WAS W-304CHST WOHIN - Kirche für Alle

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WAS WÄCHST WOHIN?
Was bleibt vom Kongress „Wachsende Kirche“? Es sollte ein Kongress
der Ermutigung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landeskirche
werden, darunter viele im Hauptamt.
Wohin allerdings das erhoffte Wachstum der württembergischen Landeskirche führen soll, wurde auf diesem Kongress nicht klarer. Zu unverbunden standen verschiedene Vorstellungen
vom Wachstum nebeneinander.
Von Michael Seibt
(In: Offene Kirche – Anstöße, Heft 2, Juli 2008, S.8 f.)
Die wissenschaftliche Basis des Kongresses lieferte das Greifswalder „Institut für
Evangelisation und Gemeindeentwicklung“. Prof. Michael Herbst will in einer
Feldstudie den Bedingungen für die Entstehung von Glauben bei Erwachsenen
auf die Spur kommen. Dabei setzt er sehr stark auf sogenannte Lebensweltgemeinden und „emerging churches“, also Gemeindeneugründungen.
Die parochiale Ortsgemeinde wird sicher nicht die einzige Gemeindeform der Zukunft sein. Allerdings ist die Nachbarschaft für viele Menschen – besonders für
diejenigen, die nicht mobil sind – nach wie vor ein wichtiger Lebensraum. Eine
volkskirchliche Gemeinde lebt von kurzen Wegen und ihrer Erreichbarkeit, auch
bei alltäglichen Gelegenheiten. Die Ortsgemeinden werden sich allerdings grundlegend wandeln müssen, wenn sie ihre Zu kunftsfähigkeit bewahren wollen. Sie
führen weithin ein abgeschottetes Nischendasein, tun sich schwer, zu kooperieren oder gar zu fusionieren und pflegen eine Kerngemeinde, in die sich Distanzierte oder Nicht-Mitglieder angesichts der allgemeinen gesellschaftlichen Pluralisierung und Differenzierung nicht mehr einbinden lassen.
Pfarrerinnen und Pfarrer erleben einen starken Zuwachs an Aufgaben und Erwartungen und sollen in ihrer Person die verschiedenen Gruppen und Interessen
verbinden. Sie selbst sind durch berufliche und private Umbrüche, die für die
Ausübung dieses Berufs immer noch gravierende Folgen haben können, in ihrer
beruflichen Existenz nicht selten verunsichert.
Die finanziellen Mittel werden in Zukunft kaum mehr ausreichen, das bisherige
Konzept einer flächendeckenden kirchlichen Versorgung aufrecht zu erhalten. Die
Aufmerksamkeit der aktuellen Reformdiskussion hat sich in Württemberg deshalb
schon weit von der Ortsgemeinde entfernt. Leider! Die Zukunft, so glaubt man,
liegt bei ganz anderen Gemeindeformen. In sogenannten Lebenswelt- oder Milieugemeinden treffen sich mobile und flexible Menschen je nach Geschmack und
Vorlieben in Gemeinden mit einer bestimmten Altersstruktur, einem bestimmten
musikalischen Stil, einer bestimmten Prägung des Glaubens. Zahlenmäßig ist die
dafür in Frage kommende hochverbundene Zielgruppe sehr beschränkt. Das anvisierte „Wachstum“ über solche Lebensweltgemeinden ist daher kein Konzept
für eine Kirche im Volk.
Es ist daher keine Lösung, die neuen Lebensweltgemeinden mit Kirchensteuern
und Personal zu versorgen, wie es in der Synode von der „Lebendigen Gemeinde“
und von „Kirche für morgen“ beantragt worden ist. Das würde auf Kosten der
Kirchengemeinden gehen. Nur ein gemeinsames Konzept für die Zusammenar-
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beit verschiedener Gemeindeformen wird Wachstum ermöglichen. Davon sind wir
allerdings noch weit entfernt.
Die Landeskirche kann in der Summe nicht mehr Kirchengemeinden finanzieren.
Das wider spricht den überall nötigen Kooperationsmodellen und den Fusionszwängen, unter denen die Kirchengemeinden stehen. Noch ist also völlig unklar,
wohin dieses „Wachstum“ eigentlich führen soll. Die ökonomische Sprache des
EKD-Impulspapiers „Kirche der Freiheit“, auf das man sich in Württemberg gerne
und zu stimmend bezieht, hilft da auch nicht weiter.
Wissenschaftliche Untersuchungen über die Entstehung des Glaubens in Verbindung mit Wachstumsvorgaben der kirchlichen Zentralen erwecken den Eindruck,
dass der Glaube machbar sei. Prof. Isolde Karle hat Recht, wenn sie auf dem
Kongress sagte: „Im Sog der Logik von Unternehmensberatern scheint die Kirche
zuweilen die Sensibilität dafür zu verlieren, was sie steuern kann und was nicht.“
Es ist deshalb mehr als nur eine Randfrage, warum der Kongress ausgerechnet
die Kirche wachsen sehen möchte und zwischen dem Reich Gottes, das von
selbst wächst, und der Kirche als Institution, die in den nächsten Jahren ein gesichertes Minuswachstum haben wird, nicht unterscheidet. Es ist uns jedenfalls
nirgends versprochen, dass die Kirche wachsen wird.
Fulbert Steffenskys Eröffnungsvortrag war durch seine Sprache und seinen theologischen Gehalt der widerständige Kontrapunkt auf diesem wachstumsseligen
Kongress. „Die Kirche ist kleiner geworden“, stellte er nüchtern fest. Schlimm
findet er das nicht, er hält das eher für den Normalfall, denn die Kirche sei nie
groß gewesen, auch wenn sie früher mehr gesellschaftliche Bedeutung gehabt
habe. Steffensky hat eine bescheidene Vorstellung von Mission: „Wir haben mit
unseren Räumen, unseren Gesten und unserer Sprache des Glaubens zur Verfügung zu stehen. Das ist Mission“, sagte er. Die Kirche habe ihren Glauben gegebenenfalls auch zu „leihen“, wenn andere nicht glauben können.
Es geht Steffensky nicht um das durch Feldstudien messbare Ergebnis unserer
Bemühungen beim Adressaten und auch nicht um eine quantitativ wachsende
Kirche. Das sind Nebenschauplätze. Es geht um uns selbst und das kann Steffensky ohne Sprache Kanaans sagen: „Was man liebt, das zeigt man.“ Das ist die
Sprache eines organischen Wachstums, das sich von selbst versteht und nicht
zum auftragsgemäßen Programm erhoben wird. Die von selbst wachsende Saat.
Was man liebt, zeigt man und zwar „keusch“, so Steffensky. Man brummt es niemandem auf.
Der geistliche und spirituelle Kern unserer Arbeit war kein eigenes Thema auf
dem Kongress. Diesen Mangel konnte man spüren. Beim nächsten Kongress oder
Landeskirchentag dieser Art sollte es nicht mehr um „wachsende Kirche“ gehen.
Vielleicht gibt es ja mal einen Kongress zur Reform der Theologie und der spirituellen Ausrichtung dieser Kirche. Was glauben und lieben wir eigentlich? Das
würde aufhorchen lassen und zur Mitarbeit einladen. Es wird Zeit, dass wir uns
um die Inhalte kümmern und dabei das Volk Gottes mitreden lassen. „Notwendige Abschiede“ (Klaus-Peter Jörns) sind nicht nur bei einigen Arbeitsformen oder
bei kirchlichen Immobilien angesagt, es gilt auch für manche theologische Aussage, die wir unkritisch wiederholen. Was wächst wohin? Das müsste die erste
Frage sein, und die ist noch völlig offen. Aber mir scheint, an der Richtigkeit der
eigenen Theologie bestehen in Württemberg traditionell die allerwenigsten Zweifel. Im Bewusstsein, die „beste Botschaft der Welt“ zu „haben“ – so war auf dem
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Kongress zu hören - ist sich unsere Kirche noch viel zu sehr selbst genug. Sie will
das, was sie „hat“, noch besser unter die Menschen bringen und so wachsen.
Gefragt waren deshalb auf dem Kongress „goodpractice“- Ideen. Dieses Verständnis von Wachstum ist rein pragmatisch orientiert. Eine kirchliche Selbstkorrektur ist dabei nicht vorgesehen. Es gibt allerdings genug Beispiele für organisches Wachstum, auch in der Kirche. Das ist ausschließlich Ergebnis geduldiger
und jahrelanger Kontakt- und Netzwerkarbeit ohne kurzfristig messbare Erfolgsgarantie. Da liegt die Zukunft.
Die Frage, ob die heutigen Strukturen auch künftig geeignet sind, dem Auftrag
der Kirche bestmöglich zu entsprechen, wurde nicht gestellt. So bleiben viele gute Ansätze aus der Kirchenreformdiskussion in Württemberg und aus der EKD
ungenutzt. Das ist bedauerlich.
Zwar sind wir uns einig, dass es zum Wesen der Kirche gehört, „missionarisch“
zu sein, auch wenn wir in der Offenen Kirche mit diesem kirchlichen Insider-Wort
sicher zurückhaltender umgehen als es andere tun. Allerdings bestehen nach wie
vor grundsätzliche Unterschiede im Verständnis von Mission. Eine unbedingt
wachsen wollende Kirche ist uns viel zu vordergründig „missionarisch“. Die Glaubenshaltungen vermeintlich säkularer Menschen wollen wir auf gleicher Augenhöhe wahrnehmen und uns selbst davon anregen, bereichern und korrigieren
lassen. Mission ist keine Einbahnstraße. Wir gehen selbst daraus verändert hervor.
Auf dieses qualitative Wachstum kommt es an. Wenn es dann auch quantitativ
mehr wird, um so besser, aber das ist nicht das primäre Ziel. Auch eine zahlenmäßig kleiner werdende Kirche kann wachsende Kirche sein.