Was passiert bei einer Euterentzündung? Rupert M. Bruckmaier Lehrstuhl für Physiologie Technische Universität München Wissenschaftszentrum Weihenstephan Aktuelle Themen zur Rohmilchqualität, Kempten 11.11.2004 S Die fünf äulen der Wärme Rötung Schwellung Schmerz eingeschränkte Funktion Verteidigungslinien der Milchdrüse Immunol. Faktoren Chem. Faktoren Immunzellen (somatische Zellen) Immunglobuline antimikrob. Proteine Enzyme anatom. Faktoren Strichkanal pathogene Mikroorganismen Die Milchdrüse des Rindes verfügt über ein komplexes Abwehrsystem, primär basierend auf unspezifischer zellulärer Abwehr Immunabwehr Somatische Milchzellen Makrophagen Lymphozyten Granulozyten lösliche Faktoren Zytokine, Mediatoren (Interleukine, TNFα, Eicosanoide) antimikrobielle Enzyme und Proteine, 7 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 3 8 7 6 5 Zellzahl (Milch) Log10/ml 7 9 8 Leukozyten (Blut) 10 /l Bakterien Log 10cfu/ml Bakterien und somatische Zellen in der Milch und Leukozyten im Blut (exp. E. coli Infektion) 4 6 9 12 15 18 21 24 Zeit nach der Infektion h Van Werven et al. 1997 Zellen des Immunsystems in der Milch a c b Lymphozyten e Makrophagen f Stabkernige d g und h segmentkernige neutrophile Granulozyten i k Basophiler und eosinophiler Granulozyt Sarikaya et al. 2004 Milchzusammensetzung in Viertelgemelksproben (I) 3 Somatische Zellen 10 /ml Milch 0-100 100-200 200-400 400-800 >800 Makrophagen 51 52 48 45 22 12 11 9 7 8 37 37 42 48 70 % Lymphozyten % PMN % PMN = Polymorphkernige neutrophile Granulozyten nach Fox et al. 1985 Milchzusammensetzung in Viertelgemelksproben (II) 3 Somatische Zellen 10 /ml Milch 0-100 100-200 200-400 400-800 >800 Milchmenge 3.2 3.0 2.8 2.4 2.4 4.8 4.6 4.6 4.5 4.1 87 87 91 93 124 3.2 2.8 3.2 3.9 16.7 kg Lactose % Chlorid mg/100ml NAGase nmol/min/ml3 nach Fox et al. 1985 Milchdrüsenalveole mit vielen neutrophilen Granulozyten inf2 nG.jpg Wellnitz, 2004 Somatische Zellzahl in der Milch = Indikator für Milchqualität und Eutergesundheit vereinfacht: niedrig: gut hoch: schlecht DVG: gesundes Euter < 100 000 Zellen im Viertelanfangsgemelk Problem: auch entzündungsunabhängige Schwankungen (Fütterung, Stress etc.) Rolle einiger Eicosanoide bei akuten Entzündungen PGI2 und PGE2 bewirken eine Vasodilatation ⇒ Rötung und Wärme PGE1, PGE2, LTC4 und LTD4 bewirken eine erhöhte Permeabilität der Blutgefäße ⇒Schwellung PGE1 und PGE2 bewirken eine Sensibilisierung der Schmerzrezeptoren ⇒Dauerschmerz LTB4 hat starke chemotaktische Wirkung auf Leukozyten PG: Prostaglandin, LT: Leukotrien Akute Phase einer Euterentzündung Blutgefäß Milch Mediatoren Zytokine Eicosanoide u.a. A: Versuch der Eliminierung eindringender Pathogene durch Phagozyten B: Freisetzung von Entzündungsmediatoren C: Einwanderung von PMN vom Blut in die Milch (chemotaktische Bewegung zum Entzündungsort) Neutrophile Granulozyten: im gesunden Euter in geringer Zahl vorhanden bei Bakterieninvasion: vermehrter Austritt von neutrophilen Granulozyten in das Gewebe und in die Milch vermittelt durch Adhäsionsmoleküle. Blutfluss Rollen Emigration } } Selektinvermittelt Anheftung Integrinvermittelt Chemotaxis Entzündungsreiz aus Tizard, 1996 Experimentelle LPS-Stimulation zur Simulation einer Euterentzündung Euterbiopsie LPS-Viertel E. coli Lipopolysaccharid Kontroll-Viertel NaCl (0.9 %) Zytokine TNFα IL-1ß ∗ 6 d ∗ c *c 6 c 4 * 8 b b 2 0 4 b b a B A B 2 AB B a AB 0 A AB AB A -2 -2 0 3 Schmitz et al. 2004 6 9 12 0 3 6 9 12 Stunden nach LPS-Infusion Kontroll-Viertel LPS-Viertel Adhäsionsmoleküle rel. mRNA expr. (log2) 6 L-SELEKTIN 4 * b b * 2 b * b * Kontroll-Viertel LPS-Viertel a 0 -2 0 3 6 9 12 Stunden nach LPS-Infusion rel. mRNA expr. (log2) Enzyme LYSOZYM 6 iNOS 6 ∗ 4 4 c 2 ab a b 2 a B AB AB A A -2 3 6 9 12 a 0 -2 0 b b ∗ b 0 ∗ ∗ 0 Stunden nach LPS-Infusion a 3 6 9 12 Kontroll-Viertel LPS-Viertel Schmitz et al. 2004 Antimikrobielles Protein: LACTOFERRIN rel. mRNA expr. (log2) 6 4 ∗ ∗ b b 2 b b a 0 -2 0 3 6 9 Stunden nach LPS-Infusion 12 Kontroll-Viertel LPS-Viertel Schmitz et al. 2004 Lactoferrin § Fe-bindendes Glykoprotein, aus der Familie der Transferrine § Wirkt sowohl bakteriolytisch als auch bakteriozid § Lf-Konzentration: – geringe Konzentration in reifer Milch (0,010,1mg/ml) – angereichert im Kolostrum (1-5mg/ml), im Sekret von trockenstehenden Kühen (10-100mg/ml) und bei entzündlichen Reaktionen des Euters Lactoferrin und Eutergesundheit 400 Lactoferrin µg/ml Lactoferrin µg/ml 4.000 2.000 1.000 500 250 125 normal Kawai et al. 1999 subklinische Entzündung klinische Mastitis 300 200 100 0 0 50 100 150 200 250 300 350 3 Zellzahl 10 /ml Schmitz et al. 2001, FML Weihenstephan Milchproteine (mRNA) während simulierter Mastitis (LPS) Caseine: αs1-CN → αs2-CN → β-CN → κ-CN ↓ (Käse) α-Lactalbumin ↓ (Milchmenge) β-Lactoglobulin → Schmitz et al. 2004 Bei Mastitis öffnet sich z.T. die Blut-Milch-Schranke (Tight Junctions). Daher treten auch Bestandteile des Blutes (z.B. Serum-Albumin und Elektrolyte) in die Milch über. Ø Epithelbarriere der Alveolen Blut-Milch-Schranke bei Öffnung der interzellulären Verbindungen: ∇ Migration von Blutzellen ↑ ∇ Veränderung der Milchzusammensetzung Veränderungen der Milchzusammensetzung bei subklinischer Mastitis ì Zellzahl, Immunglobuline, Serumalbumin, Lactoferrin, Transferrin, pH, Na+, Cl-, elektrische Leitfähigkeit î Trockensubstanz, K, P04 = Gesamtprotein Fett, Casein, Lactose, Ca, Synthese wichtiger Entzündungsmediatoren durch die Milchzellen (Macrophagen, Lymphozyten). ⇒ Kann die Zellzahl zu niedrig sein? S. aureus Infektion Suriyasathaporn et al. 2000 Schukken et al. 1999 Konsequenz: Zellzahl soll niedrig sein (< 100 000), aber nicht zu niedrig (??). Spezifische Immunantwort in der Milchdrüse In der gesunden, nicht-infizierten Drüse niedrige Antikörper-Konzentrationen. Möglicherweise aktiver Transport von Immunglobulinen durch Prolaktin, d.h. mit Einsetzen der Lactogenese gehemmt. Antikörper wirken aber positiv auf die Immunabwehr durch Opsonisierung und damit Unterstützung der Phagozytose durch PMN. Impfung: -kann die Mobilisierung von PMN verbessern durch die Freisetzung von Entzündungsmediatoren durch Antigen-spezifische Lymphozyten. -Antikörper können baktierielle Toxine neutralisieren. Problem: Bei Impfung hohe Blutserum-Titer, in der Milchdrüse aber erst Anstieg bei Entzündung. Nur die Schwere der Krankheit kann reduziert werden (S. aureus), nicht die Häufigkeit. Zusammenfassung Die Immunabwehr der Milchdrüse basiert vor allem auf einer unspezifischen zellulären Abwehr. Daher kommt es bei Euterentzündungen zu einem starken Anstieg der Zellzahl. Damit verbunden ist eine Öffnung der Blut-Milch-Schranke, was zum Übertreten von Blutbestandteilen in die Milch führt.
© Copyright 2024 ExpyDoc