene Initiativen, Medien, Unternehmen, Online- mehr Aufmerksamkeit für Cyber-Mobbing communitys und Computernutzer mit Infor- an. „Virtualität ist für Kinder eine Realität, mationsveranstaltungen am Safer Internet die für Erwachsene nicht existiert“, be- Day. Die Bundesregierung unterstütze die- schrieb er die unterschiedlichen Welten, in ses Engagement, betonte Kulturstaatsminis- denen sich die Generationen zuweilen ter Bernd Neumann in Berlin. bewegen. Allerdings habe er auch beob- Cyber-Mobbing bringt eine neue Qualität achtet, dass bei denen, die mobben, kein ins Mobbing, das es an sich schon seit Unrechtsbewusstsein vorhanden ist. „Das Generationen in der Schule gibt. „Jeder von schlimmste Schimpfwort, das ich in Schulen uns hat das erlebt: Am Anfang einer Stunde höre, ist: ‚Eh, du Opfer‘“, berichtete Hein- klappt man die Tafel auf, und dann steht da: richs. „Cyber-Mobbing ist oftmals nur der ‚Tina ist blöd‘ oder: ‚Tina liebt Klaus‘ oder Ausgangspunkt für ganz andere Stufen, die ähnliche kompromittierende Dinge“, hinterher noch folgen – von der psychischen erzählte Schulleiter Jochen Pfeifer. „Der Gewalt hinein in die physische Gewalt“, Unterschied zum Cyber-Mobbing ist, dass warnte der Schauspieler. „Beispielsweise man das mit einem Wisch wegwischen das sogenannte Happy Slapping, das ist Teil konnte. Da gab es vielleicht manchmal auch des Cyber-Mobbing.“ Beim Happy Slap- Tränen, aber in der Regel konnte das sofort ping, auf Deutsch etwa „fröhliches Schla- durch eine erfahrene Lehrkraft geklärt wer- gen“, laufen die meist jugendlichen Angrei- den, und es hatte relativ wenige Nachwir- fer auf ihr Opfer zu und schlagen ihm z. B. kungen. Bei Cyber-Mobbing ist das nicht so, ins Gesicht. Anschließend flüchten die weil das in einer anderen Dimension pas- Angreifer, ohne sich um ihr Opfer zu küm- siert und das Internet ein anderes Gedächt- mern. Üblich ist, dass der Angriff von einem nis hat als eine Tafel. Und dieser Unter- weiteren Beteiligten mit einer Handy- oder schied ist Jugendlichen selten bewusst.“ Videokamera gefilmt wird und die Aufnah- Problematisch ist auch, dass durch die digi- men im Internet veröffentlicht oder per talen Medien Inhalte beliebig oft an belie- Mobiltelefon verbreitet werden. 2 | 2009 | 13. Jg. tv diskurs 48 SERVICE Anmerkungen: Den typischen Täter skizzierte Heinrichs als: ist selten, dass die Opfer selber kommen.“ männlich, Schüler der 7. bis 10. Klasse. „Auch Anbieter von Social Communitys „Cyber-Mobbing ist eher etwas, was an oder Chats, deren Angebote sich auch oder Gymnasien vorfällt, weil es auch damit zu speziell an Minderjährige wenden, tragen tun hat, Dinge planen zu können. Ihre eine große Verantwortung und haben be- Triebbefriedigung, die können Gymnasiasten eher ein bisschen auf die lange Bank sondere Sorgfaltspflichten“, spannte Birgit Kimmel3, pädagogische Leiterin von klick- schieben“, sagte der Experte. „Hauptschü- safe, den Bogen weiter. Mit den „Safer Net- lern unterstellt man eher, dass die sagen: working Principles“, die am Safer Internet Wenn ich Bock auf Gewalt habe, brauche Day in Luxemburg von sozialen Netzwerken ich die jetzt und nicht später. Man spricht wie StudiVZ, MySpace oder Arto unterzeich- auch davon, dass Jungs stärker mobben als net wurden, wollen die Anbieter dieser Ver- Frauen. Gerade, was das Happy Slapping antwortung besser gerecht werden. Das angeht, führen die Jungs die Ranglisten Dokument enthält umfangreiche Ziele zu an.“ Heinrichs forderte, man müsse die einer jugendschutzkonformen Ausgestal- Schüler dafür sensibilisieren, was sie an- tung sozialer Netzwerke. Dazu zählen u. a. richten. „Man muss ihnen auch deutlich umfassende Einstellungen zum Schutz der machen, dass sie mit Gesetzen in Konflikt Privatsphäre, Aufklärungsmaterialien zum geraten, dass Verleumdung, Nötigung und sicheren Umgang im Netz, strenge Vorab- Beleidigung Straftatbestände sind und dass einstellungen für Nutzer unter 16 Jahren Gesetze auch für Kinder gelten“, ergänzte sowie die Bereitstellung von Meldefunktio- Will Gardner. Das allerdings werde die Täter nen für unerwünschte Inhalte. kaum beeindrucken, hielt Dirk Heinrichs Präsentiert wurde anlässlich des Aktionsta- dagegen. „Ich halte es für wichtiger, die ges auch der neue Kindermessenger, der Mitläufer zu erschrecken. Das Phänomen von Microsoft in Zusammenarbeit mit wird dadurch möglich gemacht, dass wir jugendschutz.net und der Freiwilligen wegschauen, dass wir zu viele Mitläufer Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter haben.“ (FSM) entwickelt wurde. Ein Angebot, das In einem sind sich alle Experten einig: Das sich in erster Linie an die 6- bis 12-Jährigen Thema Cyber-Mobbing gehört in der Schule richtet. Die Eltern müssen hier jeden einzel- auf den Lehrplan. Am John-Lennon-Gymna- nen Kontakt ihrer Kinder freigeben. Proble- sium in Berlin wird diesbezüglich zweigleisig matische Dialoge können per E-Mail an die gefahren. „Einerseits richten wir allgemein Eltern weitergeleitet werden. Die Kinder die Aufmerksamkeit auf das Thema in der können sich auch über eine integrierte Grundbildung im Computerunterricht in Schnittstelle an eine Beratungshotline der Klasse 7“, erklärte Direktor Jochen Pfeifer. Johanniter-Unfall-Hilfe wenden. Super RTL „Die zweite Schiene ist die, zu reagieren, strahlte zum Safer Internet Day den klick- wenn ein konkreter Vorfall passiert ist, dass safe-Spot „Wo lebst du?“ in seinem Pro- wir das in größtmöglicher Transparenz gramm aus und bietet für die User der sen- offenlegen und mit den betroffenen Schü- dereigenen Homepage den Erwerb eines lergruppen darüber sprechen. Wobei wir in Internetführerscheins an. Insgesamt fanden allererster Linie den Opferschutz in den in 50 Ländern über 500 Einzelaktionen statt, Vordergrund stellen. In Absprache mit den vermeldete die EU-Kommission. 1 http://www.medizinaspekte.de/07/10/psychologie/mobbing.html 2 Dieses Zitat ist einer Pressemitteilung von klicksafe zum Safer Internet Day entnommen. 3 S. Anm. 2 Betroffenen machen wir das in der Klasse dann öffentlich, damit eine Solidarität ent- Vera Linß steht und das Opfer weiß, es wird geschützt und es ist nicht o.k., was dort passiert ist.“ Allerdings, räumte Pfeifer ein, käme es selten vor, dass ein Fall von Cyber-Mobbing bekannt wird. „Es kommt meistens eher durch Zufall raus oder dadurch, dass jemand sich zu Hause verplappert und die Eltern sich melden oder dass sich ein eher Unbeteiligter meldet, der davon erfahren hat. Es 2 | 2009 | 13. Jg. 105
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