„Was ‚verdient' die andere Hälfte des Himmels?“ - VBE

Gewerkschaftspolitik
Rubrik
„Was ‚verdient’
die andere Hälfte
des Himmels?“
Helene Wildfeuer eröffnet den Frauenkongress
Flashmob mit Jutta Endrusch (VBE) zur Einstellungsrunde 2014
Hans-Ulrich Benra erläutert den Handlungsbedarf aus dbb-Sicht
Die Podiumsrunde befasste sich mit der Frauenbenachteiligung bei knappen Ressourcen.
Frauen ginge, sei die Verweigerungshaltung
der öffentlichen Arbeitgeber immens, so
Helene Wildfeuer weiter: „Was uns hier nur
helfen kann, sind klare gesetzliche Vorgaben, die im Dienste der gleichen Teilhabe
von Männern und Frauen stehen. Der Aufruf zur freiwilligen Frauenförderung hat uns
hier in den vergangenen 20 Jahren keinen
Schritt weitergebracht!“, so die Vorsitzende.
derte Benra erneut, die sogenannte Mütterrente im Ergebnis ohne Abstriche auf
das Beamten- und Versorgungsrecht zu
übertragen. „Letztlich ist das auch eine
Frage der Bezahlungsgerechtigkeit unter
Genderaspekten“, sagte Benra.
So lautete das provokante Thema
der 11. frauenpolitischen Fachtagung der dbb-bundesfrauenvertretung am 25. März 2014 in
Berlin. Dem Thema Gender-Budgeting widmeten sich Experten
aus dem In- und Ausland in
Impulsvorträgen und einer Podiumsdiskussion.
„Gender-Budgeting ist ein zentrales Verwaltungsinstrument, das Budgetverantwortlichen dabei hilft, sich einen unverstellten
Blick auf die eigene Haushaltspolitik zu verschaffen. Es ermöglicht, Gleichstellung
gezielt über den kontrollierten Einsatz von
Steuermitteln zu steuern“, konstatierte
Helene Wildfeuer, Vorsitzende der dbb-bundesfrauenvertretung in ihrer Eröffnungsrede
vor den rund 260 Teilneh­mer(inne)n. Gerade
die gerechtere und sinnstiftende Verteilung
von familienpolitischen Leistungen sei mit
kluger und geschlechtersensibler KostenNutzen-Abwägung bei der Haushaltsmittelverteilung hin zu bekommen. „Spartenpolitik
in Form von populistischen Geldgeschenken
an bestimmte Bevölkerungsgruppen kann
durch Gender-Budgeting von vornherein ausgeschlossen werden“, betonte die Vorsitzende.
dbb-bundesfrauenvertretung
fordert: Gender-Budgeting als
Verwaltungsinstrument fördern
Helene Wildfeuer sieht in gezielten GenderBudget-Analysen zudem den Schlüssel zu
einem diskriminierungsfreien öffentlichen
Arbeitsmarkt. Europäische Arbeitsmarktförderung könne so abgerufen werden, dass
die damit finanzierten Projekte weder zum
Nachteil noch zum einseitigen Vorteil für
Männer oder Frauen gerieten. Dies sei angesichts der hohen geschlechterbedingten Verdienstunterschiede und dem niedrigen
Arbeitsvolumen von Frauen in Deutschland
dringend geboten. „Von einer frauen- und
familienfreundlichen Arbeitswelt, die Frauenarbeit den gleichen Stellenwert einräumt
wie Männerarbeit, können wir bisher nur
träumen! Es fehlen beinahe überall Ganztagsbetreuungsangebote, und noch immer
tun sich Arbeitgeber schwer, flexible
Arbeitszeitmodelle und mobile Arbeitsplätze anzubieten.“ Vor allem, wenn es um
die Besetzung von Führungspositionen mit
VBE Niedersachsen „zeitnah“ · 5–7/2014
Grußworte sprachen Dr. Ralf Kleindiek
(SPD), Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (BMFSFJ), sowie Hans-Ulrich
Benra, Fachvorstand Beamtenpolitik und
stellvertretender dbb-Bundesvorsitzender.
Strategien zur Integration von
Gender-Budgetierung in den
Haushaltsprozess
Hans-Ulrich Benra betonte den Handlungsbedarf in Sachen Gleichstellung auch im öffentlichen Dienst, zu der Gender-Budgeting
einen wichtigen Beitrag leisten könne, indem
das Prinzip der Geschlechtergleichheit in der
Haushaltspolitik umgesetzt werde. Jenseits
aller Rollenklischees seien es vor allem demografische Aspekte, die zum Umdenken zwingen. Ein überdurchschnittliches Absinken
der Erwerbsbevölkerung bis 2050 um 28
Prozent im Verhältnis zu einem deutlich
stärkeren Anstieg der Deutschen über 65
Jahre auf 32 Prozent verdeutliche das Ausmaß der im internationalen Vergleich notwendigen höheren Anstrengungen, die
Deutschland unternehmen müsse, um Produktivität und Erwerbsbeteiligung zu erhöhen. „Anderenfalls droht mittel- und langfristig ein Wohlstandsproblem in Deutschlands
Volkswirtschaft“, warnte Benra.
Die aktuelle Situation in Österreich skizzierte Angelika Flatz, Leiterin der Sektion
lll: Öffentlicher Dienst im Bundeskanzleramt in Österreich. In ihrem erweiterten
Grußwort „Chancen und Grenzen eines
Verwaltungsmechanismus auf dem Weg zur
Gleichstellung“ stellte sie die Umsetzung
des Gender-Budgeting in ihrem Verwaltungsbereich und somit gelungene Beispiele
vor. Bereits im Jahr 2000 wurde in Österreich mit einem ersten Ministerratsbeschluss eine interministerielle Arbeitsgruppe
eingerichtet, um die Gender-Mainstreaming-Strategie auf Bundesebene umzusetzen. In den folgenden Jahren wurden sukzessive die Voraussetzungen geschaffen und
im Zuge der österreichischen Haushaltsrechtsreform am 1. Januar 2009 GenderBudgeting in der Bundesverfassung verankert. Bund, Länder und Gemeinden haben
danach bei der Haushaltsführung die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und
Männern anzustreben. Diese Zielbestimmung wurde für den Bund ab 1. Januar
2013 mit Einführung einer wirkungsorientierten Haushaltsführung noch verstärkt.
Der stellvertretende dbb-Bundesvorsitzende wies mit Blick auf die Gender-Budgeting-Diskussion unter anderem auch auf
die angekündigte Flexibilisierung des
Elterngeldes, die Verbesserung der Kindertagesbetreuung und auf die Notwendigkeit, die Rückkehr von Teilzeit- auf Vollzeitstellen zu erleichtern, hin. Ferner for-
Der Impulsvortrag des Tages von Marion
Böker, unabhängige Menschenrechts- und
Genderexpertin aus Berlin, befasste sich
mit Gender-Budgeting als „Gebotenes Ins­
trument zur De-facto-Umsetzung der
Gleichstellung von Frau und Mann & den
Menschenrechten“. Neben den Internationalen & EU-rechtlichen Grundlagen für
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Gewerkschaftspolititk
Gender-Mainstreaming in der Finanz- u.
Haushaltspolitik erläuterte sie auch die Zielsetzungen, die es zu erreichen gilt: wie z. B.
die ökonomische Unabhängigkeit von Männern und Frauen, die gleichberechtigte Teilhabemöglichkeit und Einkommenschancen
in der Erwerbsarbeit, sowie die paritätische
Partizipation in Gesellschaft, Politik, Kultur,
Wirtschaft, Verwaltung einschließlich der
Gestaltung öffentlicher Haushalts- und Vermögensverwaltung.
Einen weiteren Impulsvortrag präsentierte
Klaus Feiler, Finanzstaatssekretär der Senatsverwaltung für Finanzen in Berlin. Mit
seinem Vortrag über „Die Integration von
Gender-Budgeting in den Haushaltsprozess
des Landes Berlin“ stellte er die Situation
der Hauptstadt vor. Berlin setze, so seine
Ausführungen, in Sachen Haushaltspolitik
schon seit nunmehr zehn Jahren auf Gender-Budgeting. Bereits 2001 startete man
mit der „Initiative für eine geschlechtergerechte Haushaltsführung in Berlin“. 2004
entschied der Senat schließlich, die Umsetzung von Gender-Budgeting an verschiedenen Haushaltstiteln zu erproben. Bis heute
arbeitet die Senatsverwaltung für Finanzen
an der Fortentwicklung des Projekts.
Den Abschluss des Vormittages gestaltete
Dr. Regina Frey, Politikwissenschaftlerin,
Gender-Analystin und Leiterin des Genderbüros in Berlin. Sie referierte über „Gleichstellungsziele und Gleichstellungswirkungen’’ sowie über „Die Umsetzung von
Gender-Budgeting im Europäischen Sozialfonds des Bundes“, griff dabei die Ausführungen von Klaus Feiler auf und bilanzierte
zehn Jahre Gender-Budgeting in Berlin.
In der Podiumsdiskussion am Nachmittag,
die von Christine Rose (BR) moderiert
wurde, drehte sich dann alles um „Knappe
Personalmittel, häufige Befristung: Frauenberufe im Fokus der Haushaltspolitik“. Mit
Blick auf die Situation der Frauen im öffentlichen Dienst vor dem Hintergrund einer
geschlechtersensiblen Haushaltspolitik diskutierten Gesine Lötzsch (DIE LINKE),
Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Ekin
Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied
im Haushaltsausschuss des Bundestages
und stellvertretende Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses, Angelika Flatz,
Leiterin der Sektion lll: Öffentlicher Dienst
im Bundeskanzleramt Österreich, sowie
Wolfgang Husemann, Bundesministerium
für Arbeit und Soziales (BMAS) und Leiter
der Gruppe Europäische Fonds für Beschäftigung. Die Teilnehmer/-innen der frauenpolitischen Fachtagung hatten an dieser
Stelle Gelegenheit, sich mit Fragen, Kritik
und Anregungen zu Wort zu melden.
Text:Dr. Walter Schmitz, Birgit Ulrich,
Edda Langecker.
Bilder:© Marco Urban (Seite 3).
Quelle:dbb-bundesfrauenvertretung,
aus frauen im dbb 06/13,
http://www.frauen.dbb.de
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Gender-Budgeting – was ist das?
Gender-Budgeting, im Sprachgebrauch
der UNO auch gender-responsive budgeting, ... verfolgt das Ziel eines
geschlechtergerechten Haushalts;
M bedeutet die Etablierung und Durchführung von Maßnahmen innerhalb
des Prozesses der Aufstellung von
öffentlichen Haushalten (englisch:
budget), mit dem Ziel, die tatsächliche
Gleichstellung der Geschlechter (englisch: gender) zu fördern und schließlich zu erreichen;
M führt zu einer gerechteren Verteilung
der Einnahmen und Ausgaben öffentlicher Haushalte;
M
ist ein zentrales Verwaltungsinstrument, das Budgetverantwortlichen
dabei hilft, sich einen unverstellten
Blick auf die eigene Haushaltspolitik
zu verschaffen;
M ermöglicht Gleichstellung gezielt über
den kontrollierten Einsatz von Steuermitteln zu gestalten.
Die Analyse und Umverteilung öffentlicher Haushalte aus einer Geschlechterperspektive bedeutet nicht, ein separates
Frauenbudget zu schaffen. Es soll aus
einer
das
Geschlechterverhältnis
zugrunde legenden Perspektive auf mehr
Gerechtigkeit hingewirkt werden. Voraussetzung hierfür sind aussagekräftige
Daten über Geschlechterverhältnisse,
wie etwa geschlechtsspezifische Statistiken für die jeweiligen Politikbereiche.
Unbezahlte Arbeit (z. B. Sorge um Pflegebedürftige oder Hausarbeit) wird bis
heute zum größten Teil von Frauen
geleistet. Gleichzeitig weisen Studien
darauf hin, dass Männer insgesamt in
stärkerem Maße von staatlichen Ressourcen profitieren. Dies bleibt bei der Verteilung öffentlicher Mittel unberücksichtigt.
Der Gender-Budgeting-Prozess besteht
aus
M der Festlegung von Gleichstellungszielen,
M der Analyse des bestehenden Haushaltes (z. B. einer Gemeinde, einer
Behörde, einer Universität, eines Landes oder Staates), bestehend aus deren
Einnahmen (z. B. Steuern und Abgaben) und Ausgaben im Hinblick auf
diese Gleichstellungsziele, und
M den Veränderungen mit dem Ziel der
besseren oder schließlich vollständigen
Erreichung der Gleichstellungsziele.
Im weiteren Sinn umfasst der Ansatz des
Gender-Budgeting außer den staatlichen
Einnahmen und Ausgaben auch jene
Teile der Wirtschaft, die in offiziellen
Statistiken zu den Aktivitäten bzw. zur
Wertschöpfung, im Staatssektor sowie im
bezahlten Bereich des Dienstleistungssektors nicht enthalten sind: die Zeitverwendung für Arbeit außerhalb des Marktund Staatssektors (wie z. B. der Hausund Familienarbeit sowie der ehrenamtlichen Tätigkeiten) sowie die Wechselwirkungen zur Budgetpolitik.
Typische Fragestellungen hinsichtlich
des Gender-Budgeting können sein:
M
Welche
Auswirkungen
haben
bestimmte politische Strategien und
Entscheidungen der Finanzpolitik,
und wer zieht den Nutzen daraus?
M
In welcher Weise sind Frauen und
Männer von Ausgaben und Einsparungen öffentlicher Haushalte betroffen?
Welche Unterschiede sind erkennbar
und welche Effekte hat dies?
M Inwieweit haben Strategien und Entscheidungen der öffentlichen Hand
Auswirkungen auf die bezahlten, aber
auch unbezahlten Tätigkeitsbereiche?
Wir treten für Sie ein ... VBE und dbb-Frauen
Sie haben Fragen zum Thema, möchten
weiterführende Informationen wie die
abgebildeten Broschüren und Anregungen, wollen sich frauenpolitisch im VBE
bzw. dbb engagieren oder „frauen im
dbb“ abonnieren, dann schreiben Sie
uns: [email protected] bzw.
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VBE Niedersachsen „zeitnah“ · 5–7/2014