Was treiben Mathematiker? Was unterschei- det - Tessloff

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04.11.2009
14:07 Uhr
Babywindeln oder das Gießen von
Metall geht, immer strömt etwas. Ob
Wasser, Luft, Urin oder flüssiges Metall, kümmert nicht. Die anstehenden Rechnungen sind dieselben.
Einmal entwickelt, ist die Mathematik für alle vier Anwendungen einsatzbereit. Ebenso sind für den
Mathematiker Busfahrpläne, Müllabfuhr und das Entwerfen von
Computerchips ähnliche Aufgaben:
Jedes Mal gilt es, Verbindungswege
möglichst kurz zu halten.
Nicht nur Ingenieure und Techniker, auch Naturwissenschaften (und
zunehmend auch die Geisteswissenschaften) brauchen Mathematik. Ob
Physik, Chemie oder Biologie, alles
beruht auf ihren Formeln.
Viele Mathematiker sind damit beschäftigt,
mathematische
Theorien in die
Was treiben
Mathematiker? Wirklichkeit umzusetzen.
Das
geschieht heute
meist mithilfe von Computern. Eine
Minderheit unter den Mathematikern, die sogenannten reinen
Mathematiker, versucht, neue theoretische Erkenntnisse zu gewinnen.
Dazu stellen sie sogenannte Theoreme oder Sätze auf. Ein Beispiel für
einen mathematischen Satz: „Eine
Zahl ist genau dann ohne Rest durch
3 teilbar, wenn auch ihre Quersumme es ist.” (Quersumme bezeichnet
dabei das Ergebnis, wenn man die
Stellen einer Zahl, also die Einer,
Zehner, Hunderter usw., zusammenzählt. Die Quersumme von 84 etwa
ist 8 + 4 = 12.)
Mit dem Aufstellen solcher Sätze
geben sich Mathematiker nicht zufrieden. Sie versuchen, sie zu beweisen, das heißt, die Behauptung
streng logisch aus der Vorausset-
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zung und bereits bekannten Sätzen
abzuleiten. Um unseren Beispielsatz
als bewiesen anzusehen, genügt es
dem Mathematiker nicht, wenn er
eine Liste vorgesetzt bekommt:
1 + 2 = 3 durch 3 teilbar,
12 = 3 · 4 durch 3 teilbar
4 + 5 = 9 durch 3 teilbar,
45 = 3 · 15 durch 3 teilbar
8 + 1 = 9 durch 3 teilbar,
81 = 3 · 27 durch 3 teilbar
Selbst wenn die Liste aus dem
Computer stammt und viele Hundert
Zeilen hat, überzeugt ihn das nicht.
Schließlich könnte die nächste Zeile
die Behauptung zu Fall bringen.
Der Mathematiker gibt sich
nicht damit zufrieden, Behauptungen mit ein paar Beispielen zu belegen oder sich darauf zu berufen,
dass kein Kollege sie anzweifeln
würde. Das Einzige, was für ihn
zählt, sind Beweise. Wie sich unser
Beispielsatz mathematisch einwandfrei beweisen lässt, werden
wir später sehen (siehe Seite 13).
GALILEO GALILEI
(1564–1642), der große italienische Gelehrte, schrieb
einmal: „Die Philosophie
steht in diesem großen
Buch geschrieben, dem Universum, das unserem Blick
ständig offen liegt. Aber das
In Physik, Chemie oder Biologie
gilt eine TheoWas unterschei- rie als wahr,
det Mathematik wenn genug
Belege für sie
von den Naturwissenschaften? vorhanden
sind.
Belege
können zum Beispiel die Ergebnisse
von Versuchen sein. Die Mathematik
verlässt sich nicht auf Experimente,
sondern auf unfehlbare Logik. Den
Unterschied macht ein Beispiel klar:
Ein Schachbrett hat 8 · 8 = 64 Felder. Nehmen wir zwei gegenüberliegende Eckfelder weg, bleiben 62
Felder übrig. Kann man 31 Dominosteine, die jeweils die Größe von
zwei Feldern haben, so legen, dass
sie das unvollständige Schachbrett
ganz abdecken (siehe Abbildung auf
der gegenüberliegenden Seite)?
Buch ist nicht zu verstehen,
wenn man nicht zuvor die
Sprache erlernt hat, in der
es geschrieben ist. Es ist in
der Sprache der Mathematik
geschrieben, und deren
Buchstaben sind Kreise,
Dreiecke und andere geometrische Figuren, ohne die es
dem Menschen unmöglich
ist, ein einziges Wort davon
zu verstehen; ohne diese
irrt man in einem dunklen
Labyrinth umher.”