Was für ein job! - JS-Magazin

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leben Ungewöhnliche Berufe
Ungewöhnliche Berufe Leben
Was für
ein Job!
Tobias Holl, Industriekletterer:
Bestens geeignet
für Quereinsteiger
Siegfried Richter,
Spezialtaucher:
55 Grad,
40 Meter tief
Gleich wird’s dunkel:
Tauchen im Klärschlamm
M
eine Mitarbeiter und ich
tauchen in Faultürme von
Kläranlagen, voll mit Klärschlamm.
Dort kann es 55 Grad heiß sein,
und das in 40 Metern Tiefe. Da darf
man sich keine Aussetzer erlauben.
Wer schlecht drauf ist oder zu Hause Probleme hat, geht nicht runter.
Als Spezialtaucher bekommen
wir vor allem Aufträge von Gemeinden oder Baufirmen. Wir
schweißen, betonieren, reinigen,
montieren, führen alle handwerk-
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lichen Arbeiten unter Wasser aus.
Meine Firma ist aufs Kläranlagentauchen spezialisiert.
Ganz wichtig ist absolute körperliche Fitness. Ich war früher
Kampfschwimmer bei der NVA,
mache viel Kraft- und Konditionstraining. Alle Arbeiten, die wir ausführen, muss man schon als Trockenübung perfekt beherrschen,
denn dort unten ist die Sicht meistens gleich null, da verlässt man
sich auf seinen Tastsinn, Gefühl
und Erfahrung. Drei Taucher und
zwei Signalmänner sind immer im
Einsatz, nur ein Taucher ist unter
Wasser. Die Signalmänner sind
über ein Telefon mit dem Taucher
verbunden, regeln die Luftzufuhr
und kontrollieren und beobachten
alles. Im Notfall greift ein Reservetaucher ein.
Einmal haben wir bei Leipzig
ein Abwasserrohr unter einem
Fluss gereinigt, das war noch vor
dem Krieg gebaut worden. Da haben wir sogar NSDAP-Parteiabzeichen freigeschaufelt.
Tobias Holl in Hamburg. Er
hat sein Hobby, das Klettern,
zum Beruf gemacht
Foto: www.tauchbetrieb-richter.de/Isadora Tast/Hanseclimbing/Privat/Henriette Kriese/Matthias Broneske/Stunt Unit
Sie klettern auf Windräder, tauchen
in Kläranlagen, retten Ehen:
JS-Autor Dirk Brichzi stellt Menschen
mit ungewöhnlichen Berufen vor
ls Industriekletterer kann jeden Tag was
Aufregendes passieren, das ist das
Schönste am Beruf. Ob wir nun Mobilfunkanlagen montieren, Schornsteine abtragen,
Hallen aufbauen oder Leuchttafeln und Fens­
ter reinigen: Immer müssen wir überlegen,
wie wir das klettertechnisch und handwerklich am besten lösen.
Der Job ist bestens geeignet für Quereinsteiger. Ich war Schlosser und bin in meiner
Freizeit geklettert. Ein Freund hat mich auf
den Job aufmerksam gemacht und meinte,
ob wir das nicht probieren wollten. Komplett
ohne Geld haben wir unsere Firma Hanseclimbing gegründet, die ersten Aufträge kamen über Werbung im Internet herein.
Mittlerweile gibt es kaum etwas, das wir
nicht machen. Einmal haben wir für eine Firma in Basel die Logos getauscht. Die Sonne
schien, wir hingen schön in unseren Seilen.
Da wollten wir gar nicht mehr runter. Oder
als wir die Positionslichter für die Schiffe in
der Elbe überprüft haben, Leuchtfeuer genannt, und wir uns vom Boot zu den Bojen
herabgeseilt haben – das sind tolle Momente.
Gefährlicher als andere Berufe ist unser
Job auch nicht, bei der Versicherung werden
wir wie Gerüstbauer eingestuft. Einmal hing
ich an einer Fassade, als
der Wind einen vier mal
zwei Meter großen Kas­
ten gegen mich drückte.
Das Seil hatte sich verdreht. Ich bin ruhig geblieben und mit ein paar
blauen Flecken davongekommen.
Wind ist schlecht:
Holl und Kollegen
bei der Arbeit
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leben Ungewöhnliche Berufe
Ungewöhnliche Berufe Leben
Marvin Ohlemann,
Gunda und ihr mann
Karina Franke,
Mit dem
Pferd zur
Arbeit
Wir bauen
Ängste ab
ch entwickle und baue große,
begehbare Modelle von menschlichen Organen. Auf die Idee dazu
bin ich gekommen, als jemand aus
der Familie krank war. Damals erklärte uns der Arzt an einem Standardmodell das Problem. Und ich
dachte: Da kriegt man ja Angst! So
entstand die Idee, größere Modelle
zu bauen. Wenn man etwas anfassen oder sogar hineingehen kann,
wird alles greifbarer und verständlicher. Dank begehbarer Modelle
überwinden Patienten Hemmschwellen und setzen sich mit einer Krankheit auseinander.
Bei unserer Firma Organmodelle Deutschland arbeitet niemand
mit medizinischem Hintergrund,
ich hatte vorher einen Bürojob. Zu
viel Sachverstand ist eher hinderlich, zu viele Details schrecken ab.
Beim Maßstab müssen wir oft etwas schummeln, weil die Modelle
transportabel sein müssen. So ein
Teil ist bis zu acht Meter groß und
wiegt 600 bis 800 Kilogramm.
Die Modelle werden von Krankenkassen, der Pharmaindustrie
oder von Ärzten gemietet und
dann auf Messen, Kongressen oder
in Arztpraxen aufgestellt. Am bes­
ten gehen die Unisex-Modelle wie
Herz oder Darm. Die größte Herausforderung war bisher, die
Mundhöhle mit all den Zähnen zu
bauen. So ein Projekt dauert von
der Planung bis zum fertigen Stück
bis zu sechs Monate.
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W
Karina Franke und ihr bisher
schwierigster Fall: die Mundhöhle
Herbert Haberl, Erlediger:
Autos vermitteln
und Ehen retten
I
Herbert Haberl bringt die Talente
seiner Erlediger zur Geltung
manche brechen in
Tränen aus
Inselwarte:
Organmodelle-Bauerin:
I
KündigungsÜbermittler:
Gonne Erichsen,
ch war Vertriebler und Berater
und habe irgendwann festgestellt: Es gibt viele Leute, die können etwas, aber wissen es nicht zu
vermarkten und verdienen keinen
Euro damit. Auf der anderen Seite
gibt es Menschen, die etwas brauchen, es aber nicht beschaffen können, zum Beispiel einen wirklich
zuverlässigen Handwerker. Ich habe ein Konzept erstellt, 1000 Euro
in die Hand genommen, den ersten
Auftrag bekommen und bringe
nun diese beiden Gruppen zusammen.
Wir haben eine Frau, die kann
wahnsinnig schnell tippen und
kennt sich in Rechtsfragen gut aus.
Bisher hat sie das als Hobby gemacht, nun transkribiert sie für einige Anwälte. Wir haben mittlerweile 30 freiberufliche Erlediger.
Wir kriegen alle Sorten von Anfragen, vom klassischen Putzen über
Kellerentrümpelungen bis hin zu
einem Vorständler, der ein Auto
suchte und nicht wusste, welches
Modell zu ihm passt. Ich habe ihn
beraten, welches Auto zu ihm
passt. Einmal sollten wir sogar eine
Ehe retten, da sind wir mit mehreren Experten ran: unter anderem
mit einem Konfliktberater und
einem Mentaltrainer. Das war irre
anstrengend für alle Beteiligten,
aber wir haben die Ehe gerettet!
ir arbeiten auf der Hallig
Südfall im Nordfriesischen
­
Wattenmeer. Mein Mann ist beim
Landesbetrieb für Küstenschutz an­
gestellt, er erledigt alle Instand­­
haltungs­
arbeiten zum Schutz der
Hallig vor dem Wasser. Er zieht Gräben, setzt Steine und Soden, das sind
Grasnarben. Ich arbeite als Vogelwartin für einen Verein, zähle Möwen, Seeschwalben und Austernfiund kartiere ihre Nester. Im Sommer
bewirte ich in unserem Café die Tagesauflügler, die mit der Kutsche rüberkommen. Gleichzeitig sind wir
beide Nationalparkwächter, denn
der Großteil der Hallig ist Schutz­zo­
ne und darf nicht betreten werden.
Das überwachen wir. Gonne lebt im
Sommerhalbjahr komplett auf Südfall. Seitdem unsere Kinder auf
Nordstrand zur Schule gehen, pendele ich, reite mit meinem Schimmel „Sir Henry“ bei Ebbe zur Hallig.
In so einem Job darf man kein
grüblerischer Typ sein, sonst schlägt
einem das Alleinsein aufs Gemüt.
Schlimm wären ernsthafte Verletzungen oder akute Erkrankungen,
denn man kann nicht mal eben zum
Arzt fahren. Dafür hat die Familie
viel mehr Zeit füreinander als auf
dem Festland.
Immer in der Natur:
Gunda Erichsen auf
ihrem Schimmel
M
ich stellen Firmen befristet
an, die Mitarbeiter entlassen. Das übernehme ich. Zuerst
prüfe ich mit einem Anwalt die
Vertragslage. Man will die Leute ja
ohne Gerichtsverfahren loswerden. Beim persönlichen Gespräch
muss ich ruhig bleiben, so etwas
­sagen wie „Die Entscheidung ist
leider gefallen“ und Perspektiven
aufzeigen. Es ist wirklich nicht
leicht, das einem 50-Jährigen mit
Familie zu sagen. Ich denke nicht
drüber nach, so gut es geht. Jeder
ist sich selbst der Nächste, mir
kann so ­etwas ja auch passieren.
Manche Leute reagieren ganz
cool und wollen sofort ihren Anwalt konsultieren. Andere brechen
in Tränen aus. Dann redet man
weiter mit ihnen. Ich habe lange
Zeit im Marketing gearbeitet, kann
gut verhandeln und kommunizieren. Bisher ist kein Entlassener verbal ausfällig geworden ist. Also mache ich wohl einen guten Job.
Und Action! Ein guter Crash
bedeutet viel Arbeit
für den Stuntkoordinator
Thomas Bloem, Stuntman und -koordinator:
Gegner von James Bond
M
it 13 habe ich im Fernsehen
die Serie „Danger Freaks“ gesehen, in der Stunts und Stuntmen
vorgestellt wurden. Seitdem wusste
ich: Das wird mein Job! Meine Eltern und Mitschüler haben mich
für verrückt erklärt, wenn ich mich
die Treppe runterfallen ließ, aber
ich habe ständig neue Dinge probiert und letztlich in einem Stuntteam die Chance bekommen. Der
Höhepunkt meiner Karriere waren
Auftritte in den James-Bond-Filmen „Der Morgen stirbt nie“ und
„Ein Quantum Trost“. Dort durfte
ich versuchen, James Bond zu erschießen. Natürlich bin ich selbst
dabei draufgegangen.
Der Körper macht diesen Job
nicht ewig mit, deshalb bin ich
nun auch Stuntkoordinator. Das
erfordert viel Büroarbeit: Drehbücher lesen, Motive anschauen, finanziell kalkulieren, sich mit der
Regie absprechen, Stuntleute casten.
Eine Autoverfolgungsjagd frisst bis
zu sechs Wochen Vorbereitung, damit alles sicher abläuft.
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