WOCHENENDE S A M ST A G, 5 . MÄ RZ 2 0 1 1 WO CH E NE ND E @S AL Z BU RG .C OM Sprich nicht frei... Was eine Rede bewirken kann. Und was nicht. JOSEF SCHORN Ein Film über eine königliche Rede war der Sieger der Oscarnacht. Im wirklichen Leben wird der Einfluss des Wortes auf die Geschichte wohl überschätzt. Wir schreiben über die Rede: Wie sie missbraucht werden kann, wie viel sie kostet, wie gefährlich Anführungszeichen sind. Von einem nobelpreiswürdigen Produkt, das prominente Ruheständler reich macht. Gastautorin Carolina Schutti sucht nach Worten. Und findet sie bei ihrem Sohn. Seite IV D ie folgende Geschichte trug sich in den Siebzigerjahren zu, und sie zählte zu den amüsantesten, die der Salzburger Landeshauptmann Haslauer stets so unnachahmlich zu erzählen wusste. Bei der Hauptfigur handelte es sich um einen Parteifreund, Bürgermeister einer Tennengauer Gemeinde und politisches Urgestein der ÖVP. Zur Begrüßung eines prominenten Skirennläufers war das ganze Dorf auf den Beinen, der Bürgermeister hielt eine Rede, die, so wusste es jedenfalls Haslauer launig zu berichten, aus der Feder des Gemeindesekretärs stammte. Der hatte es ganz genau genommen und hinter jeden Absatz das Wort Applaus notiert – um seinen Bürgermeister zu einer Pause anzuhalten, in der dann mutmaßlich Beifall gespendet würde. Tatsächlich las der gute Mann, wie immer, aufmerksam vom Blatt, er ließ kein Wort aus – und verabsäumte nicht, nach jedem Absatz auch noch „Applaus“ zu sagen. Wie es halt aufgeschrieben worden war. Er hielt es offenbar mit Kurt Tucholsky, dem großen Spötter, der schlechten Rednern einmal geraten hatte: „Sprich nicht frei, das macht einen so unruhigen Eindruck. Am besten ist es, du liest deine Rede ab.“ Wissen heute Tausend verstreute Welten. Und unser Bild von Afrika. Seite V Tagtäglich werden rund um den Erdball öffentliche Reden geschwungen, Hunderttausende, Millionen, so steht zu befürchten, im Verein, in der Gemeinde, bei der Eröffnung eines Supermarkts oder eines Kanals, bei Beerdigungen, Hochzeiten, kaum ein Anlass, der sich nicht für eine Rede eignen würde. Die Qualität dieser Ansprachen ist durchwegs dürftig bis elend, sie sind langatmig, unverständlich und zumeist überflüssig. Und doch dürfen diese Redner unsere Aufmerksamkeit einfordern. Wir hören zu. Ich rede, also bin ich!? Gute Reden – und gute Redner – sind höchst selten, und man gewinnt den Eindruck, sie würden immer seltener. Das geht schon so seit dem Aufkommen des Fernsehens, das zwar ein Massenmedium, aber zugleich auch ein äußerst flüchtiges Medium ist. Vor dem Mikrofon bleibt gewöhnlich kaum eine Minute, um ein Anliegen zu vertreten – und niemand hört mehr genau hin. Als ein öffentlich-rechtlicher Sender in Deutschland die Neujahrsansprachen von Bundeskanzler Kohl verwechselt hat und die Rede vom Vorjahr über den Bildschirm geflimmert ist, hat es kaum einer gemerkt. Reden ist nicht nur, wie es Aristoteles gesehen hat, die Kunst, Glauben zu erwecken. Reportage Alaaf – Lokalaugenschein in der Hauptstadt der Jecken. Seite VII Reden selbst ist eine Kunst, sie ist erlernbar, bewertbar, kommerziell verwertbar. In der Antike, bei den Griechen und Römern, stand der Rhetor oder Orator in hohem Ansehen – oder soll man sagen, hoch im Kurs? Das trifft es wohl eher in der Gegenwart, denn heute sind Honorare der Gradmesser dafür, wie beliebt ein Redner ist. Bill Clinton galt lange Zeit als Branchenbester, einen einzigen Auftritt lässt er sich mit Beträgen zwischen 100.000 und 350.000 Dollar entgelten, in einem Jahr kam Clinton so auf mehr als sieben Millionen Dollar. Unter Vertrag steht er bei der Harry Walker Agency, dort hält man ihn für den bestbezahlten Redner aller Zeiten, obwohl der britische Ex-Premier Tony Blair für einen dreistündigen Auftritt in China auch schon 280.300 Euro kassiert hat. Die Agentur vermittelt prominente Redner wie Bianca Jagger, Henry Kissinger oder die Friedensnobelpreisträgerin Wangri Maathai. Fortsetzung Seite II Reisen Höchste Eisenbahn in den engen Gassen von Hanoi. Seite IX
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