Was das Walula alles kann - Albert Schweitzer Schule Wittenberge

Eberhard Grüning
Susanne Wastl
Was das Walula alles kann
2006; 32 Seiten; 13,90 €; C.V. Taumland-Verlag, Schloß Holte-Stukenbrock,
ISBN 978-3-934555-23-5
Ein Buch, das aus dem schulischen Lernen von Kindern und Jugendlichen mit geistigen
Behinderungen entstanden ist und sich nicht nur an Kinder in schwierigen Lebenslagen
wendet.
Walula ist ein Fabelwesen. Es ist traurig, weil es keine Freunde unter den anderen Tieren des
Waldes besitzt, in dem es wohnt. Das dem Leser liebenswürdig entgegenkommende Walula
macht sein Aussehen und sein Nichtkönnen für seine Traurigkeit verantwortlich. Auf der
Suche nach einem Freund findet Walula zugleich sich selbst. Viele Aktivitäten sind auf
diesem Weg notwendig, die durch sein Sosein behindert werden und ihm unüberwindlich
scheinen. Dabei entdeckt es, zuvor ungeahnte Möglichkeiten sich im Wasser, in der Luft und
auf dem Land so zu bewegen, wie es keinem anderen Wesen möglich ist. Erst aus der
Begegnung mit anderen, gewinnt das Walula Selbstzutrauen eigeninitiativ zu werden und
wird sich seiner Kompetenzen bewusst. Durch gemeinsame Aktivitäten mit anderen
Waldbewohnern erfährt das Walula die Akzeptanz der anderen Wesen des Waldes und
gewinnt für sich Lebenszufriedenheit. Es eröffnet sich selbst die Erfahrung, dass Grenzen des
eigenen Handelns überwindbar sind, aber auch akzeptiert werden können.
Abweichend von einer üblichen Buchbesprechung, soll an dieser Stelle auf den Hintergrund
der Buchentstehung eingegangen werden.
Die Walula-Kinderbuch-Idee ist Teil eines gleichnamigen Projektes der Albert-SchweitzerSchule (Förderschule für geistig Behinderte) in Wittenberge (Brandenburg). Mit dem Projekt
verfolgen die Pädagogen der Schule auf vielfältigster Weise die Öffentlichkeit für
Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler verfügbar zu machen und die Öffentlichkeit ins
Schulgeschehen einzubeziehen. So wurde Walula auch zum Lerngegenstand eines integrativkooperativ gestalteten Projektes zwischen Kindern und Jugendlichen der Albert-SchweitzerSchule und Schülerinnen und Schüler anderer Schulformen der Region (Grundschule,
Gymnasien), in denen sich alle Beteiligten gemäß ihrer Kompetenzen einbringen konnten und
sich anhand dieser Sachauseinandersetzung soziale und sachbezogenen Lernprozesse
vollzogen. Da das Walula-Wesen je individuell interpretiert wurde, entstanden somit sehr
unterschiedliche Walula-Wesen, die in den verschiedenen Teilprojekten gegenständlich
wurden.
Mit der an einer Fabel angelehnten Geschichte im Kinderbuch werden Fragen des realen und
idealen Selbstbildes angesprochen. Je größer die Spanne zwischen beiden Kategorien, desto
größer die Lebensunzufriedenheit. Selbstbeobachtungen, Fremdurteile und soziale Vergleiche
sind Themen des vorliegenden Buches. In den Erziehungs- und Sozialwissenschaften gelten
sie als die Quellen eines realen Selbstbildes. Ich-Identität wird dabei als notwendige
Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit des Einzelnen in der Gesellschaft gesehen. Walula
symbolisiert, dass Entwicklungen der Ich-Identität erst in der Interaktion mit anderen
entstehen können. Im gemeinsamen Miteinander erfährt der Einzelne sich selbst und den
Anderen.
Somit folgt die Walula-Idee auch dem Anliegen sozialer Integration/ Inklusion. Die Suche
nach einem Freund wird zu einem gemeinsamen Gegenstand zwischen den Handelnden, der
Einstellungen aller Beteiligten zueinander entwickeln lässt, die von gegenseitiger Akzeptanz,
Toleranz aber auch von Solidarität gegenüber dem Anderen mit Hilfebedarf geprägt sind.
Zugleich werden eigene Kompetenzen und Ich-Identitätsstrukturen reflektiert und erweitert.
Wenn eine Schülerin auf der DVD des Projektes äußert, „Walula möchte genauso sein, wie
alle anderen Kinder“, bringt sie stellvertretend über die Fabelfigur ihr ideales Selbstbild nach
Akzeptanz, Anerkennung und Teilhabe am Leben in der sozialen Gemeinschaft zum
Ausdruck. Walula ist nicht nur Identitätssymbol für Kinder in erschwerten Lebenslagen,
sondern somit auch ein Kommunikationsmittel, eigene Bedürfnisse ausdrücken zu können,
die in einer unmittelbar ich-bezogenen Form kaum bzw. nie artikuliert würden.
Das Buch wird vom Verlag für Kinder ab fünf Jahre empfohlen. Die Textgestaltung der
Autorin ist auf den potenziellen Leserkreis abgestimmt. Obgleich weniger abstrakter Begriffe
(Schwimmhäute, Waldkauz, Uferwasser), gelingt ihr ein sprachlicher Stil, der den Sachgehalt
für viele Kinder mit geistigen Behinderungen nachvollziehbar werden lässt. Jeder Textseite
wird eine farbige einseitige Illustration zugeordnet. Mit jeder Doppelseite befindet sich das
Walula auf einer weiteren Station seiner Reise. Ohne Kapitelbildung wird so eine
abgeschlossene Handlungseinheit dargestellt. Diese Struktur erleichtert das Einbeziehen des
Buches in den Unterricht. Auf eine zusammenfassende „Moral von der Geschichte“ wird,
ebenso wie auf eine Perspektive, verzichtet. Die Handlung endet für den Leser (etwas
enttäuschend) abrupt, aktiviert jedoch dadurch Phantasie, Vorstellung und Kreativität.
Statt eines Nachwortes informieren mit einem kurzen Einblick sechs, zumeist bebilderte
Seiten über das Walula-Projekt und ihre Gestalter aus der Albert-Schweitzer-Schule in
Wittenberge.
Walula kann als Buchanliegen beschrieben werden, das kindorientiert die Notwendigkeit und
Chancen des sozialen Zusammenleben in einer heterogenen Gesellschaft thematisiert, in der
jeder nach seinen Möglichkeiten einbezogen werden kann und der Einzelne zugleich eine
Bereicherung in seiner Entwicklung erfährt. Auf dem Kinderbuchmarkt ist ein solches Buch
(leider) immer noch außergewöhnlich selten vorzufinden. Von daher gilt ein besonderer Dank
der Schulleiterin (Sabine Milschus) der Albert-Schweitzer-Schule und ihrem Kollegium, dem
Projektleiter (Peter Glassen), der Autorin (Susanne Wastl), dem Illustrator (Bernd Streiter),
der Schirmherrin des Projektes (Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur
Prof. Dr. Johanna Wanka), dem C. V. Traumland-Verlag und vor allem den Kindern und
Jugendlichen der Schule für geistig Behinderte in Wittenberge und ihren Mitschülerinnen und
–schülern der Kooperationsschulen.
Dr. Eberhard Grüning
Universität Potsdam
Humanwissenschaftliche Fakultät
Institut für Sonderpädagogik
FB Geistigbehindertenpädagogik
Karl-Liebknecht-Str. 24-25
14467 Potsdam-Golm
email: [email protected]
Dem Bildungsverlag EINS als Buchrezension am 27.02.2007 für die Zeitschriftenreihe
“Lernen konkret – Unterricht bei geistiger Behinderung“ angeboten.